Vier Fragen an… Gregor Doepke, kommmitmensch-Kampagne

#1: Herr Doepke, wen möchten Sie mit Ihrer Kampagne ansprechen – und was möchten Sie erreichen?

„kommmitmensch“ richtet sich an Betriebe und öffentliche Einrichtungen. Unser Ziel ist es, dort für sichere Arbeitsplätze der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu sorgen und ihnen dabei zu helfen, gesund zu bleiben. Damit das gelingt, müssen alle im Unternehmen dieses Thema im Kopf haben: Wie können wir schwere oder sogar tödliche Arbeitsunfälle vermeiden? Wie können wir aus Fehlern lernen und was können wir tun, damit sie gar nicht erst passieren? Leben auch die Vorgesetzten im Unternehmen vor, dass ihnen Sicherheit und Gesundheit wichtig sind? Unsere Kampagne besteht nicht nur aus einzelnen Aktionen, sondern soll einen echten Kulturwandel in möglichst vielen Betrieben anstoßen.

#2: Wie unterstützen Sie Betriebe und Organisationen bei diesem „Kulturwandel“?

Oft beginnt damit ein längerer Prozess, den die Mehrzahl der Beteiligten aber als spannend empfinden und für den sie gerne bereit sind, sich zu engagieren. Ein Beispiel: Wir stellen auf unserer Website eine Toolbox bereit, also eine Art „Werkzeugkasten“ zum Mitmachen. Darin sind etwa ein Arbeitsposter und Fragekarten für den „kommmitmensch-Dialog“ enthalten. Die Fragekarten werden gern genutzt und sind dazu gedacht, im Team eines Betriebs oder innerhalb einer Gruppe von Vertreterinnen und Vertretern der Abteilungen ein Gespräch anzuregen: Wo wünscht sich wer welche Veränderungen? Welche Verbesserungsmöglichkeiten sehen die Beteiligten – und wo genau?
Mit den Karten und unseren anderen kostenfreien Tools können Betriebe herausfinden, welchen Stellenwert Sicherheit und Gesundheit in ihrer Unternehmenskultur aktuell schon haben.
Dabei kann manchmal herauskommen, dass die Verantwortlichen erst dann reagieren, wenn schon ein Unfall passiert ist – das wäre im Sinne der Prävention zu spät, dann sollten im Betrieb möglichst schnell entsprechende Veränderungen angestoßen werden. Vielleicht kümmern sich aber auch schon jetzt alle Verantwortlichen im Betrieb gemeinsam darum, dass es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern richtig gut geht und sie sich wohl fühlen. Das wäre der Optimalzustand. Dafür muss ein Unternehmen zwar einiges investieren, aber es gewinnt dabei auch: gesunde und zufriedene Mitarbeiter nämlich. Und die schaffen erwiesenermaßen mehr und leisten bessere Arbeit.

#3: Welche Rolle spielt das Thema Barrierefreiheit am Arbeitsplatz bei Ihrer Kampagne?

Die Schwerpunkte von „kommmitmensch“ sind zwar Gesundheit und Sicherheit, diese Themen hängen aber sehr eng mit Barrierefreiheit zusammen. Menschen mit einer Behinderung oder einer chronischen Erkrankung brauchen als „Grundausstattung“ ohnehin erst einmal eine barrierefreie Arbeitsumgebung, damit sie ihren Job überhaupt machen können und erfolgreich sind. Ein gemeinsames Arbeiten auf Augenhöhe trägt zu einem guten Betriebsklima bei – und das ist sehr wichtig, um gesund zu bleiben.
Das gleiche gilt übrigens auch für Veranstaltungen wie etwa Messen oder Seminare. Auch die müssen barrierefrei gestaltet sein, damit wirklich jeder teilnehmen und sich einbringen kann. Viele Organisatorinnen und Organisatoren haben bei der Planung vor allem die Gäste ihrer Veranstaltungen im Blick. Wir raten dazu, unbedingt auch an die Menschen zu denken, die auf der Bühne eine Aufgabe übernehmen: Gibt es Headsets für die Vortragenden, die kein Mikrofon festhalten können? Stehen höhenverstellbare Stehpulte und nicht zu steile Rampen für Menschen mit Rollstuhl bereit? Solche und viele andere Tipps haben wir in einer Broschüre zusammengetragen, die kostenlos bei uns heruntergeladen werden kann.

#4: Ihrer Erfahrung nach: Haben Veranstalterinnen und Veranstaltern das Thema Barrierefreiheit schon gut im Kopf – oder sehen Sie noch Verbesserungsbedarf?

Viele haben das Thema ganz gut im Blick, es gibt aber immer noch einiges zu tun. Die Branchenstudie „Meeting- und Event-Barometer“ zum Beispiel hat untersucht, wie barrierefrei Kongresse, Messen und Freizeitveranstaltungen – zum Beispiel Konzerte – gestaltet sind.
Das Ergebnis: Nur 35 Prozent der Organisatorinnen und Organisatoren, die für die Studie befragt wurden, schätzen ihr Angebot als vollkommen barrierefrei ein. Dabei muss man aber eines bedenken: Viele haben beim Stichwort ‚Barrierefreiheit‘ vor allem bauliche Begebenheiten im Kopf, die aber erst einmal nur für Menschen wichtig sind, die mit dem Rollstuhl oder einer Gehhilfe unterwegs sind. Menschen mit Hör- oder Sehbehinderung werden dabei oft vergessen, genauso wie Menschen mit geistiger Behinderung. Wir möchten auch hier mit unserer Broschüre ein wenig Aufklärungsarbeit leisten und einen Überblick geben, welche Barrieren bei Events entstehen und wie Veranstalterinnen und Veranstalter sie beseitigen können.






„Die Arbeitswelt braucht Querdenkerinnen und Querdenker“

Herr Kuhlemann, wie kamen Sie auf die Idee, ein Unternehmen zu gründen, das Menschen mit Autismus im Beruf unterstützt?

René Kuhlemann: Ich habe einen sehr persönlichen Bezug zu dem Thema, genauso wie Dirk Müller-Remus, mit dem ich das Unternehmen zusammen gegründet habe. Ich bin selbst Asperger-Autist und Dirks Sohn ebenfalls. Dirk und mich hat es sehr beschäftigt, dass so viele Autisten in Deutschland arbeitslos sind – und das, obwohl viele von ihnen überdurchschnittliche Kenntnisse und Fähigkeiten haben. Deshalb haben wir überlegt, wie wir Autisten dabei unterstützen können, ihre Stärken besser zu nutzen und einen Platz im ersten Arbeitsmarkt zu finden. Dirk hat mit dieser Idee auch schon in seinem ersten Start-Up auticon sehr gute Erfahrungen gemacht, das allerdings eine reine IT-Beratung ist und ausschließlich autistische IT-Consultants beschäftigt. Mit Diversicon wollen wir eine größere Zielgruppe ansprechen, also Autisten, deren Interessen und Talente außerhalb des IT-Bereichs liegen oder die weniger belastbar sind und nicht in wechselnden Projektumfeldern arbeiten können.

Frau Ollech, Sie sind kurz nach der Gründung eingestiegen. Hatten auch Sie vor Diversicon einen so direkten Bezug zum Thema?

Sally Ollech: Nein, für mich war die Auseinandersetzung mit Autismus und Neurodiversität neu. Aber die Idee hat mich damals sofort überzeugt und begeistert. Ich habe außerdem 2012 die Organisation „querstadtein“ mitgegründet, die Stadtführungen durch Berlin und Dresden anbietet, die von obdachlosen und geflüchteten Stadtführerinnen und -führern geleitet werden. Ich hatte also schon Erfahrung mit dem sozialunternehmerischen Ansatz, auf die Ressourcen und Stärken von Menschen zu setzen. Diese Erfahrungen der Organisationsentwicklung bringe ich jetzt bei Diversicon mit ein. René ist der Experte für das Thema Autismus in unserem Geschäftsleitungsteam – das ergänzt sich sehr gut.

