Passt perfekt!

Herr Demblin, was war Ihr Antrieb, sich beruflich mit sozialen Themen auseinanderzusetzen?

Mir ist das aus persönlichen Gründen wichtig, weil ich das Leben sowohl mit als auch ohne Behinderung kenne. Ich hatte mit 19 einen Badeunfall und lebe seither mit Rollstuhl. Ab diesem Zeitpunkt wurde ich komplett anders behandelt, auch auf dem Arbeitsmarkt. Ich habe also am eigenen Leib erlebt, wie sich das Verhalten der Menschen im eigenen Umfeld verändern kann, wenn so etwas passiert und man dann plötzlich mit einer Behinderung lebt, die für alle sichtbar ist. Deshalb möchte ich das Leben auch von anderen Menschen mit Behinderung positiv verändern. In der Wirtschaft liegt dafür aus meiner Sicht das größte Potenzial.

Warum sehen Sie dort besonders große Möglichkeiten?

Weil Menschen nur auf allen Ebenen unserer Gesellschaft teilhaben können, wenn sie einen Job haben. Dann verdienen sie ihren Lebensunterhalt eigenständig, können selbstbestimmt leben und sich beruflich wie privat weiterentwickeln und beweisen. Auf der anderen Seite liegt gerade bei Unternehmen ein großes Potenzial für Inklusion. Wenn dort Barrierefreiheit überall mitgedacht wird, intern wie extern, baulich, aber auch in den Köpfen, profitieren alle davon. So wird die Offenheit in der gesamten Gesellschaft gefördert. Dieses neue und umfassende „über den Tellerrand denken“ schafft ein ungeheures Innovationspotenzial.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Stellen Sie sich vor, eine Mitarbeiterin mit einer Höreinschränkung beginnt in einer neuen Abteilung. Durch eine offene Kommunikation über das, was sie in ihrem Arbeitsumfeld braucht, werden die anderen Kolleginnen und Kollegen animiert, ebenfalls über ihre eigenen Bedürfnisse nachzudenken. So werden Potenziale freigesetzt, die sonst vielleicht nicht erkannt worden wären, und diese kann das Unternehmen gezielt fördern. Damit lässt sich die Leistung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oft deutlich steigern.

Wie haben sie konkret damit begonnen, die Themen Arbeit und Inklusion zu verbinden?

Gemeinsam mit meinem Kollegen Wolfgang Kowatsch hatte ich im Jahr 2009 die Idee, die inklusive Jobplattform myAbility.jobs zu entwickeln (früher: Career Moves). Unternehmen können dort Arbeitsplätze anbieten und ausdrücklich Menschen mit Behinderung ansprechen. Das Konzept ist, dass ganz normale Arbeitsstellen ausgeschrieben und keine extra Stellen geschaffen werden – wir wollen die Unternehmen also zu gelebter Inklusion animieren.
Schon in der Anfangszeit haben wir schnell gemerkt, dass viele Betriebe bei diesem Thema grundsätzliche Unterstützung benötigen. Sie sind oft unsicher, was genau sie tun müssen, um inklusive Bedingungen in ihren Unternehmen herzustellen. Deshalb haben wir die Unternehmensberatung „myAbility“ gegründet. Damit und mit unserem DisAbility-Talent-Programm arbeiten wir täglich daran, unserer Vision einer chancengerechten und barrierefreien Welt näher zu kommen.

Worum geht es im DisAbility-Talent-Programm?

