VIER FRAGEN AN… Dennis Winkens

#1: Herr Winkens, was bedeutet Inklusion bei der Arbeit für Sie?

Wenn ein völlig normales und unvoreingenommenes Miteinander von Menschen mit und ohne Handicap stattfindet, ist das für mich gelungene Inklusion. Für mich darf es dabei keine Rolle spielen, ob diese Begegnungen in der Freizeit oder in der Arbeitswelt stattfinden. Zugleich sind die Rahmenbedingungen im Beruf natürlich etwas andere als im Privaten – überspitzt gesagt zählen hier vor allem die Leistung der Mitarbeiter und die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens. Daher finde ich es auch selbstverständlich, dass Arbeitgeber ihre offenen Stellen mit Personen besetzen wollen, die die nötigen Kenntnisse und Fähigkeiten für den Job mitbringen. Das bedeutet aber zugleich eben nicht, dass dieser Jobanwärter ein kerngesunder Fußgänger sein muss. Ich finde einfach, dass hier öfter der Fokus darauf liegen sollte, welche Dinge jemand gut kann und nicht vorwiegend darauf, welche Defizite sie oder er mitbringt. In unserer Gesellschaft gehört Arbeit einfach zum Leben dazu, deshalb sollte auch jeder die Möglichkeit haben, seinen Fähigkeiten entsprechend arbeiten zu können, egal, ob er oder sie nur eine Hand hat, im Rollstuhl sitzt oder sonst ein Handicap hat. Wie genau die jeweiligen Aufgaben dann umgesetzt werden – beispielsweise mit Hilfe von technischen Hilfsmitteln oder einer Arbeitsassistenz –, ist doch eigentlich relativ gleichgültig, solange sie erfüllt werden und den Qualitätsansprüchen des Arbeitgebers entsprechen.

#2: Was bremst Ihrer Meinung nach die Inklusion – bei der Arbeit, aber auch in der Gesellschaft insgesamt?

Einer der größten Fehler, den viele Menschen im Alltag und besonders auch in der Politik machen, ist, dass sie übereinander anstatt miteinander reden. Ich finde, nur wer miteinander redet, kann auch miteinander leben, und das ist doch das Ziel. Wenn also nicht auf Augenhöhe gesprochen wird, ist das Ergebnis fast immer, dass man sich gegenseitig ausgrenzt.

#3: Mit welchen kleinen oder größeren Handlungen könnten einzelne Menschen aus Ihrer Sicht selbst zur Inklusion beitragen?

Wie schon erwähnt fehlt es meiner Meinung nach vor allem an Kommunikation. Die Menschen müssten offener und unvoreingenommener aufeinander zu- und miteinander umgehen. Es ist jedes Mal das gleiche Szenario: Wenn ich als Mensch mit Behinderung auf Personen treffe, die bisher wenig Kontakt zu Menschen mit Handicap hatten, sind sie in der Regel sehr vorsichtig und zurückhaltend, weil sie sehr unsicher sind, wie sie sich verhalten sollen. Keiner will etwas Falsches tun oder sagen. Oft haben sie dann nur flüchtige oder neugierige Blicke für mich übrig und meist macht sich auch noch ein Schweigen breit. Sobald ich sie aber kurz anspreche, scheint die große Berührungsangst, die vorher noch deutlich zu spüren war, auf einmal vergessen zu sein. Die Leute merken durch Kommunikation schnell, dass ich auch nur ein ganz normaler Mensch bin, so wie ihr Nachbar von nebenan.
Ein weiteres Problem der Inklusion ist das Geld. Ich bin der Meinung, dass die Politik noch mehr finanzielle Mittel zur Verfügung stellen oder passende Gesetze erlassen müsste, um beispielsweise Barrierefreiheit oder Assistenzleistungen für Menschen mit Behinderung gezielt zu fördern. Durch diese Maßnahmen könnten Menschen mit Handicap einfach deutlich leichter am gesellschaftlichen Leben teilhaben und wären dort dann auch viel präsenter. Aus meiner Sicht kann sich auf Dauer nur so auch das Bild verändern, das Menschen von der Zusammensetzung einer „normalen“ Gesellschaft im Kopf haben – viele würden also vielleicht nicht mehr so stark in bestimmten Kategorien denken. Vielfalt hat sehr viele Vorzüge, die auf diesem Weg vielleicht öfter erkannt und gelebt werden könnten. Ich zitiere in diesem Zusammenhang sehr gerne Raul Krauthausen: „Etwa jeder zehnte Mensch in Deutschland hat eine Behinderung, aber nicht jeder zehnte davon findet sich auch in unserem Freundes- und Bekanntenkreis wieder. Wo sind diese Leute also?“ Diese Frage zeigt, dass die Durchmischung und Chancengleichheit im Beruf wie im Privaten, die Inklusion ja eigentlich befördern soll, oft noch nicht vorhanden ist. Das heißt, es muss sich etwas ändern, damit Menschen mit Handicap kein Schattendasein mehr führen, wie das bei zu vielen noch der Fall ist. Sie müssen wie alle anderen als Teil der Gesellschaft wahrgenommen werden und darin gut und gleichberechtigt leben können.

#4: Wenn Sie Ihren Traum-Arbeitsplatz frei entwerfen könnten: Wie sähe der aus?

Das kann ich relativ leicht beantworten: Flexible Arbeitszeiten, sympathische Kolleginnen und Kollegen, ebenso freundliche Geschäftspartner, kreative und abwechslungsreiche Tätigkeiten sowie die eine oder andere Dienstreise – gerne auch weltweit – würden für mich dazugehören. Wahrscheinlich würde ich auch mein eigener Chef sein wollen, denn so könnte ich viele dieser Aspekte leichter umsetzen. –




Was ist eigentlich… der besondere Kündigungsschutz?

