Viel Unterstützung für andere leisten

Konzentriert blickt Anja Grune auf die Liste, die vor ihr an der Wand hängt. Aufgeführt sind dort die Bewohnerinnen und Bewohner des Pflegeheims »Wohlbehagen im Lukaspark«. In der blitzsauberen Küche schaut sie gerade nach, wer Fleisch isst und wer sich lieber vegetarisch ernährt, wer eine spezielle Diät einhalten muss oder bestimmte Nahrungsmittel nicht essen darf. „Das ist immer unterschiedlich“, sagt die junge Frau mit der Brille und der roten Schürze. „Bei 120 Menschen, die mittags hier zum Essen kommen, müssen wir schon aufpassen, dass jeder das Richtige bekommt.“

Anja Grune ist eine von 32 Menschen mit psychischen, körperlichen oder geistigen Handicaps, die für das Integrationsunternehmen Dienstleistungen für Gesundheitswesen GmbH (DfG) arbeiten. Der Betrieb betreut im Auftrag des Pflegeunternehmens »Wohlbehagen« vor allem demente ältere Frauen und Männer in insgesamt vier Pflegeeinrichtungen in Hagen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Behinderungen arbeiten mit den Beschäftigten des Pflegheims im Stadtteil Eckesey eng zusammen und sind mit vollem Einsatz und Spaß dabei. Alle duzen sich gegenseitig und die Stimmung auf den drei Etagen des gemütlich eingerichteten Hauses wirkt ausnehmend gut. Sie übernehmen sämtliche Dienste rund um die Verpflegung der Bewohnerinnen und Bewohner, geben Essen aus, bereiten das Kaffeetrinken vor, spülen Geschirr.

Stetiger Ausbau seit 2010

Das Pflegeunternehmen »Wohlbehagen «, das vor 22 Jahren mit ambulanten Diensten startete, beschäftigt mittlerweile 330 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ein fünftes Heim entsteht Anfang Juli diesen Jahres. Auch für die neue Einrichtung will Willi Strüwer wieder auf die integrativen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von DFG setzen. Das Unternehmen wird vom LWL unterstützt, indem es Leistungen zum Ausgleich für Minderleistung der Menschen mit Behinderung und, oder einen Zuschuss zum Besonderen Betreuungsaufwand erhält. „Wir werden dann sicherlich noch sechs bis acht weitere Beschäftigte mit Behinderungen einstellen“, sagt der Betriebsleiter der DFG und Mitglied der Geschäftsführung des Gesamtunternehmens. 

Entstanden ist die DFG aus einer langjährigen Zusammenarbeit des Pflegedienstes mit einem bestehenden Integrationsunternehmen. Die dort angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übernahm das neu gegründete Unternehmen DFG im Jahr 2009 und baute seither kräftig aus. Seit 2012 zum Beispiel ist Dennis Behrendt dabei, ein aufgeschlossener 28-Jähriger, der ebenfalls in der Küche Essen vorbereitet, aber auch an anderen Stellen eingesetzt werden kann. „Dennis ist sehr flexibel“, sagt Willi Strüwer, der auf Probebeschäftigung und eine intensive Einarbeitung Wert legt. Den jungen Mann beobachtet der Sozialpädagoge gerne bei der Arbeit. „Es ist einfach sehr schön zu sehen, wie ein Mensch, der allgemein als hilfsbedürftig betrachtet wird, seinerseits sehr viel Unterstützung für andere leistet.“ Für die Seniorinnen und Senioren zum Beispiel, denen Dennis Behrendt mit einem Lächeln und ein paar Worten das Essen an den Tisch bringt, aber auch für die Pflegekräfte und Krankenschwestern, die sich dank der Unterstützung des ortsansässigen Hageners mehr Zeit für ihre Aufgaben nehmen können.