Inklusion ist ja nicht erst auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wichtig, sondern auch schon vorher, an den Schulen und Unis. Dort werden die Weichen für Karrieren gestellt und die Nachwuchskräfte von morgen ausgebildet. Das DisAbility-Talent-Programm schafft hier Berührungspunkte und „matcht“ Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber mit hoch qualifizierten Studierenden mit Behinderung oder chronischer Erkrankung, die potenzielle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Betriebe sein könnten. Zu unseren Zielgruppen zählen Studierende und junge Absolventinnen und Absolventen, die zum Beispiel Seh-, Hör- oder Mobilitätseinschränkungen, Legasthenie, Epilepsie, psychische Erkrankungen oder Diabetes haben. Die Unternehmen treffen diese jungen Menschen im Rahmen unseres Programms und lernen sie näher kennen. Die Studierenden wiederum lernen in Gruppen- und Einzelcoachings, sich zu präsentieren und ihre Behinderung als Karrierefaktor zu sehen. So gewinnen beide Seiten: Die Unternehmen lernen potenzielle zukünftige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kennen, die Studierenden können zukünftige Arbeitsbereiche aktiv erkunden.

Aus welchen Elementen besteht das Programm genau?

Es gibt mehrere Veranstaltungen und Formate, die den Studierenden dabei helfen, ihre Karriere zu planen. Dazu zählen Gruppencoachings, bei denen die jungen Talente mit einem Medientrainer an ihrer Wirkung und Körpersprache arbeiten, um auf Bewerbungsgespräche gut vorbereitet zu sein. In Einzelcoachings wird individuell über das Thema Karriere und die nächsten Schritte gesprochen. Beim Karriereworkshop wird das Thema Behinderung und Karriere erörtert, außerdem werden Tipps für die so genannten Job-Shadowings gegeben. Dabei begleiten Studierende eine erfahrene Mitarbeiterin oder einen erfahrenen Mitarbeiter eines Unternehmens im Arbeitsalltag und schauen ihr oder ihm über die Schulter. Das Highlight des Programms ist aber der Matching Day.

Was geschieht beim Matching Day?

Die Talente lernen an diesem Tag bei einem Speeddating die Personalverantwortlichen unserer Partnerunternehmen kennen. Sie wenden also das erste Mal das Gelernte aus den Coachings an, aber in einem sicheren Rahmen. Bei den Job-Shadowings können sie außerdem das erste Mal einen Blick in Abteilungen werfen, in denen sie später vielleicht einmal arbeiten werden. Dieser Teil ist auch der wertvollste des DisAbility-Talent-Programms, weil die Studierenden dabei Kontakte aufbauen, sich fachlich austauschen und Berührungsängste abbauen können. Das gleiche gilt umgekehrt auch für die Unternehmen.

Welchen Anreiz bieten Sie den Unternehmen, bei Ihrem Programm mitzumachen?

Mehr als elf Prozent der Studierenden in Deutschland geben an, eine Behinderung zu haben. Gleichzeitig ist der Anteil an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Behinderung in österreichischen wie deutschen Unternehmen deutlich geringer. Das möchten wir zusammen mit den Unternehmen gern ändern. Durch das DisAbility-Talent-Programm schaffen wir eine Plattform, mit der unsere Partnerunternehmen hochqualifizierte Studierende mit Behinderung kennenlernen können. Sie können so einem möglichen Fachkräftemangel in Zukunft besser begegnen und zugleich etwas zur Inklusion auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beitragen.

Wie gut funktioniert das Programm bisher?

Sehr gut, denn wir merken, dass viele Studierende noch sehr wenig Bewerbungserfahrung und demnach viele Fragen haben. Im Programm gibt es darauf konkrete Antworten, außerdem profitieren die jungen Menschen von allen Formen des Coachings. Den Erfolg des Programms können wir übrigens auch an Zahlen belegen: Mehr als 25 Prozent unserer Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben durch DisAbility-Talent-Programm später eine Festanstellung oder ein längeres Praktikum bekommen






„Changemaker“ gesucht: Ashoka fördert soziale Innovationen

Frau Haverkamp, was sind soziale Entrepreneure und was macht sie aus?

