Sport für alle: Interview mit der Sportlotsin Linda Bull

Frau Bull, was genau macht eine Sportlotsin?

Meine Aufgabe ist es, Vereine mit Sportlerinnen und Sportlern mit Behinderung zusammenzubringen. Ich weise ihnen sozusagen den Weg zueinander – daher auch die Bezeichnung „Sportlotsin“. Außerdem motiviere ich Menschen mit Behinderung, die noch unsicher sind, ob sie überhaupt Sport treiben können. Manche sehen nämlich nur die Profisportlerinnen und -sportler im Fernsehen und denken: ‚So schnell kann ich nicht laufen, das ist nichts für mich‘. Ich zeige ihnen, dass Sport auch ganz leicht sein und Spaß machen kann.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Ich verknüpfe Menschen mit Behinderung, die Sport machen möchten, oder ihre Betreuerinnen oder Betreuer mit einem passenden Verein. Sie rufen mich an und wir sprechen darüber, was sie sich wünschen – und ich überlege, was gut passen könnte. Häufig melden sich auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Stiftung, die für eine Wohngruppe ein Angebot suchen. Und wenn es im jeweiligen Stadtteil noch keine inklusive Sportgruppe gibt, versuche ich, gemeinsam mit einem Verein vor Ort etwas Neues auf die Beine zu stellen.
Manchmal besuche ich auch Menschen in ihren Wohngruppen, die geistige und schwere körperliche Behinderungen haben und deshalb nicht so einfach an einem externen Sportkurs teilnehmen können. Ich zeige ihnen und ihren Betreuerinnen und Betreuern einige Übungen und Spiele, die sie auch zu Hause in ihrem Wohnbereich machen können und für die sie nur ein paar Alltagsgegenstände brauchen. Manchmal reichen schon kleine Wattebäusche und Luftballons, die über den Tisch gepustet oder geworfen werden, oder eine Papierkugel, die über einen Stift gerollt wird. Oder wir spielen Kommando Pimperle. Jede Bewegung ist gut für den Körper und für das Selbstbewusstsein.

Was bieten Sie sonst noch an?

Es gibt bei uns zum Beispiel Freizeitsportgruppen für Einsteiger. Dort probieren wir jede Woche verschiedene Sportarten aus, spielen Fußball und Basketball und balancieren über Sportgeräte. Wenn sich dabei herausstellt, dass jemand besonders viel Spaß am Fußball oder an einer anderen Sportart hat, versuchen wir anschließend, eine passende Mannschaft zu finden. Wenn er oder sie viel Talent hat und es sich zutraut, kann das natürlich auch ein fortgeschrittenes Team sein.
Darüber hinaus unterstützen wir Menschen mit Behinderung auch dabei, Wege zu finden, wie Mitgliedsbeiträge für Vereine oder Sportgruppen finanziert werden können. Wenn sie etwa in einer Einrichtung leben und Sozialleistungen beziehen, sind 20 oder 30 Euro im Monat oft kaum zu stemmen. Viele haben aber zum Beispiel einen Anspruch auf Reha-Sport, über den sich die Kosten oft auffangen lassen. Außerdem fördert der Hamburger Sportbund inklusive Kurse. Darauf weisen wir Vereine hin, wenn sie neue Angebote für Menschen mit Behinderung schaffen.

Eine Gruppe Menschen mit verschiedenen Behinderungen beim Sport in einer Turnhalle.
Foto: Aktion Mensch/Dominik Buschardt

Entstehen aus Freizeitangeboten manchmal auch inklusive Mannschaften in den Vereinen?

Ja, das entwickelt sich durchaus so. Das ist aber nicht unser Hauptziel. Inklusion bedeutet für uns, dass wir es jeder und jedem ermöglichen, ganz zwanglos Sport zu treiben, ganz egal, ob das in einer festen Gruppe oder Mannschaft geschieht. Manchmal fühlt sich jemand mit Behinderung in einem Team sogar eher unsicher, in dem auch Menschen ohne Behinderung spielen. Dann ist es besser, wenn sie oder er erst einmal zusammen mit der Wohngruppe oder mit Freunden trainieren und dabei einfach Spaß haben kann.

