Unterstützen, beraten, begleiten: Schwerbehindertenvertretungen

Frau Wallmann, ab wann müssen Unternehmen in Deutschland eine Schwerbehindertenvertretung wählen lassen?

Wenn dauerhaft wenigstens fünf Menschen mit Schwerbehinderung in einer Firma arbeiten – oder Personen, die ihnen gleichgestellt sind –, dann dürfen sie zusammen eine so genannte Vertrauensperson und mindestens einen Stellvertreter wählen. Es können auch noch weitere Stellvertreter benannt werden, was spätestens bei mehr als 100 Mitarbeitern mit Schwerbehinderung im Betrieb auch sehr ratsam ist – die Vertrauensperson müsste sonst viel zu viele Aufgaben allein erledigen. Schwerbehindertenvertretungen können im Unternehmen sehr selbstständig agieren, sie brauchen keine Zustimmung des Betriebs- oder Personalrates, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Das ist bei Jugend- und Auszubildendenvertretungen zum Beispiel anders.

Warum sind Vertrauenspersonen und ihre Stellvertreter in einem Betrieb so wichtig?

Sie wahren die Interessen von Menschen mit Schwerbehinderung und sorgen zum Beispiel dafür, dass die Kolleginnen und Kollegen nicht benachteiligt werden. Dazu zählt unter anderem, dass Arbeitsplätze behinderungsgerecht gestaltet sein müssen. Die Schwerbehindertenvertretung achtet außerdem darauf, dass Arbeitgeber mit mehr als 20 Mitarbeitern ihren gesetzlichen Pflichten nachkommen und mindestens fünf Prozent der Arbeitsplätze mit Menschen besetzen, die eine Schwerbehinderung haben. Unternehmen sind auch zu präventiven Maßnahmen verpflichtet, um zu verhindern, dass betriebs-, personen- oder verhaltensbedingte Schwierigkeiten bei den Arbeitsverhältnissen auftreten. Sie müssen sich auch um Mitarbeiter kümmern, die länger als sechs Wochen innerhalb der vergangenen 12 Monate krank waren und wieder zur Arbeit zurückkehren möchten – das ist das so genannte Betriebliche Eingliederungsmanagement. Wenn ein Arbeitsplatz im Betrieb frei wird, prüft die Schwerbehindertenvertretung, ob die freie Stelle vielleicht für einen neuen Mitarbeiter mit Schwerbehinderung geeignet sein könnte. Und wenn es ein Vorstellungsgespräch gibt, sitzt sie immer mit am Tisch. Die Vertrauensperson berät die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Handicap auch, wenn sie eine Schwerbehinderung feststellen lassen wollen oder bei der Agentur für Arbeit eine Gleichstellung beantragen möchten.

Das klingt ja nach sehr viel Arbeit für die Vertretungen. Machen die das alles neben ihrem normalen Job?

Ja, die Interessenvertretungen arbeiten ehrenamtlich, sind aber zugleich Mitarbeiter in ihrem Betrieb. Deshalb haben sie das Recht, sich für diese Aufgaben freistellen zu lassen. Das heißt: Sie dürfen ihre beruflichen Pflichten reduzieren, ohne, dass sie weniger Lohn bekommen. Wie viel Zeit der Arbeitgeber dafür einräumen muss, hängt von der Anzahl der Menschen mit Schwerbehinderungen im Betrieb ab, aber auch von den Verhältnissen dort. Zum Beispiel spielen die Art und Schwere der Behinderungen eine Rolle oder die Lage der jeweiligen Arbeitsplätze, etwa die räumliche Entfernung zwischen einzelnen Betriebsteilen. Die Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung haben zudem grundsätzlich Vorrang vor den betrieblichen Pflichten. Der Arbeitgeber muss also die Arbeit, die die Vertrauensperson für das Unternehmen erledigt, im Zweifel anders organisieren oder die Stelle sogar neu besetzen. Schwerbehindertenvertreter sollten ihre Tätigkeiten daher genau aufschreiben, um im Zweifel Auskunft darüber geben zu können, wie viel Zeit sie dafür aufgewendet haben.

