Inklusion durch Vielfalt und Teamarbeit

Frau Schell, in welcher Werkstatt waren Sie beschäftigt, bevor sie im Hotel angefangen haben? Und wie kam es, dass Sie gewechselt haben?

Ich war in den Werkstätten der Westfalenfleiß GmbH beschäftigt. Erst in einer Wäscherei, dann in einer Küche und dann in einer Näherei. Ich habe also schon vieles ausprobiert. Bei einem Außenarbeitsplatz der Werkstatt durfte ich außerdem einen Blick in den Service werfen. Dort habe ich zum Beispiel Teller und Besteck vorbereitet. Das Team von Westfalenfleiß hat mich dann gefragt, ob ich nicht noch einmal etwas komplett Neues kennenlernen und mich weiterentwickeln möchte. Ich fand den Vorschlag super und habe mich sofort auf eine neue Arbeit in einem neuen Umfeld gefreut. Seit November 2021 arbeite ich als Reinigungskraft im Tagungshotel Dunant. Das ist meine erste feste Arbeit auf dem Arbeitsmarkt, darauf bin ich sehr stolz.

Was ist im Hotel anders als in der Werkstatt?

Am besten gefällt mir hier, dass ich immer in Aktion bin und sehr viel Spaß dabei habe. In der Werkstatt war es mir leider irgendwann zu langweilig. Ich war ja viele Jahre dort und es gab irgendwann einfach nicht mehr viel Neues zu entdecken. Die Arbeit im Hotel dagegen ist schnelllebiger und vielseitiger, außerdem sind hier überall nur nette Menschen. Der Job ist außerdem eine komplett neue Herausforderung für mich. Hier darf ich Zimmer und Büros putzen, Wäsche wegräumen und die Putzwagen vorbereiten. Was auch toll ist: In der Reinigung arbeiten wir in Zweierteams zusammen, also immer eine Person mit und eine ohne Behinderung. Das funktioniert sehr gut und ich habe so immer jemanden, den ich fragen kann, wenn ich mal nicht weiterkomme.

Was gefällt Ihnen an der Arbeit besonders gut?

Ich liebe Hygiene, Ordnung und Sauberkeit und mag es, dafür verantwortlich zu sein. Am Putzen gefällt mir außerdem, dass ich beim Saubermachen in den Zimmern und Büros immer ganz viele Menschen treffe, also nie alleine bin. Und jede Person, die ich treffe, unterhält sich dann auch mit mir. Das mag ich sehr.

Gibt es Arbeiten, die Sie nicht so gerne machen?

Eigentlich gefallen mir alle meine neuen Aufgaben. Nur das Treppenhaus wische ich nicht ganz so gerne. Da laufen nämlich immer alle direkt wieder durch und es ist alles wieder schmutzig. Deshalb habe ich dabei nicht das Gefühl, Erfolg zu haben, weil das Ergebnis nicht so richtig sichtbar wird.

Hatten Sie Wünsche oder auch Sorgen, bevor Sie Ihre neue Stelle angefangen haben?

Ich war unsicher, ob ich mich gut einleben würde. Ein komplett neues Umfeld und so viele neue Menschen sind eine große Umstellung für mich. Ich bin vorher leider schon oft enttäuscht worden, deshalb war es mir besonders wichtig, herzlich aufgenommen zu werden. Zum Glück ist genau das der Fall gewesen. Deshalb fühle ich mich hier auch sehr wohl und bin gerne hier. Ich hatte vor allem gehofft, dass ich nicht alleine gelassen, sondern unterstützt werde. Und das ist in Erfüllung gegangen.

Gibt es Kolleginnen und Kollegen, die Sie besonders oft begleiten?

Zwei meiner Kolleginnen stehen mir sehr nahe, sie zeigen mir alles und leiten mich an. Das hat mir gerade beim Einstieg in die neue Arbeit sehr geholfen. Ich finde es außerdem wichtig, dass ich immer alles fragen kann. Das darf ich bei den beiden, aber auch bei den anderen im Team. Eigentlich hilft hier jeder jedem, denn wir sind wirklich eine bunte Mischung aus vielen verschiedenen Mitarbeiter:innen mit unterschiedlichen Stärken.

Gibt es Situationen, in denen Sie nicht so zufrieden sind?

Ja, denn manches fällt mir immer noch schwer. Dann wünsche ich mir manchmal, ich wäre anders. Ohne meine Behinderung wäre ich vielleicht schon etwas weiter.

Sie haben sich also weiterentwickelt, seit Sie Ihren neuen Job haben?