Das sind Frauen und Männer, die sich mit innovativen, übertragbaren Ansätzen und mit unternehmerischem Geist dafür einsetzen, gesellschaftliche Probleme zu lösen – und dafür meist eine Organisation gründen. Auch wenn der Begriff vergleichsweise neu ist: „Social Entrepreneurs“, also soziale Gründerinnen und Gründer, hat es eigentlich schon immer gegeben. Berühmte Beispiele sind Maria Montessori, die Begründerin der Reformpädagogik, oder Henry Dunant, Mitgründer des Roten Kreuzes. Innovative Ansätze gehen oft von engagierten Einzelpersonen aus, die sich kreativ für einen neuen Zustand unserer Gesellschaft einsetzen. Das gilt für alle Bereiche: Die Themen unserer Fellows reichen von Umweltschutz über Bildung bis hin zur ökonomischen Teilhabe oder der Unterstützung von Familien.

Was ist denn das Besondere an diesem Engagement? Solche Impulse für gesellschaftliche Veränderungen könnten ja zum Beispiel auch aus der Politik kommen.

Wir glauben, dass es kaum etwas Kraftvolleres gibt als eine soziale Innovation, die von einer unternehmerischen Persönlichkeit geführt wird – und daran, dass vielversprechende Ansätze möglichst früh aufgespürt und gefördert werden müssen, anstatt sie erst nach ihrem Durchbruch zu feiern. Dann sind nämlich die anfänglichen, oft sehr hohen Hürden schon längst überwunden, zum Beispiel solche geistigen Haltungen wie „Das haben wir doch noch nie so gemacht!“ und „Dafür sind doch andere zuständig!“. Die Fellows in unserem Netzwerk nehmen sich oftmals Themen vor, die sich über mehrere Generationen hinweg entwickeln – das sind also keine Konzepte und Unternehmen, die übermorgen fertig sind.

Nach welchen Kriterien wählen Sie aus, wer gefördert wird, und wie spüren Sie entsprechende Persönlichkeiten und Ansätze auf?

Ob eine Person Ashoka-Fellow werden kann, entscheiden wir nach weltweit gültigen Kriterien: Unsere Gründerinnen und Gründer müssen kreativ sein, ethisch denken und handeln und Unternehmergeist mitbringen. Das Ziel ihres Ansatzes, den sie mindestens in einem Pilotvorhaben erfolgreich umsetzt haben, sollte es sein, grundlegende gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen. Um solche Menschen und Projekte zu finden, recherchieren wir selbst aktiv und nutzen dabei unsere mehr als 35 Jahre globale Erfahrung, Weltveränderer zu erkennen und zu begleiten. Im Laufe dieser langen Zeit haben wir ein sehr engagiertes Netzwerk aufgebaut, das immer wieder sehr hilfreich ist und aus dem viele Ideen an uns herangetragen werden. Außerdem gibt es auf unserer Website die Möglichkeit, Kandidatinnen und Kandidaten zu nominieren. Auf diesem Weg erreichen uns pro Jahr etwa 200 Hinweise auf Persönlichkeiten, die für die Ashoka Fellowship vorgeschlagen werden – und wir freuen uns über jeden einzelnen davon!

Fördert Ashoka auch Persönlichkeiten und Projekte, die sich mit Inklusion beschäftigen?

Natürlich, das ist ein sehr wichtiges gesellschaftliches Feld. Vielen unserer Gründerinnen und Gründern gelingt es, den Blick der Gesellschaft auf vermeintliche „Behinderungen“ zu verändern, indem sie zeigen, dass darin auch ein besonderes Talent schlummern kann. Zu unseren Fellows gehört zum Beispiel Andreas Heinecke, der mit den Ausstellungen „Dialog im Dunkeln“ und „Dialog mit der Zeit“ unseren Blick auf Blindheit oder das Altern verändert. Manuela Richter-Werling hat das Präventions-Programm „Verrückt? Na und!“ gegründet und setzt sich damit dafür ein, Tabus rund um das Thema der psychischen Gesundheit abzubauen. Der Clou: Sie setzt Betroffene aktiv als Botschafterinnen und Botschafter ein, die authentisch von ihren Erfahrungen berichten. Jan Wulf-Schnabel wiederum hat das Institut für inklusive Bildung gegründet und bildet dort Menschen mit (geistiger) Behinderung zu Bildungsfachkräften aus. Diese lehren dann in Fachhochschulen und Universitäten, um die inklusive Lehrkompetenz von Studierenden zu stärken (Anm. d. Red.: In unserem Blog-Interview mit einer Mitarbeiterin des Instituts erfahrt ihr genauer, wie dieses Konzept funktioniert). Diese Liste ließe sich noch um viele Beispiele erweitern.