An wen genau richtet sich Ihr Angebot?

Wir unterstützen grundsätzlich alle, die Sport treiben möchten und bei uns anfragen. Unsere Hauptzielgruppe sind im Alltag aber Erwachsene mit geistiger Behinderung, weil sie am häufigsten in den Arbeits- und Wohngruppen der Stiftung leben und arbeiten.

Worauf kommt es in Ihrem Beruf an?

Ich muss immer sehr lokal denken und planen. Je nach Behinderung können manche Menschen nicht so ohne Weiteres zum Training in einen anderen Stadtteil fahren. Damit ich sie gut beraten und etwas Passendes anbieten kann, ist Netzwerkarbeit also sehr wichtig. Viele Vereine kommen aber inzwischen schon von selbst auf mich zu und fragen, wie sie neue Angebote für Menschen mit Behinderung schaffen könnten. Das freut mich und mein Team natürlich sehr. Ich gebe dann Tipps und stelle den Kontakt zu unseren Einrichtungen her, die in der Nähe liegen und für die es vielleicht noch keine lokale Sportgruppe gibt.

Worauf müssen Vereine achten, die Sport für Menschen mit Behinderung anbieten möchten?

Die Trainerinnen und Trainer sollten gut mit Menschen umgehen können und einfühlsam sein. Eine pädagogische Ausbildung brauchen sie nicht. Kleine Gruppen mit bis zu zehn Leuten sind zu empfehlen, wobei die Gruppengröße natürlich auch vom jeweiligen Angebot abhängt. Wenn Menschen mit körperlichen Behinderungen in den Sportgruppen sind, müssen der Sportraum und die Umkleiden natürlich barrierefrei zugänglich sein. Zu all dem beraten wir die Vereine aber sehr gern.






„Inklusion war für mich immer selbstverständlich“

Als diese Disziplin des Behinderten-Leistungssports im Jahr 2013 aufkam, war er sofort Feuer und Flamme, weil er schon seit Kindertagen nicht nur ein Leichtathlet, sondern auch ein begeisterter Ballsportler ist. Was Sport für ihn bedeutet und wie er dieses intensive Hobby mit seinem Beruf vereint, erzählt er uns im Interview.


Frederic, erklär doch gleich zu Beginn kurz den Zungenbrecher: Was ist eine Cerebralparese, die dem CP-Fußball ihren Namen gibt, und inwiefern betrifft sie dich?

„Cerebral“ heißt übersetzt „zum Gehirn gehörende Strukturen“. „Parese“ wiederum ist das Fachwort für „Lähmung“. Frei übersetzt ist eine Cerebralparese also eine „Gehirnlähmung“, die durch eine Schädigung des Gewebes im Gehirn verursacht wird. Bei Menschen mit dieser Behinderung treten dauerhafte Krampfzustände auf, auch Spastiken genannt. Davon können einzelne Körperteile betroffen sein oder aber der gesamte Körper, das ist ganz unterschiedlich. Deshalb gibt es innerhalb des CP-Fußballs auch verschiedene Klassen. Die Klassifizierungen reichen von C5 für Menschen, bei denen beide Beine betroffen sind, bis zu C8 für Menschen mit nur einer sehr geringen Ausprägung der Behinderung. C6 ist in dieser Reihe die Klasse für Menschen mit Spastiken am ganzen Körper, bei C7-Spielern ist nur eine Körperhälfte betroffen – so wie bei mir.

Wie lange spielst du schon in der deutschen CP-Fußball-Nationalmannschaft?