Engmaschige Betreuung

Dieses Miteinander findet Willi Strüwer sehr wichtig. Das Unternehmen schafft es zudem, kleinere Konflikte, die hier wie an jedem Arbeitsplatz entstehen, durch eine engmaschige Betreuung schnell beizulegen. Monatliche Teamtreffen sorgen für Kontinuität. Zudem hat die DFG einen Pfarrer freiberuflich beschäftigt, der die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Behinderungen auch schon aus dem Vorgängerunternehmen kennt. „Er ist Ansprechpartner und steht allen zur Verfügung, wenn es mal Reibereien gibt“, sagt Willi Strüwer. „Die Stimmung darf nicht leiden. Denn am Ende arbeiten wir alle dafür, dass sich unsere Bewohnerinnen und Bewohner wohlfühlen können.“




Auf Sperrmülltour im Kreis Lippe

Der Entsorgungsbetrieb hat 48 Mitarbeiter, viele von ihnen haben eine Behinderung oder waren lange arbeitslos. „Der Job war für mich ein echter Glücksgriff“, freut sich Frank Garz, der sich zuvor vier Jahre lang mit Zeitarbeit durchgeschlagen hat. Eine feste Stelle war auch für Björn Richter zuvor nicht drin, er sortierte und verkaufte früher Bücher. Der 43-Jährige ist ebenfalls froh, dass es heute anders ist: Er und seine Kollegen sind fest und unbefristet bei der AGA angestellt.

Frank Garz steuert den weißen Siebeneinhalb-Tonner, mit dem die kleine Truppe bei ihren Fahrten einen strammen Plan schafft. Zehn verschiedene Orte sind es durchschnittlich pro Tour, die angefahren werden müssen. „Wir entlasten uns bei der Arbeit gegenseitig und passen aufeinander auf“, sagt Garz und blickt zu seinem Kollegen Klaus-Dieter Weiß, der auf dem Beifahrersitz Platz genommen hat und zustimmend nickt. Der 52-Jährige hat eine angeborene Sprachstörung, Konzentrationsschwierigkeiten und ein stark eingeschränktes Arbeitstempo, er darf nur leichte bis mittelschwere Arbeiten erledigen. Für das Team ist das kein Problem: Jeder hilft einfach dort, wo der andere Schwierigkeiten hat.

Zusätzlich werden die Routen von der AGA bewusst so geplant, dass die Mitarbeiter nach einer körperlichen Belastung längere Ruhepausen einlegen können. Ein Prinzip, das auch Björn Richter schätzt, der ebenfalls eine Behinderung hat. Er kann nicht gut sehen und muss sich wegen seiner Diabetes-Erkrankung regelmäßig Spritzen setzen. Mit dem Job ist das aber gut zu vereinbaren. Und: „Die anderen haben immer eine Auge darauf, dass ich mich nicht übernehme.“ Der 43-Jährige sitzt zwischen seinen beiden Kollegen in der Fahrerkabine des Lasters, einem von sechs Fahrzeugen, die im Kreis Lippe fünf Tage die Woche unterwegs sind. Mit dem Fuhrpark werden pro Jahr 162.000 Kilometer zurückgelegt, immer im Team aus einem Fahrer und zwei Beifahrern.

Drei AGA-Mitarbeiter vor einem weißen LKW, der vor einem großen Gebäude steht
Björn Richter, Klaus-Dieter Weiß und Frank Garz (von links) sind für die AGA im Kreis Lippe unterwegs. Foto: Thorsten Arendt.

Die AGA ist eines der ältesten Integrationsunternehmen in Westfalen-Lippe. Es begleitet seit der Gründung im Jahr 1987 Jugendliche und Erwachsene dabei, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. ‚Integration durch Arbeit‘ ist das Motto der Firma, die vorwiegend Menschen mit Behinderungen, psychischen Problemen oder nach einer Langzeitarbeitslosigkeit beschäftigt. „Bei anderen Firmen bekommen diese Menschen oft keine Chance, obwohl sie gute Arbeit leisten“, erklärt Jens Fillies, einer der Geschäftsführer. Auch sein Kollege Ulrich Schlotthauer weiß: „Es geht nicht so sehr um die Kraft des einzelnen Mitarbeiters, sondern um das ‚Gewusst wie‘“. Damit kennen sich beide Chefs gut aus. Sie sind Experten in der Entsorgungsbranche, wissen, wie die Teams organisiert, worauf dabei geachtet und welche Fähigkeiten vermittelt werden müssen: „Dann können drei Leute mit Sackkarren und einer Ladebordwand auch schon mal ganze Möbelberge versetzen.“