In Deutschland gibt es einen gesetzlichen Kündigungsschutz, der alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer davor bewahrt, dass sie grundlos, willkürlich oder ungerechtfertigt aus ihrem Job entlassen werden. Für Menschen, die mit einer Schwerbehinderung leben und arbeiten, reicht dieser Schutz noch weiter: Nach dem sogenannten „besonderen Kündigungsschutz“ muss bei diesen Beschäftigten immer vorab vom zuständigen Inklusionsamt geprüft werden, ob bei der vom Arbeitgeber beabsichtigten Kündigung die Belange des schwerbehinderten Menschen berücksichtigt werden. Der Träger des Inklusionsamtes in der Region Westfalen-Lippe ist der LWL (die Abkürzung steht für „Landschaftsverband Westfalen-Lippe“). Dieses Amt ist ein wichtiger Ansprechpartner für Menschen mit Behinderungen und setzt sich unter anderem auch dafür ein, dass der besondere Kündigungsschutz eingehalten wird.


Was unternimmt ein Inklusionsamt, wenn ein Arbeitgeber die Zusammenarbeit mit einem Menschen mit Schwerbehinderung kündigen will?

Der besondere Kündigungsschutz soll verhindern, dass schwerbehinderte Menschen ausschließlich aufgrund ihres Handicaps entlassen werden können. Das Ziel ist nicht, sie damit gegenüber anderen Arbeitnehmern besser zu stellen. Stattdessen sollen auf diese Weise mögliche Nachteile ausgeglichen werden, die diese Menschen aufgrund ihrer Behinderung am Arbeitsplatz erfahren.

Für wen gilt dieser besondere Kündigungsschutz?

Er gilt für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die einen Behinderungsgrad von mindestens 50 Prozent haben oder bei einem Grad der Behinderung von 30 bis 50 von der Agentur für Arbeit den schwerbehinderten Menschen gleichgestellt wurden. Was viele übrigens nicht wissen: Der besondere Kündigungsschutz gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber vorher nichts von der Schwerbehinderung seines Beschäftigten wusste. Das kommt deshalb manchmal vor, weil Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht gesetzlich dazu verpflichtet sind, ihre Schwerbehinderung mitzuteilen.

Gibt es Ausnahmen vom besonderen Kündigungsschutz?

Ausgeschlossen sind auslaufende, befristete Tätigkeiten und so genannte einvernehmliche Aufhebungsverträge. In letztem Fall sind sich beide Parteien einig, dass das Arbeitsverhältnis beendet werden soll. Auch dann, wenn eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer sich aus freien Stücken dazu entscheidet, zu kündigen, muss sie oder er dafür nicht erst die Zustimmung vom Inklusionsamt einholen.

Wie läuft ein Kündigungsverfahren üblicherweise ab, das vom Inklusionsamt begleitet wird?

Wenn ein Arbeitgeber die Zusammenarbeit mit einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter mit Schwerbehinderung kündigen möchte, muss er beim Inklusionsamt erst die Zustimmung dafür beantragen. Dazu muss er standardisierte Formulare und verschiedene weitere Unterlagen ausfüllen und einreichen, außerdem muss er die Kündigung ausführlich begründen. Das Inklusionsamt in Westfalen hat zudem einen Teil der Aufgaben rund um den besonderen Kündigungsschutz auf die örtlichen Fachstellen übertragen, die an dieser Stelle ebenfalls ins Spiel kommen. Sie hören die Arbeitnehmerin oder den Arbeitnehmer mit Schwerbehinderung an und klären den Sachverhalt, der der beabsichtigten Kündigung zugrunde liegt. Danach wird die geplante Entlassung im Betrieb des Arbeitgebers genau verhandelt.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der örtlichen Fachstelle führen dazu ausführliche Gespräche mit allen Beteiligten und schauen sich, je nach vorgetragenem Kündigungsgrund, auch den Arbeitsplatz noch einmal genau an. Wenn nötig, schalten sie weitere Fachdienste ein, zum Beispiel den technischen Beratungsdienst oder den Integrationsfachdienst. Sie können auch Fachärzte zu Rate ziehen und so alle nötigen Informationen zusammentragen, um über die Kündigung entscheiden zu können. Anschließend teilen die Experten der Fachstelle ihre Ermittlungsergebnisse dem Inklusionsamt mit. Dieses entscheidet dann darüber, ob die Zustimmung zur Kündigung erteilt werden kann oder nicht.

Wie lange dauert so ein Kündigungsverfahren?

Das variiert von Fall zu Fall. Bei außerordentlichen Kündigungen etwa muss die zuständige Stelle innerhalb von zwei Wochen entscheiden, was geschehen soll. Bei betriebsbedingten Kündigungen bleibt dagegen rund ein Monat Zeit. Das Verfahren ist in der Regel in höchst strittigen Fällen etwas aufwändiger, denn das Ziel ist ja, gemeinsam mit allen Beteiligten die behinderungsbedingten Schwierigkeiten am Arbeitsplatz zu beheben, um so eine Kündigung zu vermeiden. Das ist manchmal ein sehr komplexer Prozess – der sich aber sehr lohnt. Das LVR-Inklusionsamt konnte mit entsprechenden Maßnahmen allein im Jahr 2015 in rund 50 Prozent der strittigen Fälle eine Kündigung verhindern und so einen Arbeitsplatz für einen Menschen mit Schwerbehinderung erhalten.

Welche Rolle spielen die Arbeitgeber in diesem Verfahren und wann wird einer Kündigung in der Regel zugestimmt?

Der besondere Kündigungsschutz verpflichtet Unternehmen oder Organisationen nicht dazu, einen Arbeitsplatz zu erhalten, wenn das wirtschaftlich nicht möglich ist. Ein Beispiel dafür sind betriebsbedingte Kündigungen, die in der Regel andere Gründe haben als die Behinderung eines einzelnen Mitarbeiters. Hier stimmt das Inklusionsamt der Kündigung meist zu. Auch dann, wenn absolut kein Zusammenhang zwischen der Behinderung eines Beschäftigten und den Gründen, sie oder ihn zu entlassen, zu erkennen ist, stimmt das Inklusionsamt der Kündigung in der Regel zu. Der besondere Kündigungsschutz ist also ausdrücklich nicht dazu gedacht, eine von der Behinderung gänzlich unabhängige schlechte Leistung eines Beschäftigten zu rechtfertigen – und er garantiert auch keine Anstellung auf Lebenszeit.




VIER FRAGEN AN… Norbert Sandmann

#1: Herr Sandmann, was bedeutet Inklusion bei der Arbeit für Sie?

