Aktionen zum „Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen“ am 5. Mai 2022

Zu den Veranstaltungen, die die Aktion Mensch hier gesammelt hat, zählt zum Beispiel eine Demo des Berliner Behindertenverbands e. V., die am 5. Mai um 14 Uhr am Brandenburger Tor startet. Oder die Aktion „Gelbe Karte für Stolperfallen“ des Blinden- und Sehbehindertenbunds in Hessen e. V. (BSBH) am 5. Mai in Darmstadt und am 6. Mai in Kassel. An diesen Tagen heften die Mitmacher:innen der Aktion gelbe Karten an schlecht geparkte E-Scooter auf dem Gehweg, um so darauf aufmerksam zu machen, dass diese Fahrzeuge für blinde und sehbehinderte Menschen sehr gefährliche Hindernisse sein können. Und wer möchte, kann sowohl in Darmstadt als auch in Kassel auf einem Hindernis-Parcours selbst erleben, wie es sich anfühlt, bei völliger Dunkelheit auf Gehwegen und Straßen unterwegs zu sein.




Zahl des Jahres: 1,27 Millionen

Seit 2013 untersucht die Aktion Mensch für ihr Inklusionsbarometer Arbeit jedes Jahr zusammen mit dem Handelsblatt Research Institute, wie sich die berufliche Inklusion auf dem deutschen Arbeitsmarkt entwickelt.

Mit den aktuellen Ergebnissen setzt sich nun der positive Trend der letzten Jahre fort: Die Zahl der Menschen mit Behinderung, die eine Stelle auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt haben, steigt stetig an (2015: 1,15 Mio., 2016: 1,18 Mio., 2017: 1,23 Mio., 2018: 1,25 Mio.). Wie die Aktion Mensch diese Zahlen genau ermittelt, haben wir hier erklärt.

Auch die Arbeitslosenquote sinkt

Eine weitere schöne Nachricht: Die Arbeitslosenquote ist erneut gesunken und liegt jetzt bei 11,2 Prozent (2018: 11,7 Prozent, 2017: 12,4 Prozent).
Der Wert des so genannten Lagebarometers ist deshalb auch von 107,2 auf 107,7 Punkte gestiegen. Mit dieser Zahl beschreibt die Aktion Mensch in der Studie, wie sich die berufliche Inklusion insgesamt entwickelt: Sinkt der Wert unter 100, bedeutet das eine Verschlechterung; Werte über 100 Punkten zeigen eine Verbesserung an.

Die Ergebnisse des Inklusionsbarometers Arbeit als Grafik mit Text.
Die Ergebnisse des Inklusionsbarometers 2019 in der Übersicht. Illustration: Aktion Mensch

„Trotzdem Handlungsbedarf“

Die Inklusion auf dem Arbeitsmarkt ist also weiter im Aufschwung. Dennoch gibt es noch eine Menge zu tun, sagt die Aktion Mensch. Die Arbeitslosenquote von Menschen mit Behinderung ist beispielsweise nach wie vor mehr als doppelt so hoch wie bei Menschen ohne Behinderung (11,2 Prozent im Vergleich zu 5,2 Prozent). Außerdem waren Menschen mit Behinderung im Jahr 2019 im Schnitt 359 Tage (2018: 366 Tage) auf Jobsuche – das sind 100 Tage mehr als Menschen ohne Behinderung.




Passt perfekt!

Herr Demblin, was war Ihr Antrieb, sich beruflich mit sozialen Themen auseinanderzusetzen?

Mir ist das aus persönlichen Gründen wichtig, weil ich das Leben sowohl mit als auch ohne Behinderung kenne. Ich hatte mit 19 einen Badeunfall und lebe seither mit Rollstuhl. Ab diesem Zeitpunkt wurde ich komplett anders behandelt, auch auf dem Arbeitsmarkt. Ich habe also am eigenen Leib erlebt, wie sich das Verhalten der Menschen im eigenen Umfeld verändern kann, wenn so etwas passiert und man dann plötzlich mit einer Behinderung lebt, die für alle sichtbar ist. Deshalb möchte ich das Leben auch von anderen Menschen mit Behinderung positiv verändern. In der Wirtschaft liegt dafür aus meiner Sicht das größte Potenzial.

