Inklusion gesellschaftlich vorantreiben

Ein Blick, ein Nicken, eine Geste mit dem Arm: Das Team von GrünBau-inklusiv versteht sich auch ohne Worte. 15 der insgesamt 35 Angestellten des Inklusionsunternehmens haben eine Behinderung, die meisten von ihnen eine Hörbehinderung. Deshalb haben sich unter den Kolleg:innen schnell allgemeinverständliche Gesten eingebürgert, erzählt Michael Stober, der ehemalige Geschäftsführer: „Den Versuch, mit Zetteln zu arbeiten, haben wir schnell wieder aufgegeben.“

Gerade arbeitet ein Trupp an der Klönnestraße in Dortmund an verschiedenen Aufgaben gleichzeitig. Zwei Angestellte fahren auf Geländemähern die Rasenflächen ab, zwei weitere sind mit Freischneidern auf dem Gelände unterwegs. Oleg Bolgert, der schon seit dem Start 2013 bei GrünBau-inklusiv arbeitet, organisiert und verteilt die Aufgaben. Er hat die Erfahrung gemacht, dass eine funktionierende Kommunikation nicht vom Gehör abhängt, sondern davon, dass seine Mitarbeiter:innen aufeinander eingehen und sich Mühe geben: „Es klappt immer gut, solange beide Seiten auch ein Interesse haben, verstanden zu werden. Und das ist eigentlich immer der Fall.“ Oleg Bolgert zeigt auf sich und einen Kollegen und deutet mit einer schnellen Armbewegung an, dass sie als nächstes die Wiese hinter der Häuserzeile angehen werden.

Inklusion vorleben

Wie an jedem zweiten Freitag wird sich auch heute Nachmittag das komplette Außenteam in der Zentrale der GrünBau-inklusiv gGmbH zum Freitalk treffen. Regelmäßig kommt dann auch ein Gebärdensprachdolmetscher dazu, um zu übersetzen und ausführlichere Gespräche zwischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit und ohne Hörbehinderung zu ermöglichen. Anja Coumans, seit Januar 2022 die neue Geschäftsführerin des Unternehmens, sind diese Treffen sehr wichtig. Dass die Zusammenarbeit im Team so gut funktioniert und sich alle gut verstehen, sei schließlich kein Zufall, sondern das Ergebnis solcher Maßnahmen – und ein wichtiges Signal für die Gesellschaft.

Zum guten Arbeitsklima tragen auch regelmäßige Kollegen-Seminare bei: Mehrere Mitarbeiter:innen mit und ohne Behinderung verbringen gemeinsam jeweils ein Wochenende, um sich gegenseitig besser kennenzulernen. Zusätzlich bietet das Unternehmen Gesundheitswochen an und organisiert alle drei bis vier Monate ein Treffen mit dem Integrationsfachdienst, der Menschen mit Behinderungen und Inklusionsbetriebe unterstützt und berät.

Drei Mitarbeiter von Grünbau im Einsatz
Das Team kommuniziert vor allem über Gesten. Das bietet sich wegen der Ohrenschützer ohnehin an, die die Mitarbeiter gegen den Lärm tragen müssen. Foto: LWL

Gleiche Chancen für alle

Gleiche Chancen und Gleichberechtigung heißt bei GrünBau-inklusiv auch, dass alle Mitarbeiter:innen die Möglichkeit haben sollen, sich fachlich weiterzubilden. Was einfach klingt, ist in der Praxis manchmal eine große Herausforderung.
Ein Beispiel: Das Inklusionsunternehmen aus Dortmund war der erste Betrieb in Deutschland, der für Menschen mit Hörbehinderung, die sich mit Gebärdensprache verständigen, eine Ausbildung zur Baumaschinenführung angeboten hat. Der bürokratische Aufwand, den Michael Stober und die anderen Verantwortlichen im Betrieb für dieses Spezialangebot betreiben mussten, war enorm. Doch der Erfolg spornte sie an. Sie richteten für ihre Mitarbeiter:innen mit Hörbehinderung auch noch die Möglichkeit ein, einen Kettensägenschein zu machen. Zurzeit bereiten sie in Kooperation mit der Berufsgenossenschaft weitere Lehrgänge vor

Auf dem richtigen Weg

Von diesem Engagement profitieren langfristig nicht nur die Angestellten, sondern auch das Unternehmen selbst. Die Konkurrenz ist groß und der Fachkräftemangel trifft den Garten- und Landschaftsbau ebenso sehr wie andere Branchen. Die besonderen Weiterbildungsangebote sind für die GrünBau-inklusiv gGmbH ein wichtiger Baustein, um sich als attraktiver Arbeitsgeber zu positionieren.
Diese Strategie geht auf. Das Unternehmen ist in seiner zehnjährigen Geschichte gewachsen, aus 28 wurden 35 Angestellte, der Umsatz hat sich mehr als verdoppelt. Der größte Kunde sind die Dortmunder Stadtwerke, die zur Dortmunder Energie- und Wasserversorgung GmbH gehören. Außerdem hat GrünBau-inklusiv mit dem Schwerpunkt auf gärtnerischer Grünpflege bei Wohnbaugesellschaften, Firmen- und Privatkunden eine ganz eigene Nische besetzt und sich inzwischen am Markt etabliert.

Anja Coumans und ihre Kolleg:innen ruhen sich auf diesem Erfolg aber nicht aus. In Zukunft möchten sie das Unternehmen noch bekannter machen und weitere Kunden gewinnen. —




Spitzenreiter bei der Ausbildung

Bevor die zwei Geschäftsführerinnen des Lippischen Kombi-Service gGmbH (LKS) Zeit für ein Interview haben, steuern sie erst einmal die Essenstheke an. Sie konnten den ganzen Tag noch nichts essen – und hier wisse man schließlich, dass es schmeckt. „Pop&Corn“, der Catering-Service des Unternehmens, sei zwar schon vorher am Berufskolleg in Lemgo aktiv gewesen. Die vor wenigen Wochen in Betrieb genommene Küche biete aber ganz neue Möglichkeiten.

Seit 16 Jahren ist Monika Zimmermann beim LKS. Ende nächsten Jahres übergibt sie die Geschäftsführung komplett an Simone Luther, die bereits sieben Jahre im gemeinnützigen Unternehmen tätig ist. Ob sich nach dem Wechsel etwas ändert? „Na ja, sie ist jünger als ich“, sagt Zimmermann, beide lachen. Luther will den etablierten Kurs beibehalten. Und dazu gibt es Anlass.
Wie gut das Essen hier ist, spricht sich schnell herum; fast schon zu schnell. Zum ersten Mal in der 35-jährigen Unternehmenshistorie kann der LKS nicht alle Anfragen bedienen. Das Interesse an den Verpflegungsdiensten aus Detmold ist groß. Inklusion sei selbstverständlich auch ein Faktor bei den Anfragen, erklärt Zimmermann, und bei manchen Schulen auch ein Auswahlkriterium. Aber nach ein bis zwei Jahren stehe das gar nicht mehr so im Mittelpunkt – was auf den Teller kommt, bleibe präsenter.
„Primär kommen die Anfragen, weil andere Schulen sagen: Wir sind sehr zufrieden mit unserem Caterer“, resümiert die langjährige Geschäftsführerin. Ein Empfehlungsmarketing, das sich bewährt hat: Mittlerweile kocht und catert der LKS an 48 Standorten im Umkreis.

Simone Luther und Monika Zimmermann nebeneinander vor der Kantine.
Das Führungsduo: Die LKS-Geschäftsführerinnen Simone Luther (l.) und Monika Zimmermann. Foto: LWL

50 Auszubildende

Der LKS ist in der ganzen Region tätig und beschäftigt rund 250 Mitarbeiter:innen, von denen rund die Hälfte eine Schwerbehinderung hat. Die Dienstleistungen des Unternehmens reichen von einer Wäscherei über Datensicherung bis zum Catering.
Ein Schwerpunkt des Unternehmens liegt in der inklusiven, theoriereduzierten Ausbildung, die zusätzlich zur Vollausbildung angeboten wird. Um die 50 Auszubildende sind so im Betrieb verteilt beschäftigt – das ist der Spitzenwert in der Region Westfalen-Lippe.
Jugendliche mit einer Lernbehinderung können zum Beispiel die theoriereduzierte Ausbildung „Fachpraktiker:in Küche“ absolvieren. Ihre Ausbilder:innen wie Frank Schlepper, Leiter der Küche im Berufskolleg, nehmen in der Praxis Rücksicht auf die individuellen Bedürfnisse der Auszubildenden.