Guter Ruf in der Region

Das Unternehmen erfüllt eine wichtige Aufgabe, die zugleich dem gesamten Gebiet dient. „Die AGA ist politisch gewollt und wird von einem breiten gesellschaftlichen Konsens in der Region getragen“, bestätigt Dr. Axel Lehmann, der Landrat des Kreises Lippe. Seit zwanzig Jahren sorgt das Unternehmen nicht nur dafür, dass Sperrmüll abgefahren wird, sondern übernimmt auch die Verwertung und Entsorgung im hauseigenen Recyclinghof. Bis zu 35 Tonnen weiterverwendbare Wertstoffe kommen hier jeden Tag zusammen, die meist mit vielen Leuten aufwändig in Handarbeit zerlegt und sortiert werden.

Die AGA ist damit auch ein Beschäftigungsprojekt, sagt Jens Fillies. Zugleich arbeitet es ökologisch, weil sehr viele Schadstoffe sauber entsorgt werden können. Unter dem Strich rechnet sich das Unternehmen sogar besser für die Menschen in der Region, weil es so nachhaltig ist. Der Kreis Lippe arbeitet eng mit dem zertifizierten Entsorgungsfachbetrieb zusammen. Vor zwei Jahren wurden die Verträge verlängert, die die Aufgabenverteilung zwischen den Entsorgungsbetrieben regeln. Der AGA sichert diese Vereinbarung bis 2024 zu, dass sie die Sperrmüll-Abfuhr und -Verwertung für den Kreis übernehmen darf.

Landrat Dr. Axel Lehmann und AGA-Geschäftsführer Jens Fillies vor einem weißen LKW mit AGA-Aufschrift
Landrat Dr. Axel Lehmann (links) und Geschäftsführer Jens Fillies arbeiten eng zusammen. Foto: Thorsten Arendt

Der Leiter des Recyclinghofs Roy Schnormeier beobachtet vor allem, dass seine Teams durch die Arbeit Tugenden wie Pünktlichkeit, Fleiß und Teamarbeit an sich wiederentdecken – und ergänzt, dass Angestellte wie Frank Garz hier auch das Führen und Delegieren lernen. Viele seiner Leute seien wirklich fit für den ersten Arbeitsmarkt, unterstreicht der Betriebsleiter. Er selbst wechselte aus der freien Wirtschaft in das Integrationsunternehmen. Die Handicaps der Mitarbeiter waren für ihn nie ein Problem – im Gegenteil: „Für mich ist das neu, das ein Unternehmen auf diese Weise soziales Engagement mit Wirtschaftlichkeit verbindet. Das ist für mich eine sehr faszinierende Erfahrung.“




Gemeinsam wachsen

Günter Bruns stützt sich mit der linken Hand auf einen Stapel kantiger Stahlprofile, der auf einem Laster vor seiner Werkshalle liegt. Mit der anderen Hand streicht der Unternehmer über die Innenseite eines der Profile. Er prüft dabei ein massives Metallteil, das in den dünnen Spezialstahl geschweißt ist. „Der Einsatz ist sehr sauber gearbeitet“, sagt der Geschäftsführer von Metallbau Bruns zufrieden. Das muss auch so sein, denn später werden die fertigen Stahlprofile zu Teleskop-Auslegern für Auto- und Anhängerkrane, Hubarbeitsbühnen und Radlader zusammengesetzt und müssen große Lasten tragen.