Warum sehen Sie dort besonders große Möglichkeiten?

Weil Menschen nur auf allen Ebenen unserer Gesellschaft teilhaben können, wenn sie einen Job haben. Dann verdienen sie ihren Lebensunterhalt eigenständig, können selbstbestimmt leben und sich beruflich wie privat weiterentwickeln und beweisen. Auf der anderen Seite liegt gerade bei Unternehmen ein großes Potenzial für Inklusion. Wenn dort Barrierefreiheit überall mitgedacht wird, intern wie extern, baulich, aber auch in den Köpfen, profitieren alle davon. So wird die Offenheit in der gesamten Gesellschaft gefördert. Dieses neue und umfassende „über den Tellerrand denken“ schafft ein ungeheures Innovationspotenzial.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Stellen Sie sich vor, eine Mitarbeiterin mit einer Höreinschränkung beginnt in einer neuen Abteilung. Durch eine offene Kommunikation über das, was sie in ihrem Arbeitsumfeld braucht, werden die anderen Kolleginnen und Kollegen animiert, ebenfalls über ihre eigenen Bedürfnisse nachzudenken. So werden Potenziale freigesetzt, die sonst vielleicht nicht erkannt worden wären, und diese kann das Unternehmen gezielt fördern. Damit lässt sich die Leistung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oft deutlich steigern.

Wie haben sie konkret damit begonnen, die Themen Arbeit und Inklusion zu verbinden?

Gemeinsam mit meinem Kollegen Wolfgang Kowatsch hatte ich im Jahr 2009 die Idee, die inklusive Jobplattform myAbility.jobs zu entwickeln (früher: Career Moves). Unternehmen können dort Arbeitsplätze anbieten und ausdrücklich Menschen mit Behinderung ansprechen. Das Konzept ist, dass ganz normale Arbeitsstellen ausgeschrieben und keine extra Stellen geschaffen werden – wir wollen die Unternehmen also zu gelebter Inklusion animieren.
Schon in der Anfangszeit haben wir schnell gemerkt, dass viele Betriebe bei diesem Thema grundsätzliche Unterstützung benötigen. Sie sind oft unsicher, was genau sie tun müssen, um inklusive Bedingungen in ihren Unternehmen herzustellen. Deshalb haben wir die Unternehmensberatung „myAbility“ gegründet. Damit und mit unserem DisAbility-Talent-Programm arbeiten wir täglich daran, unserer Vision einer chancengerechten und barrierefreien Welt näher zu kommen.

Worum geht es im DisAbility-Talent-Programm?

Inklusion ist ja nicht erst auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wichtig, sondern auch schon vorher, an den Schulen und Unis. Dort werden die Weichen für Karrieren gestellt und die Nachwuchskräfte von morgen ausgebildet. Das DisAbility-Talent-Programm schafft hier Berührungspunkte und „matcht“ Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber mit hoch qualifizierten Studierenden mit Behinderung oder chronischer Erkrankung, die potenzielle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Betriebe sein könnten. Zu unseren Zielgruppen zählen Studierende und junge Absolventinnen und Absolventen, die zum Beispiel Seh-, Hör- oder Mobilitätseinschränkungen, Legasthenie, Epilepsie, psychische Erkrankungen oder Diabetes haben. Die Unternehmen treffen diese jungen Menschen im Rahmen unseres Programms und lernen sie näher kennen. Die Studierenden wiederum lernen in Gruppen- und Einzelcoachings, sich zu präsentieren und ihre Behinderung als Karrierefaktor zu sehen. So gewinnen beide Seiten: Die Unternehmen lernen potenzielle zukünftige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennen, die Studierenden können zukünftige Arbeitsbereiche aktiv erkunden.

Aus welchen Elementen besteht das Programm genau?