Wie unterstützen Sie mit Diversicon Menschen mit Autismus konkret bei der Berufswahl und im Beruf?

Ollech: Wir haben unser Angebot in drei Bausteine aufgeteilt. Das erste Element ist die berufliche Orientierung. Wir unterstützen Autistinnen und Autisten in einem achtwöchigen Kurs dabei, ihre Stärken zu erkennen und sich konkrete berufliche Ziele zu stecken. Im zweiten Schritt beraten und begleiten wir die Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer während der anschließenden Bewerbungsphase. Und wenn sie eine feste Stelle gefunden haben, bieten wir ihnen als dritten Baustein an, sie mit einem Jobcoaching weiterhin zu begleiten. In Zukunft möchten wir unser Angebot noch erweitern und gezielt Schülerinnen und Schüler beim Übergang in den Beruf unterstützen. So könnten künftig mehr junge Menschen im Autismus-Spektrum direkt nach dem Schulabschluss auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen und einen Beruf wählen, der gut zu ihnen passt.

Kuhlemann: In der Bewerbungsphase schalten wir uns auch aktiv ein, indem wir auf die potentiellen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zugehen. Die dadurch entstehenden direkten Kontakte zwischen Firmen und Bewerberinnen und Bewerbern wären anders oftmals nicht zustande gekommen. Ein wichtiger Teil unseres Konzeptes ist es auch, die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zu beraten und dabei zu unterstützen, vielfältigere Teams in ihren Firmen aufzubauen. Und wir informieren und sensibilisieren die Arbeitsagenturen und Jobcenter für das Thema. In Zukunft wollen wir noch mehr tun und eine autismusspezifische Sozial- und Teilhabeberatung aufbauen.

Wer darf Ihre Angebote nutzen?

Kuhlemann: Grundsätzlich alle Menschen im Autismus-Spektrum. Bisher hatten wir Teilnehmerinnen und Teilnehmer von 19 bis 54 Jahren dabei, es gibt also in keine Richtung eine Altersbegrenzung. Wer möchte, kann sich online mit ein paar Angaben zu ihrer oder seiner Person und zum bisherigen Werdegang bewerben. Es ist übrigens nicht zwingend nötig, eine Diagnose einzuholen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie lang die Wartezeiten bei den verschiedenen Diagnosestellen oft sind, außerdem möchte ja auch nicht jede und jeder die Tests und Untersuchungen dafür machen. Unser Ansatz ist es deshalb, nach der Anmeldung zum Kurs erst einmal ausführlich mit jeder Interessentin und jedem Interessenten zu sprechen. Wir möchten sie so kennenlernen und können danach besser einschätzen, ob ein Kurs bei Diversicon sie weiterbringen kann oder nicht. Entscheidend ist auch, ob jemand motiviert an die Sache herangeht und ob sie oder er in eine Kursgruppe passt.

Was kosten Ihre Kurse und Coachings und wo finden sie statt?

Ollech: Für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind unsere Leistungen kostenlos. Je nach Zuständigkeit werden die Kurse, Beratungen und Coachings durch die Agentur für Arbeit, das Jobcenter oder die Rentenversicherung finanziert. Allerdings gibt es uns bisher nur in Berlin. Grundsätzlich können sich zwar gerne auch Interessentinnen und Interessenten aus anderen Bundesländern zu unseren Kursen anmelden und sie werden dabei in der Regel auch vom zuständigen Träger unterstützt. Doch da unser Kurs zwei Monate dauert, müssen Teilnehmerinnen und Teilnehmer von außerhalb für diese Zeit eine Unterkunft in Berlin finden. Das ist leider nicht allen möglich. Mittelfristig wollen wir unsere Kurse und die Jobvermittlung aber auch in anderen Regionen Deutschlands anbieten.

Ihr Ansatz ist es, auf die Stärken von autistischen Menschen zu schauen. Welche sind das?

Kuhlemann: Dazu gibt es einen schönen Satz aus der Community: „Kennst Du einen Autisten, kennst Du einen Autisten.“ Wie alle Menschen haben also auch Menschen im Autismus-Spektrum sehr individuelle und unterschiedliche Fähigkeiten. Es gibt dennoch einige Stärken, die tatsächlich bei fast allen vorhanden sind. Zum Beispiel haben die meisten Autistinnen und Autisten ein hohes Qualitätsbewusstsein und einen guten Blick für Details. Dadurch können sie Zusammenhänge und Muster oft besonders schnell erkennen. Auch ein intuitives Verständnis für technische Systeme kommt häufiger vor – und manche sind in den Bereichen Entwicklung und Design besonders gut.

Ollech: Menschen im Autismus-Spektrum nehmen viele Dinge etwas anders wahr als ihre Kolleginnen und Kollegen. Dadurch kommen sie oft auf neue und ungewöhnliche Lösungen. Die moderne Arbeitswelt braucht solche Querdenkerinnen und Querdenker, um innovativ und effizient arbeiten zu können und sich für die Zukunft aufzustellen.

Welche Branchen und Berufe passen besonders gut zu diesen Fähigkeiten?

Kuhlemann: Das hängt ganz davon ab, was unsere Teilnehmerinnen und Teilnehmer können und wollen – und was potentielle Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber suchen und anbieten können. Wir stecken immer zuerst mögliche Aufgabenfelder ab, die zu den individuellen Stärken der Teilnehmenden passen. Das können zum Beispiel Bereiche wie Recherche und Analyse oder Strukturierung und Optimierung sein. Oft ist auch die Fähigkeit gefragt, anspruchsvolle Soll-Ist-Abgleiche durchzuführen, oder ein ausgeprägtes kreativ-künstlerisches Talent. Im zweiten Schritt suchen wir nach passenden Berufen. Dabei denken wir immer branchenübergreifend. Unsere Kurs-Absolventinnen und -Absolventen haben so schon in ganz verschiedenen Bereichen Arbeit gefunden, zum Beispiel im öffentlichen Dienst, im Grafikbereich, bei einer Sicherheitsfirma, in der technischen Gebäudeausstattung, in der Wissenschaft oder im Bereich Erneuerbare Energien.

Gibt es auch Berufe, die gar nicht für Autisten geeignet sind?

Ollech: Das werden wir auf Veranstaltungen oft gefragt. Pauschal lässt sich aber auch das nicht beantworten. Jeder Autist, jede Autistin ist eben anders. Daher schließen wir erstmal keinen Berufswunsch aus, nicht mal Mitarbeit im Vertrieb – das ist sicherlich kein klassisches Tätigkeitsfeld für die Mehrheit der Autistinnen und Autisten. Aber ich kenne einen Autisten, der unglaublich guten Vertrieb für seine Idee macht und einfach selber Unternehmer geworden ist. Die Tendenz ist, dass es meistens dann nicht gut passt, wenn Ehrlichkeit und Offenheit in einem Job nicht erwünscht sind. Viele Autistinnen und Autisten haben nämlich ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden und für sie ist Ehrlichkeit sehr wichtig.

Welche Rahmenbedingungen müssen Unternehmen schaffen, damit Autistinnen und Autisten gut arbeiten können?

Kuhlemann: Auch das ist sehr verschieden, und wir erleben in unseren Kursen immer wieder, dass es da kein Patentrezept gibt. Deshalb klären wir das bei jeder Job-Vermittlung individuell ab. Einige Beispiele: Viele unserer Kandidatinnen und Kandidaten bevorzugen ein reizarmes Umfeld. Sie mögen kein grelles Neonlicht und wollen auch keinen unruhigen Arbeitsplatz direkt am Gang oder in einem Großraumbüro. Wenn sich das nicht vermeiden lässt, der Job ansonsten aber gut passt, können Rückzugsmöglichkeiten oder geräuschunterdrückende Kopfhörer schon eine Lösung sein. Einige wünschen sich in ihren Berufen wenig oder gar keinen Kundenkontakt, weil soziale Interaktionen sie sehr anstrengen. Andere wiederum können sich das durchaus vorstellen und mögen es sehr, anderen Sachverhalte zu erklären, die sie interessieren.