Arbeit gehört in unserer Gesellschaft einfach fest zum Leben dazu. Wir verdienen mit ihr nicht nur unseren Lebensunterhalt, sondern definieren uns selbst auch durch das, was wir beruflich tun. Deshalb ist Inklusion im Arbeitsleben so wichtig, denn sie spielt eine große Rolle für unser Selbstwertgefühl und ermöglicht es uns zugleich, unser Leben eigenmächtig zu gestalten. Ein echter Arbeitsplatz, an dem nicht nur Beschäftigungstherapie angesagt ist, gibt jedem Menschen mit Handicap das gute Gefühl, mehr als ein „Quotenbehinderter“ zu sein. Stattdessen wird man oft erst dann als ein wirklich vollwertiges Mitglied der Gesellschaft wahrgenommen.

#2: Was bremst Ihrer Meinung nach die Inklusion – bei der Arbeit, aber auch in der Gesellschaft insgesamt?

Am häufigsten sind es wohl Berührungsängste seitens vieler Kollegen oder Vorgesetzten. Aus dieser Angst, dass Menschen mit Behinderung „anders“ sein könnten, entstehen schnell Vorurteile, und dadurch sehen viele bloß noch das Handicap und nicht mehr den Menschen dahinter.

#3: Mit welchen kleinen oder größeren Handlungen könnten einzelne Menschen aus Ihrer Sicht selbst zur Inklusion beitragen?

Kommunikation ist das A und O, damit Inklusion gelingen kann. Wenn wir alle mehr miteinander reden würden, wäre schon eine Menge geschafft. Das gilt übrigens für beide Seiten. Wir als Betroffene sollten ungezwungener auf unsere Mitmenschen zugehen, ihnen Unsicherheiten zugestehen und offen und ehrlich erklären, ob, wann und warum wir Hilfe benötigen – und genauso auch, wann diese unnötig ist. Auf ähnliche Weise gilt das umgekehrt auch für Nichtbehinderte: Sie sollten versuchen, nicht aus Angst oder Scham gar nichts mehr zu sagen, sondern lieber ein Gespräch suchen und gegebenenfalls auch die eigenen Unsicherheiten ansprechen.

#4: Wenn Sie Ihren Traum-Arbeitsplatz frei entwerfen könnten: Wie sähe der aus?

Ich würde ich mir vor allem ein Team wünschen, bei dem das Thema Behinderung keine Rolle spielt. Gerade im Arbeitsleben ist das eine sehr spannende Sache, weil hier neben Persönlichkeit immer auch Leistung gefragt ist. Damit diese auch effektiv erbracht werden kann, ist es umso wichtiger, dass sich alle aufeinander einstellen. Bei meinem Traum-Arbeitsplatz würden daher alle auf die jeweils unterschiedlichen Bedürfnisse, Kenntnisse und auch Einschränkungen der anderen achten, um dadurch im Arbeitsleben gemeinsam stark zu sein.




Was ist eigentlich… eine Arbeitsassistenz?

Wozu gibt es Arbeitsassistenten und wie werden sie finanziert?

Einige Menschen mit einer Schwerbehinderung brauchen am Arbeitsplatz eine helfende Hand, um ihrer gelernten oder studierten Tätigkeit nachgehen zu können. Damit ihnen keine Nachteile gegenüber nicht behinderten Arbeitnehmern entstehen, gibt es die so genannten Arbeitsassistenten. Sie helfen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Handicap, sich im Arbeitsleben voll zu entfalten, so dass sie ihre Qualifikationen umfassend einsetzen und ihre Fähigkeiten ausbauen können. Damit werden bestehende Arbeitsverhältnisse gesichert, denn Arbeitsassistenten helfen, behinderungsbedingte Schwierigkeiten auszugleichen und Problemen am Arbeitsplatz vorzubeugen. Neben dieser Unterstützung zur Teilhabe am Arbeitsleben sichert eine Assistenz auch den sozialen Status des Menschen mit Handicap innerhalb der Gesellschaft. Die Leistungen der Assistenten werden übrigens, soweit sie der Erhaltung des Arbeitsplatzes dienen, aus der Ausgleichsabgabe finanziert.

Welche Aufgaben haben Arbeitsassistenten?

Arbeitsassistenten helfen schwerbehinderten Mitarbeiterinnen oder -Mitarbeitern zum Beispiel bei Außenterminen, bei denen sie sich in fremden und manchmal nicht barrierefreien Umgebungen zurechtzufinden müssen. Bewegungseingeschränkten Personen können sie etwa schwere Dinge tragen helfen oder Unterlagen anreichen. Blinde und sehbehinderte Menschen profitieren von einer Assistenz, weil diese ihnen zum Beispiel handschriftliche Texte vorlesen kann, und Gehörlose werden bei kommunikativen Tätigkeiten wie etwa Terminabsprachen oder Telefonaten unterstützt. Assistenten übernehmen also nur leichte Büro-, Buchhalterei- oder andere Innendienstjobs, die sie nach einer kurzen Anlern- und Einweisungsphase für die Person erledigen können, die sie begleiten. Dafür brauchen sie also keine Vor- oder Ausbildung.

Wer hat Anspruch auf eine Arbeitsassistenz?

Allen Arbeitnehmern mit einem Behinderungsgrad von mindestens 50 Prozent, die regelmäßig Hilfe brauchen und mindestens 15 Stunden in der Woche arbeiten, steht eine Arbeitsassistenz zu. Auch Personen, die von der Agentur für Arbeit gleichgestellt wurden, haben ein Recht auf die Hilfe. Das gleiche gilt für Beschäftigte in Inklusionsbetrieben, die eine Wochenarbeitszeit von mindestens zwölf Stunden haben.

Wie kann man eine Arbeitsassistenz beantragen?

Schwerbehinderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können einen entsprechenden Antrag an das zuständige Inklusionsamt stellen. Dazu gibt es standardisierte Formulare, die ausgefüllt eingereicht werden müssen. Zusätzlich müssen dem Antrag meist noch weitere Unterlagen beigefügt werden, etwa der Arbeitsvertrag oder der Schwerbehindertenausweis. Es kann auch vorkommen, dass eine Tätigkeitsbeschreibung der möglichen Assistenz nötig ist. Die vollständigen Unterlagen sendet die Antragstellerin oder der Antragsteller dann an das Inklusionsamt.