Es gibt mehrere Veranstaltungen und Formate, die den Studierenden dabei helfen, ihre Karriere zu planen. Dazu zählen Gruppencoachings, bei denen die jungen Talente mit einem Medientrainer an ihrer Wirkung und Körpersprache arbeiten, um auf Bewerbungsgespräche gut vorbereitet zu sein. In Einzelcoachings wird individuell über das Thema Karriere und die nächsten Schritte gesprochen. Beim Karriereworkshop wird das Thema Behinderung und Karriere erörtert, außerdem werden Tipps für die so genannten Job-Shadowings gegeben. Dabei begleiten Studierende eine erfahrene Mitarbeiterin oder einen erfahrenen Mitarbeiter eines Unternehmens im Arbeitsalltag und schauen ihr oder ihm über die Schulter. Das Highlight des Programms ist aber der Matching Day.

Was geschieht beim Matching Day?

Die Talente lernen an diesem Tag bei einem Speeddating die Personalverantwortlichen unserer Partnerunternehmen kennen. Sie wenden also das erste Mal das Gelernte aus den Coachings an, aber in einem sicheren Rahmen. Bei den Job-Shadowings können sie außerdem das erste Mal einen Blick in Abteilungen werfen, in denen sie später vielleicht einmal arbeiten werden. Dieser Teil ist auch der wertvollste des DisAbility-Talent-Programms, weil die Studierenden dabei Kontakte aufbauen, sich fachlich austauschen und Berührungsängste abbauen können. Das gleiche gilt umgekehrt auch für die Unternehmen.

Welchen Anreiz bieten Sie den Unternehmen, bei Ihrem Programm mitzumachen?

Mehr als elf Prozent der Studierenden in Deutschland geben an, eine Behinderung zu haben. Gleichzeitig ist der Anteil an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Behinderung in österreichischen wie deutschen Unternehmen deutlich geringer. Das möchten wir zusammen mit den Unternehmen gern ändern. Durch das DisAbility-Talent-Programm schaffen wir eine Plattform, mit der unsere Partnerunternehmen hochqualifizierte Studierende mit Behinderung kennenlernen können. Sie können so einem möglichen Fachkräftemangel in Zukunft besser begegnen und zugleich etwas zur Inklusion auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beitragen.

Wie gut funktioniert das Programm bisher?

Sehr gut, denn wir merken, dass viele Studierende noch sehr wenig Bewerbungserfahrung und demnach viele Fragen haben. Im Programm gibt es darauf konkrete Antworten, außerdem profitieren die jungen Menschen von allen Formen des Coachings. Den Erfolg des Programms können wir übrigens auch an Zahlen belegen: Mehr als 25 Prozent unserer Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben durch DisAbility-Talent-Programm später eine Festanstellung oder ein längeres Praktikum bekommen






Ein neuer Blickwinkel

Anna Spindelndreier will mit ihren Bildern Menschen erreichen, aufklären und sie zugleich berühren und glücklich machen. Mit uns hat sie über ihren Beruf, den Einstieg in die Selbstständigkeit, ihre Wünsche für die Zukunft, aber auch über die Vorurteile gesprochen, die ihr im Laufe ihrer Karriere immer wieder begegnet sind.


Frau Spindelndreier, seit wann fasziniert Sie die Fotografie?

Ich habe als Kind meinem Vater viel über die Schulter geguckt, der als Verleger arbeitet und viel fotografiert hat. Er hat früher viele Bildbände und Postkartenbücher gestaltet. Bei ihm im Büro lagen immer tausende Dias und Fotos herum. Das hat mich schon früh fasziniert. Mit neun Jahren bekam ich dann von meinem Patenonkel zur Kommunion meine erste eigene Kamera geschenkt. In dieser Zeit fing ich damit an, meine ganze Umwelt auf Zelluloid zu bannen und alles zu fotografieren, was mir vor die Linse kam.

Wie sind Sie Fotografin geworden?