Hefte zum Kursangebot des LWL-Inklusionsamts und zum Schwerbehindertenrecht.
Foto: Martin Steffen

Unterstützt auch der Gesetzgeber die Vertrauenspersonen?

Die Schwerbehindertenvertretungen haben beispielsweise das eben schon erwähnte Recht auf Freistellung, aber auch das so genannte „Initiativrecht für Maßnahmen“. Sie können also für Mitarbeiter mit Schwerbehinderung eigenständig Anträge stellen – etwa beim Arbeitgeber, bei den Inklusionsämtern oder bei den Rehabilitationsträgern. Die Vertrauenspersonen sollten allerdings den Arbeitgeber beziehungsweise den Inklusionsbeauftragten unterrichten, bevor sie externe Stellen einschalten.

Welche Rechte haben Schwerbehindertenvertretungen sonst noch?

Ganz wichtig ist das Recht auf Informationen durch den Arbeitgeber. Die Unternehmen sind hier in der Bringschuld: Sie müssen die Vertrauenspersonen unaufgefordert über alle Angelegenheiten im Betrieb informieren, von denen die Kollegen mit Behinderung betroffen sein könnten. Mindestens einmal im Jahr kann die Schwerbehindertenvertretung außerdem eine Versammlung abhalten, zu der alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Handicap kommen dürfen. Schwerbehindertenvertretungen dürfen auch an allen Sitzungen des Betriebs- oder Personalrats teilnehmen. Und wenn sie davon überzeugt sind, dass ein Beschluss dieses Gremiums die Interessen von Menschen mit Schwerbehinderung beeinträchtigt, können sie einen Antrag stellen, den Beschluss auszusetzen.

Können sich alle Beschäftigten eines Unternehmens als Schwerbehindertenvertreterin oder -vertreter aufstellen lassen – oder müssen sie bestimmte Qualifikationen mitbringen?

Theoretisch kann sich jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter eines Betriebs zur Wahl stellen. Dabei ist es egal, ob sie oder er selbst eine Behinderung hat, die Kandidaten müssen aber volljährig sein und dauerhaft seit mindestens sechs Monaten im Unternehmen arbeiten. Wahlberechtigt sind umgekehrt nur Menschen mit einer Schwerbehinderung oder Gleichstellung. Das anschließende Wahlverfahren ist davon abhängig, wie viele Menschen mit Handicap – und damit Wahlberechtigte – im Betrieb beschäftigt sind: Bei weniger als 50 genügt eine Versammlung mit einer geheimen und unmittelbaren Mehrheitswahl. Bei mehr als 50 Wahlberechtigten ist ein förmliches Wahlverfahren vorgeschrieben.
Vorkenntnisse braucht es für diese Aufgabe nicht. Allerdings sollten sich alle, die über so ein Ehrenamt nachdenken, bewusst mit den damit verbundenen Aufgaben und der Verantwortung auseinandersetzen. Die Vertrauenspersonen werden im Alltag oft angesprochen und um Rat gebeten, das gehört fest dazu. Zugleich müssen manche Beschäftigten erst davon überzeugt werden, dass es sich lohnt, die Unterstützung der Schwerbehindertenvertretung anzufragen. Das nötige Wissen für ihre Aufgaben können sich die Vertrauenspersonen nach und nach aneignen. Die Inklusionsämter in NRW bieten dafür eine ganze Reihe Kurse und Informationsveranstaltungen an.

Die Vertreter sind in ihren Betrieben also nicht auf sich allein gestellt?

Nein, im Gegenteil können sie auf ein sehr großes Netzwerk zurückgreifen. Dazu gehören neben den Inklusionsämtern auch die Integrationsfachdienste, die Agentur für Arbeit oder die Rehabilitationsträger. In NRW stehen außerdem die örtlichen Fachstellen bei den Städten und Kreisen als Ansprechpartner bereit.

Was ändert sich ab 2018 durch das Bundesteilhabegesetz?