Nach einer pandemiebedingten Pause erreichen die Zahlen wieder das Niveau der Vorjahre. „Dieses Jahr waren es fast so viele wie noch nie“, sagt Simone Luther. 24 Neuzugänge befinden sich momentan in der Ausbildung oder einer Einstiegsqualifizierung. Die einjährige Einstiegsqualifizierung zur Ausbildung ist mit die wichtigste, aber auch die schwierigste Zeit. „Das ist nochmal das kleine Einmaleins“, erklärt Luther – eine Phase, in der man vieles neu anlernen müsse. Zimmermann sieht darin aber auch eine Stärke des Konzeptes: Was Vorgesetzte in einer „normalen“ Ausbildung bereits anmahnen müssten – etwa ein unangekündigtes Fehlen – können sie hier auffangen und persönlich klären. Dadurch bekommen junge Menschen die Chance, sich im neuen Beruf und Umfeld einzuleben.

Ein gutes Teamklima ist die Grundlage

„Die Blase LKS“, wie eine Mitarbeiterin diesen eigenen Mikrokosmos einmal etwas verschmitzt beschrieb, setzt auf Zwischenmenschliches. Man kenne eigentlich jede:n Mitarbeiter:in, erklärt Zimmermann, was zusammen mit einem guten Teamklima dazu führe, dass wenige aus dem Raster fallen. Gerade Problemen wie häufigen Krankheitsfällen und fehlender Arbeitskontinuität kann so vorgebeugt werden.
Auch am Arbeitsplatz helfen sich alle gegenseitig, pflichtet Frank Schlepper bei. Die Stärken und Schwächen der unterschiedlichen Mitarbeiter:innen ergänzen sich, man unterstützt einander – mit gutem Ergebnis.
Der großgewachsene Küchenchef kehrte nach zwei Jahren in einem anderen Unternehmen zum LKS zurück, die Arbeit und die Menschen lägen ihm hier einfach mehr. An der Ebenbürtigkeit aller Mitarbeiter:innen zeigt sich für ihn das Besondere des Unternehmens – und am Erfolg des inklusiven Konzepts: „Dass wir hier Sachen schaffen, die auch andere, nicht-inklusive Caterer mit ihrem Personal machen – das ist für mich die größte Bestätigung.“

Erfolgsgeschichten

Für den Küchenleiter liegt der Schlüssel zum Erfolg in der gegenseitigen Offenheit. Wer unvoreingenommen an die Sache herangehe, werde das Arbeiten mit und Ausbilden von Menschen mit Behinderung nicht bereuen. Sein Fazit aus vielen Jahren im Job: „Keine Vorurteile haben, einfach machen, loslegen und gucken, wohin die Reise geht. Damit habe ich nie schlechte Erfahrungen gemacht.“

Und die gemeinsame Reise gestaltet sich – für alle Beteiligten – als Gewinn. Elli Jurk, eigentlich Auszubildende in einer anderen LKS-Küche in Lemgo, hilft gerade am neuen Standort aus. „Ich bin immer die Erste“, berichtet die 20-Jährige, die mit einer Cerebralparese lebt. Sie hilft, den Küchenalltag vorzubereiten, startet die Öfen, backt die Brezeln – eine unerlässliche Stütze für die neue Küche. Sind die Schüler:innen zufrieden, ist die Auszubildende es auch: „Wenn man die Kinder sieht, wenn die anstehen zum Essen, dass die glücklich sind und sich freuen“ – diese Freude ist auch für sie das Highlight des Arbeitstages.
Mittlerweile ist sie im letzten Ausbildungsjahr und fühlt sich sehr wohl. Das Team sei nett und hilfsbereit und jede:r habe Gelegenheit, sich kreativ in der Küche und Essensplanung einzubringen. Außerdem nähmen die Vorgesetzten sich Zeit für alle Mitarbeiter:innen. Das sei für das Gelingen der Ausbildung unerlässlich, deren guter Verlauf Elli auch für die Zukunft positiv stimmt: „Dann bin ich ausgelernt und habe schon Erfahrungen gesammelt.“

Die Auszubildende Elli Jurk mit Kochuniform in der LKS-Küche.
Die Auszubildende Elli Jurk arbeitet in der Küche in Lemgo tatkräftig mit. Foto: LWL

Noel, ebenfalls 20 und heute zur Aushilfe in Lemgo, schlägt ähnliche Töne an. Der Auszubildende mit Konzentrationsstörung wollte sich schon früher in der Gastronomie bewerben – über eine berufsvorbereitende Maßnahme bei einem Bildungsträger fand er schließlich den Weg zum Lippischen Kombi-Service. Die Arbeit macht ihm Spaß, „denn hier kann ich mich kreativ ausleben.“ Er kocht für sein Leben gern, ein besonderes Faible habe er fürs Würzen und für vegetarische Gerichte. In der Ausbildung sieht er einen wichtigen Baustein für seine Zukunft. „Ich will mich selbstständig machen“, offenbart er grinsend – „vielleicht auch mit einem Restaurant“.

Nach den vielen Jahren als inklusiver Ausbilder überwiegen für Küchenchef Schlepper klar die positiven Seiten. Wer sich auf die Jugendlichen einlasse, finde sich später in einem Team wieder, das von starkem gegenseitigen Vertrauen geprägt sei – und das motiviere. Es komme oft vor, dass junge Menschen sich nach der theoriereduzierten Ausbildung zum Beikoch auch an die Vollausbildung wagen. Frank Schlepper begleitet sie dann mehrere Jahre lang. Diesen Weg ein Stück mitzugehen und am Ende zur bestandenen Prüfung zu gratulieren: „Das sind die größten Erfolge.“

Hürden und Chancen

Insgesamt läuft die Arbeit gut, aber sie wird nicht einfacher, denn mittlerweile muss der LKS immer mehr auffangen. Jugendliche, die auf dem traditionellen Arbeitsmarkt durch die Raster fallen, bekommen beim LKS die Chancen und Betreuung, die ihnen anderswo nicht zuteilwurden. Das mehrt sich aktuell, gerade bei Menschen mit psychischen Erkrankungen.
Zunehmend werden außerdem Jugendliche mit Migrations- oder Fluchthintergrund an das Unternehmen vermittelt. Bei manchen von ihnen tritt im Verlauf der Ausbildung noch eine psychische Erkrankung zutage, die vorher schlicht nicht erfasst wurde. Für Monika Zimmermann besteht also immer noch Handlungs- und Aufklärungsbedarf. „Viele wissen immer noch nicht, was Inklusion überhaupt ist“, sagt sie. Und zu wenige seien bereit, sich dafür einzusetzen, ergänzt Simone Luther: „Wirklich mitmachen und mithelfen, wenn es ans Eingemachte geht, wollen die wenigsten.“
Da fühle man sich gelegentlich schon allein gelassen oder überfordert. „Lieber LKS, rettet das Ganze, macht was draus“, fasst Monika Zimmermann schulterzuckend zusammen, was oft an sie herangetragen wird. Einer kurzen Pause folgt ein stolzes Lächeln: „Aber manchmal machen wir ja auch was draus.“ Der LKS müsse viel für die Betreuung der einzelnen Azubis leisten – aber es stecke auch in jedem Jugendlichen Potenzial, für das sich der Einsatz lohne. —




Wie Inklusion zum Alltag wird

Wann und wie kam es dazu, dass Ihre Unternehmen Inklusionsabteilungen gegründet haben?

Heidi Emmerich: Die Inklusionsabteilung bei Habig und Krips ist 2013 entstanden. Wir hatten bis dahin einige Aufgaben extern vergeben. Um Kosten zu sparen, haben wir sie dann stattdessen in neuen Geschäftszweigen mit eigenen Mitarbeitern selbst übernommen. Wir haben mit dem Immobilienservice angefangen, also mit der Garten-, Rasen- und Außenpflege an unseren Standorten. Dazu kam dann noch ein großes Geschäft mit Verpackungsarbeiten für einen großen Kunden. 

Martin Kapovits: Wir kamen 2012 bei unserer gemeinsamen Doppelkopfrunde mit Jochen Twelker auf die Idee.

Jochen Twelker: Auch wenn da eigentlich nicht über die Arbeit gesprochen wird.

Kapovits: Wir hatten damals viele Handlingstätigkeiten an andere Unternehmen vergeben. Da wir aber mit der Qualität und dem Aufwand oft nicht zufrieden waren, hatten wir überlegt, ob wir diese Tätigkeiten nicht ins Haus holen könnten. Dafür brauchten wir Mitarbeiter. Und durch den Kontakt zu Jochen Twelker hatten wir die Möglichkeit, es mit einem inklusiven Team zu versuchen.

Emmerich: Der Anstoß war auf jeden Fall auch der soziale Aspekt: Wir wollen Inklusion auch im eigenen Unternehmen leben. Und wir haben im Laufe der Jahre gemerkt, dass das wunderbar funktioniert.

Kapovits: Das ist eine Win-Win Situation: Wir wissen, dass unsere Arbeit gut erledigt wird, und ein Mensch mit Behinderung hat am ersten Arbeitsmarkt eine gute Chance.

Gab es anfangs Schwierigkeiten bei der inklusiven Zusammenarbeit? Und haben Sie Tipps, wie man diese am besten bewältigt?

