Von Menschen und ihre Geschichten

Passt perfekt!

An den Hochschulen werden die hochqualifizierten Fachkräfte von morgen ausgebildet. Im Interview erklärt der Österreicher Gregor Demblin, Gründer der sozialen Unternehmensberatung myAbility, wie er Unternehmen und junge Akademikerinnen und Akademiker mit Behinderung und chronischer Erkrankung zusammenbringt. Sein DisAbility-Talent-Programm startet 2019 auch in zwei deutschen Städten: Berlin und München.

Der Unternehmenberater Gregor Demblin, der selbst eine Behinderung hat und deshalb mit Rollstuhl unterwegs ist.

Herr Demblin, was war Ihr Antrieb, sich beruflich mit sozialen Themen auseinanderzusetzen?

Mir ist das aus persönlichen Gründen wichtig, weil ich das Leben sowohl mit als auch ohne Behinderung kenne. Ich hatte mit 19 einen Badeunfall und lebe seither mit Rollstuhl. Ab diesem Zeitpunkt wurde ich komplett anders behandelt, auch auf dem Arbeitsmarkt. Ich habe also am eigenen Leib erlebt, wie sich das Verhalten der Menschen im eigenen Umfeld verändern kann, wenn so etwas passiert und man dann plötzlich mit einer Behinderung lebt, die für alle sichtbar ist. Deshalb möchte ich das Leben auch von anderen Menschen mit Behinderung positiv verändern. In der Wirtschaft liegt dafür aus meiner Sicht das größte Potenzial.

Warum sehen Sie dort besonders große Möglichkeiten?

Weil Menschen nur auf allen Ebenen unserer Gesellschaft teilhaben können, wenn sie einen Job haben. Dann verdienen sie ihren Lebensunterhalt eigenständig, können selbstbestimmt leben und sich beruflich wie privat weiterentwickeln und beweisen. Auf der anderen Seite liegt gerade bei Unternehmen ein großes Potenzial für Inklusion. Wenn dort Barrierefreiheit überall mitgedacht wird, intern wie extern, baulich, aber auch in den Köpfen, profitieren alle davon. So wird die Offenheit in der gesamten Gesellschaft gefördert. Dieses neue und umfassende „über den Tellerrand denken“ schafft ein ungeheures Innovationspotenzial.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Stellen Sie sich vor, eine Mitarbeiterin mit einer Höreinschränkung beginnt in einer neuen Abteilung. Durch eine offene Kommunikation über das, was sie in ihrem Arbeitsumfeld braucht, werden die anderen Kolleginnen und Kollegen animiert, ebenfalls über ihre eigenen Bedürfnisse nachzudenken. So werden Potenziale freigesetzt, die sonst vielleicht nicht erkannt worden wären, und diese kann das Unternehmen gezielt fördern. Damit lässt sich die Leistung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oft deutlich steigern.

Wie haben sie konkret damit begonnen, die Themen Arbeit und Inklusion zu verbinden?

Gemeinsam mit meinem Kollegen Wolfgang Kowatsch hatte ich im Jahr 2009 die Idee, die inklusive Jobplattform myAbility.jobs zu entwickeln (früher: Career Moves). Unternehmen können dort Arbeitsplätze anbieten und ausdrücklich Menschen mit Behinderung ansprechen. Das Konzept ist, dass ganz normale Arbeitsstellen ausgeschrieben und keine extra Stellen geschaffen werden – wir wollen die Unternehmen also zu gelebter Inklusion animieren.
Schon in der Anfangszeit haben wir schnell gemerkt, dass viele Betriebe bei diesem Thema grundsätzliche Unterstützung benötigen. Sie sind oft unsicher, was genau sie tun müssen, um inklusive Bedingungen in ihren Unternehmen herzustellen. Deshalb haben wir die Unternehmensberatung „myAbility“ gegründet. Damit und mit unserem DisAbility-Talent-Programm arbeiten wir täglich daran, unserer Vision einer chancengerechten und barrierefreien Welt näher zu kommen.

Wir haben gemerkt, dass viele Betriebe bei diesem Thema grundsätzliche Unterstützung benötigen. Sie sind oft unsicher, was genau sie tun müssen, um inklusive Bedingungen in ihren Unternehmen herzustellen.

Gregor Demblin

Worum geht es im DisAbility-Talent-Programm?

Inklusion ist ja nicht erst auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wichtig, sondern auch schon vorher, an den Schulen und Unis. Dort werden die Weichen für Karrieren gestellt und die Nachwuchskräfte von morgen ausgebildet. Das DisAbility-Talent-Programm schafft hier Berührungspunkte und „matcht“ Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber mit hoch qualifizierten Studierenden mit Behinderung oder chronischer Erkrankung, die potenzielle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Betriebe sein könnten. Zu unseren Zielgruppen zählen Studierende und junge Absolventinnen und Absolventen, die zum Beispiel Seh-, Hör- oder Mobilitätseinschränkungen, Legasthenie, Epilepsie, psychische Erkrankungen oder Diabetes haben. Die Unternehmen treffen diese jungen Menschen im Rahmen unseres Programms und lernen sie näher kennen. Die Studierenden wiederum lernen in Gruppen- und Einzelcoachings, sich zu präsentieren und ihre Behinderung als Karrierefaktor zu sehen. So gewinnen beide Seiten: Die Unternehmen lernen potenzielle zukünftige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennen, die Studierenden können zukünftige Arbeitsbereiche aktiv erkunden.