Das war anfangs sehr schwierig. Nach dem Abitur wollte ich eigentlich gern eine Ausbildung zur Mediengestalterin machen, war mit meinen Bewerbungen aber nicht erfolgreich. Gleichzeitig hatte ich mich als Auszubildende für Fotografie beworben, bekam bei den Vorstellungsgesprächen aber leider zu hören, dass man mich nicht anstellen könne, weil man nicht wisse, wie Kunden auf mich als kleinwüchsige Fotografin reagieren würden. Schließlich klappte es nach über 80 Bewerbungen dann doch noch. Nach dem Abschluss der Ausbildung konnte ich leider keine Festanstellung finden – ich bin nicht sicher, ob es vor allem an der schwierigen Arbeitsmarktsituation in dieser Branche lag oder doch an meinem Kleinwuchs. Eingeredet habe ich mir immer das erstere. Ich habe dann erst einmal als Assistentin in einem Fotostudio angefangen zu arbeiten. Mit der Erfahrung und den Fähigkeiten, die ich dort sammeln konnte, habe ich mich schließlich selbstständig gemacht und parallel ein Studium begonnen.

Wie war der Einstieg in die Selbstständigkeit für Sie?

Zu Beginn meiner Selbstständigkeit lag mein Fokus noch sehr auf dem Studium. Ich habe in dieser Zeit vor allem freie Fotoprojekte für die Uni gemacht und mich daneben mit studentischen Hilfsjobs über Wasser gehalten. Viel Akquise habe ich damals aber nicht betrieben. Die ersten Aufträge bekam ich dadurch, dass ich weiterempfohlen wurde, weil ich vorher schon mal anderswo gute Arbeit geleistet hatte. Was das betrifft, ist mein Einstieg in die Freiberuflichkeit also weitestgehend positiv verlaufen, sie trug sich nach und nach und ich wurde unabhängiger. Trotzdem war das rückblickend betrachtet keine einfache Phase. In der Selbstständigkeit erlebt man gerade in kreativen Branchen viele Höhen und Tiefen, erst recht am Anfang. Es braucht immer viel Disziplin. Man muss lernen, sich seine Zeit vernünftig einzuteilen, zugleich muss man mit abstrakten Arbeitsstrukturen gut umgehen können oder sich darin am besten sogar sehr wohl fühlen.

Was für Aufträge hatten Sie am Anfang und wie kamen sie zustande?

Wie gesagt waren meine ersten freien Projekte die an der Uni, zugleich bin ich, wie viele andere Fotografen auch, über die Hochzeitsfotografie an Aufträge gekommen. Das erste Vertrauen von anderen, dass ich gut in meinem Beruf bin, bekam ich also vor allem von Freunden und Freunden von Freunden.

Welchen Schwerpunkt setzen Sie in Ihrer Arbeit?

Für mich war in der Ausbildung eigentlich klar, dass ich später mal in der Still-Life-Photography Fuß würde fassen wollen, mich also auf Produktfotos spezialisieren wollte. Bei dieser Art der Fotografie fehlte mir aber schon bald die menschliche Komponente. Deshalb verlagerte ich meinen Schwerpunkt nach und nach auf die Porträtfotografie, die heute ganz klar mein Hauptbereich ist.

Sie sind als selbstständige Fotografin ja in einem Berufsfeld unterwegs, in dem die Konkurrenz groß ist. Wie heben Sie sich von den Kolleginnen und Kollegen ab?

Das ist in meinem Beruf tatsächlich gar nicht so einfach. Eine Art Markenzeichen meiner Fotografie ist wohl, dass ich Stereotypen zu durchbrechen und neue Blickwinkel zu eröffnen versuche. Bei den Motiven ziehen sich vor allem Menschen mit Behinderung wie ein roter Faden durch meine Arbeit. Am wichtigsten ist mir hierbei, dass ich mit meinem ganz persönlichen, subjektiven Blick durch die Linse schaue. Ich beschönige nichts, meine Fotos sprechen klar alles so aus, wie es ist. Ich weiß auch, dass ich das sehr gut mache und vor allem deshalb gebucht werde. Abseits davon ist aber natürlich auch meine für viele Menschen ungewöhnliche Körpergröße ein bedeutendes Merkmal – auch wenn ich immer wieder gerne betone, dass ich in erster Linie Fotografin bin und erst in zweiter Linie kleinwüchsig. Aber diese körperliche Eigenschaft spiegelt sich indirekt eben auch öfter in der Perspektive meiner Fotos wider. Man kann dabei vielleicht ein bisschen von einer „Heldenperspektive“ sprechen, also einer Sicht von unten, die ich durch meine Größe ganz automatisch einnehme. Das ist ein Blickwinkel, der besonders gerne bei Models und Politikern verwendet wird. Mit Hilfe meiner Trittleiter kann ich natürlich trotzdem auch die „normale“ Perspektive anbieten.