Emmerich: Manche Kolleginnen und Kollegen ohne Behinderung hatten anfangs Bedenken, die sich aber sehr schnell aufgelöst haben. Wenn es einmal Schwierigkeiten gibt, können wir das offen kommunizieren und lösen. Das ist zur Normalität geworden. Und ich glaube, das wirkt über die Arbeit hinaus: Es ist gut für die ganze Gesellschaft, wenn man Inklusion lebt und Hemmungen abbaut.

Kapovits: Wir hatten eigentlich gar keine Startschwierigkeiten – wobei unsere Mitarbeiter:innen auch einfach echte Glücksgriffe waren. Jeder hat natürlich so seine Eigenarten, aber damit gehen alle gut um. Es gibt eigentlich überhaupt keine Reibungspunkte.

Emmerich: Wir haben gelernt, offener zu werden. Probleme anzusprechen und zu versuchen, sie in der Gruppe gleich zu klären – das haben wir früher nicht unbedingt gemacht. Das ist vielleicht ein bisschen wie in einer Gesprächstherapie (lacht), aber so kann wirklich jede:r sagen, was sie oder ihn stört. Vielleicht sind es nur Kleinigkeiten, aber es ist gut, sofort darüber zu sprechen.

Twelker: Alle Betriebe sollten diese Offenheit mitbringen. Denn diese Gedanken machen sich erstmal alle: „Ich stelle einen Beschäftigten mit Behinderung ein, was nun?“ Aber wenn man es mal ausprobiert hat, merkt man, dass es klappt. Wahrscheinlich hat sich auch deswegen hier eine solche Dichte an inklusiven Betrieben entwickelt. Die haben damit jetzt arbeiten gelernt und wollen es nicht mehr missen.

Wie gestalten Sie die Arbeitstage Ihrer Beschäftigten, um auch auf deren Bedürfnisse eingehen zu können?

Emmerich: Wir haben ganz klare Strukturen geschaffen. Viele unserer Inklusionsmitarbeiter arbeiten in einer Abteilung, da gibt es ganz feste Regelungen. Feste Arbeitszeiten, keine Überstunden, feste Pausen, sodass sich gerade die Menschen mit einer psychischen Erkrankung auf ihren Arbeitstag und ihre Woche einstellen können.

Kapovits: Wir haben einen anderen Weg gewählt: Wir bieten äußerst flexible Arbeitszeiten an, angepasst an die einzelnen Arbeitnehmer. Es gibt keinen starren Arbeitszeitbeginn. Das heißt nicht, dass jede und jeder kommen kann, wann sie oder er will, aber es ist flexibel.

Twelker: Das Gute daran ist, dass man hier an ziemlich enger Stelle eine Menge an Möglichkeiten hat. Es hilft den Menschen sehr, langsam in den neuen Job ‚hineinzurutschen‘. Gerade in den Praktika und Probebeschäftigungen haben wir Anpassungsphasen, in denen wir die Beschäftigten an die Arbeit heranführen und vieles ausprobieren können.

Emmerich: Dabei braucht es auch immer wieder Vermittlung zwischen den Unternehmen und den Beschäftigten.

Twelker: Genau, das ist mein Job. Ich habe früher in der Psychiatrie gearbeitet, dadurch habe ich einen anderen Blick dafür als die Verantwortlichen in den Unternehmen. Ich schaue, wohin die Beschäftigten vom Typ und von den Fähigkeiten her am ehesten passen. In der Regel fangen sie hier bei Habig und Krips in festen Strukturen an, und dann sehen wir weiter. Wenn nötig, können wir sie in einem anderen inklusiven Unternehmen unterbringen. Da sind wir durch unser Netzwerk flexibel – und das ist auch gut so.

Herr Twelker, wie genau unterstützen Sie als Jobcoach neue Inklusionsunternehmen oder Betriebe, die sich für die inklusive Arbeit interessieren?

Twelker: Ein neuer Inklusionsbetrieb braucht am Anfang Menschen, die die Szene kennen – sozusagen Pfadfinder, die den Weg zeigen können. Neue Betriebe sind in der Regel noch nicht so vernetzt. Sie brauchen deshalb jemanden, der diese Verknüpfungen aufbaut und zu Beginn hilft, sei es im Rahmen einer psychosozialen Begleitung oder durch ähnliche Maßnahmen. Allein funktioniert es nicht.

Kapovits: Das stimmt. Ohne Herrn Twelker hätten wir vermutlich keine Inklusionsabteilung.

An Sie alle: Wie gewinnen Sie neue Mitarbeiter:innen?

Twelker: Wir haben hier über die Jahre gute Kontakte zum Jobcenter und zur Arbeitsagentur aufgebaut – und einen ebenso guten Ruf. Denn inzwischen kommen Behörden auch mit Anfragen auf uns zu und schlagen uns potenzielle Mitarbeiter:innen vor. Offen und flexibel eben, so wie es sein soll.

Kapovits: Ich muss tatsächlich nicht mehr beim Jobcenter anrufen, sondern die Mitarbeiter:innen dort melden sich bei uns. Das funktioniert. Und die Tendenz geht zur Arbeitszeitverlängerung, sowohl bei uns als auch bei Habig und Krips. Wir vereinbaren mit neuen Kolleg:innen ein Praktikum, eine Probebeschäftigung und einen befristeten Vertrag für ein Jahr. Nach einem Jahr können wir eigentlich immer sagen, ob es passt oder nicht. Und wenn wir dann verlängern, bieten wir in der Regel einen unbefristeten Arbeitsvertrag an.

Emmerich: Auch unsere Firma schließt in der Regel erst einmal befristete Verträge ab. Ich freue mich über jeden, der entfristet wird, und auch über jeden, der wieder in Vollzeit arbeiten kann. Das sind oft Menschen, die eine lange Krankheitsphase hinter sich haben. Wenn sie dann wieder einen Beruf ausüben können, finde ich das großartig.

Twelker: Für viele ist das auch ein wichtiger Schritt, um nach einer Krankheitsphase wieder unabhängiger und selbstständiger zu werden.

Was würden Sie sich für die Zukunft wünschen oder empfehlen?

Emmerich: Ich finde regionale Gesprächskreise sinnvoll, in denen man sich mit Interessierten und Betroffenen treffen, austauschen und eben auch vernetzen kann. Das könnte auch vielen neuen Betrieben den Einstieg in die inklusive Arbeit erleichtern.

Zum Abschluss: Was bedeutet für Sie Inklusion?

Emmerich: Eine bunte Welt.

Kapovits: Ein gutes und faires Miteinander.

Twelker: Vielfalt. Viele, viele Menschen – viele, viele Möglichkeiten.





Inklupreneur: Ein Projekt für mehr Inklusion in der Start-up-Szene

Herr Dreyer, was ist ein „Inklupreneur“?

Inklupreneure sind Unternehmer:innen und Gründer:innen, die sich für Inklusion einsetzen und in ihrem Unternehmen inklusive Arbeitsplätze schaffen. Für den Namen unseres Projekts haben wir deshalb die Begriffe „Inklusion“ und „Entrepreneurship“ (auf Deutsch: Unternehmertum) miteinander verbunden. Inklupreneure können aber auch Menschen mit Behinderung sein, die den mutigen Schritt gehen und sich bei Unternehmen bewerben, in denen sie berufliches Neuland betreten. Unser Programm ist also für Menschen und Unternehmen gedacht, die neue Wege gehen. Wir richten uns dabei vor allem an die Start-up-Szene.

Es gibt bereits viele Anlaufstellen für Gründer:innen, Unternehmen und Arbeitnehmer:innen. Braucht die Start-up-Szene trotzdem solche Beratungsangebote wie Ihres?

Unserer Erfahrung nach: ja. Firmen und Organisationen aus der Start-up-Szene haben eine ganz eigene Unternehmenskultur mit sehr dynamischen, also sich ständig verändernden Prozessen. Sie wachsen sehr schnell und brauchen viel Personal. Viele Beratungsangebote erfüllen nicht unbedingt das, was Start-ups tatsächlich brauchen. Hier setzen wir an. Wir möchten die Unternehmer:innen dabei unterstützen, Inklusion zu einem Teil ihrer Unternehmenskultur zu machen.

Warum ist das wichtig?

Ich glaube, dass langfristig nur noch Unternehmen am Markt eine Chance haben, die auch einen gesellschaftlichen Beitrag leisten. Daher finde ich, dass sich alle Gründer:innen überlegen sollten, wie dieser Beitrag in ihrer eigenen Organisation aussehen könnte. Ich selbst habe vor 15 Jahren ein Unternehmen gegründet und sehr positive Erfahrungen mit der Arbeit in einem inklusiven Team gemacht. Als wir damals gewachsen sind und Personal brauchten, hat uns die Agentur für Arbeit die Bewerbung eines Software-Entwicklers mit Behinderung übermittelt. Seine Qualifikationen passten zu unseren Anforderungen, wir wiederum haben uns auf seine Bedürfnisse eingestellt – und er hat sich darauf eingelassen, in einem Start-up zu arbeiten. Für alle, die später in der Firma angefangen haben, war Inklusion dann ganz selbstverständlich. Mein und unser gesellschaftlicher Beitrag ist, dass wir das auch anderen Start-ups ermöglichen möchten.