Die Einsätze bezieht der 67-Jährige vom Unternehmen Transfair Montage, das gleich gegenüber von Bruns’ eigener Werkshalle im Ortsteil Maria Veen der Gemeinde Reken liegt. Das Besondere: Die Firma ist ein Integrationsunternehmen. 41 der 71 Mitarbeiter haben eine Behinderung. Hinter der Firma steht die Josefs-Gesellschaft aus Köln, die rechtlich unabhängig von Transfair ist, aber dennoch eng mit dem Integrationsbetrieb zusammenarbeitet. Weil diese Kooperation so gut funktioniert, hat Günter Bruns, der sich vor 13 Jahren selbstständig machte, seine Firma mit dem Integrationsunternehmen zum „Fachzentrum Metall“ zusammengeschlossen. Seitdem wachsen die Firmen Wand an Wand – und davon profitieren alle. „Das hier ist wie mehrmals sechs Richtige“, findet Bruns.

Günter Bruns prüft ein fertig gearbeitetes Metallteil
Günter Bruns ist Geschäftsführer von Metallbau Bruns, ein Unternehmen, das eng mit Transfair Reken kooperiert. Hier prüft er ein fertig gearbeitetes Metallteil. Foto: Thorsten Arendt

Auch für Alexander Ulrich ist die Arbeitsweise des Fachzentrums ein echter Gewinn. Der heute 28-jährige Mitarbeiter bei Transfair hat bei einem Autounfall seinen rechten Arm verloren. Dank einer computergesteuerten Fräsmaschine kann er aber weiterhin seinen Job machen. Das hochmoderne Gerät schaffte der Integrationsbetrieb unter anderem mit Mitteln des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe an. In einer schallgeschützten Kabine fräst die CNC-Maschine alle Werkstücke exakt so, wie Ulrich und seine Kollegen es vorher programmiert haben. Auch die althergebrachten Fräsen kann der junge Mann selbst bedienen – für kompliziertere Musterstücke ist das nach wie vor gefragt. Transfair Montage gibt es schon seit zwei Jahrzehnten. Während dieser Zeit ist es auch in anderen Bereichen gewachsen und hat sein Repertoire ständig erweitert. „Wir können heute E-Technik, Stahl und Eis“, beschreibt Jürgen Böbisch, seit sechs Jahren technischer Geschäftsführer, das vielseitige Unternehmen. Der Grund für diesen Satz: Der Betrieb hat vor gut einem Jahr mitten im Dörfchen Maria Veen eine hochmoderne Eisdiele eröffnet – die Eis Lounge. Auch diese jüngste Tochter ist ein Integrationsunternehmen.

Lange Geschichte und neue Pläne für die Zukunft

Im E-Technik-Bereich von Transfair wiederum hat Recep Öztürk aus Borken einen neuen Arbeitsplatz gefunden. Mit drei Jahren erkrankte er an Kinderlähmung, seither lebt der 43-Jährige mit Rollstuhl. Er arbeitet heute in einer hellen und modernen Halle, die das Unternehmen einen Steinwurf entfernt vom Metall-Zentrum errichtet hat. Der Industrie-Elektroniker und seine Kollegen bestücken und löten hier mit großer Sorgfalt Platinen und Netzteile und verdrahten Schaltungen. Die Platinen werden später beispielsweise in Schaltschränken und Kabelbäumen von Hubsteigern verbaut.

Recep Öztürk bearbeitet in der Transfair-Werkstatt Schaltungen
Recep Öztürk verarbeitet Platinen, Netzteile und Schaltungen. Der Rollstuhlfahrer ist im Elektrotechnikbereich von Transfair tätig. Foto: Thorsten Arendt

Neben der Qualität der Produkte müssen natürlich auch die Zahlen stimmen. Darum kümmert sich seit fünf Jahren Thomas Spaan als kaufmännischer Geschäftsführer des Unternehmens. Der gelernte Banker und Betriebswirt führt zusammen mit einem Kollegen außerdem die Muttergesellschaft von Transfair Montage, den katholischen Träger Benediktushof. Seit über einem Jahrhundert bildet diese Organisation Menschen mit Behinderungen aus und ist seit noch längerer Zeit ein Partner der Wirtschaft. Die große Erfahrung von Spaan und seinen Kollegen ist auch für die Kunden ein Argument. „Metallbau Bruns ist nicht unser einziger Industrie-Kunde, aber auf jeden Fall einer der wichtigsten für die Entwicklung des Integrationsunternehmens“, unterstreicht der kaufmännische Geschäftsführer. Und das soll auch in Zukunft so bleiben.