Wie läuft das weitere Antragsverfahren ab?

Sobald der Antrag beim zuständigen Amt eingegangen ist, wird er geprüft. Wenn eine Assistenz für die jeweilige Person infrage kommt, wird ihr oder ihm eine Fachberaterin oder ein Fachberater zugewiesen. Diese Fachkraft lernt den Menschen mit Behinderung dann erst einmal kennen und schaut sich seine Tätigkeit und die technische Ausstattung an seinem Arbeitsplatz an. Dafür besucht sie oder er den Arbeitsplatz, es wird über die Aufgaben gesprochen und die wichtigsten Arbeitsabläufe werden geklärt. Wenn es nötig ist, werden auch der Arbeitgeber und gegebenenfalls auch die gewählte Schwerbehindertenvertretung hinzugezogen.
Auf diese Weise legen die Fachberaterinnen oder -berater in jedem Einzelfall das notwendige Budget für eine Assistenz fest. Die Höhe dieses Betrags richtet sich nach dem Einkommen der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers sowie nach der Arbeitszeit und dem Umfang der benötigten Hilfe. Der Grund: Das Budget muss im Verhältnis zum Integrationserfolg stehen und darf deshalb höchstens 50 Prozent des Bruttolohns ausmachen.
Wenn die Hilfe am Arbeitsplatz bewilligt ist – das Verfahren dauert üblicherweise mehrere Wochen –, überweist das Inklusionsamt der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer jeden Monat das zuvor festgelegte Budget. Dieses Geld muss die Person dann selbst verwalten, darf sich eine passende Assistenz suchen und diese auch selbst engagieren. Damit wird ganz bewusst das Selbstbestimmungsrecht der Antragstellerin oder des Antragstellers betont.

Wie findet man eine Arbeitsassistenz?

Jeder Mensch mit Behinderung, dessen Antrag auf Assistenz bewilligt wurde, muss selbst eine Arbeitsplatz-Hilfe suchen und engagieren. Dazu sind entsprechende Stellenanzeigen in lokalen Medien oder regionale Aushänge meist am besten geeignet. Mittlerweile gibt es zudem auch im Netz einige Angebote, zum Beispiel spezielle Assistenz-Börsen. Hier einige Beispiel-Portale zum Stöbern:

www.assistenzboerse.de
www.stellenmarkt-sba.de
www.assistenz.org/jobs
.

Weitere Informationen zu Arbeitsassistenzen sind auf den Seiten der Inklusionsämter zu finden. Darüber hinaus hat die Bundesarbeitsgemeinschaft für Unterstützte Beschäftigung zusammen mit der Aktion Mensch extra ein Handbuch zum Thema herausgebracht, das ein sehr guter erster Leitfaden ist.




Auch mit Behinderung im Wunschberuf arbeiten

Einen Job in einem „normalen“ Betrieb zu finden, ist für viele Menschen mit Behinderung oft alles andere als einfach. Es gibt in vielen Regionen Deutschlands einfach nicht genug Beschäftigungsmöglichkeiten, was allerdings weniger an der fehlenden Qualifikation der Bewerberinnen und Bewerber liegt. Oft scheuen sich die eher die Unternehmen, Menschen mit Behinderung als neue Mitarbeiter in Betracht zu ziehen.

Die Lebenshilfe Bamberg hat vor einiger Zeit eine Initiative gestartet, mit der sie das in der Region im Süden Deutschlands Schritt für Schritt ändern will. Die Idee der „integra MENSCH“-Initiative: lokale Akteure aus Wirtschaft und Politik in und um Bamberg zusammenbringen, auf diese Weise ein Netzwerk knüpfen, aus dem neue berufliche Möglichkeiten für Menschen mit Behinderung entstehen, und regionale Betriebe so gezielt in den Prozess der beruflichen Inklusion einbinden.
Die Initiative kooperiert also mit immer mehr Betrieben und Einrichtungen aus der Region und bringt sie mit Berufseinsteigern zusammen, die eine Behinderung haben. Darüber hinaus stellt sie so genannte „Integrationsbegleiter“, die die betrieblichen Neueinsteiger im Arbeitsalltag unterstützen und begleiten.

Der Prozess beginnt in der Regel mit einem Praktikum, bei dem beide Seiten schauen können, ob sie zueinander passen. Die Job-Anwärterinnen und -Anwärter lernen in dieser Zeit ihre künftigen Arbeitsaufgaben kennen und können sich in ihrem Tempo einleben und entfalten. Wenn das gut klappt und der Betrieb wie auch die Berufseinsteigerin oder der Berufseinsteiger zufrieden sind, können die jeweiligen Betriebe eine Patenschaft für ihre neue Mitarbeiterin oder ihren neuen Mitarbeiter übernehmen. Der Arbeitgeber bleibt trotzdem die Initiative integra MENSCH. In und um Bamberg sind so schon über 130 Patenschaften entstanden: unter anderem bei der Lebenshilfe selbst, bei verschiedenen Einrichtungen der Stadt Bamberg, im Musikhaus Thomann im nahen Ort Treppendorf, im lokalen REWE-Markt, auf einem Pferdehof in Bischberg, in einer Bamberger Metzgerei und in Metallbau- oder Malerbetrieben direkt am Ort.




„So viele maßgeschneiderte Arbeitsplätze wie möglich“

Welchen Beitrag leistet Ihr Unternehmen im Bereich Inklusion?

Für uns ist es selbstverständlich, Mitarbeiter, die im Laufe ihres Arbeitslebens eine Schwerbehinderung erleiden, in ihrem vertrauten Arbeitsumfeld– wir nennen es gern im „Heimathafen“ – angemessen zu beschäftigen. Wir leben den Positivansatz, bei dem die Stärken des Mitarbeiters im Vordergrund stehen. Daher schaffen wir eine Arbeitsatmosphäre, die alle gleichermaßen fördert. Zugleich versuchen wir, so viele maßgeschneiderte Arbeitsplätze wie möglich anzubieten. Barrierefreiheit ist dabei eine Selbstverständlichkeit. Bei Bedarf bieten wir zum Beispiel auch Behindertenparkplätze an. Neben diesen betrieblichen Maßnahmen unterstützt BASF externe, integrative Projekte wie beispielsweise die gemeinsame Ausbildung von Jugendlichen mit und ohne Behinderung.