Ollech: Struktur und Eindeutigkeit sind ebenfalls sehr wichtig. Deshalb sollten im Unternehmen sämtliche Abläufe, Aufgaben und Ansprechpartnerinnen und -partner klar definiert sein. Das klingt banal, ist im Arbeitsalltag aber oft eine Herausforderung. Die meisten Menschen reden zum Beispiel oft in Konjunktiven und Floskeln, ohne es zu merken. Für Autistinnen und Autisten sind die „versteckten“ Botschaften und Dinge „zwischen den Zeilen“ schwer zu entschlüsseln. Abhilfe schafft eine möglichst klare und direkte Sprache. Vielfalt in einem Team setzt unserer Erfahrung nach einerseits große Potenziale frei, bedeutet aber eben auch Arbeit. Es ist daher wichtig, dass die Teamleiterinnen und -leiter eines Unternehmens dazu bereit sind, ein inklusives, diverses Team zu führen, und das gesamte Kollegium offen und empathisch auf die neuen Perspektiven zugeht, die da ins Team kommen.


Über unsere Interviewpartner:innen





„Behinderung ist keine Verhinderung“

In Folge 4 der Serie war die Kommunikations- und Start-Up-Managerin Lina Maria Kotschedoff zu Gast. Sie ist fast blind und erzählt im Interview, wie sie im beruflichen und privaten Alltag mit dieser Behinderung umgeht – zum Beispiel, indem sie Apps wie Siri oder Whatsapp gezielt einsetzt. Für sie hat sich dadurch so etwas wie eine „Innovationsgewohnheit“ entwickelt, wie sie es nennt: Sie macht sich laufend bewusst, was sie im Alltag braucht und findet dafür immer wieder neue Lösungen.

Im Interview spricht sie unter anderem über das Ärgernis mit dem Begriff „normal“, über den Unterschied zwischen Unterstützung und Bevormundung, über Vielfalt und Inklusion in ihrem persönlichen Umfeld und über Hindernisse auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.




Passt perfekt!

Herr Demblin, was war Ihr Antrieb, sich beruflich mit sozialen Themen auseinanderzusetzen?

Mir ist das aus persönlichen Gründen wichtig, weil ich das Leben sowohl mit als auch ohne Behinderung kenne. Ich hatte mit 19 einen Badeunfall und lebe seither mit Rollstuhl. Ab diesem Zeitpunkt wurde ich komplett anders behandelt, auch auf dem Arbeitsmarkt. Ich habe also am eigenen Leib erlebt, wie sich das Verhalten der Menschen im eigenen Umfeld verändern kann, wenn so etwas passiert und man dann plötzlich mit einer Behinderung lebt, die für alle sichtbar ist. Deshalb möchte ich das Leben auch von anderen Menschen mit Behinderung positiv verändern. In der Wirtschaft liegt dafür aus meiner Sicht das größte Potenzial.

Warum sehen Sie dort besonders große Möglichkeiten?

Weil Menschen nur auf allen Ebenen unserer Gesellschaft teilhaben können, wenn sie einen Job haben. Dann verdienen sie ihren Lebensunterhalt eigenständig, können selbstbestimmt leben und sich beruflich wie privat weiterentwickeln und beweisen. Auf der anderen Seite liegt gerade bei Unternehmen ein großes Potenzial für Inklusion. Wenn dort Barrierefreiheit überall mitgedacht wird, intern wie extern, baulich, aber auch in den Köpfen, profitieren alle davon. So wird die Offenheit in der gesamten Gesellschaft gefördert. Dieses neue und umfassende „über den Tellerrand denken“ schafft ein ungeheures Innovationspotenzial.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Stellen Sie sich vor, eine Mitarbeiterin mit einer Höreinschränkung beginnt in einer neuen Abteilung. Durch eine offene Kommunikation über das, was sie in ihrem Arbeitsumfeld braucht, werden die anderen Kolleginnen und Kollegen animiert, ebenfalls über ihre eigenen Bedürfnisse nachzudenken. So werden Potenziale freigesetzt, die sonst vielleicht nicht erkannt worden wären, und diese kann das Unternehmen gezielt fördern. Damit lässt sich die Leistung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oft deutlich steigern.

Wie haben sie konkret damit begonnen, die Themen Arbeit und Inklusion zu verbinden?

Gemeinsam mit meinem Kollegen Wolfgang Kowatsch hatte ich im Jahr 2009 die Idee, die inklusive Jobplattform myAbility.jobs zu entwickeln (früher: Career Moves). Unternehmen können dort Arbeitsplätze anbieten und ausdrücklich Menschen mit Behinderung ansprechen. Das Konzept ist, dass ganz normale Arbeitsstellen ausgeschrieben und keine extra Stellen geschaffen werden – wir wollen die Unternehmen also zu gelebter Inklusion animieren.
Schon in der Anfangszeit haben wir schnell gemerkt, dass viele Betriebe bei diesem Thema grundsätzliche Unterstützung benötigen. Sie sind oft unsicher, was genau sie tun müssen, um inklusive Bedingungen in ihren Unternehmen herzustellen. Deshalb haben wir die Unternehmensberatung „myAbility“ gegründet. Damit und mit unserem DisAbility-Talent-Programm arbeiten wir täglich daran, unserer Vision einer chancengerechten und barrierefreien Welt näher zu kommen.

Worum geht es im DisAbility-Talent-Programm?

Inklusion ist ja nicht erst auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wichtig, sondern auch schon vorher, an den Schulen und Unis. Dort werden die Weichen für Karrieren gestellt und die Nachwuchskräfte von morgen ausgebildet. Das DisAbility-Talent-Programm schafft hier Berührungspunkte und „matcht“ Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber mit hoch qualifizierten Studierenden mit Behinderung oder chronischer Erkrankung, die potenzielle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Betriebe sein könnten. Zu unseren Zielgruppen zählen Studierende und junge Absolventinnen und Absolventen, die zum Beispiel Seh-, Hör- oder Mobilitätseinschränkungen, Legasthenie, Epilepsie, psychische Erkrankungen oder Diabetes haben. Die Unternehmen treffen diese jungen Menschen im Rahmen unseres Programms und lernen sie näher kennen. Die Studierenden wiederum lernen in Gruppen- und Einzelcoachings, sich zu präsentieren und ihre Behinderung als Karrierefaktor zu sehen. So gewinnen beide Seiten: Die Unternehmen lernen potenzielle zukünftige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennen, die Studierenden können zukünftige Arbeitsbereiche aktiv erkunden.

Aus welchen Elementen besteht das Programm genau?

Es gibt mehrere Veranstaltungen und Formate, die den Studierenden dabei helfen, ihre Karriere zu planen. Dazu zählen Gruppencoachings, bei denen die jungen Talente mit einem Medientrainer an ihrer Wirkung und Körpersprache arbeiten, um auf Bewerbungsgespräche gut vorbereitet zu sein. In Einzelcoachings wird individuell über das Thema Karriere und die nächsten Schritte gesprochen. Beim Karriereworkshop wird das Thema Behinderung und Karriere erörtert, außerdem werden Tipps für die so genannten Job-Shadowings gegeben. Dabei begleiten Studierende eine erfahrene Mitarbeiterin oder einen erfahrenen Mitarbeiter eines Unternehmens im Arbeitsalltag und schauen ihr oder ihm über die Schulter. Das Highlight des Programms ist aber der Matching Day.

Was geschieht beim Matching Day?

