Mit den Fingern lesen: 7 Fragen und Antworten zur Brailleschrift

#1: Was ist Brailleschrift?

Braille ist eine taktile (also tastbare) Punktschrift. Die
Schriftzeichen sind aus kleinen, erhabenen Punkten zusammengesetzt, die von der
Rückseite aus in das Papier gedrückt sind. Blinde und Menschen mit Sehbehinderung
können diese Punkt-Buchstaben mit den Fingern ertasten und so Texte oder ganze
Bücher lesen.


#2: Hat die Brailleschrift die gleichen Buchstaben wie
das moderne lateinische Alphabet?

Ja, für jeden Buchstaben des Alphabets gibt es in der Brailleschrift eine Punktkombination. Das Raster, nach dem die Punkte angeordnet sind, wird oft mit einem senkrecht stehenden Eierkarton verglichen: Es gibt zwei Spalten und drei Reihen. Also können höchstens zwei Punkte nebeneinander und drei übereinander stehen. Pro Braillezeichen werden in diesem Raster nur an bestimmten Stellen Punkte platziert. Je nach Kombination ergeben sich daraus verschiedene Buchstaben, Umlaute und Satzzeichen.


#3: Gibt es die Blindenschrift auch in anderen Sprachen?

Alle Sprachen, für die es Schriftzeichen gibt, können auch in
Brailleschrift dargestellt werden. Sie wird von blinden Menschen auf der ganzen
Welt benutzt – zum Beispiel gibt es ganz eigene Punktkombinationen für das
russische Alphabet, für chinesische Schriftzeichen und für die Umlaute oder
andere Sonderzeichen der verschiedenen europäischen Sprachen. Sie alle werden immer
in dem einfachen Sechs-Punkte-Raster dargestellt, das Louis Braille entwickelt
hat.


#4: Wo gibt es Bücher in Brailleschrift zu kaufen oder zu leihen?

In Deutschland bieten mehrere große Bibliotheken verschiedene Bücher und Noten in deutscher Blindenschrift, aber auch Hörbücher oder Hörfilme zum Leihen oder Kaufen an. Drei Beispiele sind das Deutsche Zentrum für barrierefreies Lesen (dzb lesen), der Verein „Norddeutsche Hörbücherei“ und das Bundesweite Kompetenzzentrum für Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung (blista). Sie alle verschicken Leihbücher auch an blinde Leserinnen und Leser, die weiter weg wohnen. Übrigens befördert die Deutsche Post Briefe und Päckchen mit Literatur in Brailleschrift bis zu einem Gewicht von sieben Kilogramm kostenlos.


#5: Sind Bücher in Brailleschrift größer als Bücher in
gedruckter Schrift?

Ja, weil Braillezeichen viel höher und breiter sind als „Schwarzschrift“, wie gedruckte Buchstaben von Braille-Nutzerinnen und -Nutzern genannt werden. Punktschriftzeichen müssen deshalb in größerem Abstand zueinander stehen. Für ein Buch in Brailleschrift wird auch dickeres Papier benötigt, damit die Punkte erhaben genug und damit gut zu ertasten sind. Bücher in Blindenschrift sind also deutlich größer und schwerer als Bücher, in denen die gleichen Texte in Schwarzschrift abgebildet sind. Ein Beispiel: Das erste Buch der Harry-Potter-Reihe in Brailleschrift umfasst vier dicke Bände. Wie ein Braille-Buch entsteht, könnt ihr übrigens bei der Schweizerischen Bibliothek für Blinde, Seh- und Lesebehinderte nachlesen.


#6: Wie lesen und arbeiten blinde Menschen ohne Papier –
also am Computer oder mit dem Smartphone?

Am Computer wird meist eine Braillezeile verwendet, auch
Brailledisplay genannt. Das flexible Gerät übersetzt mit einer speziellen
Software den Text auf dem Bildschirm in Punktschrift. Dem jeweiligen
Punkteraster entsprechend springen auf der Braillezeile kleine Stifte nach oben.
So können Blinde Texte lesen und im Internet surfen. Manche Menschen lassen
sich den Text, der gerade auf dem Bildschirm zu sehen ist, auch gleichzeitig über
eine sogenannte Screenreader-Software vorlesen. Damit funktioniert übrigens
auch das Lesen auch auf dem Smartphone.


#7: Wie entstehen selbst geschriebene Brailletexte?