Die Arbeitslosenquote von Menschen mit Schwerbehinderung liegt mit 13,4 Prozent mehr als doppelt so hoch wie bei Menschen ohne Behinderung (Stand: 2016). Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe dafür?

Ich glaube, dass viele Arbeitgeber sich noch davor scheuen, Menschen mit Behinderung einzustellen, weil sie einfach den Umgang mit ihnen nicht gewohnt sind. Durch diese fehlenden Erfahrungen entstehen Bedenken und Berührungsängste, die wiederum Menschen aus unserer Gesellschaft ausschließen. Wir sehen aber beste Chancen, dass sich das durch die Umsetzung der UN-Konvention für die Rechte schwerbehinderter Menschen ändern kann. In inklusiven Kindertageseinrichtungen oder Schulen lernen Kinder heute schon gemeinsam und erleben damit ein ganz anderes Miteinander. Als Resultat fürchten sie sich nicht vorm Anderssein, sondern sehen es als etwas ganz Natürliches an. Genau diese Perspektive ist für eine inklusive Gesellschaft nötig und wird hoffentlich in Zukunft mehr und mehr selbstverständlich.

Wie hoch ist bei Ihnen die Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderung und in welchen Bereichen werden sie eingesetzt?

Bei der BASF SE liegt die Quote derzeit bei 4,4 Prozent mit steigender Tendenz. Dabei werden schwerbehinderte Kollegen in nahezu allen Bereichen des Unternehmens eingesetzt.

Mit 4,4 Prozent liegen Sie derzeit noch unter gesetzlich vorgeschriebene Quote. Was wird Ihr Unternehmen in Zukunft dafür tun, mehr Menschen mit Behinderung zu beschäftigen?

Wir beteiligen uns an verschiedenen Projekten. Unter anderem fördern wir eine inklusive Ausbildung, bei der Jugendliche mit Schwerbehinderung gemeinsam mit nichtbehinderten Kollegen lernen und arbeiten.

Wie wird Ihr Unternehmen in Zukunft mit dem Thema Inklusion und Diversity umgehen?

Bei BASF sind Diversity und Inclusion (Vielfalt und Inklusion) fest in der Unternehmenskultur verankert und seit 2008 auch Teil der Strategie. Dabei denken wir bei BASF Diversity und Inclusion mehrdimensional – für uns sind Faktoren wie kultureller Hintergrund, Nationalität, Geschlecht, Alter bzw. Generation ebenso relevant wie die Themen Religion oder Behinderung.
Wir wissen, dass wir die Vielfalt der Menschen brauchen, um dauerhaft an der Weltspitze zu bleiben. Mit ihren unterschiedlichen Hintergründen und Denkweisen tragen sie entscheidend zu innovativen Lösungen und damit zu unserem Erfolg bei. Deswegen schätzen und fördern wir eine vielfältige Kultur, die unterschiedlichste Denkansätze und Erfahrungen einbezieht. Das zeigt sich auch in unserem Motto „We create chemistry“: Uns ist wichtig, dass die Chemie stimmt – zwischen uns und unseren vielen Partnern, Kunden und vor allem auch Mitarbeitern. Daher legen wir großen Wert auf Respekt und gegenseitige Wertschätzung.
Daher sehen wir auch in dem Abbau von Barrieren zwischen Mitarbeitern mit und ohne Behinderung große Chancen für das gesamte Unternehmen. Wir wollen, dass verschiedene Mitarbeitergruppen wie selbstverständlich miteinander arbeiten und das Anderssein als Potenzial begreifen. Erreichen wollen wir das, indem wir weiterhin Vielfalt fördern und dazu ermuntern, häufiger die Perspektive zu wechseln. Zum Beispiel auch dadurch, dass wir mit Veranstaltungen genau auf solche Themen aufmerksam machen. –




„Jeder hat einen eigenen Schatz an Fähigkeiten“

Herr Flöter, die Arbeitslosenquote von Menschen mit Schwerbehinderung liegt mit 13,4 Prozent mehr als doppelt so hoch wie bei Menschen ohne Behinderung (Stand: 2016). Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe dafür?

Meiner Meinung nach gibt es nicht einfach „die“ Schwerbehinderung, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher, individueller Beeinträchtigungen. Dennoch hat jeder Mensch einen eigenen Schatz an Fähigkeiten, der eine Arbeitsgemeinschaft bereichern kann. Es ist in unserer Gesellschaft noch nicht weit verbreitet, diese Tatsache anzuerkennen. Die hohe Arbeitslosenquote bei Menschen mit Behinderungen scheint mir also ein Ausdruck vielfältiger Vorbehalte zu sein, die es abzubauen gilt.

Welchen Beitrag leistet Ihr Unternehmen im Bereich Inklusion?

Das Thema Vielfalt spielt bei dm in allen Unternehmensbereichen eine große Rolle – gerade auch bei den Mitarbeitern. Menschen mit Behinderung sind Teil der Arbeitsgemeinschaft bei dm, und wir bieten ihnen die Unterstützung, die sie benötigen. Das können zum Beispiel Seminare sein, aber auch die Buchung eines Gehörlosendolmetschers. Wir möchten für alle Mitarbeiter die Voraussetzungen dafür schaffen, gemeinsam und voneinander zu lernen, einander als zu Menschen begegnen und die Individualität des anderen anzuerkennen.

Wie hoch ist bei Ihnen die Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderung?

Es bleibt bei uns jedem selbst überlassen, zu entscheiden, inwieweit er den Verantwortlichen bei uns oder auch die Arbeitsgemeinschaft darüber informieren will, ob sie oder er eine Behinderung hat oder nicht. Die Quote der Menschen bei uns, die einen versorgungsamtlich festgestellten Schwerbehinderten- beziehungsweise Gleichstellungsstatus an dm mitgeteilt haben, liegt bei 3,25 Prozent – Tendenz ist steigend. Wir arbeiten außerdem eng mit Werkstätten für Menschen mit Behinderung zusammen. Diese Arbeitsplätze rechnen wir zu unserer Beschäftigungsquote dazu, die somit bei über fünf Prozent liegt.