Ab 2018 dürfen Arbeitgeber zum Beispiel ein Arbeitsverhältnis nicht mehr einfach beenden, ohne vorher die Schwerbehindertenvertretung einzubeziehen. Wenn sie das doch tun, gilt die Kündigung als unwirksam. Der Arbeitgeber muss dann mit einem Kündigungsschutzverfahren und arbeitsrechtlichen Strafen rechnen, die Schwerbehindertenvertretung kann künftig außerdem vor das Arbeitsgericht ziehen. Auch die Fortbildungsmöglichkeiten für die Stellvertreter werden ab 2018 besser, und alle Schwerbehindertenvertretungen können bei Bedarf eine Bürokraft einstellen, die sie bei ihren Aufgaben unterstützt. Das Bundesteilhabegesetz bringt an diesen Stellen also ein paar Verbesserungen mit sich. —




Wann hat ein Mensch vor dem Gesetz eine Behinderung?

Das Bundesteilhabegesetz soll eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft für Menschen mit Behinderung auf den Weg bringen. Es wurde im Jahr 2016 verabschiedet und wird über sieben Jahre hinweg stufenweise in Kraft gesetzt – ein komplexes Verfahren, das sehr viele verschiedene Änderungen umfasst. Ein Beispiel ist die neue Definition des Begriffs „Behinderung“ im Sozialgesetzbuch IX, die dort ab 2018 mit einer neuen Formulierung verankert sein wird. Dieser Text ist die Grundlage für vieles andere – und deshalb nicht nur sehr wichtig, sondern auch umstritten.
Die Ausführungen in diesem Interview geben nur die persönliche Auffassung von Dr. Till Sachadae wieder, sie sind getrennt von seinem dienstlichen Auftrag zu verstehen.


Herr Sachadae, warum ist eine neue Definition des Begriffs „Behinderung“ nötig?

Zuallererst, weil Deutschland gesetzlich dazu verpflichtet ist, seine Gesetze an die Regeln der UN-Behindertenrechtskonvention anzupassen. Damit sind rechtliche, inhaltliche und sprachliche Anforderungen verbunden, die in der aktuellen Definition des Begriffs „Behinderung“ nicht vollständig erfüllt sind. Zweitens bestimmt ja die Frage, ab wann ein Mensch laut Gesetz eine Behinderung hat und wodurch genau diese definiert wird, sehr stark mit, was sich in Sachen Inklusion in der Gesellschaft tun wird – oder eben nicht. Manchen Leuten mag die Diskussion über so einen kurzen Text also vielleicht kleinlich vorkommen, aber die Wirkung der Details darin ist weitreichend. Auf der Grundlage solcher sprachlichen Feinheiten wird nämlich entschieden, wer Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch IX beanspruchen kann und wer nicht.

Wie definiert das Sozialgesetzbuch den Begriff „Behinderung“ bisher, und was wird künftig anders sein?

Der bisher geltende Gesetzestext definiert eine Behinderung so: Der individuelle körperliche, geistige oder seelische Zustand eines Menschen muss von einem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und dadurch muss die Teilhabe dieses Menschen am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt sein. Aus Sicht des Gesetzgebers liegt dann ein Handicap vor und wird auch als solches anerkannt. Das Problem mit dieser Definition: Es wird davon ausgegangen, dass Beeinträchtigungen bei der Teilhabe aus einer körperlichen, geistigen oder seelischen Abweichung heraus resultieren müssen. Das greift aber gedanklich zu kurz. Ein Mensch mit Behinderung kann ja oft auch deshalb nicht gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben, weil die Gesellschaft ihn nicht lässt. Wie seine Umwelt gestaltet ist, denkt und handelt, bestimmt in hohem Maße mit, ob eine Behinderung überhaupt als solche empfunden wird oder nicht. Genau das besagt auch die UN-Behindertenrechtskonvention, doch die bisher geltende Definition des Begriffs Behinderung im Sozialgesetzbuch gibt dieses Denken nicht wieder. Verkürzt ausgedrückt stand der Gesetzgeber also jetzt vor der Aufgabe, den Behinderungsbegriff so anzupassen, dass damit ein neuer Leitsatz abgebildet wird, der auch einer Kampagne des Sozialverbandes Deutschland ihren Namen gegeben hat: „Ich bin nicht behindert, ich werde behindert!“

Ist das in der neuen Behinderungsdefinition aus Ihrer Sicht gelungen?