Günter Bruns hat seinerseits viel vor mit dem wachsenden Gewerbegebiet in Maria Veen, das durch eine Bahnstrecke und große Autobahnen gut an die Umgebung angebunden ist. Die Voraussetzungen für eine Erweiterung sind also optimal – auch für Transfair Montage, das wie die anderen Firmen künftig weiter wachsen und noch mehr hochwertige Arbeitsplätze für Menschen mit und ohne Behinderung anbieten will. –




„Kuschelkurs geht nicht, wenn man im Wettbewerb bestehen muss“

Sie hat es geschafft: Für Adelheid Hoffbauer steht die Rente an. Nur kann sich im Integrationsunternehmen »Die Brücke« in Bad Lippspringe niemand ein Arbeiten ohne sie so recht vorstellen. Sie ist nicht nur Selfmade-Unternehmerin, sondern auch die Mitgründerin der Wäscherei in Ostwestfalen. Der Betrieb expandiert und ist voriges Jahr in eine neue Produktionshalle am bisherigen Standort gezogen. Momentan arbeiten hier 33 Menschen, davon 16 mit einer Behinderung. Und es gibt noch ehrgeizigere Pläne: Die Geschäftsleitung strebt eine Verdoppelung der Kapazitäten und der Beschäftigten innerhalb von drei Jahren an. 60 Menschen sollen hier künftig insgesamt arbeiten. Adelheid Hoffbauer will dann allerdings schon in Rente sein. „Definitiv“, sagt sie und nickt ihrer Schwiegertochter Christiane Hoffbauer zu, die neben ihr sitzt. Die junge Diplom-Pädagogin ist für die psychosoziale Betreuung im Unternehmen verantwortlich und wird einmal die Geschäftsführung der Wäscherei übernehmen. Und noch ein weiteres Familienmitglied arbeitet in diesem Betrieb: Adelheid Hoffbauers Tochter, die Ende 1996 zugleich einer der Hauptgründe war, »Die Brücke« überhaupt aus der Taufe zu heben.

Die Gründung war ein großer Schritt

„Meine Tochter hat eine Lernbehinderung. Das Unternehmen sollte ihr und anderen Menschen mit Behinderungen einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz bieten“, sagt Adelheid Hoffbauer. »Die Brücke« gehört damit zu den Vorläufern der heutigen Integrationsunternehmen in Westfalen- Lippe.

Adelheid und Christiane Hoffbauer in der Wäscherei
Generationswechsel in der Familie: Adelheid Hoffbauer (li.) mit ihrer Schwiegertochter Christiane Hoffbauer. Foto: Thorsten Arendt