In welchen Bereichen werden die Mitarbeiter bei Ihnen eingesetzt?

Überall in unserer Arbeitsgemeinschaft, ihren Bedürfnissen und Möglichkeiten entsprechend, sich individuell einzubringen. Das kann genauso eine geringfügige Beschäftigung wie eine Führungsposition sein. Hier ist auch ein Kooperationsvertrag zu nennen, den wir mit den Nordeifelwerkstätten haben. Sie übernehmen vielfältige Aufgaben für dm.

Auf Ihrer Webseite weisen Sie auf eine Auszeichnung der VERBRAUCHER INITIATIVE e. V. hin, bei der dm als „Nachhaltiges Einzelunternehmen 2015“ mit Silber ausgezeichnet wurde. Inwiefern wurde dabei auch unternehmerisches Engagement in Bezug auf die Inklusion berücksichtigt?

Für die Auszeichnung der Verbraucherinitiative war unter anderem die Frage zu beantworten, welche Maßnahmen wir ergreifen, um die Vielfalt unter den Mitarbeitern zu fördern. Davon ist die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung ein Teil.

Wie will Ihr Unternehmen in Zukunft mit dem Thema Inklusion und Vielfalt umgehen?

Wir möchten bei dm weiterhin die Vielfalt leben und fördern. Dabei schauen wir bewusst auf die Talente jedes Einzelnen und darauf, wie diese Fähigkeiten unsere Arbeitsgemeinschaft weiter voranbringen können.

Wer oder was sind die größten „Inklusions-Bremsen“ unserer Gesellschaft?

Meiner Ansicht nach ist es die bei vielen fehlende Vorstellungskraft, dass jeder Mensch – egal ob mit oder ohne Beeinträchtigung – ein Unternehmen und dessen Team durch sein Wissen, seine Kreativität und seine Persönlichkeit bereichern kann. –




VIER FRAGEN AN… Silke Naun-Bates

Im Alter von acht Jahren hatte Silke Naun-Bates einen schweren Unfall. Ihr mussten anschließend beide Beine amputiert werden. Die heute 50-Jährige ließ sich von diesem Schicksalsschlag nicht unterkriegen und geht heute sehr selbstbewusst mit ihrer körperlichen Behinderung und den damit verbundenen Veränderungen um. Durch ihre positive Haltung und entgegen ärztlicher Prognosen erkämpfte sich Silke Naun-Bates ein unabhängiges, selbstständiges Leben, in dem sie sehr glücklich ist. Sie arbeitet als Autorin und spricht unter anderem auf Konferenzen über das Thema Inklusion und über ihr Leben mit Behinderung. Mit uns hat sie über ihre persönliche Vision einer inklusiven Gesellschaft und Arbeitswelt gesprochen.


#1: Frau Naun-Bates, was bedeutet für Sie Inklusion im Beruf und bei der Arbeit?

Inklusion bedeutet für mich: die Vielfalt und Heterogenität einer Gesellschaft und der gesamten Menschheit als selbstverständlich zu betrachten. Nicht der Einzelne sollte sich dem System anpassen müssen, sondern umgekehrt. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen müssen aus meiner Sicht so flexibel gestaltet sein, dass sie es jedem Einzelnen ermöglichen, uneingeschränkt am täglichen Leben teilzuhaben. Dafür müssen zum Beispiel als erstes die offensichtlichsten Barrieren – Treppen, Bordsteinkanten und so weiter – abgebaut werden.
Das gleiche Prinzip gilt auch im Berufsleben: Jeder Mensch sollte, wenn sie oder er die nötigen Fähigkeiten, Qualifikationen und Talente für einen bestimmten Job mitbringt, die Möglichkeit erhalten, diesen Beruf auch auszuüben. Wenn sich die Rahmenbedingungen dahingehend ändern würden, dass das möglich wird, würden sich viele Diskussionen um Bewerbungsabsagen an Menschen mit Behinderung von selbst erledigen.
Bei Menschen, die durch ihre Behinderung bestimmten Anforderungen in der Berufswelt nicht auf Anhieb gerecht werden können, sollte für einen vernünftigen Ausgleich gesorgt werden, damit sie trotzdem arbeiten können – zum Beispiel mit zusätzlichem Personal oder finanziellen Hilfen. Übrigens: Das System, das diese Ausgleichsmittel regelt, müsste sich meiner Meinung nach ebenfalls ändern. Viele Fördergelder für notwendige Umbauten am Arbeitsplatz oder Eingliederungszuschüsse werden zwar schon seit Jahrzehnten gezahlt, aber die erwünschte Wirkung – nämlich ein wirklich inklusiver Arbeitsmarkt – bleibt bis heute aus.

#2: Was bremst Ihrer Meinung nach die Inklusion – bei der Arbeit, aber auch in der Gesellschaft insgesamt?

Es sind vor allem die Barrieren in den Köpfen vieler Menschen. Diese abzubauen, mehr Offenheit, Toleranz und ein besseres Miteinander zu erreichen, darin sehe ich eine wichtige Aufgabe, um Inklusion zu schaffen. Wir müssen das verbindende Element zwischen unserer jeweils eigenen und der Individualität anderer Menschen erkennen, anstatt uns auf die Unterschiede zu konzentrieren. Ich glaube, wenn wir dann noch offen mit unseren unterschiedlichen Eigenschaften und Voraussetzungen umgehen, werden sich die Rahmenbedingungen auf ganz sanfte Art und Weise zu ändern beginnen. Dafür braucht es allerdings die Bereitschaft aller Beteiligten, das anzuerkennen, was schon erreicht wurde. Darauf können wir aufbauen und gemeinsam weiter daran arbeiten, dass es besser wird. Wer erwartet, dass in unserer komplexen Gesellschaft alle Änderungen die für eine vollständige Inklusion eigentlich nötig wären, über Nacht geschehen, der kann nur enttäuscht werden. Barrieren im Kopf verschwinden nicht einfach so und weichen einem neuen Verständnis, nur weil man sich das wünscht oder weil es eigentlich so sein müsste. Dafür fehlt es zu vielen Menschen (noch) an der Bereitschaft, über ihren so genannten Tellerrand hinauszuschauen. Viele sind nur auf ihre eigenen Bedürfnisse fokussiert, oft genug sogar mit gutem Grund. Ein Wandel im Denken tritt meist erst dann ein, wenn diese Menschen selbst in Situationen geraten, in denen sie nicht mehr überall teilhaben können – dann spüren sie sehr direkt, was für eine Einschränkung das bedeutet. Und solche Erlebnisse beschränken sich längst nicht nur auf den Kontext einer anerkannten Behinderung.