Wenn ein Text vom Computer auf Papier übertragen werden
soll, kann dafür ein Brailledrucker verwendet werden, der einfach mit einem
Kabel angeschlossen wird. Eine Software übersetzt den getippten Text in
Braillezeichen, der Drucker prägt die Punkte ins Papier. Darüber hinaus gibt es
auch mechanische und elektrische Braille-Schreibmaschinen. Sie sehen so ähnlich
aus wie die Apparate, mit denen früher Texte in Schwarzschrift auf Papier
getippt wurden. Eine Braille-Schreibmaschine hat allerdings nur sieben Tasten: Je
eine für die insgesamt sechs Punkte, mit denen Buchstaben verschlüsselt werden
können, und eine Leertaste.





Wie werden Menschen mit Sehbehinderung in NRW an ihrem Arbeitsplatz unterstützt?

In Nordrhein-Westfalen sind vor allem der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) und der Landschaftsverband Rheinland (LVR) dafür zuständig, die Leistungen für Menschen mit Behinderungen zu bündeln und zu organisieren. Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Sehbehinderung sind die so genannten Integrationsfachdienste im gesamten Bundesland gute erste Anlaufstellen, ebenso wie die Hilfsmittelberatungsstellen der beiden Berufsbildungswerke in Soest und in Düren. In Westfalen-Lippe gibt es darüber hinaus eine Einrichtung, deren Experten speziell blinde und sehbehinderte Berufstätige beraten und sie dabei unterstützen, entsprechende Leistungen am Arbeitsplatz zu beantragen: Den Fachdienst für Menschen mit Sehbehinderung beim LWL-Inklusionsamt Arbeit. Wir stellen das Angebot in diesem Artikel vor.

(Tipp für Leser aus dem Rheinland: Am Ende des Textes haben wir einige Informationen zu den Anlaufstellen für Menschen mit Sehbehinderungen aus dieser Region zusammengestellt.)


Welche Aufgaben hat der Fachdienst für Menschen mit Sehbehinderung, der an das LWL-Inklusionsamt Arbeit in Westfalen-Lippe angedockt ist? 

Beim Fachdienst arbeiten interne und externe Experten zusammen. Ihre Aufgabe ist es, berufstätige Menschen mit Sehbehinderungen aus Westfalen-Lippe an ihren Arbeitsplätzen zu unterstützen, damit diese so eigenständig wie möglich arbeiten können. Wenn auf eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter in einem Betrieb zum Beispiel neue Aufgaben zukommen, kann der Fachdienst zusammen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei den Integrationsfachdiensten dabei helfen, diese so zu gestalten, dass das gewünschte Ziel auch mit einer Seheinschränkung erreicht werden kann. Wenn jemand einen Job ganz neu beginnt, helfen die Experten außerdem dabei, den Arbeitsplatz von vornherein barrierefrei zu gestalten. Sie betreuen jeden Fall ganz individuell, informieren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer etwa über neue Hilfsmittel, beraten sie oder geben Schulungen. Im Zuge der NRW-weiten Initiative „Schule trifft Arbeitswelt“ (STAR) helfen sie auch Schülerinnen und Schülern kurz vor dem Abschluss dabei, ein Praktikum zu finden und sich für einen Beruf zu entscheiden. Das STAR-Angebot gilt übrigens auch für junge Menschen im Rheinland. Allerdings gibt es dort keinen eigenen Fachdienst für Menschen mit Sehbehinderung.

Wer hat Anspruch auf die Leistungen der Fachdienste – und wie wird festgestellt, welchen Unterstützungsbedarf eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer mit Sehbehinderung hat?

In Westfalen-Lippe können sich grundsätzlich alle (angehenden) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einer nachweislichen Sehbehinderung direkt an den Fachdienst wenden, um Unterstützung zu beantragen. Bevor es mit konkreten Maßnahmen losgeht, wird erst einmal das Sehvermögen der Person geprüft, die die Hilfe beantragen möchte. Anschließend wird die aktuelle Arbeitssituation genau begutachtet und dokumentiert. Auf dieser Grundlage ermitteln die Experten dann, welche Hilfsmittel nötig sind, damit die Arbeit ohne Barrieren erledigt werden kann.