Aus welchen Elementen besteht das Programm genau?

Es gibt mehrere Veranstaltungen und Formate, die den Studierenden dabei helfen, ihre Karriere zu planen. Dazu zählen Gruppencoachings, bei denen die jungen Talente mit einem Medientrainer an ihrer Wirkung und Körpersprache arbeiten, um auf Bewerbungsgespräche gut vorbereitet zu sein. In Einzelcoachings wird individuell über das Thema Karriere und die nächsten Schritte gesprochen. Beim Karriereworkshop wird das Thema Behinderung und Karriere erörtert, außerdem werden Tipps für die so genannten Job-Shadowings gegeben. Dabei begleiten Studierende eine erfahrene Mitarbeiterin oder einen erfahrenen Mitarbeiter eines Unternehmens im Arbeitsalltag und schauen ihr oder ihm über die Schulter. Das Highlight des Programms ist aber der Matching Day.

Was geschieht beim Matching Day?

Die Talente lernen an diesem Tag bei einem Speeddating die Personalverantwortlichen unserer Partnerunternehmen kennen. Sie wenden also das erste Mal das Gelernte aus den Coachings an, aber in einem sicheren Rahmen. Bei den Job-Shadowings können sie außerdem das erste Mal einen Blick in Abteilungen werfen, in denen sie später vielleicht einmal arbeiten werden. Dieser Teil ist auch der wertvollste des DisAbility-Talent-Programms, weil die Studierenden dabei Kontakte aufbauen, sich fachlich austauschen und Berührungsängste abbauen können. Das gleiche gilt umgekehrt auch für die Unternehmen.

Welchen Anreiz bieten Sie den Unternehmen, bei Ihrem Programm mitzumachen?

Mehr als elf Prozent der Studierenden in Deutschland geben an, eine Behinderung zu haben. Gleichzeitig ist der Anteil an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Behinderung in österreichischen wie deutschen Unternehmen deutlich geringer. Das möchten wir zusammen mit den Unternehmen gern ändern. Durch das DisAbility-Talent-Programm schaffen wir eine Plattform, mit der unsere Partnerunternehmen hochqualifizierte Studierende mit Behinderung kennenlernen können. Sie können so einem möglichen Fachkräftemangel in Zukunft besser begegnen und zugleich etwas zur Inklusion auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beitragen.

Wie gut funktioniert das Programm bisher?

Sehr gut, denn wir merken, dass viele Studierende noch sehr wenig Bewerbungserfahrung und demnach viele Fragen haben. Im Programm gibt es darauf konkrete Antworten, außerdem profitieren die jungen Menschen von allen Formen des Coachings. Den Erfolg des Programms können wir übrigens auch an Zahlen belegen: Mehr als 25 Prozent unserer Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben durch DisAbility-Talent-Programm später eine Festanstellung oder ein längeres Praktikum bekommen


Über DisAbility Talent*

Das DisAbility-Talent-Programm startete 2015 in Österreich und fand dort seither insgesamt drei Mal statt. Die Partnerunternehmen waren unter anderem die UniCredit Bank Austria, IBM, REWE, PwC, die Wirtschaftskammer Österreich, die Caritas, die Österreichischen Lotterien, Takeda und die Oesterreichische Nationalbank.
Wegen des großen Erfolgs startet das Programm im Jahr 2019 auch in Deutschland. In Berlin und München findet je eine Pilotphase mit Unternehmen wie SAP, dem Robert Koch Institut, SANOFI, BASF, Axel Springer, PwC, dem Flughafen München, EY (Ernest & Young), Siemens, der Allianz und der Swiss Re. 2020 soll das Programm auf die Städte Zürich und Frankfurt am Main ausgeweitet werden.
In Berlin läuft das Programm schon. Für München können sich Interessierte aller Studienrichtungen noch bis zum 26. Mai 2019 per Mail an talents@myability.org mit einem Lebenslauf und einem kurzen Motivationsschreiben bewerben.

*UPDATE: Das Programm heißt inzwischen myAbility Talent® Programm. Hier findet ihr alle Infos dazu.


Über unseren Interviewpartner

Porträt von Gregor Demblin
Foto: Udo Titz

Name: Gregor Demblin
Geburtsjahr: 1977
Wohn-/Arbeitsort: Wien
Beruf: Gründer der sozialen Unternehmensberatung myAbility Social Enterprise GmbH und der inklusiven Jobplattform myAbility.jobs; organisiert zusammen mit seinem inklusiven Team das DisAbility Talent Programm, das ab dem Frühjahr auch in Deutschland Studierende mit Behinderung mit Unternehmen zusammenbringt.
(Persönlicher Bezug zum Thema) Behinderung: ist selbst querschnittsgelähmt und Rollstuhlnutzer.

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