Selbst einen Betrieb zu gründen war für die Unternehmerin ein großer Schritt  aber ein nötiger, wie sie sich erinnert. Ihre Tochter hatte über drei Jahre lang einen Hauswirtschafts-Lehrgang für Jugendliche mit schweren Lernbehinderungen beim Kolping-Berufsförderungszentrum in Paderborn besucht. Das Pilotprojekt nach der Förderschule qualifizierte damals zwölf Menschen für den allgemeinen Arbeitsmarkt. Nur gab es für sie dort keine Arbeit, stellten die Eltern fest. „Die lernen unheimlich viel im Berufsförderungszentrum, und es macht traurig, wenn dann nach drei Jahren nichts mehr ist.“ Und so kamen die Hoffbauers auf eine Idee: Sie entschlossen sich, eine Wäscherei aufzumachen. Adelheid Hoffbauers früh verstorbener Mann Dirk war Mehrheitsgesellschafter einer Firma für Leinwände in Kinos, das alte Rohrlager stand seinerzeit leer. Die Familie richtete es her und machte daraus die Keimzelle der heutigen »Brücke«: „Innerhalb eines halben Jahres haben wir das alles hier umgebaut.“ Der Paderborner Kolping-Diözesanverband wurde Teilhaber und zeigte den Hoffbauers den Kontakt zum LWL auf, der das Projekt förderte und unterstützte. „Das war Pionierarbeit“, sagt Adelheid Hoffbauer und erinnert sich, wie sie sich vor 18 Jahren mit dem LWL, dem Arbeitsamt und dem Kolpingbildungswerk an einen Tisch setzte. „Ich hatte furchtbare Angst davor, dass der Betrieb scheitert. Wir sind ein großes Risiko eingegangen.“ Sie wäre damals auch nicht allein auf die Idee gekommen, sagt sie. Aber ihr Mann machte ihr Mut. Nach seinem Tod übernahm die gelernte Grund- und Hauptschullehrerin das Zepter. „Heute würde ich mir das auch allein zutrauen“, sagt sie. Die meiste Unterstützung kam vom LWL. „Und alle, die heute vom Landschaftsverband aus involviert sind, waren damals auch schon da“, sagt sie und freut sich über diese Kontinuität in der Betreuung.

Beratung in allen Angelegenheiten

Als kürzlich der Neubau für die Wäscherei anstand, der ebenfalls vom LWL mit gefördert wurde, stellte Adelheid Hoffbauer fest, dass sich die Zeiten geändert haben. Aber zum Positiven: Die betriebswirtschaftliche Beratung der Handwerkskammer Münster zum Beispiel gab es damals noch nicht, alle Aufgaben in diesem Bereich erledigte die Finanzbuchhaltung ihres Mannes. „Wir schauten bei Neuanstellungen schon immer genau darauf: Was kannst du?“, blickt Adelheid Hoffbauer zurück. „Bei uns kommt es aber eben überhaupt nicht darauf an, was man alles nicht kann.“ Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden gemäß ihrer Kompetenzen eingesetzt. „Das mussten wir erst lernen, ebenso wie das betriebswirtschaftliche Denken.“ Denn, so sagt die heute erfahrene Chefin: „Kuschelkurs geht nicht, wenn man im Wettbewerb bestehen muss.“ Christiane Hoffbauer ergänzt aber auch: „Die Arbeit muss machbar sein und die Menschen müssen das Gefühl haben, dass sie ihren Lebensunterhalt hier selbstständig verdienen können.“

Christiane Hoffbauer bedient eine große Waschmaschine in der Wäscherei Die Brücke
Christiane Hoffbauer bedient die großen Waschmaschinen. Foto: Thorsten Arendt

»Die Brücke« bietet heute moderne und helle Arbeitsplätze – hauptsächlich für Frauen. Derzeit arbeiten nur zwei Männer in der Wäscherei, auch wenn der Betrieb ursprünglich mit vier jungen Männern startete. „Denen war das hier zu sauber“, sagt Adelheid Hoffbauer und lacht laut zusammen mit ihrer Schwiegertochter. „Wir hätten aber gerne noch einen Wäscher zum Befüllen der Maschinen. Das ist für Frauen sehr anstrengend.“ Der Anspruch an die Qualität und Ordnung ist hoch – das geht bis in die Details. „Kreuz und quer gepackte Frotteetücher? Das akzeptieren unsere Kunden nicht“, sagt Adelheid Hoffbauer und schüttelt den Kopf.

Kunden setzen auf Kontinuität

So, wie fast alle Mitarbeiter der ersten Stunde auch heute noch in der »Brücke« arbeiten, sind auch die Kunden aus den Großraum Paderborn der Wäscherei treu geblieben. Bildungshäuser waren die ersten Kunden, die ihre Wäsche in Bad Lippspringe waschen und bügeln ließen. Heute türmen sich die Pakete und Wannen sortiert in der neuen Regalwand hinter dem Laden, der von 7:30 Uhr bis 18 Uhr geöffnet ist. Hotels, Restaurants und Senioreneinrichtungen gehören ebenso zum Kundenstamm wie private Bad Lippspringer. Auch das Bistum Paderborn vertraut dem »Brücke«-Team: „Wir machen die ganze Domwäsche für das Bistum“, sagt Adelheid Hoffbauer. „Und natürlich wollen alle pünktlich ihre Wäsche haben. Da geht es hier manchmal ganz schön rund.“