Wer engagiert Sie – und mit welchen Kunden arbeiten Sie am liebsten zusammen?

Aktuell arbeite ich vor allem mit vielen Selbsthilfevereinen zusammen, unter meinen Kunden sind aber auch soziale Organisationen wie Special Olympics NRW, Change.org, Aktion Mensch, die AWO oder auch mal Privatleute wie der TV-Koch Volker Westermann, der selbst kleinwüchsig ist. Lieblingskunden gibt es dabei nicht, das ist immer von den Projekten selbst abhängig, die ich machen darf. Hier begeistern mich vor allem die Aufträge, bei denen mit besonders viel Herzblut gearbeitet wird. Wenn ich abends auf meinem Rechner die Bilder sortiere und dabei in freudestrahlende Gesichter schaue, dann weiß ich genau, warum ich diesen Job mache und liebe.

Wenn Sie an Aufträge der jüngeren Vergangenheit zurückdenken: Welcher hat Ihnen besonders viel Spaß gemacht und warum?

Vor einigen Wochen habe ich zusammen mit meiner sehr geschätzten Kollegin die Landesspiele der Special Olympics NRW in Neuss fotografiert. Dort haben über 1000 Athleten und Athletinnen mit Lernschwierigkeiten in unterschiedlichsten Leichtathletik-Disziplinen ihr Können gezeigt – das waren drei Tage voller Adrenalin, Action, Emotionen und Herzlichkeit, die ich so schnell nicht vergessen werde.

Wie sah bei diesem Auftrag Ihr Alltag aus?

Wir standen um 8 Uhr morgens auf dem Sportplatz, um den Startschuss der Wettkämpfe mitzubekommen. Danach und für den Rest des Tages sind wir von Sportstätte zu Sportstätte gezogen und haben dabei möglichst jede Sportart festgehalten und sehr viele Sportler porträtiert. Abends gegen sieben waren wir wieder zurück im Hotel, haben die Daten gesichert, eine kleine Bildauswahl gemacht für die sozialen Medien – Marketing gehört zwischendurch auch immer mit dazu –, und die Kamera-Akkus geladen. Anschließend sind wir ziemlich erschöpft ins Bett gefallen, und am nächsten Tag ging es fit und frisch in die zweite Runde.

Sehen Sie sich privat oder beruflich manchmal mit Vorurteilen oder anderen Barrieren konfrontiert – und falls ja, wie gehen Sie damit um?

Mal abgesehen von den baulichen Barrieren, die einem im Alltag ständig begegnen – zu hohe Ladentheken, Geldscheinautomaten, Lichtschalter und so weiter – werde ich hin und wieder leider auch mit Vorurteilen konfrontiert. Am häufigsten habe ich das Gefühl, dass andere Menschen meinen, sie könnten von meiner körperlichen auf meine intellektuelle Größe schließen.

Gibt es etwas, das Sie sich in Ihrem Beruf für die Zukunft wünschen würden?

