Von Menschen und ihre Geschichten | Projekte und Unternehmen

Irgendwas mit Computern

Im IT-Sektor werden seit Jahren händeringend Fachkräfte gesucht. Das kann eine Chance sein, gerade für Menschen mit Behinderung, sagt Rükiye Ray. Die 48-Jährige kennt sich aus: Sie ist Integrationsbeauftragte im Hamburger IT-Unternehmen akquinet AG. Ein Interview.

Die Hände einer Frau auf der Tastatur eines Laptops von oben, neben ihr liegt ein Buch zu einer Programmiersprache.

Frau Ray, welche Entwicklungen im IT-Bereich machen diesen Berufszweig für Menschen mit Behinderung interessant?

Die IT-Branche wächst seit Jahren, im vergangenen Jahr sogar um fast 3 Prozent. Wir selbst, die akquinet AG, sind ein IT-Dienstleister für andere Unternehmen, bei denen wir zum Beispiel ERP- und Kollaborations-Systeme einführen. Die Abkürzung „ERP“ heißt „Enterprise-Resource-Planning“. Das sind IT-Anwendungen, mit denen die Betriebe ihre Prozesse besser steuern und die Zusammenarbeit der Mitarbeiter fördern können.
Wir entwickeln darüber hinaus auch eigene Softwarelösungen und pflegen in unseren Rechenzentren die IT-Systeme und Daten unserer Kunden. Da heute viele Unternehmen immer mehr in ihre IT investieren und sie ausbauen, haben viele Dienstleister – also auch wir – einen immer größeren Bedarf an zusätzlichen Experten, vor allem in den Bereichen Entwicklung, Consulting, Sales und Support. Diese Leute werden natürlich allerseits heiß umworben. Genau hier liegt aus meiner Sicht eine große Chance für Menschen mit Behinderung.

Welche Chancen meinen Sie damit?

In der Branche sind sehr viele Arbeitsplätze unbesetzt, daher suchen wir immer neues Fachpersonal. Menschen mit Behinderungen könnten von diesem positiven Trend im IT-Berufszweig sehr profitieren, weil sie hier mit weniger mit anderen Bewerberinnen und Bewerbern konkurrieren müssen. Laut der Bundesagentur für Arbeit arbeiten im Moment aber leider nur etwa 23.000 Menschen mit schwereren Behinderungen im IT-Sektor – da schlummern aus meiner Sicht riesige Potenziale und viele Chancen.

Was tun Sie als Integrationsbeauftragte in Ihrem Unternehmen, um diese Kluft zu schließen?

Wir haben unter anderem eine Inklusionskampagne mit dem Namen „Inklusion? – na klar!“ ins Leben gerufen. Damit wollen wir nach und nach ein Netzwerk in der IT-Branche zur beruflichen Inklusion von Menschen mit Behinderungen aufbauen. Wir setzen uns zum Beispiel dafür ein, dass der Austausch zwischen IT-Branchenvertretern, Interessenverbänden und Akteuren der beruflichen Rehabilitation stärker und besser wird.
Eine der Maßnahmen in der Kampagne war außerdem, dass wir 2017 als akquinet AG eine Woche lang am Online-Format „Karriereratgeber“ des Magazins Computerwoche teilgenommen haben. Dort haben wir gezielt Menschen mit Behinderungen zu Jobs in der IT-Branche beraten.
Auch jetzt noch können Interessierte auf der Plattform regelmäßig mit Insidern in Kontakt treten und ihnen Fragen stellen – zum Beispiel zu deren Arbeitsalltag, dem Ablauf der Mitarbeitersuche in Unternehmen und zu den nötigen Qualifikationen für verschiedene Berufsbilder in der Branche.

Wie war die Resonanz auf das Angebot?

Gut! Wir bekamen einige Anfragen über das Online-Forum und hatten außerdem auch direkten Kontakt mit Interessierten. Der schöne Nebeneffekt für uns als Unternehmen ist, dass wir durch solche Aktionen am IT-Arbeitsmarkt mittlerweile als Inklusionstreiber gesehen werden. Und das schlägt sich unter anderem darin nieder, dass wir inzwischen mehr qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber auf ausgeschriebene Stellen haben. Wir hoffen, damit unseren Bedarf an neuen Experten nach und nach zu decken und zugleich anderen vorleben zu können, wie angewandte Inklusion in der IT-Branche funktioniert.

Manche Menschen mit Behinderungen wissen nicht so recht, ob sie ihre Behinderung im Bewerbungsprozess überhaupt erwähnen sollten. Diese Unsicherheit entsteht häufig aus der Sorge vor Nachteilen. Ich sehe das aber so: Wenn man in einem Umfeld arbeitet, in dem schon durch den Job viel von einem gefordert wird, ist es besonders wichtig, offen mit den persönlichen Bedingungen und eventuellen Einschränkungen umzugehen.