Die Talente lernen an diesem Tag bei einem Speeddating die Personalverantwortlichen unserer Partnerunternehmen kennen. Sie wenden also das erste Mal das Gelernte aus den Coachings an, aber in einem sicheren Rahmen. Bei den Job-Shadowings können sie außerdem das erste Mal einen Blick in Abteilungen werfen, in denen sie später vielleicht einmal arbeiten werden. Dieser Teil ist auch der wertvollste des DisAbility-Talent-Programms, weil die Studierenden dabei Kontakte aufbauen, sich fachlich austauschen und Berührungsängste abbauen können. Das gleiche gilt umgekehrt auch für die Unternehmen.

Welchen Anreiz bieten Sie den Unternehmen, bei Ihrem Programm mitzumachen?

Mehr als elf Prozent der Studierenden in Deutschland geben an, eine Behinderung zu haben. Gleichzeitig ist der Anteil an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Behinderung in österreichischen wie deutschen Unternehmen deutlich geringer. Das möchten wir zusammen mit den Unternehmen gern ändern. Durch das DisAbility-Talent-Programm schaffen wir eine Plattform, mit der unsere Partnerunternehmen hochqualifizierte Studierende mit Behinderung kennenlernen können. Sie können so einem möglichen Fachkräftemangel in Zukunft besser begegnen und zugleich etwas zur Inklusion auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beitragen.

Wie gut funktioniert das Programm bisher?

Sehr gut, denn wir merken, dass viele Studierende noch sehr wenig Bewerbungserfahrung und demnach viele Fragen haben. Im Programm gibt es darauf konkrete Antworten, außerdem profitieren die jungen Menschen von allen Formen des Coachings. Den Erfolg des Programms können wir übrigens auch an Zahlen belegen: Mehr als 25 Prozent unserer Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben durch DisAbility-Talent-Programm später eine Festanstellung oder ein längeres Praktikum bekommen






„Ich sehe mich als gleichwertig mit meinen Kollegen, wir unterstützen uns gegenseitig“

Herr Weinmann, viele Menschen können sich nicht vorstellen, wie Sie mit einer so starken Sehbehinderung im Berufsalltag zurechtkommen. Wie machen Sie das genau?

Da ich nicht blind bin, kann ich mir mit meiner Restsehkraft in vielen Situationen gut allein weiterhelfen. Und wenn es doch mal schwieriger wird, kann ich ganz auf die Unterstützung meiner sehr hilfsbereiten Kollegen zählen. Die stehen mir immer zur Seite, damit habe ich bisher also wirklich keine negativen Erfahrungen gemacht. Als Hilfsmittel nutze ich Taschenlupen und für die Arbeit am Computer stellt mir mein Arbeitgeber einen speziellen PC mit einem Lupenprogramm zur Verfügung. Das geht also alles ziemlich gut.

Es heißt, dass blinde oder fast blinde Menschen – also auch Sie – einen besonders ausgeprägten Tastsinn haben. Stimmt das oder ist das ein Klischee?

Ich glaube nicht, dass das ein Klischee ist. Wenn eine Sinneswahrnehmung ausfällt, kann der Körper dieses Defizit ja bekanntlich mit anderen Funktionen kompensieren. Nehmen Sie das Beispiel der Blindenschrift: Wenn ein Sehender versucht, die einzelnen Punkte der Schrift zu ertasten, ist das für ihn sehr schwer und dauert sehr lange. Schaut man dagegen einem blinden Menschen beim Lesen der Schrift zu, kann man nur staunen, mit welcher Geschwindigkeit er einen Text bewältigt und versteht. Das ist bei mir nicht anders, Tasten ist auf jeden Fall meine Stärke.

Setzen Sie das auch in Ihrem Beruf ein?

Ja, natürlich! Als Physiotherapeut muss ich ja mit den Händen und Fingern Veränderungen im Gewebe erspüren. Da sehe ich mich durch meinen ausgeprägteren Tastsinn im Vorteil gegenüber Kollegen, die keine Sehbehinderung haben. Das haben die mir auch schon oft bestätigt.

Sie konkurrieren also mit Ihren Kollegen ohne Sehbehinderung?

Nein, in meinem Beruf im Krankenhaus nicht direkt. Ich sehe mich als gleichwertig mit meinen Kollegen, wir unterstützen uns gegenseitig. Wo ich besser tasten kann, können sie besser sehen und damit andere Anforderungen des Berufs einfacher bewältigen – und mich wiederum dabei unterstützen. Das ist ein sehr harmonisches Miteinander.

Ihre Sehbehinderung bringt in Ihrem Beruf also sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich. Wie äußert sich das im Alltag?

Zum Beispiel an meinem Einsatzgebiet im Krankenhaus. Das ist aktuell auf eine Station reduziert, weil mir in anderen Gebäudeteilen die Orientierung schwerfällt und diese dort erst noch trainieren muss. Ein großer Vorteil ist wiederum, dass mir wegen meiner Behinderung finanzielle Förderungen des für meinen Wohnort zuständigen Inklusionsamtes zustehen. Dadurch konnte ich schon einige Fortbildungen besuchen, die sonst viel Geld kosten und eher schwer zu finanzieren sind. Diese Möglichkeit haben viele Kollegen so nicht.

Auf der RehaCare-Messe im Jahr 2010 haben Sie unter anderem eine Massage-Station aufgestellt und den vorbeilaufenden Besucherinnen und Besuchern Nackenmassagen angeboten. Abgesehen davon, dass Sie damit eine Kostprobe Ihrer beruflichen Fähigkeiten gegeben haben: Welche Botschaft wollten Sie mit dieser Aktion vermitteln?

Ich wollte allen Besuchern der Messe zeigen, dass ein Mensch mit Behinderung ein genauso leistungsfähiger Mitarbeiter oder Kollege sein kann wie jemand ohne Handicap, wenn nur die Voraussetzungen stimmen. Und ich wollte anderen Menschen mit Behinderung Mut machen, ihren beruflichen Weg zu gehen und sich nicht von ihrer Behinderung davon abhalten zu lassen. Dafür habe ich auch gutes Feedback bekommen. Neben der Massagestation habe ich auf einer der Messe-Bühnen zusammen mit den Besucherinnen und Besuchern ein kleines Übungsprogramm für den Rücken durchgeführt – auch das kam sehr gut bei den Teilnehmern an. Viele hätten mir das vorher nicht zugetraut.

Sie sind jetzt im September auf einer weiteren Veranstaltung mit dabei, der Fachmesse ZukunftPersonal dabei. Was dürfen die Besucherinnen und Besucher dieses Mal von Ihnen erwarten – und was erhoffen Sie selbst sich von der Messe?

Ich habe dort wieder meinen Stand mit der Massagestation, da muss ich den Vorgaben folgen. So komme ich aber auch am allerbesten mit Besucherinnen und Besuchern ins Gespräch. Das ist einer der Hauptgründe, warum ich das mache: Ich möchte mit den Leuten über das Thema Inklusion und Menschen mit Behinderung reden und dabei aus der Sicht eines Betroffenen sprechen – auch, um Vorurteile auszuräumen.






Wahl der Schwerbehindertenvertretungen 2018: Infos und Beratung

Herr Vedder, Herr Römer, die gemeinsame Website der Inklusionsämter in Deutschland ist eine gute erste Anlaufstelle für alle, die sich zum Thema Behinderung und Beruf informieren wollen – also auch zum Thema Schwerbehindertenvertretung. Was genau bieten Sie dort an?

Vedder: Wir haben im Laufe der Jahre eine Art Lexikon zu verschiedenen Themen aufgebaut. Dort gibt es Informationsbroschüren, Vordrucke und anderes Material zum Download. Außerdem weisen wir unsere Besucher immer wieder auf nützliche Arbeitsmittel hin und zeigen gute Beispiele aus der Praxis.