Die Fotografie ist, wie viele andere Branchen auch, ein immer noch stark von Männern dominiertes Berufsfeld. Ich würde mir sehr wünschen, dass sich das in den nächsten Jahren ändert und mehr Frauen sich trauen, in diesem Beruf selbstständig zu arbeiten. Darüber hinaus könnte die ganze Medienbranche gerne etwas lockerer und offener werden. Ich möchte nie wieder hören müssen, dass ich einen Auftrag nicht bekomme, weil man nicht weiß, wie die Kunden auf mich – also auf meinen Kleinwuchs – reagieren könnten. Der größte Erfolg wäre es aber für mich, wenn ich es so lange wie möglich schaffen könnte, mit meiner Fotografie möglichst viele unterschiedliche Leute zu erreichen, aufzuklären und glücklich zu machen. –




„Mit der Gewohnheit fielen alle Schranken“

Bei Knut Schuster war es der Vater, der ihm klarmachte, dass Menschen mit Behinderungen ebenso große Chancen wie nichtbehinderte Menschen haben sollten schon deshalb, weil sein Papa an einer offenen Tuberkulose litt und eine Wirbelsäulenverkrümmung sowie eine dementsprechende Körperhaltung hatte. „Wenn die anderen Kinder mir mal sagten, dass er sich aber komisch bewegen würde, habe ich immer nur geantwortet, dass er genauso ein Vater wie alle anderen ist“, erinnert sich der 41-Jährige, der in Hagen-Hohenlimburg die Geschäfte der Springtec Group, Schrimpf und Schöneberg führt. Deshalb, so sagt er heute, ist es für ihn auch selbstverständlich, dass in seinem Unternehmen, das Federn aus Stahldraht und andere Stanz- und Biegeteile für die Auto-, Luftfahrt-, Elektrotechnik- und Sanitärindustrie herstellt, Menschen mit Behinderung arbeiten. Sascha Thiele ist einer dieser 16 Mitarbeiter, die in der Integrationsabteilung des Unternehmens einen festen Arbeitsplatz gefunden haben.

In der Halle, in der der 32-Jährige tätig ist, spucken Dutzende Maschinen im Sekundentakt Federn aus, dreifach, fünffach, zehnfach gedreht, abgewinkelt, gestanzt, zwischen einigen Millimetern und mehreren Zentimetern groß. Thiele stellt sie mit geübtem Griff in ausgebohrte Löcher eines runden Stahltellers, der sich unaufhörlich dreht. In der Maschine fährt ein Schleifteller über die Federn und nivelliert sie, so dass sie an beiden Seiten eben werden. Penibel achtet er darauf, dass alle Löcher besetzt sind und die Federn gerade stehen.

Murat Demir und Sascha Thiele in der Werkstatt der Springtec Group
Murat Demir (li.) erklärt Sascha Thiele einen Arbeitsschritt. Foto: Thorsten Arendt

Sascha Thiele besuchte zuvor die Sonderschule und wechselte danach in das Integrationsunternehmen „Pro Integration“, das ebenfalls in Hagen-Hohenlimburg angesiedelt ist. Dort absolvierte er eine Ausbildung zum Gärtner, wechselte danach allerdings mehrfach den Arbeitgeber: „Das hat oft nicht gepasst“, sagt Thiele, der „langsamer lernt als andere“, wie er selbst sagt. Er scheint lange für jede Antwort überlegen zu müssen und wirkt etwas schüchtern. Bei Springtec gilt Sascha Thiele aber als „zuverlässig und sehr akkurat“. Einen Führerschein hat er auch, den hatte er schon im ersten Job gemacht. Heute ist er gut ins Unternehmen integriert, „und zwar komplett“, wie Knut Schuster stolz erzählt. Die Männer und Frauen mit psychischen oder körperlichen Behinderungen, die hier arbeiten, sind ein selbstverständlicher Teil der 70-köpfigen Belegschaft am Standort geworden. „Am Anfang haben sich die Kollegen zwar erst einmal gegenseitig beäugt“, erinnert sich Schuster an die Gründung der Integrationsabteilung im Jahr 2009 zurück, die vom LWL-Inklusionsamt Arbeit und durch das NRW-Landesprogramm „Integration unternehmen!“ investiv gefördert wurde. „Mit der Gewohnheit fielen dann aber alle Schranken“, erzählt er. „Heute haben sich Fahrgemeinschaften gebildet, ein Mitarbeiter mit Lkw-Führerschein hilft einem behinderten Kollegen beim Umzug und die Mitarbeiter mit und ohne Behinderung verbringen die Mittagspause gemeinsam.“