Mit was für einem Programm unterstützen Sie Unternehmen dabei?

Wer mitmachen möchte, muss auf unserer Website erst einmal einen „Pledge“ unterzeichnen, also ein Formular zur Selbstverpflichtung. Das Start-up beschreibt darin das eigene Unternehmen genauer und erklärt, wo im Betrieb Stellen für Menschen mit Behinderung eingerichtet werden sollen.

Was ist der nächste Schritt?

Wir beginnen immer mit einer Auftaktveranstaltung. Das sind zwei sehr intensive Tage, an denen alle Unternehmen, die mitmachen, ihre jeweils eigene Inklusionsstrategie erarbeiten. Wir begleiten die Gründer:innen und Unternehmen anschließend noch einige Monate mit einem Coaching.

Wer coacht die Firmen?

Das Projekt „Inklupreneur“ wird von der Hilfswerft gGmbH organisiert, die ich als Geschäftsführer leite. Wir bieten dort Workshops für angehende Sozialunternehmer:innen an und haben dafür ein großes Netzwerk von Mentorinnen und Mentoren aufgebaut, auf das wir nun auch für „Inklupreneur“ zurückgreifen können. Insgesamt beraten 20 Menschen mit Behinderung die Unternehmen auf ihrem Weg und geben ihnen Rückmeldungen dazu, wie sie in der Community wahrgenommen werden: Worauf schauen Bewerber:innen mit Behinderung auf der Website als erstes? Wie barrierearm ist das Unternehmen? Wer könnte dort arbeiten – und wer nicht? Zum Beispiel kann ja auch ein Büro in einer Altbauwohnung im zweiten Stock barrierefrei sein, nur eben nicht für Menschen mit einer Mobilitätseinschränkung. Das ist den Verantwortlichen in den Firmen aber oft gar nicht klar, weil viele erst einmal nur an bauliche Barrierefreiheit denken. Deshalb ist der Austausch mit den Coaches sehr wichtig. Ich glaube, durch diesen direkten Kontakt setzen wir am meisten in Bewegung.

Müssen die Unternehmen für die Beratung etwas bezahlen?

Nein, das Programm ist kostenlos. Wir erwarten nur, dass sie hinter ihrer Selbstverpflichtung stehen und es ihnen damit ernst ist. Es ist daher auch wichtig, dass sie sich vorher gut überlegen, wie viele inklusive Stellen sie ankündigen, denn wir nehmen sie da beim Wort.

Wie finanzieren Sie das Projekt?

Wir haben Fördergelder für drei Jahre vom Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) Berlin bekommen. Das ist das gleiche wie die Inklusionsämter in Nordrhein-Westfalen und in anderen Bundesländern.

Müssen Sie bestimmte Ziele erfüllen, um diese Förderung zu bekommen?

Ja, wir haben in Rücksprache mit dem Landesamt als Ziel formuliert, dass wir durch das Projekt 60 bis 120 neue inklusive Arbeitsplätze schaffen wollen. Unsere Hauptleistung dabei ist, Kontakt zu Unternehmen aufzubauen, die bereit dazu sind, und sie dabei zu unterstützen, diese Stellen zu definieren und auszuschreiben. Das zweite Ziel ist natürlich, diese Stellen auch zu besetzen. Dabei kooperieren wir unter anderem mit der Bundesagentur für Arbeit und dem Jobcenter.

Wie läuft das bisher?

Deutschlandweit haben bisher 42 Firmen die Selbstverpflichtung unterzeichnet. Sie wollen insgesamt 139 inklusive Stellen schaffen.

Sind diese Stellen schon vergeben?

Nein, das wird noch dauern. Für die Unternehmen ist der „Pledge“ am Anfang des Prozesses ein erster, wichtiger Schritt, mit dem sie sich im positiven Sinne selbst unter Druck setzen. Danach müssen sie aber oft noch viele offene Fragen klären, bevor es wirklich losgehen kann. Dabei unterstützen wir sie. Bisher haben die Inklupreneure in unserem Programm knapp 30 konkrete Stellen ausgeschrieben. Sechs davon sind schon besetzt.

Woran liegt es, dass bisher erst so wenige Arbeitsplätze besetzt sind? Finden die Unternehmen keine passenden Bewerber:innen?

Das ist tatsächlich eine Herausforderung. Unser Projekt läuft jetzt seit einem Jahr. Eine Erkenntnis aus dieser Zeit ist, dass auf der Unternehmensseite zwar ein sehr großes Interesse besteht, inklusive Stellen zu schaffen. Oft gehen dann aber gar keine Bewerbungen für die neu geschaffenen Arbeitsplätze ein. Offenbar reichen die bisher vorhandenen Angebote zur Vermittlung dieser Stellen noch nicht aus. Wir möchten deshalb in Zukunft eine eigene Inklupreneur-Gemeinschaft aufbauen und so Arbeitsuchende mit Unternehmen verknüpfen.
Die Unternehmen können sich im Rahmen unseres Angebots schon jetzt miteinander vernetzen und Wissen austauschen. Eigentlich arbeiten wir also daran, unser Programm irgendwann überflüssig zu machen. Das wird vermutlich nicht passieren, aber mit dieser Haltung gehen wir an das Projekt heran.

Bisher gibt es das Inklupreneur-Programm nur in Berlin und Bremen. Wollen Sie es später auch in anderen Bundesländern anbieten?

Ja, das können wir uns gut vorstellen. Unternehmen aus anderen Bundesländern können schon jetzt unseren „Pledge“ unterzeichnen. Wenn sich genügend Interessierte gemeldet haben, werden wir auf die zuständigen Inklusionsämter zugehen und versuchen, unser Programm auch dort auf den Weg zu bringen. Wir würden uns freuen, wenn mit der Zeit eine Art Bewegung daraus wird und Inklusion irgendwann ganz selbstverständlich zur klassischen Gründer:innenberatung dazugehört. Wenn es in solchen Gesprächen also künftig nicht mehr nur darum geht, wie ein Unternehmen finanziell über die Runden kommen kann, sondern auch gemeinsam überlegt wird, wie es einen gesellschaftlichen Beitrag leisten kann, hätten wir unser Ziel erreicht.




„Wir sind alle ein Team!“

Tobias Rottmann schnappt sich seine Motorsäge. Er braucht sie an diesem nasskalten Vormittag in der abschüssigen Grünanlage eines großen Münsteraner Speditionsunternehmens. Um ihn herum sprießen üppige Feuerdornbüsche, manche Bäume sind bereits zugewuchert. „Feuerdorn wächst schnell, man muss ihn regelmäßig verjüngen und auf den Stock setzen“, sagt Rottmann. Dann wirft er die Motorsäge an und schneidet die Pflanzen bis auf den Stamm zurück. Der 36-Jährige rückt dem Feuerdorn aber nicht allein zu Leibe. Thomas Kramer und Frank Blümer sägen mit, Frederik Mauel schiebt die dornigen Äste in den Häcksler. Die Motorsägen und der Häcksler, der das Häckselholz zurück in die Büsche ausspuckt, dröhnen um die Wette. Mit sogenannten Earbags an ihren Helmen schützen sich die Männer gegen den Krach.

Tobias Rottmann ist der Vorarbeiter. In seinem Gartenbau-Trupp arbeiten Menschen mit Behinderungen, angestellt sind sie bei der Gemeinnützigen Umweltwerkstatt GmbH, kurz GUW. Der Garten- und Landschaftsbaubetrieb aus Münster kümmert sich um die Pflege öffentlicher und privater Garten- und Außenanlagen. Das Inklusionsunternehmen hat in den vergangenen Jahren kontinuierlich seine Marktanteile ausgebaut.

Über Bedenken hinweg

Diese Erfolgsgeschichte hängt ganz maßgeblich mit einem Mann zusammen: Thomas Pahls. 2015 verkaufte er sein florierendes Gartenbau-Unternehmen und übernahm die bis dato zur Caritas Münster gehörende GUW. Er übernahm auch die sechs GUW-Mitarbeiter, nutzte seine vielen beruflichen Kontakte, krempelte die Ärmel hoch und setzte sich über viele Bedenken in seinem Umfeld hinweg. „Weißt du, was du da tust?“, fragte ihn seine Frau anfangs.

Er wusste es. Und vor allem: Er wollte etwas vollkommen Neues, etwas Mutiges machen. Pahls sprach mit der Handwerkskammer Münster, mit dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) und mit vielen anderen: „Ich musste erst einmal lernen, was ein Inklusionsunternehmen überhaupt ist.“ Er investierte außerdem in einen modernen Maschinenpark und schaffte Bagger, Radlader, Häcksler an. „Das ist die Grundvoraussetzung, um überhaupt entsprechende Aufträge zu bekommen“, erklärt er.