Das ist schwierig zu beantworten, weil das von der Auslegung der sprachlichen Feinheiten abhängt, aber auch davon, welche Erwartungen an diese neue Definition gestellt werden. Ging es den Juristen um mehr Klarheit in der Rechtslage? Sollte das Bewusstsein durch bessere Formulierungen geschärft werden? Das ist sicherlich gelungen. Aber sollte es auch inhaltliche Veränderungen in der neuen Definition geben, die tatsächlich rechtliche Konsequenzen haben? Das ist meiner Ansicht nach weitestgehend danebengegangen.

Woran machen Sie das fest?

Um das zu beantworten, stelle ich am besten mal beide Definitionen nebeneinander. Die bisherige Formulierung, die noch bis Ende 2017 gilt, lautet so:

„Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist […].“

Ab 2018 tritt die folgende neue Definition in Kraft:

„Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach S. 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht.“

Auf den ersten Blick unterscheiden sich die Versionen voneinander. Aber wenn man genauer hinschaut, wurden eigentlich nur ein paar neue Formulierungen eingebaut.

Warum reicht das aus Ihrer Sicht nicht aus?

Das Problem an dieser neuen Definition – und eine häufige, aus meiner Sicht berechtigte Kritik seitens der Behindertenverbände – ist, dass sich inhaltlich nichts verändert hat. Der Text ist sprachlich überarbeitet und in Teilen auch verbessert worden. Das ist fraglos wichtig, weil man annehmen kann, dass die Sprache auch ein Stück weit das Denken beeinflusst. Das wird aber leider kaum bis gar nicht dazu führen, dass die neue Definition auch rechtlich anders ausgelegt oder angewendet werden wird als die bisherige.

Was genau finden Sie an den Änderungen problematisch?

Zunächst einmal ist es dem Gesetzgeber nicht gelungen, die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention sauber umzusetzen, obwohl genau das eines der erklärten Ziele des Bundesteilhabegesetzes war. Ein Beispiel: Im neuen Gesetzestext wird jetzt ausdrücklich die „gleichberechtigte“ Teilhabe angesprochen. Das erscheint auf den ersten Blick zwar richtig formuliert, weil auch in der UN-Behindertenrechtskonvention von einer „vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe“ die Rede ist. Im Unterschied zum Konventionstext wurden im Bundesteilhabegesetz aber die Worte „voll“ und „wirksam“ komplett weggelassen. Damit wird das Thema Teilhabe abgeschwächt, wenn nicht sogar abgewertet.

Sehen Sie denn auch Annäherungen an die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention?

Ja, die gibt es schon, nur betreffen sie leider Bereiche der Definition, die keine echten Veränderungen bewirken – und das, obwohl man als Laie wahrscheinlich erstmal einen ganz positiven Eindruck bekommt. In der Definition ist beispielweise das Wort „Sinnesbeeinträchtigung“ ergänzt worden. Damit sind insbesondere Behinderungen des Sehens und Hörens gemeint, die im bisherigen Behindertenbegriff nicht extra erwähnt waren. Diese Änderung wirkt wie eine inhaltliche Neuerung, die mehr Behinderungsarten einschließt, es ist aber keine.

Warum nicht?

Weil diese Behinderungen ohnehin zu den körperlichen zählen, und die sind auch in der alten Definition erwähnt und damit abgedeckt. Dass das ergänzt wurde, trägt sicherlich zu einer Schärfung des Bewusstseins bei, weil etwas klarer wird, dass körperliche Behinderungen manchmal für andere Menschen nicht unbedingt auf den ersten Blick sichtbar sind. Rechtlich ist dadurch aber nichts anders geworden, auch hier ist nur eine rein sprachliche Annäherung an den Wortlaut der UN-Behindertenrechtskonvention passiert. Wie ich schon sagte, ist das überhaupt das größte Manko des neuen Textes aus meiner Sicht: Es gibt keine wirklichen inhaltlichen Veränderungen.