#3: Mit welchen kleinen oder größeren Handlungen könnten einzelne Menschen aus Ihrer Sicht zur Inklusion beitragen?

Alle sollten versuchen, offen aufeinander zuzugehen und sich auf das Verbindende zu konzentrieren. Wir alle sind Menschen, wir alle haben Bedürfnisse und Emotionen. Wir lachen, wir weinen, sind wütend oder begeistert, wir alle müssen Herausforderungen meistern, nur dass diese immer unterschiedliche sind. Wenn wir die Gemeinsamkeiten darin erkennen, wird der gefühlte Unterschied zwischen einzelnen Menschen gleich viel kleiner.

#4: Wenn Sie Ihren Traum-Arbeitsplatz frei entwerfen könnten: Wie sähe dieser aus?

Hier auf meiner pinkfarbenen Couch fühle ich mich sehr wohl, ich mag meinen Arbeitsplatz zu Hause sehr. Ich reise aber auch viel, bin also immer wieder in Hotels oder auf Campingplatzen unterwegs, sowohl beruflich als auch privat. Diese Abwechslung ist für mich eine perfekte Arbeitssituation. Bis 2015 war ich in der Jugend- und Erwachsenenbildung tätig, vorwiegend im Bereich der Rehabilitation von Menschen mit körperlichen, geistigen und psychischen Behinderungen. Diese Menschen zu begleiten, mit unterstützenden Organisationen, Arbeitgebern und Kostenträgern zusammenzuarbeiten und die Öffentlichkeitsarbeit, die damit verbunden war, haben mich sehr erfüllt – trotz der Tatsache, dass die Barrierefreiheit nicht in allen Einrichtungen, mit denen ich zu tun hatte, erfüllt war. Für mich war es viel wichtiger, dass ich als gleichwertiger Mensch wahrgenommen wurde. Denn mein Körper mag zwar etwas anders aussehen, aber im Kern sind wir doch alle ziemlich gleich.




„Gleiche Chancen bieten, individuelle Unterschiede fördern“

Frau Ruopp, eine aktuelle Zahl zum Einstieg: Die Arbeitslosenquote von Menschen mit Schwerbehinderung liegt mit 13,4 Prozent mehr als doppelt so hoch wie bei Menschen ohne Behinderung. (Stand: 2016). Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe dafür?

Zum einen liegen die Probleme klar auf der Arbeitgeberseite: In vielen Unternehmen mangelt es an Barrierefreiheit, zugleich sind sich viele Unternehmer einfach zu unsicher im Umgang mit Menschen mit einer Schwerbehinderung. Viele Unternehmen wissen außerdem nicht, welche Fördermaßnahmen und finanziellen Hilfen die öffentliche Hand für sie bereithält. Daher ist es umso wichtiger, die Leute darüber aufzuklären und sie mit allen nötigen Informationen zu versorgen. Zum anderen sollten aber auch Menschen mit Behinderung mutiger werden. Wir würden uns von ihnen wünschen, dass sie noch öfter im Bewusstsein ihrer Stärken, selbstsicherer und zuversichtlicher auftreten und agieren würden.

Welchen Beitrag leistet Ihr Unternehmen im Bereich Inklusion?

„Diversity and Inclusion“ – also Vielfalt und Integration – sind grundlegend für unsere Visionen und Werte. Alle unsere Kollegen sind einzigartig. Wir setzen auf ein Arbeitsumfeld, in dem diese Unterschiede respektiert, geschätzt und gewürdigt werden. Alle sollen verantwortungsvoll und offen handeln und miteinander umgehen können. Nur so kann jeder seine Talente und Fähigkeiten nutzen und entfalten. Diesen Werten entsprechend fördern wir die Chancengleichheit aller Mitarbeiter und treten vehement gegen Diskriminierung und Belästigung jeder Art ein. Darüber hinaus sind weitere betriebliche Maßnahmen vorgesehen, unter anderem der Ausbau barrierefreier Zugänge, Türen und Kantinen. Wir planen Aufzüge mit Brailleschrift und Sprachansagen für blinde Kollegen, technische Unterstützung für taub-stumme Kollegen, Trainings zum Abbau von Vorurteilen und die verbesserte Kommunikation im Intranet, zum Beispiel zum internationalen Tag der Menschen mit Behinderung.

Wie hoch ist bei Ihnen die Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderung und in welchen Bereichen werden diese Mitarbeiter eingesetzt?

Die Quote liegt in unseren deutschen Einheiten bei 5,43 Prozent. Unsere Mitarbeiter mit (schweren) Behinderungen werden fast überall eingesetzt, zum Beispiel in der Verwaltung oder im Callcenter, aber auch in den Kraftwerken.

Wie wird Ihr Unternehmen in Zukunft mit dem Thema Inklusion und Diversity umgehen?

Wi werden bei E.ON auch in Zukunft das Prinzip von Vielfalt und Inklusion leben. Einer unserer Unternehmenswerte lautet: „Wir wollen verantwortungsbewusst handeln und offen an Dinge heran gehen.“ Genau diese Offenheit ist unser Fundament für eine gelebte Vielfalt. Dazu zählt auch, dass wir allen unseren Mitarbeitern gleiche Chancen bieten, also individuelle Unterschiede fördern und zugleich nutzen. Dieser ganzheitliche Ansatz umfasst alle Dimensionen der Vielfalt. Die Förderung derselben ist auch ein Fokusthema in unserer neuen Nachhaltigkeitsstrategie.

Wer oder was sind die größten „Inklusions-Bremsen“ unserer Gesellschaft?