Drei GUW-Mitarbeiter bei der Arbeit
Der Münstersche Garten- und Landschaftbaubetrieb kümmert sich um die Pflege öffentlicher und privater Garten- und Außenanlagen. Foto: LWL/Kopfkunst

Frühere Verbindungen

Und die Aufträge kamen tatsächlich. „Da haben mir meine früheren Verbindungen sicherlich geholfen“, sagt Thomas Pahls. In den ersten zwei Jahren verdreifachte er den Personalbestand. Heute arbeiten 35 Menschen bei der GUW, 45 Prozent davon sind Menschen mit Behinderungen.
Alle sind stolz darauf, dass die Kunden des Betriebs so gut wie immer sehr zufrieden sind und es kaum Reklamationen gibt. Was Thomas Pahls besonders freut: „Unsere Leute werden kaum noch krank, der Krankenstand ist extrem gesunken.“ Für ihn ein Beweis dafür, dass das Betriebsklima gut ist.

Dazu tragen auch eingespielte Arbeitsabläufe bei. Es gibt ein Vorladeteam, das ab 6:30 Uhr alle elf Fahrzeuge nebst Anhänger belädt, es folgt eine Morgenbesprechung mit klaren Ansagen und transparenten Teamstrukturen. „Wir haben die Teams so aufgestellt, dass sie menschlich gut zusammenpassen“, erklärt Pahls. Das Ergebnis: Die Mannschaften sind gut eingespielt, alle Arbeitsabläufe klappen reibungslos.

Rüschoff steigt ein

2018 holte Pahls Christian Rüschoff als neuen Co-Geschäftsführer zur GUW. Rüschoff führte bis dato einen gut gehenden Gartenbaubetrieb mit sechs Mitarbeitern, den er sich über elf Jahre hinweg aufgebaut hatte. Pahls warb beharrlich um ihn und bot ihm den Geschäftsführer-Posten bei der expandierenden GUW an. Rüschoff sagte schließlich zu und stieg bei der GUW ein. „Ich habe es nicht bereut“, sagt er rückblickend. Klar, zunächst musste er ein Gespür dafür entwickeln, wie er die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Behinderung optimal ins Team integrieren konnte, „aber da bin ich schnell reingewachsen. Es macht Spaß, mit diesem Team zu arbeiten.“ Auch GUW-Chef Thomas Pahls ist überzeugt von seinem neuen Partner: „Christian wird die Zukunft der GUW gut gestalten!“

Das wird unter anderem mit Menschen wie Tobias Rottmann möglich, der sich vom Praktikanten zum Vorarbeiter hochgearbeitet hat. Vor gut drei Jahren kam er zur GUW. Wegen einer Luftröhrenverengung bekam er immer schlechter Luft, konnte in seinem vorherigen Beruf als Schweißer nicht weiterarbeiten und wurde arbeitslos. Er hat heute einen anerkannten Grad der Behinderung von 50. Weil er als Praktikant von Anfang an engagiert mit anpackte, bot GUW-Chef Thomas Pahls ihm eine feste Stelle an. „Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen, das hat mir sicher geholfen“, sagt Rottmann. Schnell machte er sich unentbehrlich. „Vor drei Jahren kam Thomas Pahls zu mir und meinte, ich hätte Führungsqualitäten. Er fragte mich, ob ich nicht Vorarbeiter werden wollte“, erinnert sich Rottmann. Seitdem führt er ein vierköpfiges Team, „und das ganz souverän“, wie Thomas Pahls findet. Tobias Rottmann selbst ist froh, bei der GUW angefangen zu haben: „Vom Praktikanten zum Vorarbeiter – das ist doch toll!“  

Thomas Pahls und Christian Rüschoff in einer großen Halle
Thomas Pahls (links) und Christian Rüschoff leiten die GUW. Die beiden Gartenbau-Profis haben das Unternehmen sowohl menschlich als auch wirtschaftlich nach vorne gebracht. Foto: LWL/Kopfkunst

Auf Augenhöhe

Dass Mitarbeiter wie Tobias Rottmann bei der GUW ihre Chancen so gut entfalten können, liegt auch am Führungsstil von Thomas Pahls und Christian Rüschoff. „Wir sind alle ein Team und begegnen unseren Leuten auf Augenhöhe“, sagt Pahls. Morgens begrüßt er jeden einzelnen Mitarbeiter per Handschlag. Und: „Hier duzt jeder jeden.“ Die beiden Chefs packen selbst mit an, und wenn etwas nicht klappt, wird das sofort besprochen. Denn die Motivation der Mitarbeiter ist für Pahls und Rüschoff das A und O eines erfolgreichen Unternehmens.

Zurück in der Grünanlage des Speditionsunternehmens: Vom Feuerdorn-Wildwuchs sind nur noch Häckselspäne übriggeblieben. Tobias Rottmann blickt zufrieden auf den Rückschnitt. Morgen wird er mit seinem Team zur nächsten Baustelle fahren. Er freut sich schon darauf.





Eine Anhängerkupplung für Rollstühle

Die Entwicklung des Erfinder-Duos der Teuto InServ aus Bielefeld ist ebenso simpel wie genial: zwei Mitarbeiter des Inklusionsunternehmens haben ein Kupplungssystem für den Rollstuhl entwickelt, an dem man Koffer, Transport- oder Kinderanhänger sicher befestigen kann. „Rollikup“ heißt diese Entwicklung von Andreas Neitzel und Eduard Wiebe, zusammengesetzt aus den Wörtern „Rollstuhl“ und „Kupplung“. Das System ist das weltweit erste seiner Art, denn anders als zum Beispiel schon existierende Kupplungen für Fahrradanhänger lässt sich „Rollikup“ auch hinter dem Rücken und mit einer Hand bedienen.

Das Entwickler-Team stellt seine Erfindung am Dienstag, 19. März, in der TV-Show „Das Ding des Jahres“ vor. Es bewirbt sich damit um ein Preisgeld von 100.000 Euro. Zur Jury gehören unter anderem der Moderator Joko Winterscheidt und das Model Lena Gercke. Die Show wird um 20.15 Uhr auf Pro Sieben ausgestrahlt.

Übrigens: Wenn ihr wissen wollt, was der Inklusionsbetrieb Teuto InServ sonst noch so alles macht, lest hier unser Porträt über das Unternehmen!




Mit viel Engagement für die gute Idee

Sein Inklusionsunternehmen, die Arbeit und Beschäftigung gGmbH, hat mittlerweile 70 Mitarbeiter. 2017 hat Ulrich Gerlach für sein Engagement das Bundesverdienstkreuz bekommen.


Herr Gerlach, Sie engagieren sich schon seit Jahrzehnten für Menschen, die es in unserer Gesellschaft nicht so einfach haben. Wie fing das an?

Im Grunde war das ein Zufall. Ich bin in Marsberg geboren und in einem Haus aufgewachsen, das 500 Meter Luftlinie entfernt von der 1814 gegründeten psychiatrischen Klinik lag. Damals war das noch nicht so eine moderne psychiatrische Fachklinik wie heute. Die so genannte „bewachende Psychiatrie“ war der Normalzustand. Dort wurden sowohl Menschen mit psychischen Erkrankungen als auch solche mit geistigen Behinderungen untergebracht. Neben den psychiatrischen Anstalten gab es kaum Alternativen, um Menschen mit seelischen und geistigen Erkrankungen oder Behinderungen angemessen zu betreuen und zu fördern. Die Menschen gehörten zum Stadtbild in Marsberg einfach dazu, sie spazierten mit ihren Betreuern durch den Ort und waren immer daran zu erkennen, dass sie in kleinen Gruppen unterwegs waren. Und weil ich praktisch nebenan wohnte, hatte ich sehr früh Kontakt mit ihnen.

Sie haben das Thema zu Ihrem Beruf gemacht und arbeiten heute als Sozialpädagoge in der Gerontopsychiatrie der LWL-Klinik Marsberg. Warum haben Sie sich so früh auch noch darüber hinaus engagiert?

Viele der Menschen mit Behinderung, die ich in den 1980er-Jahren betreut und kennengelernt habe, waren ganz unglücklich mit ihrer beruflichen Situation. Sie gingen für ein Taschengeld zur Arbeit in Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Zugleich definiert sich unsere Gesellschaft stark über die Arbeit. Das betrifft Menschen mit einer psychischen Behinderung ganz genauso, und viele hätten gern mit ihrem Job ihren Lebensunterhalt verdient. Für uns Pädagogen und Therapeuten war das ein wichtiger Impuls. Wir fingen mit der so genannten ausgelagerten Arbeitstherapie an, bei der die Patienten für kurze oder längere Zeit unter realistischen Bedingungen ausprobieren konnten, wie sie mit einem „normalen“ Arbeitsalltag klarkommen würden. Dafür absolvierten sie Praktika in Marsberger Firmen und Betrieben und wurden dabei von uns begleitet. Das Ziel war schon damals, sie irgendwann in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis zu vermitteln, mit dem sie dann eigenständig ihren Lebensunterhalt würden verdienen können.