Oh ja, ich habe mich persönlich sehr verändert. Durch die neuen Aufgaben bei meiner neuen Arbeit bin ich viel selbstständiger geworden. Mir wird auch gesagt, dass ich erwachsener und reifer wirke als vorher. Besonders gut gefällt mir, dass ich offener geworden bin – denn durch die vielen Menschen um mich herum habe ich gelernt, auf andere zuzugehen. —





Technologie und Inklusion: Gäste per Roboter von zu Hause aus bewirten

Über ein Tablet oder den Computer können die „digitalen Kellner:innen“, die wegen schwerer körperlicher Behinderungen das Haus selbst nicht mehr verlassen können, den Kellner-Roboter durch das Café in Tokio steuern und die Bestellungen der Gäste aufnehmen. Auch mit einzelnen Fingern oder dem Kinn ist der Roboter steuerbar, was beispielsweise für Menschen mit schweren Nervenerkrankungen eine wichtige Voraussetzung ist. Weil die Roboter außerdem einen kleinen Bildschirm mit Kamera und Mikrofon haben, können sich Gäste und Kellner:innen gegenseitig sehen und hören – neben der reinen Kellner-Arbeit ist also auch Kommunikation möglich.

Dieses Beispiel zeigt, wie moderne Technologie Menschen mit schweren Behinderungen dabei unterstützen kann, am gesellschaftlichen Leben und dem Arbeitsmarkt teilzuhaben. Und: Roboter ersetzen in diesem Fall den Menschen nicht, sondern bieten ihm nur die nötige Unterstützung, um arbeiten zu können.




„Visual Vernacular“ und „Visual Sign“: Lautlose Kunstformen für mehr Inklusion auf der Bühne

Herr Kauly, was ist „Visual Vernacular“ und wie ist diese Kunstform entstanden?

Der Ursprung von Visual Vernacular ist die Gebärdensprache, aber als diese Kunstform entstand, war den Menschen noch nicht bewusst, dass es überhaupt eine ist. Visual Vernacular funktioniert heute ganz ohne Gebärdensprache. Die Geschichten werden durch Körperbewegung, Symbole, Gesten und intensive Gesichtsausdrücke erzählt. Man kann sich das wie Musik für Gehörlose mit sehr vielen Einflüssen vorstellen, zum Beispiel aus Filmen und Computerspielen. Wie jede Kunst entwickelte sich Visual Vernacular mit der Zeit weiter und es entstanden immer wieder neue Formen davon. Diese Art, Geschichten zu erzählen, nutzen taube Menschen mittlerweile weltweit als künstlerischen Ausdruck. Die Kunstform gab es schon immer, aber bekannt wurde sie erst durch Bernard Bragg, einen tauben amerikanischen Schauspieler. Er gab ihr auch ihren Namen.

Wie sind Sie selbst zu Visual Vernacular gekommen?

Ich liebe die Kunst mit der Sprache, besonders, wenn sie visuell funktioniert. Mich fasziniert, wie man mit Gesichtsausdrücken sprechen, mit den Händen kommunizieren und sich mit Körpersprache ausdrücken kann. Meine Begeisterung dafür begann mit Musikvideos. Ich wollte die Songs, die ich dort sah, in Gebärdensprache übersetzen. Irgendwann bemerkte ich, dass die direkte Übersetzung nicht so ansprechend aussah und mit der Musik nicht mehr viel zu tun hatte. Mir fehlte das Künstlerische. Also suchte ich nach einer Alternative und entdeckte Visual Vernacular. Als ich erfuhr, dass Gehörlose davon begeistert sind, wusste ich, dass das genau das Richtige für mich ist.

Sie vergleichen Visual Vernacular mit Musik für Hörende. Wie muss man sich das vorstellen?

Bei Visual Vernacular wird wie gesagt kaum mit Gebärdensprache gearbeitet. Im visuellen Theater für gehörlose Menschen ist das anders. Dort fließen viele verschiedene Kunstformen ineinander, etwa Performance, Gebärdensprache, Körpersprache, Pantomime und noch einige andere. Dann gibt es noch die Gebärdensprachpoesie, die ist wie ein Gedicht, eine Ballade oder ein Lied mit Wörtern und Ausdrücken aus der Gebärdensprache. Bei Visual Vernacular zeigen die Künstler:innen mit ihren Händen verschiedene Formen. Das können Gegenstände sein, Personen, Tiere, Pflanzen oder Elemente. Es ist sozusagen Kunst ganz ohne Wörter. Gehörlose verstehen aber, was diese Formen bedeuten. Das Besondere ist, dass bei Aufzeichnungen auch Filmtechniken zum Einsatz kommen, beispielsweise verschiedene Kameraperspektiven, Vergrößern und Verkleinern der Szene durch Zoomen, Zeitlupe oder Zurückspulen.

Wie wichtig sind Gesichtsausdrücke bei dieser Kunstform?