Die Mannschaft wurde im Jahr 2014 gegründet. Kurz danach wurden mehrere Sportvereine angeschrieben und darüber informiert, dass es ein Sichtungstraining für Fußballtalente mit dieser Behinderung geben soll. Daran habe ich teilgenommen und bin prompt in der CP-Fußball-Nationalmannschaft gelandet. Ich war schon als Kind ein begeisterter Ballsportler. Daher war das für mich die perfekte Gelegenheit, nach Jahren in der Leichtathletik etwas Neues auszuprobieren.

Was bedeutet Sport und insbesondere Fußball für dich?

Sport generell hat einen sehr hohen Stellenwert in meinem Leben. Ich kann hier immer wieder etwas Neues versuchen und mich zugleich weiter steigern und verbessern. Am Fußball reizt mich, dass es ein Mannschaftssport ist, in dem man alles zusammen erlebt. Die anderen Spieler und ich feiern zusammen Siege, müssen aber auch Niederlagen einstecken. Dann arbeiten wir gemeinsam daran, Fehler abzustellen.

Was machst Du beruflich? Hat es etwas mit Sport zu tun oder hast du bewusst etwas anderes gewählt?

Ich bin gelernter Veranstaltungskaufmann und bin Teil des Infothek-Teams des LVR-Inklusionsamtes in Münster. Mein Job hat gut geregelte Arbeitszeiten, daher lässt sich das mit dem Sport gut vereinen, zumal wir uns mit der CP-Fußball-Nationalmannschaft nur an ein bis zwei Wochenenden im Monat treffen. Ich trainiere darüber hinaus sowieso in einer Mannschaft, in der ansonsten nur Menschen ohne Behinderung spielen.

Frederic Heinze im Zweikampf beim CP-Fußball.
Foto: Parasport Danmark

Wie erlebst du das Thema Inklusion beim Sport und bei der Arbeit?

Ich habe wie gesagt schon immer in Gruppen und Mannschaften trainiert, in denen vor allem Menschen ohne Behinderung gespielt haben. Inklusion war also immer selbstverständlich für mich. Weder meine Mitspieler noch ich selbst haben uns je Gedanken darüber gemacht, was ich kann und was nicht. Auch im Beruf spielt das keine Rolle. Ich erledige alles alleine, was ich eigenständig machen kann, und bei den anderen Sachen bitte ich einfach meine Kollegen um Hilfe. In beiden Fällen war und ist Inklusion nicht so ein großes Thema – es wird einfach „gemacht“.

Begegnen dir dennoch manchmal Hürden, die mit deiner Behinderung zu tun haben?

An und für sich komme ich ziemlich gut mit meiner Behinderung zurecht, weil ich schon seit meiner Geburt daran gewöhnt bin. Ich kenne kein Leben ohne Behinderung. Dadurch wird man mit der Zeit ganz automatisch erfinderisch, um bestimmte Hürden zu umgehen, die dann doch immer mal wieder auftauchen. Ein Beispiel aus dem Alltag ist Möbel aufbauen oder Bilder aufhängen. Das kann ich nicht alleine, weil meine Feinmotorik so eingeschränkt ist, dass ich nicht mit beiden Händen zugleich koordiniert arbeiten kann. Aber dabei helfen mir dann eben andere. Um diese Hürde ganz überwinden zu können, müsste schon die Behinderung als solche verschwinden.

Was ist dein Traumberuf, und wie sähe dein Alltag in diesem Job aus, wenn du es dir aussuchen könntest?

Ich denke, jeder wünscht sich, sein „Hobby“ zum Beruf machen zu können. Mein Traum wäre, wie bei wahrscheinlich jedem leidenschaftlichen Sportler, eines Tages mit dem Sport meinen Lebensunterhalt verdienen zu können. Aber davon ist der Behindertensport noch ziemlich weit entfernt. Wenn es doch so weit käme, würde ich den Trainingsalltag ganz anders gestalten und auch intensiver trainieren. Und: Wir würden uns mit der CP-Mannschaft viel häufiger nur als nur ein oder zwei Mal im Monat treffen. –