Rükiye Ray

Welche Fragen wurden Ihnen während dieser Woche am häufigsten gestellt, wo gibt es also besonderen Informationsbedarf?

Es haben vor allem sehr viele junge Menschen mit Behinderungen Kontakt mit uns aufgenommen. Sie möchten nach der Schule gern in einem Beruf in der IT-Branche arbeiten, wissen aber nicht, wie sie sich dafür qualifizieren müssen und können. Wir haben sie im Rahmen der Aktionswoche zu den Weiterbildungsmöglichkeiten in der Branche informiert. Es gibt beispielsweise gute IT-Fernstudiengänge oder auch duale Ausbildungen, die einen stärkeren Praxisbezug haben. Solche dualen Studiengänge bieten wir zum Beispiel auch selbst an, und zwar gemeinsam mit dem Institut für Softwaretechnik und Outsourcing an der FH Wedel.
Ein weiteres großes Thema war das der Teilhabe, also die Frage danach, wie die berufliche Inklusion in einem IT-Unternehmen funktioniert. Das hatte ich als Inklusionsbeauftragte schon erwartet. Die große Frage dahinter ist immer die gleiche: Wie können Strukturen und die Verhaltensweisen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem Unternehmen so verändert, gefördert und gelebt werden, dass alle gleichberechtigt sind und gut arbeiten können?

Und wie geht das?

Eine große Verantwortung haben immer die Köpfe eines Teams, also die Chefs. Durch eine klare Aufgabenverteilung und die begleitende Kommunikation im Berufsalltag können sie entscheidend dazu beitragen, dass die inklusive Zusammenarbeit im Team möglich wird. Umgekehrt sollten Menschen mit Behinderungen schon im Bewerbungsprozess darauf achten, ob die vorgegebenen Strukturen passend für gelebte Teilhabe sind. Für solche Fragen sind vor allem die Inklusionsbeauftragten eines Unternehmens sehr wichtige Ansprechpersonen, vor allem für neue Jobanwärterinnen und -anwärter.

Was war die ungewöhnlichste Frage, die Sie während der Kampagne gehört oder gelesen haben?

Dazu muss ich ein wenig ausholen. Ich habe in meinem Beruf täglich mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beziehungsweise Bewerberinnen und Bewerben zu tun, die eine Behinderung haben. Das ist für uns Alltagsroutine und ganz normal. In vielen anderen Unternehmen und auch in der Gesellschaft ist das aber leider noch nicht so. Bei einigen Anfragen zeigte sich dann, dass manche Menschen mit Behinderungen gar nicht so recht wissen, ob sie ihre Behinderung im Bewerbungsprozess überhaupt erwähnen sollten. Diese Unsicherheit entsteht häufig aus der Sorge vor Nachteilen.
Ich sehe das aber so: Wenn man in einem Umfeld arbeitet, in dem schon durch den Job viel von einem gefordert wird, ist es besonders wichtig, offen mit den persönlichen Bedingungen und eventuellen Einschränkungen umzugehen. Das ist sogar eine Voraussetzung dafür, einen vertrauensvollen und konfliktfreien Umgang mit Kolleginnen und Kollegen oder den Führungskräften zu erreichen. Deshalb ist mein Rat: Geht von Beginn an offen mit eurer Behinderung um. Stört euch nicht an Fragen und Unsicherheiten eures Umfelds, sondern nehmt sie als Chance an. Unsicherheiten sind menschlich und gehören von beiden Seiten dazu. Je offener ihr also selbst mit eurer Behinderung seid, desto größere Chancen entstehen auch für die Menschen in eurem Arbeitsumfeld, respektvoll und selbstverständlich damit umzugehen.


Über unsere Interviewpartnerin

Porträtfoto von Rükiye Ray.
Foto: akquinet gGmbH

Name: Rükiye Ray
Geburtsjahr: 1971
Wohn-/Arbeitsort: Hamburg
Beruf: Integrationsbeauftragte bei der akquinet AG
(Persönlicher Bezug zum Thema) Behinderung: ist selbst Rollstuhlfahrerin und seit 2016 bei ihrem Unternehmen verantwortlich für die Inklusion von Mitarbeitern.


Über die akquinet AG

Die akquinet AG ist ein strategischer IT-Entwicklungspartner für Unternehmen. 800 Experten in der Hamburger Zentrale sowie in Niederlassungen in Deutschland, Österreich und Brasilien begleiten die Firmen bei Standardsoftware wie SAP und Microsoft, entwickeln individuelle Lösungen und bieten in vier leistungsstarken, zertifizierten Rechenzentren IT-Outsourcing und Cloud-Services an. Die Rechenzentren werden als Integrationsbetriebe geführt.

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