Beinahe genauso wichtig wie die Hände. Und auch die Körperhaltung spielt eine große Rolle. Bei der Musik sind ja auch die Instrumente, die die Töne spielen, ebenso wichtig wie der Rhythmus, das Tempo oder bei Musik mit Gesang die Stimme. Musik ist eine Kombination aus verschiedenen künstlerischen Elementen, und so ist es auch bei Visual Vernacular. Am besten ist, sich ein Video davon anzuschauen, denn das zeigt am besten, was genau ich damit meine. Man kann den Blick kaum vom Gesicht des Künstlers nehmen, finde ich, weil dort so unglaublich viel passiert.

Ist die Kunstform auch für hörende Menschen zugänglich?

Leider nein, hörende Menschen können das nur schwer verstehen, weil sie visuelle Sprache nicht gewohnt sind oder gar nicht kennen. Natürlich können sie sich eine Aufführung anschauen und versuchen, die Gefühle nachzuempfinden, die dabei ausgedrückt werden. Aber den kompletten Inhalt werden sie nicht aufnehmen können. Das möchte ich sehr gern ändern. Ich will mit meiner Kunst erreichen, dass sie irgendwann für Gehörlose und Sprechende gleichermaßen verständlich ist. Es wäre ja schön, wenn alle gemeinsam zur gleichen Aufführung gehen könnten und nicht nach Hörenden und Gehörlosen getrennt werden müsste. Deshalb veranstalte ich Workshops für Gehörlose und Hörende zusammen und bringe ihnen „Visual Sign“ bei (auf Deutsch: „visuelles Zeichen“). Das ist eine Kunstform, die anders als Visual Vernacular auf der Pantomime beruht – und die können alle verstehen.
[Anmerkung der Redaktion: Aktuelle Workshop-Termine findet ihr zum Beispiel auf der Pinnwand unter „Veranstaltungen“ bei taubenschlag.de, einer Website mit Infos, Nachrichten und Angeboten für Taube und Schwerhörige, aber auch für Hörende].

Können Sie erklären, was genau bei Visual Sign anders ist?

Diese Kunstform ist von Visual Vernacular abgeleitet, aber stark vereinfacht. Im Mittelpunkt steht eine bewegte Körpersprache, die Menschen während der täglichen Kommunikation unbewusst sowieso schon verwenden. Diese visuellen Zeichen wandle ich in künstlerische Ausdrücke um. Ein Beispiel: Wenn ich zeigen möchte, dass ich Auto fahre, hebe ich die Arme hoch und halte ein unsichtbares Lenkrad. Das funktioniert genauso auch mit „Trinken“, „Schlafen“, „Laufen“, „Schreiben“, „Telefonieren“, „Schnarchen“, und so weiter. Dabei kommen viele Elemente aus der Pantomime zum Einsatz. Im nächsten Schritt wird es dann aber komplexer. Wie zeige ich, dass ich ein Auto fahre und keinen Bus oder Lkw? Die haben ja alle ein Lenkrad, wie verdeutliche ich also den Unterschied? Die Körperhaltung hilft nicht viel, die ist im Auto fast die gleiche wie in den anderen Fahrzeugen. Also muss ich umdenken und noch genauer beobachten, was anders ist. Ich gehe also noch weiter aus der Situation heraus und schaue beispielsweise auf die Tür des jeweiligen Fahrzeugs, denn die ist bei allen dreien unterschiedlich. In einen Lkw muss ich eher hineinklettern und der Bus hat eine viel größere Tür als das Auto. Diese Unterschiede verstehen Gehörlose ebenso wie Hörende. Der Ansatz bei „Visual Sign“ ist also immer, mit möglichst allgemeingültigen und für alle verständlichen Zeichen zu arbeiten.

Kann Visual Sign dabei helfen, Barrieren auf der Bühne abzubauen, also auch bei Theaterstücken, die sonst nur Hörende gut verstehen?

Ja, das wäre durchaus möglich. Es gibt ja noch andere Möglichkeiten wie Gebärdensprache oder Untertitel bei Aufführungen und Filmen, die auch schon verwendet werden. Aber Visual Sign könnte eine inklusive Kunst für alle sein, bei der es keine „Sonderlösung“ für die eine oder andere Gruppe braucht. Es kommt natürlich immer darauf an, was der Inhalt des Stücks ist und welche Kunstform gezeigt werden soll: Tanzen, Performance, Schauspiel, Singen? Kunst kennt keine Grenzen, die Sprache aber schon. Ich würde den Verantwortlichen daher empfehlen, kreativ zu sein und vorher die gehörlosen Zuschauer:innen zu fragen, wie gut sie eine bestimmte Kunstform inhaltlich aufnehmen und verstehen können. Vielleicht eröffnet Visual Sign dann ganz neue Möglichkeiten. —