Römer: Wir hatten im Jahr 2017 fast 20 Millionen Zugriffe auf unsere Seite, das Interesse ist also offenbar sehr groß. Dieses Jahr dürften es sogar noch mehr werden, denn allein bis Mai 2018 hatten wir schon rund 10 Millionen Aufrufe. Das hängt dieses Jahr vermutlich stark mit den Wahlen der Schwerbehindertenvertretungen zusammen, die im Oktober anstehen. Darum geht es aktuell auch oft in unserem Forum.

Vedder:  Auch dieses ist sehr beliebt: Wir haben über 9.000 angemeldete Nutzer, die sich dort regelmäßig austauschen, und mehr als zwei Millionen Zugriffe.

Der Informationsbedarf scheint also sehr groß zu sein. An wen richtet sich Ihr Angebot?

Vedder: Das kommt ganz auf das Thema an. Wir bieten viele allgemeine Infos an, vor allem mit unseren Broschüren. Die sind für Laien genauso gut verständlich wie für Fachleute. Wir befassen uns aber auch mit Detailfragen, für die man als Leser schon etwas im Thema sein muss. Vor allem im Forum werden oft solche komplexen Sachverhalte diskutiert.

Römer: Es kann sich aber jeder im Forum anmelden, der das gern möchte, Vorwissen ist keine Voraussetzung. Die meisten unserer Nutzer arbeiten in Schwerbehindertenvertretungen, Betriebsräten oder Personalräten in Betrieben und Dienststellen in ganz Deutschland. Wir fragen das bei der Registrierung ab, damit wir einen besseren Überblick über die Tätigkeitsfelder unserer Nutzer bekommen. Fachlich bringen sich auch viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Inklusionsämter in die laufenden Diskussionen ein.

Welche Themen tauchen im Forum besonders oft auf?

Vedder: Es geht oft um rechtliche Fragen rund um das Thema Beruf und Behinderung. Zum Beispiel können sich Vertreterinnen und Vertreter von Angestellten mit Behinderung – also die Schwerbehindertenvertretungen – unter bestimmten Umständen von der Arbeit freistellen lassen. Viele sind hier aber unsicher, wie die Rechtslage ist, und suchen im Forum Antworten.

Römer: Ein anderes Thema sind die Pflichten der Arbeitgeber. Beispielsweise müssen sie die Schwerbehindertenvertretungen an bestimmten Entscheidungsprozessen, Abläufen und Gesprächen beteiligen, wenn es Konflikte am Arbeitsplatz gibt oder wenn jemand mit Behinderung neu eingestellt werden soll. Auch dazu tauchen oft Fragen im Forum auf, weil das ein sehr komplexes Thema ist. Genauso ist es mit Einstellungs- und Bewerbungsverfahren: Hier wollen Arbeitnehmer wie Arbeitgeber wissen, was sie erwartet, was sie beachten müssen, welche Rechte sie haben und was sie bei der Ausschreibung eines Arbeitsplatzes oder der Bewerbung auf einen neuen Job beachten müssen oder sollten. Auch die Frage nach den Möglichkeiten finanzieller Förderung wird häufig gestellt.

Und was ist, wenn jemand mal eine ganz individuelle Frage hat, auf die sie oder er im Forum keine Antwort findet?

Römer: Dafür ist unsere Onlineberatung da, die unsere registrierten Nutzer in Anspruch nehmen können. Wir beiden werden dabei von drei Kollegen unterstützt: Albin Göbel, ehemaliger Mitarbeiter aus dem Inklusionsamt München, Matthias Günther vom Inklusionsamt Sachsen und Marco Hirsch vom Inklusionsamt Baden-Württemberg. Außerdem haben wir sehr aktive Mitglieder im Forum, die uns mit fundiertem Fachwissen in guten Beiträgen helfen – und so für große Kompetenz und Leben im Forum sorgen. Die Anmeldung im Forum ist übrigens kostenlos, es kann sich also jeder beraten lassen, der Hilfe braucht.

Kommen wir noch einmal zu den anstehenden Wahlen der Schwerbehindertenvertretungen zurück. Wer sich zum ersten Mal mit dem Thema beschäftigt, fühlt sich schnell überfordert. Wie fangen Sie das auf?

Vedder: Die Broschüren auf unserer Seite bieten einen guten Einstieg ins Thema, auch für Fachfremde. In unserem Forum führen wir diesen Ansatz fort, indem wir Spezialfragen beantworten, die im Zusammenhang mit der Wahl immer wieder auftauchen. Das ist nämlich ein Knackpunkt: Es gibt viele gute allgemeine Infos, die aber nicht jedem Betrieb gleich die nötige Klarheit bringen. Fast alle, die sich damit beschäftigen (müssen), haben nach dem ersten Einlesen ins Thema individuellen Informationsbedarf.

Welche Fragen kommen besonders oft?

Vedder: Zum Beispiel möchten viele gern wissen, wie die Wahlen korrekt vorbereitet und durchgeführt werden müssen, damit sie später nicht angefochten werden können. Wir empfehlen hier immer als Erstes, beim Erstellen der Wahlunterlagen und der nötigen Beschlussfassungen sauber und sorgfältig zu arbeiten. Wir bieten hierfür auch Textvorlagen an, die konsequent unverändert eingesetzt werden sollten – dann ist man auf der sicheren Seite.

Römer: Auch das Einleiten der Wahlen ist immer wieder ein Thema. Hier helfen wir dabei, das richtige Verfahren zu wählen, denn es gibt zwei verschiedene. Die Wahl rechtzeitig einzuleiten und Kandidaten zu suchen, ist ebenfalls sehr wichtig, damit alles reibungslos funktioniert.

Vedder: Manchmal müssen auch mehrere Betriebe für die Wahl einer gemeinsamen Schwerbehindertenvertretung zusammengefasst werden. Das kann zum Beispiel dann sinnvoll sein, wenn die Betriebe sehr klein sind und nah beieinander liegen.

Römer: Zwei weitere Themen, die im Forum häufig angesprochen werden: „Aktives und passives Wahlrecht“ und „Befangenheit/Wahlwerbung“. Zum ersten Thema finden Interessierte nicht nur im Forum Antworten, sondern auch in unserer Broschüre zur Wahl der Schwerbehindertenvertretung. Beim Thema Befangenheit und Wahlwerbung geht es darum, dass Kandidaten zwar am Wahlverfahren als Wahlvorstand oder Wahlleiter mitwirken, aber nur eingeschränkt Werbung für sich machen dürfen. Im Forum informieren wir, wann und in welchem Umfang das noch in Ordnung ist. –


Über unsere Interviewpartner





Was genau ist das „Budget für Arbeit“?

Herr Wedershoven, wie würden Sie einem Außenstehenden in wenigen Sätzen das Budget für Arbeit erklären, das Anfang 2018 im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes in ganz Deutschland eingeführt wurde?

Das Budget für Arbeit ist kein „Budget“ im eigentlichen Sinne, sondern eine Sammlung verschiedener Geldleistungen und Förderangebote. Diese sind dazu da, Menschen mit (schweren) Behinderungen dabei zu unterstützen, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, die aktuell noch in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) arbeiten oder kurz davor sind, zum Beispiel aus der Förderschule dorthin zu wechseln. Darüber hinaus können sich Menschen mit Behinderung und deren Arbeitgeber von Fachleuten der örtlichen Inklusionsfachdienste (IFD) begleiten lassen, damit die Zusammenarbeit für beide Seiten von Anfang an optimal gestaltet werden kann. Die Förderangebote richten sich aber nicht nur an Arbeitssuchende mit Behinderung selbst, sondern auch an Betriebe, die gern Menschen mit Behinderung einstellen möchten.

Was haben die Arbeitgeber davon?