„Mit der Gewohnheit fielen alle Schranken“

Bei Knut Schuster war es der Vater, der ihm klarmachte, dass Menschen mit Behinderungen ebenso große Chancen wie nichtbehinderte Menschen haben sollten schon deshalb, weil sein Papa an einer offenen Tuberkulose litt und eine Wirbelsäulenverkrümmung sowie eine dementsprechende Körperhaltung hatte. „Wenn die anderen Kinder mir mal sagten, dass er sich aber komisch bewegen würde, habe ich immer nur geantwortet, dass er genauso ein Vater wie alle anderen ist“, erinnert sich der 41-Jährige, der in Hagen-Hohenlimburg die Geschäfte der Springtec Group, Schrimpf und Schöneberg führt. Deshalb, so sagt er heute, ist es für ihn auch selbstverständlich, dass in seinem Unternehmen, das Federn aus Stahldraht und andere Stanz- und Biegeteile für die Auto-, Luftfahrt-, Elektrotechnik- und Sanitärindustrie herstellt, Menschen mit Behinderung arbeiten. Sascha Thiele ist einer dieser 16 Mitarbeiter, die in der Integrationsabteilung des Unternehmens einen festen Arbeitsplatz gefunden haben.

In der Halle, in der der 32-Jährige tätig ist, spucken Dutzende Maschinen im Sekundentakt Federn aus, dreifach, fünffach, zehnfach gedreht, abgewinkelt, gestanzt, zwischen einigen Millimetern und mehreren Zentimetern groß. Thiele stellt sie mit geübtem Griff in ausgebohrte Löcher eines runden Stahltellers, der sich unaufhörlich dreht. In der Maschine fährt ein Schleifteller über die Federn und nivelliert sie, so dass sie an beiden Seiten eben werden. Penibel achtet er darauf, dass alle Löcher besetzt sind und die Federn gerade stehen.

Murat Demir und Sascha Thiele in der Werkstatt der Springtec Group
Murat Demir (li.) erklärt Sascha Thiele einen Arbeitsschritt. Foto: Thorsten Arendt

Sascha Thiele besuchte zuvor die Sonderschule und wechselte danach in das Integrationsunternehmen „Pro Integration“, das ebenfalls in Hagen-Hohenlimburg angesiedelt ist. Dort absolvierte er eine Ausbildung zum Gärtner, wechselte danach allerdings mehrfach den Arbeitgeber: „Das hat oft nicht gepasst“, sagt Thiele, der „langsamer lernt als andere“, wie er selbst sagt. Er scheint lange für jede Antwort überlegen zu müssen und wirkt etwas schüchtern. Bei Springtec gilt Sascha Thiele aber als „zuverlässig und sehr akkurat“. Einen Führerschein hat er auch, den hatte er schon im ersten Job gemacht. Heute ist er gut ins Unternehmen integriert, „und zwar komplett“, wie Knut Schuster stolz erzählt. Die Männer und Frauen mit psychischen oder körperlichen Behinderungen, die hier arbeiten, sind ein selbstverständlicher Teil der 70-köpfigen Belegschaft am Standort geworden. „Am Anfang haben sich die Kollegen zwar erst einmal gegenseitig beäugt“, erinnert sich Schuster an die Gründung der Integrationsabteilung im Jahr 2009 zurück, die vom LWL-Inklusionsamt Arbeit und durch das NRW-Landesprogramm „Integration unternehmen!“ investiv gefördert wurde. „Mit der Gewohnheit fielen dann aber alle Schranken“, erzählt er. „Heute haben sich Fahrgemeinschaften gebildet, ein Mitarbeiter mit Lkw-Führerschein hilft einem behinderten Kollegen beim Umzug und die Mitarbeiter mit und ohne Behinderung verbringen die Mittagspause gemeinsam.“