Was sind die Folgen für Menschen mit Handicap?

Viele von ihnen gelten durch die neue Definition auch weiterhin nicht als Menschen mit Behinderung. Sie haben deshalb keinen Anspruch auf Leistungen vom Staat oder auf sonstige Nachteilsausgleiche. Vorübergehende Behinderungen werden zum Beispiel weiterhin nicht anerkannt, obwohl auch für diese Menschen die gesellschaftliche Teilhabe ja nachweislich eingeschränkt ist. Auch altersbedingte Erkrankungen gelten in der neuen Definition nicht als Handicap. Im Text steht ja weiterhin, dass der Zustand eines Menschen von dem „für das Lebensalter typischen Zustand“ abweichen muss, und zwar „mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate“. Damit hat laut Gesetz weder ein junger Mann eine Behinderung, der einen schweren Unfall hatte und sich deshalb ein knappes halbes Jahr mit Rollstuhl durch seine Umwelt bewegt, noch eine alte Dame, die im dafür „typischen“ Lebensalter an einer Demenz erkrankt ist. Aus meiner Sicht leben aber beide Menschen nicht weniger mit einer geistigen oder körperlichen Behinderung als andere auch.

Gibt es denn trotzdem sprachliche Veränderungen im Vergleich zu 2016, die Sie unverzichtbar finden?

Gut und wichtig ist, dass das Wort „behindert“ durch „Behinderung“ ersetzt wurde. Das stützt den schon erklärten Wechselwirkungsansatz, denn damit sind Menschen laut Gesetz nicht mehr behindert, sondern werden höchstens behindert, denn sie haben eine Behinderung. Damit wird auch eine sprachliche Norm geprägt, weil diese jetzt offiziell verankert wurde – und dadurch wird sich irgendwann hoffentlich auch etwas in den Köpfen tun. Die Formulierung „Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren“ ist in diesem Zusammenhang ebenfalls eine wichtige, weil damit nochmals klarer gemacht wird, dass eine Behinderung immer im Zusammenhang mit der Umwelt eines Menschen steht und auch dadurch zustande kommt. Mit den „einstellungsbedingten“ Barrieren werden außerdem Ängste und Vorurteile seitens der Arbeitgeber benannt, die Menschen mit Behinderung ein Berufsleben oft gänzlich unmöglich machen. Und gut ist auch, dass „umweltbedingte“ Barrieren erwähnt werden, mit denen sowohl bauliche und technische als auch kommunikative Hürden gemeint sein können. Eine zu komplexe Sprache gilt künftig also genauso als Barriere wie eine fehlende Rampe vor einem öffentlichen Gebäude. –




Bundesteilhabegesetz 2018: Die zehn wichtigsten Änderungen im Arbeitsleben

Deutschland ist dazu verpflichtet, seine Gesetze an die Regeln der UN-Behindertenrechtskonvention anzupassen. Damit sind einige Anforderungen verbunden, die künftig erfüllt werden müssen – rechtliche und inhaltliche, aber auch sprachliche. Für das Jahr 2018 wurde daher neben anderen Änderungen im Gesetz auch die bisher geltende Definition des Begriffs „Behinderung“ überarbeitet. Das hat im Vorfeld für sehr viel Streit und Protest gesorgt, weil sich viele Menschen mit Behinderung in dieser Definition nicht wiederfinden. Der Text ist sehr wichtig für sie, weil er rechtlich bindend festlegt, ab wann ein Mensch laut Gesetz eine Behinderung hat. Die Definition hat also große Auswirkungen für sehr viele Menschen und ist richtungsweisend dafür, ob und in welchem Umfang jemand Anspruch auf Leistungen vom Staat hat.