Hat das funktioniert?

Das Problem war, dass sich an den „normalen“ Arbeitsplätzen oft großer Druck aufbaute, dem viele Menschen mit Behinderung nicht standhielten – sie wurden krank oder waren völlig überfordert, so dass es immer wieder Probleme im Betrieb gab. Da war für meine Kollegen und mich klar: Wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, in denen unsere Patienten passend zu ihren persönlichen Voraussetzungen einer angemessen entlohnten, sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgehen konnten. Wir brauchten also ein neues Unternehmens-Format, das irgendwo zwischen Werkstatt für behinderte Menschen und allgemeinem Arbeitsmarkt liegen musste.

Gab es solche Betriebskonzepte schon?

Die Dalke GmbH in Gütersloh verfolgte schon eine ähnliche Idee. Wir haben uns dort informiert und danach weiter überlegt. Wir wollten zuerst einen großen Träger ansprechen, hatten aber die Befürchtung, dass wir durch viel zu viele Instanzen gemusst hätten. Wir wollten keine Zeit verlieren. Also haben wir uns für die Vereinsform entschieden. Damit blieben wir klein und beweglich. Zugleich war das rechtlich am unkompliziertesten, denn als Verein konnten wir nur bei grober Fahrlässigkeit juristisch haftbar gemacht werden. Das war sehr wichtig, weil mein damaliger Kollege im Vorstand und ich persönliche Bürgschaften übernommen hatten, um den Verein überhaupt auf die Beine stellen zu können. Und weil wir uns damit privat in großes Risiko begeben hatten, mussten wir alle Unwägbarkeiten so gering wie möglich halten.

Sie sprechen von Ihrem Kollegen im Vorstand, mit dem Sie den „Verein für Arbeit und Beschäftigung für psychisch Behinderte Marsberg e. V.“ gegründet haben. Waren nur Sie beiden an der Gründung beteiligt?

Nein. Zu einer Vereinsgründung sind mindestens sieben Personen erforderlich. In der Gründungsversammlung sind 17 Personen dem Verein beigetreten und haben meinen Kollegen Norbert Wild zum Geschäftsführer und mich zum ersten Vorsitzenden gewählt. Alle Mitglieder hatten einen beruflichen oder persönlichen Bezug zu Menschen mit einer psychischen Behinderung. Der Verein war von Anfang nur als Träger der Selbsthilfefirma „Inselwerkstatt“ gedacht. Unsere Firma war damit der Vorläufer des heutigen Integrationsunternehmens.

Wie ging es danach weiter?

Wir haben in einer alten Malerwerkstatt angefangen und den Betrieb mit zusätzlichen Räumen in einer alten Bäckerei erweitert. Das Ziel war damals, zehn sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze zu schaffen. Wir übertrafen uns aber schnell selbst, die Selbsthilfefirma wurde ein regelrechter Selbstläufer. Parallel zu den sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen haben wir Praktikumsstellen angeboten, um überhaupt erste Möglichkeiten und Vorstufen zu schaffen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wieder an eine geregelte Arbeit heranzuführen. Die Menschen sollten sich bei uns ausprobieren können. Für die Anleitung dazu brauchten wir über kurz oder lang Fachleute. Wir hatten Glück und konnten einen damals arbeitslosen Sozialarbeiter als pädagogische Leitung des Betriebs gewinnen, außerdem einen Techniker und eine Heilerziehungspflegerin. Diese Kollegen waren Angestellte, nur der Vorstand des Vereins bestand also aus Ehrenämtlern. Das hatten wir aber auch von Anfang an so geplant. Wir wollten ja einen richtigen Betrieb aufbauen und die Menschen bezahlen, die darin arbeiteten.

Was hat ihr Unternehmen denn produziert beziehungsweise als Leistung angeboten?

Wir haben von Beginn an Verpackungs- und Kleinteilmontagearbeiten für Industriebetriebe aus der Region angeboten. 1994 haben wir dafür die erste 600 Quadratmeter große Halle gebaut. Unsere Mitarbeiter haben dort zum Beispiel Schlauchschellen bearbeitet, Biegearbeiten erledigt oder auch kompliziertere Aufgaben übernommen. Uns war wichtig, dass wir nicht nur einen Großkunden hatten, sondern mehrere kleine. So war das Risiko verteilt. Im Laufe der Jahre kamen immer mehr Kunden und Mitarbeiter dazu. Das Ganze wuchs so stark, dass die Rechtsform als Verein irgendwann nicht mehr geeignet war. Wir mussten damals für Einkäufe und Personalkosten schon in Millionenhöhe in Vorleistung gehen. Im Jahr 2001 bauten wir uns deshalb in eine gemeinnützige GmbH um. Den Verein gibt es nach wie vor, aber er ist jetzt einziger Gesellschafter der gGmbH.

Was für eine Unternehmenskultur pflegen Sie in Ihrem Betrieb?

Ganz wichtig ist eine tolerante Haltung zu Fehlern, die nun einmal passieren – uns selbst, aber auch unseren Mitarbeitern. Das ist eine sehr entscheidende Voraussetzung dafür, dass unser Unternehmenskonzept überhaupt funktioniert. Wir haben den Verein damals ja vor allem gegründet, weil der Druck in den regulären Betrieben für die Menschen mit seelischen Behinderungen oft zu hoch war. Bei uns werden sie ihren Talenten und Fähigkeiten entsprechend gefördert. Ihr Arbeitsplatz gestaltet sich um sie herum, nicht umgekehrt. Und sie dürfen dort eben auch mal scheitern! Trotzdem gelingt es uns, den hohen Ansprüchen unserer Kunden gerecht zu werden. So sind wir zum Beispiel als „A-Lieferanten“ eingestuft und nach der Norm DIN EN ISO 9001:2000 zertifiziert worden, die das Qualitätsmanagement eines Unternehmens beurteilt.

Ist es nicht ein großer Widerspruch, als Konkurrent zu anderen Unternehmen auf dem ersten Arbeitsmarkt agieren zu wollen und gleichzeitig eine Art „geschütztes Umfeld“ zu schaffen?

Das klingt erstmal so, ja. Aber es funktioniert gut, wir haben viele zufriedene Kunden und unser Konzept trägt sich schon seit Jahren. Und neben uns gibt es in ganz Deutschland ja insgesamt schon über 700 Integrationsunternehmen, das scheint also auch andernorts gut zu klappen. Das Thema Controlling ist für mich aber zum Beispiel ein ganz schwieriges. Wenn wir immer erst mal alles in Frage stellen und alles bis ins Kleinste kontrollieren, gibt es auch nie neue Ideen, Umwege und Zufälle. Damit versperren wir den Weg für Eigeninitiative, Aktion und am Ende auch für den Fortschritt. Eine wertschätzende, vertrauensvolle Zusammenarbeit schafft Zufriedenheit bei den Mitarbeitern und ist aus meiner Sicht die Voraussetzung dafür, dass sie sich in hohem Maße mit der Firma und mit dem Arbeitsplatz identifizieren können.

Wie sehen Sie den Stand der Inklusion heutzutage?

Die Inklusion wurde aus meiner Sicht in vielen Lebensbereichen völlig übers Knie gebrochen. Sie lässt sich aber nicht von oben nach unten durchboxen. Es fehlte und fehlt nach wie vor die Möglichkeit, sie nach und nach wachsen zu lassen – so etwas Großes geht nicht von heute auf morgen, für niemanden. Man braucht dafür Menschen, die bereit sind, die dahinterstehende Idee mitzutragen. Man kann zwar anregen und einen Rahmen schaffen, so wie wir mit der AuB. Zugleich muss die Politik aber auch unbedingt die „Basis“ stärken, damit irgendwann größere Veränderungen möglich werden. Das gilt auch für das Arbeitsleben. Wie ich schon sagte: Wir müssen nach und nach gute Rahmenbedingungen schaffen, die dabei helfen, die Fähigkeiten von Menschen zu fördern und sie zu motivieren. Gleichzeitig müssen wir aber auch eine Kultur pflegen, in der Fehler zugelassen werden und in der es bis zu einem gewissen Punkt in Ordnung so ist, dass nicht immer alles perfekt läuft – sonst wird es nie gleichberechtigt zugehen.

Wie wichtig sind Ihrer Meinung nach ehrenamtlich engagierte Menschen beim Thema Inklusion?

