Ein alter Beruf und ein modernes Hilfsmittel: Wie ein Scherenmonteur mit bionischer Unterstützung arbeitet

Herr Schrage, in welchem Beruf arbeiten Sie und wann haben Sie damit begonnen?

Ich habe 1978 mit meiner Ausbildung zum Scherenmonteur angefangen. In diesem Beruf habe ich 21 Jahre lang gearbeitet. Im Jahr 1999 habe ich ins LVR-Industriemuseum Gesenkschmiede Hendrichs gewechselt. Dort habe ich von Solinger Handwerksmeistern auch noch das Schleifen von Messern gelernt.

Bei so viel Erfahrung passt es sehr gut, dass Sie im LVR-Industriemuseum Gesenkschmiede Hendrichs heute den Schleif- und Reparaturservice betreuen. Warum hat das Museum so einen Service und was ist Ihr Job dort?

Der damalige Museumsleiter wusste um meine langjährige Berufserfahrung und hatte deshalb die Idee, in der Gesenkschmiede nicht nur Führungen anzubieten, sondern zusätzlich auch noch einen Besucherservice, zu dem die Leute ihre Scheren und Messer mitbringen und bei uns schärfen lassen können. Wir haben seinerzeit sogar eine eigene Schere für das Museum entwickelt. Meine Hauptaufgabe ist aber eigentlich nicht das Schleifen, vor allem betreue, begleite und führe ich die Besucherinnen und Besucher der Gesenkschmiede.  

Sie arbeiten also nicht nur handwerklich, sondern vermitteln auch Wissen?

Genau, ich arbeite sehr viel museumspädagogisch. Zum Beispiel, wenn Kindergärten, Schulklassen und Erwachsenengruppen zu Besuch kommen, oder an Aktionstagen wie dem „Girlsday“ oder dem „Boysday“. Dann zeige ich jungen Menschen mit geistigen oder körperlichen Behinderungen die Ausstellung, damit sie einen Eindruck der jeweils vielleicht eher geschlechteruntypischen Berufe in der Schmiede bekommen können. Ich führe auch Jugendliche im Rahmen des „MINT-Mädchen“-Projekts des Bundesministeriums für Bildung und Forschung durch die Gesenkschmiede, also junge Frauen, die sich für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften oder Technik interessieren. Und ich gebe Workshops zu verschiedenen Themen, beispielsweise zum Bau von Taschenmessern.

Wenn Sie wieder am Schleifstein sitzen, benutzen Sie ein Hilfsmittel, einen bionischen Handschuh. Wie funktioniert diese Technik und wofür nutzen Sie sie?

Ich kann meine rechte Schulter und den Daumen der rechten Hand nur sehr eingeschränkt benutzen. Der Handschuh unterstützt mich und gleicht die fehlende Kraft aus. Er hat Sensoren, die die Bewegung meiner Finger erkennen. Und die Elektronik im dazugehörigen Rucksack verstärkt mit einem Motor die Kraft der Finger. Dadurch kann ich Messergriffe und die Scheren beim Schleifen sicher halten, Scherenklingen mit einem Hammer abrichten und Scheren montieren. Ohne den Handschuh könnte ich diese Arbeiten nicht präzise ausführen.

Wie sind Sie auf diesen Handschuh gekommen?

Das war nicht ich, sondern Norbert Poqué vom technischen Beratungsdienst des LVR-Inklusionsamtes. Er kannte meinen Fall und hat mir den Handschuh empfohlen. Finanziert wurde das Hilfsmittel dann über die Fachstelle für Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben in Solingen.

Kommen Sie gut damit klar oder würden Sie gern etwas daran verbessern?

Der Handschuh unterstützt mich sehr gut in der täglichen Arbeit. Die Sensorik reagiert aber natürlich schon ein wenig träger als der Körper selbst. Ich spüre durchaus einen Unterschied zwischen der linken und der rechten Hand. Wenn es künftig möglich wäre, das zu verfeinern, fände ich das toll. Aber der Handschuh ist wie gesagt auch so ein tolles Hilfsmittel. Ich benutze ihn auch zu Hause bei vielen alltäglichen Arbeiten, bei denen ich Kraft zum Greifen brauche. Zum Beispiel im Garten, wenn ich Pflanzen ins Beet setzen will.