Wenn sie neue Arbeitsplätze für Menschen mit Handicap schaffen, haben sie meist einen höheren Betreuungsaufwand und mehr Kosten, weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Behinderung oft etwas langsamer arbeiten oder mehr Pausen einlegen müssen. Dafür bekommen die Unternehmen aber dann einen finanziellen Ausgleich über das Budget für Arbeit, den so genannten Nachteilsausgleich.

Wie ist dieses Programm entstanden – und wie verändert es das (Arbeits-)Leben von Menschen mit Behinderung?

In Nordrhein-Westfalen gibt es das Budget für Arbeit schon seit fast zehn Jahren – es hieß nur lange Zeit anders beziehungsweise war etwas anders aufgestellt. In Westfalen wird es vom LWL organisiert und finanziert, im Rheinland ist der Landschaftsverband Rheinland (LVR) zuständig. Angefangen hat in Westfalen alles mit den Programmen „aktion5“ und „Übergang plus“. Damit wurden zum Beispiel Schülerinnen und Schüler schon vor dem Schulabschluss mit einem so genannten „Vorbereitungsbudget“ für den späteren Berufsalltag in einem regulären Betrieb unterstützt. Auch Menschen, die schon einen solchen Job oder eine Ausbildung angefangen hatten, konnten mit „aktion5“ bestimmte Leistungen nutzen, die sie im Arbeitsalltag unterstützt haben – zum Beispiel Computerkurse. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) wurden zusätzlich mit dem Programm „Übergang plus“ dabei unterstützt, auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu wechseln.

Bekamen auch die Arbeitgeber in diesen beiden Modellen Unterstützung?

Ja, für sie gab es in beiden Programmen unter anderem Prämien, wenn sie einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz für einen Menschen mit schwerer Behinderung in ihrem Betrieb geschaffen hatten, und natürlich auch Lohnkostenzuschüsse. Mit „aktion5“ wurden so zwischen 2008 und 2017 insgesamt rund 8.500 Menschen oder Betriebe gefördert, mit „Übergang plus“ schafften rund 850 Menschen den Sprung aus der Werkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt.

Hat sich seit Anfang 2018 etwas verändert, als dieses Konzept unter dem Namen „Budget für Arbeit“ in ganz Deutschland eingeführt wurde?

Die Struktur wurde etwas verändert, ja. Aus zwei Programmen mit mehreren Modulen wurde ein Programm mit vier Modulen. Insgesamt ist der Ansatz aber gleich geblieben. Wir gehen fest davon aus, dass mit dieser Ausweitung des Programms auf ganz Deutschland noch viel mehr Menschen die Chance bekommen werden, aus der Schule oder aus Werkstätten in ein reguläres Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis zu wechseln – also einen tariflich bezahlten, unbefristeten Arbeitsplatz zu finden, mit dem sie ihren Lebensunterhalt eigenständig finanzieren können.

Für wen ist dieses neue „Budget für Arbeit“ gedacht und wer kann es beantragen?

Das Programm richtet sich an Schülerinnen und Schüler aus Förderschulen, die kurz vor dem Abschluss stehen, aber auch an Menschen, die sich aktuell noch in psychiatrischen Einrichtungen befinden und wieder in den Arbeitsmarkt einsteigen möchten. Eine wichtige Zielgruppe sind auch Personen, die in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) arbeiten und wechseln wollen. Wir wollen also vor allem Arbeitsuchende erreichen, die vor der Entscheidung stehen, ob sie in einer Werkstatt anfangen beziehungsweise weiterarbeiten möchten oder ihren Weg auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt machen wollen. Wir begleiten auf diese Weise viele Menschen mit Behinderung sehr frühzeitig auf ihrer beruflichen Laufbahn, zeigen Chancen auf und helfen, die Weichen zu stellen. Das Ziel ist immer, sie auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu vermitteln – das ist unsere wichtigste Botschaft und auch der Kern des Programms.

Wo sehen Sie Schwierigkeiten? Hören Sie auch kritische Stimmen von Menschen mit Behinderung, die das Budget für Arbeit nutzen?

Insgesamt kommen die Förderangebote sehr gut an, weil sie einfach viele tolle Chancen eröffnen und wir schon sehr viel damit erreicht haben. Aber sie greifen stellenweise leider immer noch zu kurz. Viele Menschen, die Leistungen aus dem Budget für Arbeit beantragt haben, finden sie zu gering. Manche Angebote wiederum können nur Menschen mit anerkannter Schwerbehinderung nutzen, obwohl sie vielleicht auch für Menschen mit geringeren Behinderungen sinnvoll wären. Über das Budget für Arbeit werden leider auch keine schulischen Ausbildungen gefördert, was ebenfalls ein Manko ist. Und bei Werkstattwechslerinnen und -wechslern kann es vereinzelt vorkommen, dass ihre Rente geringer ausfällt, wenn sie auf einem regulären Arbeitsplatz ihr Geld verdienen, als wenn sie in der Werkstatt bleiben würden.

Können Sie als großer Träger von Sozialhilfeleistungen diese Probleme selbst angehen?

Nur zum Teil, weil die Zusammenhänge komplex sind: Oft sind uns durch die aktuelle Gesetzgebung die Hände gebunden, manchmal dürfen wir nur aus bestimmten Töpfen Geld schöpfen und kommen damit einfach nicht hin. Aber wie gesagt: Insgesamt ist das Budget für Arbeit ein sehr gutes Konzept, weil es das erreicht, was es soll: Möglichst viele Menschen mit Behinderung auf unbefristete Arbeitsplätze vermitteln und sie dauerhaft dort halten.

Nun gibt es seit 2008 auch noch das so genannte „Persönliche Budget“, das wieder häufiger Thema in den Medien war, seit das Bundesteilhabegesetz in Kraft getreten ist. Wo liegt der Unterschied zum Budget für Arbeit?

Grob erklärt ist das Persönliche Budget ein monatlicher Geldbetrag, der vom Staat allen Menschen mit einer anerkannten Behinderung zur Verfügung gestellt wird, wenn diese einen Anspruch auf eine Leistung der Eingliederungshilfe haben. Sie können damit dann bestimmte Leistungen bezahlen, zum Beispiel eine Einkaufshilfe oder einen Sprachcomputer – je nachdem, was gebraucht und gewünscht ist. Das Budget für Arbeit dagegen ist ein gezieltes Förderprogramm, mit dem Menschen mit schweren Behinderungen durch verschiedene Leistungen Chancen eröffnet werden sollen, aus einer Werkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu wechseln. Beide Budgets haben aber im Grunde das gleiche Ziel: Menschen mit Behinderung sollen selbst bestimmen können, wie sie ihr Leben gestalten möchten, und sie sollen sich dieses Leben auch selbst finanzieren können. Das geht aus unserer Sicht nur mit einem richtigen Job und einem vernünftigen Einkommen.





„Man kann auch wunderbar hinter den Plattentellern SITZEN“

Jan, was hat sich seit 2012 für dich verändert?

Alles (grinst). Zuallererst musste ich lernen, zu akzeptieren, dass ich ab sofort auf Hilfe angewiesen sein würde. Und ich musste alles neu organisieren. Meine Frau und ich mussten uns zum Beispiel eine neue Wohnung suchen, weil ich ja eine barrierefreie Umgebung brauchte. Das ist aber gar nicht so einfach in Berlin, da hat man die Qual der Wahl zwischen unbezahlbaren Angeboten oder Wohnungen in Gegenden, in denen die Infrastruktur schlecht ist. Die Suche dauerte fast drei Jahre. In der Zwischenzeit hat uns zum Glück meine Schwester herzlich in ihren Haushalt aufgenommen.

Welche Schwierigkeiten begegnen euch sonst im Alltag?