Ohne das Ehrenamt geht das meines Erachtens nicht. Wir brauchen für solche großen gesellschaftlichen Veränderungen immer Menschen, die eine intrinsische Motivation haben, etwas voranzubringen. Das kann man nicht „verordnen“ und das nötige Engagement von allen gleichermaßen verlangen, erst recht nicht von professionellen Mitarbeitern zum Beispiel in den Regelschulen, die – selbst wenn sie hochmotiviert bei der Sache sind – schon zur Genüge mit anderen Aufgaben beschäftigt sind. Bei uns in Marsberg betrifft das zum Beispiel auch kleinere Bereiche. Hier können wir immer Ehrenamtliche im Freizeitbereich gebrauchen, weil in der Zusammenarbeit mit Menschen mit Behinderung, aber auch mit älteren Menschen etwa mit Demenzen gerade die sozialen Kontakte und zwischenmenschlichen Begegnungen sehr wichtig sind – und diese fehlen leider oft. Dazu können wir aber nicht Mitarbeiter „verpflichten“. Deshalb ist das Ehrenamt hier so wichtig: Wer sich freiwillig engagiert, der meint es auch wirklich so und hat eine ehrliche Freude daran.

Wenn jemand auf Sie zukommen und sagen würde: ‚Ich habe große Lust, mich zu engagieren, weiß aber gar nicht, wie und wo!‘ Was würden Sie antworten?

Dem würde ich sagen: Setzen wir uns doch mal auf einen Kaffee zusammen – und dann schauen wir, was wir verwirklichen können!




Viel Unterstützung für andere leisten

Konzentriert blickt Anja Grune auf die Liste, die vor ihr an der Wand hängt. Aufgeführt sind dort die Bewohnerinnen und Bewohner des Pflegeheims »Wohlbehagen im Lukaspark«. In der blitzsauberen Küche schaut sie gerade nach, wer Fleisch isst und wer sich lieber vegetarisch ernährt, wer eine spezielle Diät einhalten muss oder bestimmte Nahrungsmittel nicht essen darf. „Das ist immer unterschiedlich“, sagt die junge Frau mit der Brille und der roten Schürze. „Bei 120 Menschen, die mittags hier zum Essen kommen, müssen wir schon aufpassen, dass jeder das Richtige bekommt.“

Anja Grune ist eine von 32 Menschen mit psychischen, körperlichen oder geistigen Handicaps, die für das Integrationsunternehmen Dienstleistungen für Gesundheitswesen GmbH (DfG) arbeiten. Der Betrieb betreut im Auftrag des Pflegeunternehmens »Wohlbehagen« vor allem demente ältere Frauen und Männer in insgesamt vier Pflegeeinrichtungen in Hagen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Behinderungen arbeiten mit den Beschäftigten des Pflegheims im Stadtteil Eckesey eng zusammen und sind mit vollem Einsatz und Spaß dabei. Alle duzen sich gegenseitig und die Stimmung auf den drei Etagen des gemütlich eingerichteten Hauses wirkt ausnehmend gut. Sie übernehmen sämtliche Dienste rund um die Verpflegung der Bewohnerinnen und Bewohner, geben Essen aus, bereiten das Kaffeetrinken vor, spülen Geschirr.

Stetiger Ausbau seit 2010

Das Pflegeunternehmen »Wohlbehagen «, das vor 22 Jahren mit ambulanten Diensten startete, beschäftigt mittlerweile 330 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ein fünftes Heim entsteht Anfang Juli diesen Jahres. Auch für die neue Einrichtung will Willi Strüwer wieder auf die integrativen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von DFG setzen. Das Unternehmen wird vom LWL unterstützt, indem es Leistungen zum Ausgleich für Minderleistung der Menschen mit Behinderung und, oder einen Zuschuss zum Besonderen Betreuungsaufwand erhält. „Wir werden dann sicherlich noch sechs bis acht weitere Beschäftigte mit Behinderungen einstellen“, sagt der Betriebsleiter der DFG und Mitglied der Geschäftsführung des Gesamtunternehmens. 

Entstanden ist die DFG aus einer langjährigen Zusammenarbeit des Pflegedienstes mit einem bestehenden Integrationsunternehmen. Die dort angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übernahm das neu gegründete Unternehmen DFG im Jahr 2009 und baute seither kräftig aus. Seit 2012 zum Beispiel ist Dennis Behrendt dabei, ein aufgeschlossener 28-Jähriger, der ebenfalls in der Küche Essen vorbereitet, aber auch an anderen Stellen eingesetzt werden kann. „Dennis ist sehr flexibel“, sagt Willi Strüwer, der auf Probebeschäftigung und eine intensive Einarbeitung Wert legt. Den jungen Mann beobachtet der Sozialpädagoge gerne bei der Arbeit. „Es ist einfach sehr schön zu sehen, wie ein Mensch, der allgemein als hilfsbedürftig betrachtet wird, seinerseits sehr viel Unterstützung für andere leistet.“ Für die Seniorinnen und Senioren zum Beispiel, denen Dennis Behrendt mit einem Lächeln und ein paar Worten das Essen an den Tisch bringt, aber auch für die Pflegekräfte und Krankenschwestern, die sich dank der Unterstützung des ortsansässigen Hageners mehr Zeit für ihre Aufgaben nehmen können.

Engmaschige Betreuung

Dieses Miteinander findet Willi Strüwer sehr wichtig. Das Unternehmen schafft es zudem, kleinere Konflikte, die hier wie an jedem Arbeitsplatz entstehen, durch eine engmaschige Betreuung schnell beizulegen. Monatliche Teamtreffen sorgen für Kontinuität. Zudem hat die DFG einen Pfarrer freiberuflich beschäftigt, der die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Behinderungen auch schon aus dem Vorgängerunternehmen kennt. „Er ist Ansprechpartner und steht allen zur Verfügung, wenn es mal Reibereien gibt“, sagt Willi Strüwer. „Die Stimmung darf nicht leiden. Denn am Ende arbeiten wir alle dafür, dass sich unsere Bewohnerinnen und Bewohner wohlfühlen können.“




Auf Sperrmülltour im Kreis Lippe

Der Entsorgungsbetrieb hat 48 Mitarbeiter, viele von ihnen haben eine Behinderung oder waren lange arbeitslos. „Der Job war für mich ein echter Glücksgriff“, freut sich Frank Garz, der sich zuvor vier Jahre lang mit Zeitarbeit durchgeschlagen hat. Eine feste Stelle war auch für Björn Richter zuvor nicht drin, er sortierte und verkaufte früher Bücher. Der 43-Jährige ist ebenfalls froh, dass es heute anders ist: Er und seine Kollegen sind fest und unbefristet bei der AGA angestellt.

Frank Garz steuert den weißen Siebeneinhalb-Tonner, mit dem die kleine Truppe bei ihren Fahrten einen strammen Plan schafft. Zehn verschiedene Orte sind es durchschnittlich pro Tour, die angefahren werden müssen. „Wir entlasten uns bei der Arbeit gegenseitig und passen aufeinander auf“, sagt Garz und blickt zu seinem Kollegen Klaus-Dieter Weiß, der auf dem Beifahrersitz Platz genommen hat und zustimmend nickt. Der 52-Jährige hat eine angeborene Sprachstörung, Konzentrationsschwierigkeiten und ein stark eingeschränktes Arbeitstempo, er darf nur leichte bis mittelschwere Arbeiten erledigen. Für das Team ist das kein Problem: Jeder hilft einfach dort, wo der andere Schwierigkeiten hat.

Zusätzlich werden die Routen von der AGA bewusst so geplant, dass die Mitarbeiter nach einer körperlichen Belastung längere Ruhepausen einlegen können. Ein Prinzip, das auch Björn Richter schätzt, der ebenfalls eine Behinderung hat. Er kann nicht gut sehen und muss sich wegen seiner Diabetes-Erkrankung regelmäßig Spritzen setzen. Mit dem Job ist das aber gut zu vereinbaren. Und: „Die anderen haben immer eine Auge darauf, dass ich mich nicht übernehme.“ Der 43-Jährige sitzt zwischen seinen beiden Kollegen in der Fahrerkabine des Lasters, einem von sechs Fahrzeugen, die im Kreis Lippe fünf Tage die Woche unterwegs sind. Mit dem Fuhrpark werden pro Jahr 162.000 Kilometer zurückgelegt, immer im Team aus einem Fahrer und zwei Beifahrern.

Drei AGA-Mitarbeiter vor einem weißen LKW, der vor einem großen Gebäude steht
Björn Richter, Klaus-Dieter Weiß und Frank Garz (von links) sind für die AGA im Kreis Lippe unterwegs. Foto: Thorsten Arendt.