Ab 2018 sollen Menschen mit Schwerbehinderungen besser davor geschützt sein, wegen ihres Handicaps gekündigt zu werden. Wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis beendet, ohne vorher die Schwerbehindertenvertretung einzubeziehen, ist die Kündigung unwirksam. Der Arbeitgeber muss dann mit einem Kündigungsschutzverfahren und arbeitsrechtlichen Strafen rechnen. Die Schwerbehindertenvertretung kann in solchen Fällen künftig auch vor das Arbeitsgericht ziehen. Dort kann sie fordern, dass die Entscheidung ausgesetzt wird, bis der Arbeitgeber sein Versäumnis nachgeholt hat. Widersetzt sich der Arbeitgeber, können Strafen von bis zu 250.000 Euro anfallen.

Vertrauenspersonen sind die Schwerbehindertenvertretungen eines Betriebes. Sie beraten und unterstützen ihre Kolleginnen und Kollegen mit Behinderung ehrenamtlich. Damit sind sie Interessenvertreter, zugleich aber auch Beschäftigte des Betriebes, die ihre Arbeit wie jeder andere verrichten müssen. Dadurch entsteht für sie eine Doppelbelastung, die in den vergangenen Jahren immer größer geworden ist. Vertrauenspersonen haben deshalb einen gesetzlichen Anspruch darauf, sich vorübergehend von ihrer Arbeit freistellen zu lassen. Der Gesetzgeber entlastet sie zum Jahr 2018 noch weiter, indem er den betrieblichen  Schwellenwert von 200 auf 100 senkt. Das heißt: Wenn in einer Organisation, einem Betrieb oder Unternehmen mindestens 100 Menschen mit Schwerbehinderung beschäftigt sind, dürfen sich die Vertrauensperson auf Wunsch nur noch auf ihre Beratungstätigkeit konzentrieren.

Übrigens: Auch Vertrauenspersonen in kleineren Betrieben können sich freistellen lassen, allerdings nur in einem kleineren Umfang und soweit es für ihr Amt in der Interessenvertretung wirklich erforderlich ist. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Inklusionsämter empfiehlt deshalb, dass Vertrauenspersonen ihre Arbeit transparent machen und dem Arbeitgeber so deutlich wie möglich zeigen sollten, was sie alles zum Wohl der Beschäftigten und somit für den gesamten Betrieb tun.

Schon seit 2016 regelt das Bundesteilhabegesetz, dass ein Schwerbehindertenvertreter bestimmte Aufgaben an einen Stellvertreter abtreten darf – sofern im Unternehmen mehr als 100 Menschen mit Schwerbehinderung arbeiten. Bei mehr als 200 Menschen mit Handicap im Betrieb darf die Vertrauensperson sich von einem weiteren Stellvertreter unterstützen lassen. Ab 2018 gilt neuerdings: Jedes Mal, wenn im Betrieb die Marke von weiteren 100 Mitarbeitern mit Behinderung erreicht ist, darf die Vertrauensperson einen zusätzlichen Stellvertreter benennen. Die ehrenamtliche Arbeit soll so auf mehrere Personen verteilt und die Menschen im Betrieb besser unterstützt und beraten werden.

Bisher war es für die Stellvertreter einer Vertrauensperson nur unter sehr engen Bedingungen möglich, sich für ihre Amtsaufgaben aus- und weiterbilden zu lassen. Dafür mussten sie zum Beispiel schon besonders oft oder ständig herangezogen worden sein beziehungsweise die Vertrauensperson schon häufig vollständig vertreten haben. Hintergrund war, dass für den Gesetzgeber bisher erst dann ein ausreichender Anlass für Weiterbildungen gegeben war. Er ging nämlich davon aus, dass wegen des häufigen Einspringens zu erwarten war, dass er Stellvertreter bald ins Hauptamt aufrücken würde. Diese Regelung passt aber längst nicht mehr zu den Anforderungen an die Stellvertreter, die sie auch dann schon erfüllen müssen, wenn sie nicht in absehbarer Zeit die Vertrauensperson ersetzen. Der Gesetzgeber geht ab 2018 davon aus, dass die Schwerbehindertenvertretung in einem Betrieb jederzeit ausfallen kann, denn in der Regel besteht diese nur aus einem gut ausgebildeten Mitarbeiter: der Vertrauensperson selbst. Ab dem neuen Jahr dürfen deshalb auch alle Stellvertreter entsprechende Weiterbildungen besuchen.