Zunächst mal ist viel Spontaneität verloren gegangen, es muss nämlich immer alles umfangreich und langfristig organisiert und geplant werden, egal ob es Ausflüge, Treffen mit Freunden, Urlaube oder andere Aktivitäten sind. Dazu kommt, dass zum Beispiel viele Orte nicht allzu verlässliche Infos zur Barrierefreiheit auf ihren Websites zur Verfügung stellen, so dass ich damit nicht gut planen kann. Wenn wir dann da ankommen, sind die Bedingungen oft nicht so optimal. Da kriegt man manchmal sowas zu hören wie „Ist doch nur eine Stufe!“ oder „Vier Man, vier Ecken – da tragen wir dich einfach rüber!“. So entsteht unnötiger Stress für mich.

Hat sich bei all diesen Veränderungen für dich auch etwas zum Positiven verändert?

Ja. Die Beziehungen zu Familie und Freunden sind enger geworden, weil sie von Anfang an zu mir und meiner Frau gehalten und uns unterstützt haben. Darüber bin ich sehr glücklich. Außerdem bin ich dankbar dafür, überlebt zu haben – und durch diese Sicht auf die Dinge hat sich für mich vieles relativiert. Früher stand beruflicher Erfolg für mich zum Beispiel sehr weit oben auf der Liste. Das ist jetzt nicht mehr so. Es gibt sehr viel wichtigere Dinge im Leben, und das habe ich durch die Erkrankung und das, was danach passiert ist, für mich erkannt.

Und wie stand es damals um deinen Beruf? Du konntest ja durch deine Behinderung nicht so weiterarbeiten wie vorher.

Für mich brach von heute auf morgen meine gesamte Existenzgrundlage zusammen. Ich konnte nicht mehr durch die Gegend reisen wie früher, außerdem brauchte ich ab sofort ganz andere Bedingungen bei Veranstaltungen. Das ging erstmal nicht so ohne weiteres. Statt meines Einkommens bekomme ich eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Meine Frau kümmert sich als Pflegerin um mich und arbeitet in ihrem bisherigen Job weiter, jetzt aber am Telearbeitsplatz von Zuhause aus.

Inzwischen arbeitest du aber wieder als DJ. Was war der Anlass für dich, wieder einzusteigen?

Ich hatte nach den Erlebnissen 2012 eigentlich komplett mit dem Auflegen abgeschlossen und konnte mir nicht vorstellen, jemals wieder hinter Plattentellern zu stehen. Aber dann brachte mich ein Freund von mir, Hannes Teichmann, zum Nachdenken. Er sagte, man könnte doch wunderbar auch hinter den Plattentellern sitzen! Er und sein Bruder sind in der Szene bekannt als die „Gebrüder Teichmann“. Im Jahr 2015 lud das Museum Hamburger Bahnhof Berlin die beiden ein, bei der internationalen Tagung „Inklusion ist schön“ aufzulegen, und sie holten mich kurzerhand mit ins Boot. In diesem geschützten Rahmen schufen sie ein perfektes Setting für mich, wieder in den Job einzusteigen: ein DJ-Pult auf Rolli-Höhe, Bewegungsfreiheit in alle Richtungen. Außerdem waren die beiden die ganze Zeit in Reichweite und standen mir zur Seite. Das war super. Ich selbst hatte mich wochenlang auf diesen ersten Gig vorbereitet. Durch all das war der Wiedereinstieg wirklich sehr angenehm.

Hat das deine Meinung zum Thema Auflegen geändert?

Ich habe dadurch auf jeden Fall wieder Selbstvertrauen in mich und meine Fähigkeiten gewonnen. Das Event und die Resonanz waren toll und das Erlebnis, wieder aufzulegen, auch. Die nächste Gelegenheit ließ dann auch gar nicht lange auf sich warten: Beim Festival „Zurück zu den Wurzeln“ hatte ich 2017 die Chance, das erste Mal wieder vor einem richtig großen Publikum aufzutreten. Da habe ich natürlich Ja gesagt.

Was ist das für ein Festival?

„Zurück zu den Wurzeln“ hat sich die Inklusion auf die Fahnen geschrieben, das heißt, alle Menschen sollen mitmachen und das Festival-Erlebnis genießen können. Das gesamte Gelände wird jedes Jahr barrierefrei auf- und ausgebaut, es gibt Inklusionslotsen und behindertengerechte Toiletten. Das sind ideale Voraussetzungen für Gäste mit Behinderung, und entsprechend viele sind dort auch vertreten. Dem Veranstalter ist es außerdem wichtig, nicht nur Gäste, sondern auch Künstler mit Behinderung dabeizuhaben. Er kannte mich noch aus meiner früheren, aktiven Zeit als DJ, daher fragte er mich, ob ich mitmachen wollte.

Wie war dieser erste große Gig nach der langen Pause für dich?

Vor meinem Auftritt war ich sehr aufgeregt, obwohl ich mich intensiv vorbereitet hatte. Ich hatte vorher ja schon oft die Erfahrung gemacht, dass es nicht unbedingt etwas heißt, wenn ein Ort oder eine Veranstaltung sich ‚barrierefrei‘ nennt – in der Wirklichkeit sah das für mich leider oft ganz anders aus. Dadurch entstand eine Doppelbelastung: Zum einen wollte und will ich als Künstler einen perfekten Auftritt abliefern und hoffe dafür natürlich immer auf ideale Bedingungen. Die Technik, der Sound müssen stimmen, damit es richtig gut wird. Zum anderen bin ich als Rollifahrer auch auf gute Voraussetzungen in Sachen Barrierefreiheit angewiesen. Das DJ-Pult muss auf der richtigen Höhe und mit dem Rollstuhl unterfahrbar sein, damit ich die Technik gut erreichen kann. Außerdem muss ich ohne Hilfe an meinen Arbeitsplatz gelangen können, der Zuweg vom Auto bis zum DJ-Pult muss also ebenfalls barrierefrei sein. Zum Glück waren bei „Zurück zu den Wurzeln“ all diese Bedingungen optimal erfüllt. Als ich dann meine ersten Platten auflegte und das Publikum begeistert feierte, verfolg meine Aufregung ganz schnell.

Was empfindest du als größtes Hindernis für deine Arbeit als DJ?

In erster Linie meine eigene Einschränkung, also die Tatsache, dass ich nicht mehr zu jeder Tages- oder Nachtzeit auftreten und nach meinen Ansprüchen abliefern kann.

Was planst du für die Zukunft?

Im letzten Jahr habe ich zwei Remixe produziert und rausgebracht. Im Moment bin ich dabei, meine Vinyl-Plattensammlung für zukünftige Auftritte zu digitalisieren. Vor meiner Erkrankung habe ich fast ausschließlich mit Platten aufgelegt und das mit CDs ergänzt. Durch die motorischen Störungen zittern aber jetzt meine Hände, daher ist Auflegen mit Vinyl leider nicht mehr möglich.
Ganz unabhängig von der Musik versuche ich außerdem, mich für Barrierefreiheit im öffentlichen Raum zu engagieren – zum Beispiel, indem ich Tipps für Verbesserungen gebe, wenn ich irgendwo unterwegs bin und mir etwas auffällt. Das finde ich nicht nur für mich selbst wichtig.





VIER FRAGEN AN… Dennis Winkens

#1: Herr Winkens, was bedeutet Inklusion bei der Arbeit für Sie?