Die AGA ist eines der ältesten Integrationsunternehmen in Westfalen-Lippe. Es begleitet seit der Gründung im Jahr 1987 Jugendliche und Erwachsene dabei, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. ‚Integration durch Arbeit‘ ist das Motto der Firma, die vorwiegend Menschen mit Behinderungen, psychischen Problemen oder nach einer Langzeitarbeitslosigkeit beschäftigt. „Bei anderen Firmen bekommen diese Menschen oft keine Chance, obwohl sie gute Arbeit leisten“, erklärt Jens Fillies, einer der Geschäftsführer. Auch sein Kollege Ulrich Schlotthauer weiß: „Es geht nicht so sehr um die Kraft des einzelnen Mitarbeiters, sondern um das ‚Gewusst wie‘“. Damit kennen sich beide Chefs gut aus. Sie sind Experten in der Entsorgungsbranche, wissen, wie die Teams organisiert, worauf dabei geachtet und welche Fähigkeiten vermittelt werden müssen: „Dann können drei Leute mit Sackkarren und einer Ladebordwand auch schon mal ganze Möbelberge versetzen.“

Guter Ruf in der Region

Das Unternehmen erfüllt eine wichtige Aufgabe, die zugleich dem gesamten Gebiet dient. „Die AGA ist politisch gewollt und wird von einem breiten gesellschaftlichen Konsens in der Region getragen“, bestätigt Dr. Axel Lehmann, der Landrat des Kreises Lippe. Seit zwanzig Jahren sorgt das Unternehmen nicht nur dafür, dass Sperrmüll abgefahren wird, sondern übernimmt auch die Verwertung und Entsorgung im hauseigenen Recyclinghof. Bis zu 35 Tonnen weiterverwendbare Wertstoffe kommen hier jeden Tag zusammen, die meist mit vielen Leuten aufwändig in Handarbeit zerlegt und sortiert werden.

Die AGA ist damit auch ein Beschäftigungsprojekt, sagt Jens Fillies. Zugleich arbeitet es ökologisch, weil sehr viele Schadstoffe sauber entsorgt werden können. Unter dem Strich rechnet sich das Unternehmen sogar besser für die Menschen in der Region, weil es so nachhaltig ist. Der Kreis Lippe arbeitet eng mit dem zertifizierten Entsorgungsfachbetrieb zusammen. Vor zwei Jahren wurden die Verträge verlängert, die die Aufgabenverteilung zwischen den Entsorgungsbetrieben regeln. Der AGA sichert diese Vereinbarung bis 2024 zu, dass sie die Sperrmüll-Abfuhr und -Verwertung für den Kreis übernehmen darf.

Landrat Dr. Axel Lehmann und AGA-Geschäftsführer Jens Fillies vor einem weißen LKW mit AGA-Aufschrift
Landrat Dr. Axel Lehmann (links) und Geschäftsführer Jens Fillies arbeiten eng zusammen. Foto: Thorsten Arendt

Der Leiter des Recyclinghofs Roy Schnormeier beobachtet vor allem, dass seine Teams durch die Arbeit Tugenden wie Pünktlichkeit, Fleiß und Teamarbeit an sich wiederentdecken – und ergänzt, dass Angestellte wie Frank Garz hier auch das Führen und Delegieren lernen. Viele seiner Leute seien wirklich fit für den ersten Arbeitsmarkt, unterstreicht der Betriebsleiter. Er selbst wechselte aus der freien Wirtschaft in das Integrationsunternehmen. Die Handicaps der Mitarbeiter waren für ihn nie ein Problem – im Gegenteil: „Für mich ist das neu, das ein Unternehmen auf diese Weise soziales Engagement mit Wirtschaftlichkeit verbindet. Das ist für mich eine sehr faszinierende Erfahrung.“




Gemeinsam wachsen

Günter Bruns stützt sich mit der linken Hand auf einen Stapel kantiger Stahlprofile, der auf einem Laster vor seiner Werkshalle liegt. Mit der anderen Hand streicht der Unternehmer über die Innenseite eines der Profile. Er prüft dabei ein massives Metallteil, das in den dünnen Spezialstahl geschweißt ist. „Der Einsatz ist sehr sauber gearbeitet“, sagt der Geschäftsführer von Metallbau Bruns zufrieden. Das muss auch so sein, denn später werden die fertigen Stahlprofile zu Teleskop-Auslegern für Auto- und Anhängerkrane, Hubarbeitsbühnen und Radlader zusammengesetzt und müssen große Lasten tragen.

Die Einsätze bezieht der 67-Jährige vom Unternehmen Transfair Montage, das gleich gegenüber von Bruns’ eigener Werkshalle im Ortsteil Maria Veen der Gemeinde Reken liegt. Das Besondere: Die Firma ist ein Integrationsunternehmen. 41 der 71 Mitarbeiter haben eine Behinderung. Hinter der Firma steht die Josefs-Gesellschaft aus Köln, die rechtlich unabhängig von Transfair ist, aber dennoch eng mit dem Integrationsbetrieb zusammenarbeitet. Weil diese Kooperation so gut funktioniert, hat Günter Bruns, der sich vor 13 Jahren selbstständig machte, seine Firma mit dem Integrationsunternehmen zum „Fachzentrum Metall“ zusammengeschlossen. Seitdem wachsen die Firmen Wand an Wand – und davon profitieren alle. „Das hier ist wie mehrmals sechs Richtige“, findet Bruns.

Günter Bruns prüft ein fertig gearbeitetes Metallteil
Günter Bruns ist Geschäftsführer von Metallbau Bruns, ein Unternehmen, das eng mit Transfair Reken kooperiert. Hier prüft er ein fertig gearbeitetes Metallteil. Foto: Thorsten Arendt

Auch für Alexander Ulrich ist die Arbeitsweise des Fachzentrums ein echter Gewinn. Der heute 28-jährige Mitarbeiter bei Transfair hat bei einem Autounfall seinen rechten Arm verloren. Dank einer computergesteuerten Fräsmaschine kann er aber weiterhin seinen Job machen. Das hochmoderne Gerät schaffte der Integrationsbetrieb unter anderem mit Mitteln des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe an. In einer schallgeschützten Kabine fräst die CNC-Maschine alle Werkstücke exakt so, wie Ulrich und seine Kollegen es vorher programmiert haben. Auch die althergebrachten Fräsen kann der junge Mann selbst bedienen – für kompliziertere Musterstücke ist das nach wie vor gefragt. Transfair Montage gibt es schon seit zwei Jahrzehnten. Während dieser Zeit ist es auch in anderen Bereichen gewachsen und hat sein Repertoire ständig erweitert. „Wir können heute E-Technik, Stahl und Eis“, beschreibt Jürgen Böbisch, seit sechs Jahren technischer Geschäftsführer, das vielseitige Unternehmen. Der Grund für diesen Satz: Der Betrieb hat vor gut einem Jahr mitten im Dörfchen Maria Veen eine hochmoderne Eisdiele eröffnet – die Eis Lounge. Auch diese jüngste Tochter ist ein Integrationsunternehmen.

Lange Geschichte und neue Pläne für die Zukunft

Im E-Technik-Bereich von Transfair wiederum hat Recep Öztürk aus Borken einen neuen Arbeitsplatz gefunden. Mit drei Jahren erkrankte er an Kinderlähmung, seither lebt der 43-Jährige mit Rollstuhl. Er arbeitet heute in einer hellen und modernen Halle, die das Unternehmen einen Steinwurf entfernt vom Metall-Zentrum errichtet hat. Der Industrie-Elektroniker und seine Kollegen bestücken und löten hier mit großer Sorgfalt Platinen und Netzteile und verdrahten Schaltungen. Die Platinen werden später beispielsweise in Schaltschränken und Kabelbäumen von Hubsteigern verbaut.

Recep Öztürk bearbeitet in der Transfair-Werkstatt Schaltungen
Recep Öztürk verarbeitet Platinen, Netzteile und Schaltungen. Der Rollstuhlfahrer ist im Elektrotechnikbereich von Transfair tätig. Foto: Thorsten Arendt

Neben der Qualität der Produkte müssen natürlich auch die Zahlen stimmen. Darum kümmert sich seit fünf Jahren Thomas Spaan als kaufmännischer Geschäftsführer des Unternehmens. Der gelernte Banker und Betriebswirt führt zusammen mit einem Kollegen außerdem die Muttergesellschaft von Transfair Montage, den katholischen Träger Benediktushof. Seit über einem Jahrhundert bildet diese Organisation Menschen mit Behinderungen aus und ist seit noch längerer Zeit ein Partner der Wirtschaft. Die große Erfahrung von Spaan und seinen Kollegen ist auch für die Kunden ein Argument. „Metallbau Bruns ist nicht unser einziger Industrie-Kunde, aber auf jeden Fall einer der wichtigsten für die Entwicklung des Integrationsunternehmens“, unterstreicht der kaufmännische Geschäftsführer. Und das soll auch in Zukunft so bleiben.

Günter Bruns hat seinerseits viel vor mit dem wachsenden Gewerbegebiet in Maria Veen, das durch eine Bahnstrecke und große Autobahnen gut an die Umgebung angebunden ist. Die Voraussetzungen für eine Erweiterung sind also optimal – auch für Transfair Montage, das wie die anderen Firmen künftig weiter wachsen und noch mehr hochwertige Arbeitsplätze für Menschen mit und ohne Behinderung anbieten will. –