Simpel ausgedrückt sind es Barrieren – sowohl die im Kopf als auch die baulichen, zum Beispiel in Form von Treppenstufen. Dazu gesellen sich oft unbewusste Vorurteile. Aber auch mangelnde Information und Aufklärung bremsen aus unserer Sicht ein freundschaftliches Miteinander aus und fördern zusätzlich die Unsicherheiten, die viele im Umgang mit Menschen mit Behinderung haben. –




VIER FRAGEN AN… Günter Benning

Unternehmensberater helfen Betrieben dabei, ihre Produktivität und Effizienz zu steigern. Dabei agieren sie als neutrale Beobachter, spüren Probleme auf, suchen nach Lösungswegen und helfen, neue Strukturen zu finden. Das gleiche tun auch Unternehmensberater, die auf das Thema Inklusion spezialisiert sind, aber mit einem anderen Schwerpunkt: Sie helfen Unternehmen, Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung zu schaffen oder zu erhalten. Die Berater besuchen dazu die Betriebe und unterstützen sie zum Beispiel auch dabei, Fördergelder zu beantragen, um möglichst viele Stellen barrierefrei zu gestalten. Günter Benning ist so ein Unternehmensberater für Inklusion, und zwar bei der Handwerkskammer Dortmund.


#1: Herr Benning, welche Stimmung herrscht zur Zeit beim Thema Inklusion in den Unternehmen, die Sie besuchen?

In vielen Betrieben ist die Stimmung eher verhalten. Die Unternehmer wissen aufgrund der Vielzahl an Institutionen, die Unterstützung anbieten, oftmals gar nicht, wer für Sie zuständig ist, also ob es zum Beispiel das Inklusionsamt des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe ist oder die Deutsche Rentenversicherung Westfalen, die Bundesagentur für Arbeit oder die Job-Center, Berufsgenossenschaften oder gesetzliche Unfallversicherungen und Fachstellen. Das sind nur einige von vielen Einrichtungen, und dieser „Inklusions-Dschungel“ überfordert die Unternehmen meist sehr. Daher konzentrieren sich viele lieber auf den Ist-Zustand und auf das, was sie sowieso gut können, anstatt neue Möglichkeiten zu erschließen.

Umso wichtiger finde ich daher, die Arbeitgeber gut über die Chancen und Optionen in Sachen Inklusion zu informieren. Sie müssen vor allem wissen, an wen konkret sie sich mit welchen Ideen oder Belangen wenden müssen. Viele wünschen sich dafür eine Art kompetenten „Lotsen“ und zuverlässigen Ansprechpartner, der ihnen den richtigen Weg weist und dabei hilft, Weichen zu stellen. Hier komme ich als Unternehmensberater für Inklusion ins Spiel. Ich stehe den Menschen in diesen Unternehmen zur Seite, gemeinsam mit der Handwerkskammer Dortmund und ihren Netzwerkpartnern.

#2: Stoßen Sie auch oft auf die berüchtigten „Barrieren in den Köpfen“?

Mir ist schon oft aufgefallen, dass Menschen mit Behinderungen überwiegend nach ihren Einschränkungen beurteilt werden und nicht nach ihren Fähigkeiten. Auf diese Art von „Barriere in den Köpfen“ treffe leider immer noch häufig. Das muss und kann sich zum Beispiel durch gute Aufklärungsarbeit ändern, wir sollten in unserer Gesellschaft aber auch generell stärker auf die individuellen Fähigkeiten und Talente von Menschen schauen egal, ob mit oder ohne Behinderung. Daraus würde dann auch folgen, dass sich der Arbeitsplatz dem Menschen anpassen müsste und nicht umgekehrt. An den technischen Möglichkeiten dafür würde es uns jedenfalls heute schon längst nicht mehr mangeln.

#3: Welche positiven Erlebnisse in Verbindung mit dem Thema Inklusion hatten sie schon in Ihrem Job?

Ein Fall, an den ich mich noch genau erinnere, ist die Familie Honikel. Sie betreibt eine Tischlerei in Dortmund-Scharnhorst. Ich habe dem Betrieb dabei geholfen, einen langjährigen Mitarbeiter weiter zu beschäftigen, der durch eine Krebserkrankung schwerbehindert wurde und dem die Arbeitslosigkeit drohte, weil er seine Aufgaben nicht mehr erfüllen konnte. Das Unternehmen wollte ihn gerne behalten, brauchte dabei aber Unterstützung. Ich bin direkt zur Tischlerei gefahren und habe mir den Betrieb zunächst genau angeschaut. Bei meiner Arbeit ist es außerdem üblich, dass ich mich sehr intensiv mit allen Beteiligten auseinandersetze, um ihre Bedürfnisse und Wünsche genau zu verstehen. Nachdem ich also auch die Familie besucht und gemeinsam mit ihnen die passenden Fördermöglichkeiten für den Mitarbeiter herausgearbeitet hatte, habe ich die entsprechenden Anträge für den Betrieb beim zuständigen Integrationsfachdienst gestellt. Den fortan umgestalteten, barrierefreien Arbeitsplatz konnte der Landschaftsverband Westfalen-Lippe dann problemlos mit Mitteln fördern. So konnte die Tischlerei ihren jahrelang geschätzten Mitarbeiter weiter beschäftigen  und er rutschte nicht in die Arbeitslosigkeit ab. Das war also ein Gewinn für alle: für den Betrieb, für den Mitarbeiter, letztlich aber auch für die Gesellschaft.

#4: Wie sieht aus Ihrer Sicht der Arbeitsmarkt der Zukunft aus, und welche Rolle wird Inklusion darin spielen?

Ich bin kein Prophet, sondern Realist. Daher kann ich leider auch noch keinen generellen Trend erkennen, dass mehr Menschen mit Behinderung eingestellt werden. Trotzdem sehe ich auch täglich, dass selbst kleine Schritte uns weiter vorwärts bringen können. Wenn mehr Arbeitgeber und Betriebe zum Beispiel schon heute genau wüssten, welche Beratungs- und Förderangebote sie nutzen könnten, wäre das aus meiner Sicht bereits ein großer Fortschritt. Außerdem würde ich mir wünschen, dass die Potenziale von Menschen mit Behinderung und ihre ebenso große Motivation, zu arbeiten, öfter erkannt werden. Wenn sie sich diese dann noch selbstbewusster und ihrer Fähigkeiten bewusst bei Betrieben bewerben würden, wäre schon einiges getan. Und, noch wichtiger: In Zukunft wäre noch viel mehr möglich.