Wenn ein völlig normales und unvoreingenommenes Miteinander von Menschen mit und ohne Handicap stattfindet, ist das für mich gelungene Inklusion. Für mich darf es dabei keine Rolle spielen, ob diese Begegnungen in der Freizeit oder in der Arbeitswelt stattfinden. Zugleich sind die Rahmenbedingungen im Beruf natürlich etwas andere als im Privaten – überspitzt gesagt zählen hier vor allem die Leistung der Mitarbeiter und die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens. Daher finde ich es auch selbstverständlich, dass Arbeitgeber ihre offenen Stellen mit Personen besetzen wollen, die die nötigen Kenntnisse und Fähigkeiten für den Job mitbringen. Das bedeutet aber zugleich eben nicht, dass dieser Jobanwärter ein kerngesunder Fußgänger sein muss. Ich finde einfach, dass hier öfter der Fokus darauf liegen sollte, welche Dinge jemand gut kann und nicht vorwiegend darauf, welche Defizite sie oder er mitbringt. In unserer Gesellschaft gehört Arbeit einfach zum Leben dazu, deshalb sollte auch jeder die Möglichkeit haben, seinen Fähigkeiten entsprechend arbeiten zu können, egal, ob er oder sie nur eine Hand hat, im Rollstuhl sitzt oder sonst ein Handicap hat. Wie genau die jeweiligen Aufgaben dann umgesetzt werden – beispielsweise mit Hilfe von technischen Hilfsmitteln oder einer Arbeitsassistenz –, ist doch eigentlich relativ gleichgültig, solange sie erfüllt werden und den Qualitätsansprüchen des Arbeitgebers entsprechen.

#2: Was bremst Ihrer Meinung nach die Inklusion – bei der Arbeit, aber auch in der Gesellschaft insgesamt?

Einer der größten Fehler, den viele Menschen im Alltag und besonders auch in der Politik machen, ist, dass sie übereinander anstatt miteinander reden. Ich finde, nur wer miteinander redet, kann auch miteinander leben, und das ist doch das Ziel. Wenn also nicht auf Augenhöhe gesprochen wird, ist das Ergebnis fast immer, dass man sich gegenseitig ausgrenzt.

#3: Mit welchen kleinen oder größeren Handlungen könnten einzelne Menschen aus Ihrer Sicht selbst zur Inklusion beitragen?

Wie schon erwähnt fehlt es meiner Meinung nach vor allem an Kommunikation. Die Menschen müssten offener und unvoreingenommener aufeinander zu- und miteinander umgehen. Es ist jedes Mal das gleiche Szenario: Wenn ich als Mensch mit Behinderung auf Personen treffe, die bisher wenig Kontakt zu Menschen mit Handicap hatten, sind sie in der Regel sehr vorsichtig und zurückhaltend, weil sie sehr unsicher sind, wie sie sich verhalten sollen. Keiner will etwas Falsches tun oder sagen. Oft haben sie dann nur flüchtige oder neugierige Blicke für mich übrig und meist macht sich auch noch ein Schweigen breit. Sobald ich sie aber kurz anspreche, scheint die große Berührungsangst, die vorher noch deutlich zu spüren war, auf einmal vergessen zu sein. Die Leute merken durch Kommunikation schnell, dass ich auch nur ein ganz normaler Mensch bin, so wie ihr Nachbar von nebenan.
Ein weiteres Problem der Inklusion ist das Geld. Ich bin der Meinung, dass die Politik noch mehr finanzielle Mittel zur Verfügung stellen oder passende Gesetze erlassen müsste, um beispielsweise Barrierefreiheit oder Assistenzleistungen für Menschen mit Behinderung gezielt zu fördern. Durch diese Maßnahmen könnten Menschen mit Handicap einfach deutlich leichter am gesellschaftlichen Leben teilhaben und wären dort dann auch viel präsenter. Aus meiner Sicht kann sich auf Dauer nur so auch das Bild verändern, das Menschen von der Zusammensetzung einer „normalen“ Gesellschaft im Kopf haben – viele würden also vielleicht nicht mehr so stark in bestimmten Kategorien denken. Vielfalt hat sehr viele Vorzüge, die auf diesem Weg vielleicht öfter erkannt und gelebt werden könnten. Ich zitiere in diesem Zusammenhang sehr gerne Raul Krauthausen: „Etwa jeder zehnte Mensch in Deutschland hat eine Behinderung, aber nicht jeder zehnte davon findet sich auch in unserem Freundes- und Bekanntenkreis wieder. Wo sind diese Leute also?“ Diese Frage zeigt, dass die Durchmischung und Chancengleichheit im Beruf wie im Privaten, die Inklusion ja eigentlich befördern soll, oft noch nicht vorhanden ist. Das heißt, es muss sich etwas ändern, damit Menschen mit Handicap kein Schattendasein mehr führen, wie das bei zu vielen noch der Fall ist. Sie müssen wie alle anderen als Teil der Gesellschaft wahrgenommen werden und darin gut und gleichberechtigt leben können.

#4: Wenn Sie Ihren Traum-Arbeitsplatz frei entwerfen könnten: Wie sähe der aus?

Das kann ich relativ leicht beantworten: Flexible Arbeitszeiten, sympathische Kolleginnen und Kollegen, ebenso freundliche Geschäftspartner, kreative und abwechslungsreiche Tätigkeiten sowie die eine oder andere Dienstreise – gerne auch weltweit – würden für mich dazugehören. Wahrscheinlich würde ich auch mein eigener Chef sein wollen, denn so könnte ich viele dieser Aspekte leichter umsetzen. –




VIER FRAGEN AN… Norbert Sandmann

#1: Herr Sandmann, was bedeutet Inklusion bei der Arbeit für Sie?

Arbeit gehört in unserer Gesellschaft einfach fest zum Leben dazu. Wir verdienen mit ihr nicht nur unseren Lebensunterhalt, sondern definieren uns selbst auch durch das, was wir beruflich tun. Deshalb ist Inklusion im Arbeitsleben so wichtig, denn sie spielt eine große Rolle für unser Selbstwertgefühl und ermöglicht es uns zugleich, unser Leben eigenmächtig zu gestalten. Ein echter Arbeitsplatz, an dem nicht nur Beschäftigungstherapie angesagt ist, gibt jedem Menschen mit Handicap das gute Gefühl, mehr als ein „Quotenbehinderter“ zu sein. Stattdessen wird man oft erst dann als ein wirklich vollwertiges Mitglied der Gesellschaft wahrgenommen.

#2: Was bremst Ihrer Meinung nach die Inklusion – bei der Arbeit, aber auch in der Gesellschaft insgesamt?

Am häufigsten sind es wohl Berührungsängste seitens vieler Kollegen oder Vorgesetzten. Aus dieser Angst, dass Menschen mit Behinderung „anders“ sein könnten, entstehen schnell Vorurteile, und dadurch sehen viele bloß noch das Handicap und nicht mehr den Menschen dahinter.

#3: Mit welchen kleinen oder größeren Handlungen könnten einzelne Menschen aus Ihrer Sicht selbst zur Inklusion beitragen?

Kommunikation ist das A und O, damit Inklusion gelingen kann. Wenn wir alle mehr miteinander reden würden, wäre schon eine Menge geschafft. Das gilt übrigens für beide Seiten. Wir als Betroffene sollten ungezwungener auf unsere Mitmenschen zugehen, ihnen Unsicherheiten zugestehen und offen und ehrlich erklären, ob, wann und warum wir Hilfe benötigen – und genauso auch, wann diese unnötig ist. Auf ähnliche Weise gilt das umgekehrt auch für Nichtbehinderte: Sie sollten versuchen, nicht aus Angst oder Scham gar nichts mehr zu sagen, sondern lieber ein Gespräch suchen und gegebenenfalls auch die eigenen Unsicherheiten ansprechen.

#4: Wenn Sie Ihren Traum-Arbeitsplatz frei entwerfen könnten: Wie sähe der aus?

Ich würde ich mir vor allem ein Team wünschen, bei dem das Thema Behinderung keine Rolle spielt. Gerade im Arbeitsleben ist das eine sehr spannende Sache, weil hier neben Persönlichkeit immer auch Leistung gefragt ist. Damit diese auch effektiv erbracht werden kann, ist es umso wichtiger, dass sich alle aufeinander einstellen. Bei meinem Traum-Arbeitsplatz würden daher alle auf die jeweils unterschiedlichen Bedürfnisse, Kenntnisse und auch Einschränkungen der anderen achten, um dadurch im Arbeitsleben gemeinsam stark zu sein.