Inwiefern können die Arbeitnehmer ebenso wie die Arbeitgeber mit entscheiden, was wie umgesetzt wird – wie stark sind diese beiden also in die Umgestaltung eines Arbeitsplatzes und in eventuelle Fördermaßnahmen involviert?

Sämtliche Lösungen werden immer gemeinsam mit dem Menschen mit der Sehbehinderung entwickelt, der die Hilfe beantragt hat. Damit sie oder er selbstständig arbeiten kann, muss einerseits eine gewisse Bereitschaft da sein, etwas zu verändern, zugleich muss sie oder er sich mit den Neuerungen natürlich auch wohlfühlen. Die Expertinnen und Experten des Fachdienstes beim LVR-Inklusionsamt und den Integrationsfachdiensten nehmen sich daher viel Zeit, um die Personen, die sie unterstützen, sowie deren Bedürfnisse und deren Fähigkeiten genau kennenzulernen. Erst dann kann ein Arbeitsplatz passend individuell umgestaltet werden. Es werden nie einfach nach standardisierten Vorgaben zum Beispiel technische Hilfsmittel empfohlen. Jeder Fall wird einzeln betrachtet – mit dem Ziel, eine optimale Lösung für alle Beteiligten zu finden, also auch für die Arbeitgeber.

Wie lange dauert die Umgestaltung oder Anpassung eines Arbeitsplatzes ab dem Erstkontakt?

Das kann von Fall zu Fall stark variieren. Wenn es ganz besonders eilig ist, zum Beispiel, weil sich die Sehfähigkeit eines Menschen plötzlich verschlechtert hat, bemühen sich die Experten natürlich sehr, möglichst unbürokratisch und schnell zu agieren. Dazu gibt es einen Hilfsmittelpool bei den beiden Berufsbildungswerken in Soest (Westfalen-Lippe) und Düren (Rheinland), aus dem in solchen Fällen geschöpft werden darf, so dass technische Hilfen auch mal sehr kurzfristig zur Verfügung gestellt werden können. Normalerweise werden solche Hilfen aber langfristig geplant und beantragt, so dass der gesamte Prozess inklusive des Antrags, der Feststellung des Bedarfs, dem Umbau des Arbeitsplatzes und den nötigen Schulungen mehrere Wochen dauern kann.

Was sind typische Hilfsmittel, mit denen die Voraussetzungen am Arbeitsplatz besonders schnell und einfach verbessert werden können?

Das sind vor allem technische Geräte wie größere Monitore, Monitor-Schwenkarme, Kamera-Lesegeräte, Großschrift-Programme, Braillezeilen, spezielle Leuchten und optische Hilfen, aber auch Tablets mit Lupenfunktion. Wichtig ist nichtsdestotrotz eine intensive und ganzheitliche Schulung zum fachgerechten Umgang mit diesen Geräten. Dabei helfen die so genannten Hilfsmittelspezialisten bei den beiden Berufsbildungswerken. Sie üben mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ausgiebig ein, wie ein Hilfsmittel benutzt werden muss – und daraus entsteht dann meist schnell eine viel größere Barriere- und Bewegungsfreiheit am Arbeitsplatz.

Wohin können sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einer Sehbehinderung aus dem Rheinland wenden, für die der Fachdienst in Westfalen-Lippe nicht zuständig ist?

Die ersten Anlaufstellen im Rheinland sind, wie in Westfalen-Lippe auch, die örtlichen Integrationsfachdienste. Die Ansprechpartner dort beraten und helfen auch bei Fragen zu Kosten, Zuschüssen oder Schulungen weiter. Bei Bedarf stellen sie den Kontakt zu technischen Experten her, die für die behinderungsgerechte Arbeitsplatz-Gestaltung sorgen. Zu diesem Thema berät im Rheinland in erster Linie der technische Beratungsdienst des dortigen LVR-Inklusionsamtes, und zwar sowohl Unternehmen als auch schwerbehinderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das Ganze ist kostenlos. Auch die Hilfsmittelberatungsstelle beim Berufsförderungswerk Düren im Rheinland ist ein guter Ansprechpartner für eine Erstberatung. Wer möchte, kann sich aber auch von spezialisierten Optikerinnen oder Orthoptisten in vielen Augenarztpraxen in der Region beraten lassen. Tipp: In der Broschüre „Sehbehinderung im Beruf“ hat der LVR seine Unterstützungsangebote für betroffene Menschen und Arbeitgeber kompakt zusammengefasst.