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Studieren mit Behinderung: Ergebnisse der best2-Studie

Beeinflusst eine Behinderung, für welchen Studiengang sich ein junger Mensch entscheidet? Auf welche Schwierigkeiten trifft sie oder er an der Uni? Wie könnten die Studienbedingungen behinderungsgerecht verbessert werden? Diese und andere Fragen haben drei große Hochschul-Einrichtungen mit der „best2“-Studie untersucht. Im Wintersemester 2016/2017 wurden dazu rund 21.000 Studierende mit Behinderung an 153 deutschen Hochschulen befragt. Wir haben die Ergebnisse zusammengefasst.

Zwei Hände, die ein Heft mit Brailleschrift abtasten.

Beim Wort „Behinderung“ denken viele an einen Menschen, der mit Rollstuhl unterwegs ist. Oft sind Behinderungen aber gar nicht zu sehen, zum Beispiel, wenn sie psychisch oder geistig sind. Eine Behinderung sagt ohnehin erst einmal nichts über die Fähigkeiten eines Menschen aus.

An Unis ist das ein ähnlich schwieriges Thema wie auf dem Arbeitsmarkt. Rund 11 Prozent aller Studierenden an Deutschlands Hochschulen haben eine Behinderung, doch laut einer Selbsteinschätzung der Befragten in der best2-Studie („best“ steht für „beeinträchtigt studieren“) können Außenstehende nur bei 4 Prozent dieser Studierenden deren Behinderung auf Anhieb wahrnehmen. Das ist nur eines der vielen interessanten Ergebnisse, die das Deutsche Studentenwerk, das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung und das Institut für Höhere Studien Wien in ihrer Befragung herausgefunden haben.

Viele psychische und chronische Erkrankungen

Das hängt damit zusammen, dass mehr als die Hälfte der Studierenden mit Behinderung (53 Prozent) eine psychische Erkrankung haben. 20 Prozent haben chronisch-somatische Erkrankungen wie beispielsweise Rheuma, Multiple Sklerose oder Epilepsie, die ebenfalls nicht unbedingt sichtbar sind, aber im Studium beeinträchtigen. 10 Prozent haben eine körperliche Behinderung, zu denen neben motorischen Handicaps auch Seh- oder Hörbehinderungen zählen. 4 Prozent leben mit so genannten Teilleistungsstörungen – dazu gehört etwa die Legasthenie, eine Behinderung, bei der Lesen und Rechtschreiben nur stark verzögert erlernt werden können. 6 Prozent der Studierenden nannten andere Behinderungen, 7 Prozent haben mehrere Handicaps.

Barrieren mildern mit Nachteilsausgleichen

Unabhängig von der Art des Handicaps gaben neun von zehn Befragten an, dass ihre Behinderung sie im Studium stark beeinträchtigt. Das hängt nicht zuletzt mit einer hohen Prüfungsdichte und mit den Anwesenheits- und Zeitvorgaben an den Unis zusammen.
Um diese erschwerenden Rahmenbedingungen abzufedern, können Studierende so genannte Nachteilsausgleiche (siehe Kasten in Anspruch nehmen. Damit können die Umstände für sie im Studium individuell so angepasst werden, dass jede und jeder Studierende mit Behinderung die geforderten Lernziele erreichen kann – die Prüfungsleistungen werden deshalb aber nicht anders bewertet. Inhaltlich gelten also die gleichen Anforderungen wie für Studierende ohne Behinderung.

Nachteilsausgleich – was ist das?

Ein Nachteilsausgleich ist eine Möglichkeit für Studierende mit Behinderung, Barrieren beim Lernen und bei Prüfungen im Studium abzufedern und Benachteiligungen gegenüber Mitstudierenden auszugleichen.

Diese Option kann jede und jeder Studierende mit Behinderung nutzen. Wichtig: Die Behinderung muss dafür nicht amtlich festgestellt sein, ein (Schwer-)Behindertenausweis ist also keine Bedingung, um einen Nachteilsausgleich zu beantragen. Allerdings muss im Antrag erläutert werden, wo und wie das Studium oder Prüfungen entweder durch die Behinderung oder äußere Barrieren erschwert werden.