Wie unterstützt Ashoka die Unternehmen?

Wir begleiten unsere Ashoka-Fellows, sofern sie möchten, ein Leben lang auf ihrer Mission, indem wir Impulse geben, Beratungsangebote vermitteln, einen Dialog zwischen ganz unterschiedlichen Teilen der Gesellschaft aufbauen und Brücken schlagen. Und: Bei Bedarf können wir bis zu drei Jahre lang ein Lebenshaltungsstipendium zahlen, mit dem die geförderten Unternehmerinnen und Unternehmer ihre Alltagsausgaben decken und sich damit gerade in der Anfangs- und Aufbauphase ganz auf ihr unternehmerisches Engagement konzentrieren können.

Wie finanzieren Sie dieses Modell?

Ashoka ist weltanschaulich und politisch unabhängig und nimmt deshalb keine staatlichen Gelder an. Die Finanzierung der Organisation kommt ausschließlich durch die Unterstützung einer Gruppe engagierter Unternehmerinnen und Unternehmer sowie einiger Stiftungen und Unternehmen zustande.

Und wie finanzieren die Gründerinnen und Gründer sich und ihre Start-ups?

Soziale Gründerinnen und Gründer brennen dafür, ihre Ideen und Ansätze in die Welt hinaus zu tragen – und genau dabei gibt es oft Hürden zu überwinden, gerade, weil sie oft unkonventionell vorgehen. Ein Beispiel ist die Finanzierung sozialer Innovationen und deren Verbreitung. Das Komplexe beim Thema Finanzierung ist, dass wir das oft noch sehr verbreitete Denken in den Schubladen ‚Spenden‘ und ‚Investieren‘ überwinden und erst einmal fragen müssen: Welche Finanzierung braucht eine soziale Innovation zu welchem Zeitpunkt, damit sie die bestmögliche Wirkung entfalten kann? In den vergangenen Jahren haben wir uns daher viel mit der Frage auseinandergesetzt, welche Finanzierungsmodelle soziale Innovationen wirklich voranbringen. Aus diesen Überlegungen ist unter anderem die „Finanzierungsagentur für Social Entrepreneurship (FASE)“ hervorgegangen, die wir mit einigen Partnern zusammen aufgebaut haben. Jetzt können wir auf eine Reihe oft unkonventioneller – und ebenso spannender – Finanzierungsmodelle zurückgreifen. Viele soziale Innovationen brauchen nämlich eine ganz andere und oft längere Anfangsinvestition, bei der es erst einmal nicht um Geld, sondern um die gute Sache geht. Andere Start-ups richten sich schneller an finanzieller Rendite aus – das funktioniert bei sozialen Gründungen vor allem am Anfang oft noch nicht.

Welche neuen Aufgaben wollen Sie in Zukunft angehen?

Ganz wichtig ist für uns die Frage, wie gute Ideen den Weg überall dorthin finden, wo sie hilfreich und wirkungsvoll sein können – auch (zurück) in große Institutionen und Strukturen hinein, also in Wohlfahrtsorganisationen, Kommunen und Unternehmen. Hier müssen wir noch viel dafür tun, einen Dialog zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren herzustellen, und Allianzen schmieden, die eine Verbreitung wirkungsvoller Ideen und Ansätze ermöglichen. Wir müssen den Blick zu erweitern: Wer müsste eigentlich wie zusammenarbeiten, damit eine soziale Innovation sich in der Breite durchsetzen kann? Der nächste Schritt wäre die Suche nach Modellen, damit eine entsprechende Kooperation zustande kommen kann.