Bei der A+A-Messe führen Sie am gemeinsamen Infostand des LVR und LWL Ihre Fähigkeiten an einem alten Schleifstein vor. Unterscheidet sich diese alte Schleiftechnik von der heutigen Art, Messer und Scheren zu schärfen?

Ein Reparaturservice funktioniert sowieso nur von Hand, daher gibt es hier kein Alt und Neu. Das LVR-Industriemuseum will ja außerdem die Arbeitsbedingungen in der Solinger Schneidwarenindustrie aus dem vergangenen Jahrhundert zeigen. Ich arbeite also auch noch mit der Technik von früher, die heutige Art des Schärfens kann ich daher nicht direkt beurteilen. Ich weiß, dass die Solinger Schneidwarenindustrie inzwischen oft mit computergesteuerten Schleifmaschinen arbeitet. Es gibt aber auch weiterhin einige Betriebe, die besonders hochwertige Schneidwaren herstellen und auch heute noch von Hand schleifen – genauso wie vor 100 Jahren.






Wie werden Menschen mit Sehbehinderung in NRW an ihrem Arbeitsplatz unterstützt?

In Nordrhein-Westfalen sind vor allem der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) und der Landschaftsverband Rheinland (LVR) dafür zuständig, die Leistungen für Menschen mit Behinderungen zu bündeln und zu organisieren. Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Sehbehinderung sind die so genannten Integrationsfachdienste im gesamten Bundesland gute erste Anlaufstellen, ebenso wie die Hilfsmittelberatungsstellen der beiden Berufsbildungswerke in Soest und in Düren. In Westfalen-Lippe gibt es darüber hinaus eine Einrichtung, deren Experten speziell blinde und sehbehinderte Berufstätige beraten und sie dabei unterstützen, entsprechende Leistungen am Arbeitsplatz zu beantragen: Den Fachdienst für Menschen mit Sehbehinderung beim LWL-Inklusionsamt Arbeit. Wir stellen das Angebot in diesem Artikel vor.

(Tipp für Leser aus dem Rheinland: Am Ende des Textes haben wir einige Informationen zu den Anlaufstellen für Menschen mit Sehbehinderungen aus dieser Region zusammengestellt.)


Welche Aufgaben hat der Fachdienst für Menschen mit Sehbehinderung, der an das LWL-Inklusionsamt Arbeit in Westfalen-Lippe angedockt ist? 

Beim Fachdienst arbeiten interne und externe Experten zusammen. Ihre Aufgabe ist es, berufstätige Menschen mit Sehbehinderungen aus Westfalen-Lippe an ihren Arbeitsplätzen zu unterstützen, damit diese so eigenständig wie möglich arbeiten können. Wenn auf eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter in einem Betrieb zum Beispiel neue Aufgaben zukommen, kann der Fachdienst zusammen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei den Integrationsfachdiensten dabei helfen, diese so zu gestalten, dass das gewünschte Ziel auch mit einer Seheinschränkung erreicht werden kann. Wenn jemand einen Job ganz neu beginnt, helfen die Experten außerdem dabei, den Arbeitsplatz von vornherein barrierefrei zu gestalten. Sie betreuen jeden Fall ganz individuell, informieren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer etwa über neue Hilfsmittel, beraten sie oder geben Schulungen. Im Zuge der NRW-weiten Initiative „Schule trifft Arbeitswelt“ (STAR) helfen sie auch Schülerinnen und Schülern kurz vor dem Abschluss dabei, ein Praktikum zu finden und sich für einen Beruf zu entscheiden. Das STAR-Angebot gilt übrigens auch für junge Menschen im Rheinland. Allerdings gibt es dort keinen eigenen Fachdienst für Menschen mit Sehbehinderung.

Wer hat Anspruch auf die Leistungen der Fachdienste – und wie wird festgestellt, welchen Unterstützungsbedarf eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer mit Sehbehinderung hat?

In Westfalen-Lippe können sich grundsätzlich alle (angehenden) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einer nachweislichen Sehbehinderung direkt an den Fachdienst wenden, um Unterstützung zu beantragen. Bevor es mit konkreten Maßnahmen losgeht, wird erst einmal das Sehvermögen der Person geprüft, die die Hilfe beantragen möchte. Anschließend wird die aktuelle Arbeitssituation genau begutachtet und dokumentiert. Auf dieser Grundlage ermitteln die Experten dann, welche Hilfsmittel nötig sind, damit die Arbeit ohne Barrieren erledigt werden kann.