Noch mehr Entlastung für die Vertrauenspersonen: Ab 2018 steht den Schwerbehindertenvertretungen in Betrieben eine Bürokraft zu, die sie bei ihren täglichen Aufgaben unterstützen und entlasten soll. Die Kosten dafür trägt der Arbeitgeber.

Wenn ein Betrieb nicht mehr in seiner ursprünglichen Form weiterbestehen kann, endet damit normalerweise auch die Amtszeit des Betriebsrates und der Schwerbehindertenvertretungen. Das bedeutet aber, dass gerade in einer schwierigen Zeit für die Arbeitnehmer eine „Lücke“ entsteht. Für Betriebsräte gilt in diesen Situationen schon lange ein so genanntes „Übergangmandat“: Sie behalten auch in der Phase, in der ein Betrieb neu organisiert und strukturiert wird, ihre Mitbestimmungsrechte und dürfen Neuwahlen einleiten. Dieses Mandat endet erst dann, wenn die Umstrukturierungen abgeschlossen sind, in den neu entstandenen Betrieben ein neuer Betriebsrat gewählt wurde und das Wahlergebnis bekannt gegeben ist – spätestens jedoch nach sechs Monaten. Durch einen Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung kann das Übergangsmandat auf bis zu insgesamt ein Jahr verlängert werden. Ab 2018 gelten diese Regelungen und Rechte nun auch für die Schwerbehindertenvertretungen. Nur der öffentliche Dienst ist davon aufgrund anderer Bestimmungen ausgenommen, hier gelten weiterhin die so genannten Personalvertretungsgesetze.

In größeren Unternehmen und Organisationen gibt es nicht nur eine, sondern mehrere Vertrauenspersonen, die auf mehreren Ebenen eingesetzt werden. Zum Beispiel gibt es eine eigene Schwerbehindertenvertretung für die Konzern-Zentrale, eine andere für Unternehmenstöchter und wieder weitere für die einzelne Bezirke, in denen die Unternehmen tätig sind. Für die Vertretungen ist es da gar nicht so einfach, den Überblick zu behalten. Ab dem Jahr 2018 vereinfacht der Gesetzgeber deshalb das Verfahren, mit dem die Wahlen dieser vielen Schwerbehindertenvertretungen organisiert werden dürfen.

Arbeitgeber sind schon seit dem Jahr 2016 dazu verpflichtet, frei gewordene Stellen in ihrem Betrieb an die Bundesagentur für Arbeit zu melden. Diese schaut dann, ob es einen arbeitsuchenden Menschen mit Behinderung gibt, der für die Stelle in Frage kommen könnte. Ab 2018 wird diese Regelung abgeändert, weil öffentliche Einrichtungen bestimmte haushaltsrechtliche Vorschriften erfüllen müssen. Eine Stadtverwaltung zum Beispiel ist dazu verpflichtet, zuerst nach internen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu schauen, bevor sie den Arbeitsplatz neu ausschreibt. Wenn es in der Verwaltung niemanden gibt, der passt, müssen auch öffentliche Arbeitgeber die freie Stelle umgehend an die Bundesagentur für Arbeit melden.

Die Arbeitgeber sind schon seit Inkrafttreten des Bundesteilhabegesetzes 2016 dazu verpflichtet, die Inklusion in ihren Unternehmen vorantreiben. Der Gesetzgeber legte deshalb fest, dass in jedem Betrieb verantwortliche Vertreter der Geschäftsführung benannt werden müssen, die sich im Unternehmen für die Belange der Beschäftigten mit Schwerbehinderung einsetzen. Idealerweise sollten diese Personen selbst eine Schwerbehinderung haben. Ab 2018 tragen diese Vertreterinnen und Vertreter, passend zu ihrer Funktion, den Titel „Inklusionsbeauftragte“. Was im Gesetz allerdings nach wie vor fehlt, ist eine konkrete Liste der Aufgaben, die sie haben und erledigen sollen.