Ein gelungener Start

Den Kontakt zu Springtec stellte eine Betreuerin für Sascha Thiele her, die ihn schon während seiner Lehre begleitet hatte. „Sie hat mir von der Arbeit hier erzählt und ist mit mir zum Vorstellungsgespräch gegangen“, sagt der 32-Jährige und nickt bekräftigend. Ja, er ist auch heute noch immer zufrieden bei Springtec. „Der Job hier gefällt mir gut“, sagt er, mehr Geld verdiene er auch und er fühle sich sehr wohl im Team und mit seinen Chefs. Ein gelungener Start ins Berufsleben und in die Firma der aber auch viel Arbeit bedeutete, das macht Knut Schuster ebenfalls klar. Für die 16 Kollegen mit Behinderung ist in der Verwaltung unter anderem Monika Gloerfeld zuständig. Sie kennt das Team sehr gut und weiß, worauf sie achten muss. „Manchen tut es zum Beispiel sehr gut, wenn ich sie alle paar Tage anspreche und nach ihrem Wohlbefinden frage“, berichtet die ausgebildete Industriekauffrau. „Ich bin daher öfter als für die Verwaltung sonst üblich in der Produktion unterwegs und unterhalte mich mit den Kollegen. So schaffen wir eine angenehme Atmosphäre.“ Auch Sascha Thiele führt die 59-Jährige gerne als gutes Beispiel an: „Da zeigt sich, wie viel es ausmacht, wenn ein Mitarbeiter an der richtigen Stelle eingesetzt wird und ihm seine Arbeit zusagt.“ Monika Gloerfeld freut sich ebenfalls, wenn Arbeit und Mensch gut zueinander passen. „Bei unseren behinderten Teamkollegen ist der Krankenstand zwar leicht höher als bei den nichtbehinderten, weil viele Kollegen nun mal eine angeschlagene Gesundheit haben“, sagt sie. „Das ist für uns aber alles völlig im Rahmen.“

Sascha Thiele selbst hat in zwei Jahren kein einziges Mal bei der Arbeit gefehlt. Allen Kollegen mit Behinderung bedeute ihr Job sehr viel, ergänzt sein Chef. „Wenn die Leute erst einmal bei uns anfangen, dann bleiben sie auch“, sagt Knut Schuster, der potentielle neue Mitarbeiter ein drei- bis vierwöchiges Praktikum in seiner Firma absolvieren lässt, bevor sie fest eingestellt werden. „Beide Seiten müssen erst einmal sehen, ob sie zueinander passen. Wir sind ein Wirtschaftsunternehmen, das im harten Wettbewerb steht. Da können wir es uns nicht erlauben, dass unsere Mitarbeiter ständig wechseln.“
Die Entscheidung für die Integrationsabteilung bei Springtec sei auch aus unternehmerischen Gründen gefallen: „Die Alternative wären Arbeitsplätze im Ausland gewesen, die aber wohl nicht die Qualität hervorgebracht hätten, die wir benötigen.“ Dass sie eine Integrationsabteilung gegründet haben, bereuen Schuster und sein Mitgeschäftsführer Jürgen Hammermeister nicht. Ein Grund für das Gelingen ist auch, dass das Unternehmen seit mehr als 15 Jahren mit den Iserlohner Werkstätten für Menschen mit Behinderung zusammenarbeitet. Im Jahr 2003 richtete die Springtec-Group dann in den eigenen Hallen Außenarbeitsplätze der Werkstatt ein, aus denen die Integrationsabteilung gewachsen ist auch mit Hilfe des vom LWL bezahlten Integrationsfachdienstes Hagen. Die Inklusion in der Springtec-Group geht sogar noch weiter als das. „Wir lassen unsere Mitarbeiter mit und ohne Behinderung in den Abteilungen an den gleichen Maschinen rotieren“, sagt Schuster. „Auf diese Weise wächst das Team noch besser zusammen.“