Inwiefern können die Arbeitnehmer ebenso wie die Arbeitgeber mit entscheiden, was wie umgesetzt wird – wie stark sind diese beiden also in die Umgestaltung eines Arbeitsplatzes und in eventuelle Fördermaßnahmen involviert?

Sämtliche Lösungen werden immer gemeinsam mit dem Menschen mit der Sehbehinderung entwickelt, der die Hilfe beantragt hat. Damit sie oder er selbstständig arbeiten kann, muss einerseits eine gewisse Bereitschaft da sein, etwas zu verändern, zugleich muss sie oder er sich mit den Neuerungen natürlich auch wohlfühlen. Die Expertinnen und Experten des Fachdienstes beim LVR-Inklusionsamt und den Integrationsfachdiensten nehmen sich daher viel Zeit, um die Personen, die sie unterstützen, sowie deren Bedürfnisse und deren Fähigkeiten genau kennenzulernen. Erst dann kann ein Arbeitsplatz passend individuell umgestaltet werden. Es werden nie einfach nach standardisierten Vorgaben zum Beispiel technische Hilfsmittel empfohlen. Jeder Fall wird einzeln betrachtet – mit dem Ziel, eine optimale Lösung für alle Beteiligten zu finden, also auch für die Arbeitgeber.

Wie lange dauert die Umgestaltung oder Anpassung eines Arbeitsplatzes ab dem Erstkontakt?

Das kann von Fall zu Fall stark variieren. Wenn es ganz besonders eilig ist, zum Beispiel, weil sich die Sehfähigkeit eines Menschen plötzlich verschlechtert hat, bemühen sich die Experten natürlich sehr, möglichst unbürokratisch und schnell zu agieren. Dazu gibt es einen Hilfsmittelpool bei den beiden Berufsbildungswerken in Soest (Westfalen-Lippe) und Düren (Rheinland), aus dem in solchen Fällen geschöpft werden darf, so dass technische Hilfen auch mal sehr kurzfristig zur Verfügung gestellt werden können. Normalerweise werden solche Hilfen aber langfristig geplant und beantragt, so dass der gesamte Prozess inklusive des Antrags, der Feststellung des Bedarfs, dem Umbau des Arbeitsplatzes und den nötigen Schulungen mehrere Wochen dauern kann.

Was sind typische Hilfsmittel, mit denen die Voraussetzungen am Arbeitsplatz besonders schnell und einfach verbessert werden können?

Das sind vor allem technische Geräte wie größere Monitore, Monitor-Schwenkarme, Kamera-Lesegeräte, Großschrift-Programme, Braillezeilen, spezielle Leuchten und optische Hilfen, aber auch Tablets mit Lupenfunktion. Wichtig ist nichtsdestotrotz eine intensive und ganzheitliche Schulung zum fachgerechten Umgang mit diesen Geräten. Dabei helfen die so genannten Hilfsmittelspezialisten bei den beiden Berufsbildungswerken. Sie üben mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ausgiebig ein, wie ein Hilfsmittel benutzt werden muss – und daraus entsteht dann meist schnell eine viel größere Barriere- und Bewegungsfreiheit am Arbeitsplatz.

Wohin können sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einer Sehbehinderung aus dem Rheinland wenden, für die der Fachdienst in Westfalen-Lippe nicht zuständig ist?

Die ersten Anlaufstellen im Rheinland sind, wie in Westfalen-Lippe auch, die örtlichen Integrationsfachdienste. Die Ansprechpartner dort beraten und helfen auch bei Fragen zu Kosten, Zuschüssen oder Schulungen weiter. Bei Bedarf stellen sie den Kontakt zu technischen Experten her, die für die behinderungsgerechte Arbeitsplatz-Gestaltung sorgen. Zu diesem Thema berät im Rheinland in erster Linie der technische Beratungsdienst des dortigen LVR-Inklusionsamtes, und zwar sowohl Unternehmen als auch schwerbehinderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das Ganze ist kostenlos. Auch die Hilfsmittelberatungsstelle beim Berufsförderungswerk Düren im Rheinland ist ein guter Ansprechpartner für eine Erstberatung. Wer möchte, kann sich aber auch von spezialisierten Optikerinnen oder Orthoptisten in vielen Augenarztpraxen in der Region beraten lassen. Tipp: In der Broschüre „Sehbehinderung im Beruf“ hat der LVR seine Unterstützungsangebote für betroffene Menschen und Arbeitgeber kompakt zusammengefasst.