In der Praxis können die Studierenden beispielsweise mit ihren Dozentinnen und Dozenten vereinbaren, dass sie in Prüfungen etwas mehr Zeit bekommen oder die Klausur in einem eigenen Raum schreiben dürfen. Sie können bei Bedarf auch technische Hilfsmittel wie etwa spezielle Computer einsetzen oder sich von einer Begleiterin oder einem Begleiter unterstützen lassen, die oder der sich aber nicht in die inhaltlichen Fragen einmischt. In Veranstaltungen kann zudem vereinbart werden, dass jemand etwas öfter fehlen darf als Teilnehmer ohne Handicap. Diese Fehlzeiten können mit ersatzweisen Leistungen wieder ausgeglichen werden.

Angst vor Ablehnung

Die best2-Studie fand heraus, dass drei Viertel der befragten Studierenden diese Möglichkeit zwar hilfreich finden, sie aber nur vergleichsweise selten nutzen. So haben nur knapp 30 Prozent der Befragten in ihrer Studienlaufbahn wenigstens einmal einen Nachteilsausgleich beantragt.
Einige verzichten nicht bewusst auf diese Option, sondern kennen ihre Rechte nicht. Andere haben Hemmungen, die Ausgleiche zu beantragen, oder wollen keine „Sonderbehandlung“. Hier liegt ein besonderer Knackpunkt der Studie: Sie zeigt, dass viele Studierende Angst davor haben, wegen ihrer Behinderung abgelehnt oder stigmatisiert zu werden. Außerdem haben einige auch schon negative Erfahrungen damit gemacht, ihre Behinderung offenzulegen.

Appell an die Hochschulen: mehr informieren

All das erschwert die Kommunikation mit Lehrenden, Kommilitoninnen und Kommilitonen und der Verwaltung. Nach Einschätzung des Präsidenten des Deutschen Studentenwerks, Prof. Dr. Rolf-Dieter Postlep, zeigt best2 vor allem eines: wie dringend die Hochschulen die Studierenden bereits zu Beginn des Studiums zielgerichtet informieren müssten. Deshalb gehört das Thema Nachteilsausgleich aus seiner Sicht in jede Erstsemester-Veranstaltung.

Wenn man die beiden Befragungen [Anm. d. Red.: best1 war die erste Befragung im Jahr 2011] vergleicht, stellt man fest: Noch immer behindern vielfältige Barrieren ein chancengleiches Studium. Leider funktionieren auch die Nachteilsausgleiche nicht überall und für alle gleich gut. Ich appelliere an die Hochschulen, Barrieren weiter abzubauen. Davon profitieren nämlich alle Studierenden.

Prof. Dr. Rolf-Dieter Postlep, Präsident des Deutschen Studentenwerks

Beratungsangebote und private Unterstützung

Eben weil es noch so viele Barrieren gibt, ist vielen Studierenden die Unterstützung ihrer Familie während des Studiums besonders wichtig. Auch Ärztinnen und Ärzte, Therapeutinnen und Therapeuten und Kommilitoninnen und Kommilitonen spielen hier eine entscheidende Rolle. Eine weitere wichtige Voraussetzung ist auch, dass die Studierenden vor allem zu Beginn des Studiums bedarfsgerecht unterstützt werden.

Positiv: Angebote sind besser bekannt

Zum Schluss gibt es noch ein paar gute Nachrichten: Studierende mit Behinderung wissen heute besser über die Beratungsangebote an den Hochschulen Bescheid als zum Zeitpunkt der ersten Befragung im Jahr 2011. Außerdem werden diese Möglichkeiten nachweislich häufiger genutzt. Und: Vier von fünf beeinträchtigten Studierenden sagen, dass sie ihren Studiengang wieder wählen würden – trotz aller Barrieren.

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