Ein gelungener Start

Den Kontakt zu Springtec stellte eine Betreuerin für Sascha Thiele her, die ihn schon während seiner Lehre begleitet hatte. „Sie hat mir von der Arbeit hier erzählt und ist mit mir zum Vorstellungsgespräch gegangen“, sagt der 32-Jährige und nickt bekräftigend. Ja, er ist auch heute noch immer zufrieden bei Springtec. „Der Job hier gefällt mir gut“, sagt er, mehr Geld verdiene er auch und er fühle sich sehr wohl im Team und mit seinen Chefs. Ein gelungener Start ins Berufsleben und in die Firma der aber auch viel Arbeit bedeutete, das macht Knut Schuster ebenfalls klar. Für die 16 Kollegen mit Behinderung ist in der Verwaltung unter anderem Monika Gloerfeld zuständig. Sie kennt das Team sehr gut und weiß, worauf sie achten muss. „Manchen tut es zum Beispiel sehr gut, wenn ich sie alle paar Tage anspreche und nach ihrem Wohlbefinden frage“, berichtet die ausgebildete Industriekauffrau. „Ich bin daher öfter als für die Verwaltung sonst üblich in der Produktion unterwegs und unterhalte mich mit den Kollegen. So schaffen wir eine angenehme Atmosphäre.“ Auch Sascha Thiele führt die 59-Jährige gerne als gutes Beispiel an: „Da zeigt sich, wie viel es ausmacht, wenn ein Mitarbeiter an der richtigen Stelle eingesetzt wird und ihm seine Arbeit zusagt.“ Monika Gloerfeld freut sich ebenfalls, wenn Arbeit und Mensch gut zueinander passen. „Bei unseren behinderten Teamkollegen ist der Krankenstand zwar leicht höher als bei den nichtbehinderten, weil viele Kollegen nun mal eine angeschlagene Gesundheit haben“, sagt sie. „Das ist für uns aber alles völlig im Rahmen.“

Sascha Thiele selbst hat in zwei Jahren kein einziges Mal bei der Arbeit gefehlt. Allen Kollegen mit Behinderung bedeute ihr Job sehr viel, ergänzt sein Chef. „Wenn die Leute erst einmal bei uns anfangen, dann bleiben sie auch“, sagt Knut Schuster, der potentielle neue Mitarbeiter ein drei- bis vierwöchiges Praktikum in seiner Firma absolvieren lässt, bevor sie fest eingestellt werden. „Beide Seiten müssen erst einmal sehen, ob sie zueinander passen. Wir sind ein Wirtschaftsunternehmen, das im harten Wettbewerb steht. Da können wir es uns nicht erlauben, dass unsere Mitarbeiter ständig wechseln.“
Die Entscheidung für die Integrationsabteilung bei Springtec sei auch aus unternehmerischen Gründen gefallen: „Die Alternative wären Arbeitsplätze im Ausland gewesen, die aber wohl nicht die Qualität hervorgebracht hätten, die wir benötigen.“ Dass sie eine Integrationsabteilung gegründet haben, bereuen Schuster und sein Mitgeschäftsführer Jürgen Hammermeister nicht. Ein Grund für das Gelingen ist auch, dass das Unternehmen seit mehr als 15 Jahren mit den Iserlohner Werkstätten für Menschen mit Behinderung zusammenarbeitet. Im Jahr 2003 richtete die Springtec-Group dann in den eigenen Hallen Außenarbeitsplätze der Werkstatt ein, aus denen die Integrationsabteilung gewachsen ist auch mit Hilfe des vom LWL bezahlten Integrationsfachdienstes Hagen. Die Inklusion in der Springtec-Group geht sogar noch weiter als das. „Wir lassen unsere Mitarbeiter mit und ohne Behinderung in den Abteilungen an den gleichen Maschinen rotieren“, sagt Schuster. „Auf diese Weise wächst das Team noch besser zusammen.“