Das Inklusionsklima wird besser – aber es bleibt viel zu tun

Am 3.12. ist der Internationale Tag der Menschen mit Behinderung. Pünktlich zu diesem Anlass meldet die Aktion Mensch einen positiven Trend beim Thema Inklusion in der Arbeitswelt: In ihrem „Inklusionsbarometer Arbeit 2017“ hat sie schon zum fünften Mal die Entwicklung des deutschen Arbeitsmarkts für Menschen mit Behinderung wissenschaftlich erhoben und vor einigen Tagen die Ergebnisse veröffentlicht. Für die Studie befragte die Aktion Mensch wieder gemeinsam mit dem Handelsblatt Research Institute Unternehmen und Arbeitnehmer mit Behinderung. Das Fazit: Die Lage verbessert sich weiter, aber es bleibt auch noch viel zu tun.

Positiv ist zum Beispiel, dass der Gesamtwert des Barometers (der ausdrückt, welche Tendenz die Entwicklung des Arbeitsmarktes im Bereich Inklusion hat) erneut einen deutlichen Sprung von im Vorjahr 106,7 auf 114,2 Punkte gemacht hat. Einer der Gründe dafür ist, dass Unternehmen die Inklusion erneut positiver einschätzen als noch im Vorjahr (von 35,5 auf 37,0). Aber auch Arbeitnehmer mit Behinderung selbst werden immer optimistischer: In diesem Bereich erreichte das Barometer dieses Jahr einen Rekordwert von 45,7 (Vorjahr: 38,7). Ab einem Schwellenwert von 50 spricht die Aktion Mensch hier von einem insgesamt positiven Trend beim Arbeitsklima – diese Marke ist dieses Jahr erstmals fast geknackt.

Neben diesen erfreulichen Entwicklungen gibt aber auch weiterhin viele Aufgaben zu lösen. Zu wenige Unternehmen sind barrierefrei gestaltet und ausgebaut, längst nicht alle haben schriftliche Grundsätze dazu ausgearbeitet. Sehr viele kennen und nutzen aber auch die staatlichen Förderungsmöglichkeiten nicht, die ihnen zustehen, wenn sie Menschen mit Behinderung beschäftigen: 39 Prozent der kleinen Unternehmen, die bereits Menschen mit Handicap beschäftigen, sind diese Zuschüsse gänzlich unbekannt und 23 Prozent der Personalverantwortlichen, denen die staatliche Förderung bekannt ist, nehmen diese Möglichkeiten nicht in Anspruch.




Wann hat ein Mensch vor dem Gesetz eine Behinderung?

Das Bundesteilhabegesetz soll eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft für Menschen mit Behinderung auf den Weg bringen. Es wurde im Jahr 2016 verabschiedet und wird über sieben Jahre hinweg stufenweise in Kraft gesetzt – ein komplexes Verfahren, das sehr viele verschiedene Änderungen umfasst. Ein Beispiel ist die neue Definition des Begriffs „Behinderung“ im Sozialgesetzbuch IX, die dort ab 2018 mit einer neuen Formulierung verankert sein wird. Dieser Text ist die Grundlage für vieles andere – und deshalb nicht nur sehr wichtig, sondern auch umstritten.
Die Ausführungen in diesem Interview geben nur die persönliche Auffassung von Dr. Till Sachadae wieder, sie sind getrennt von seinem dienstlichen Auftrag zu verstehen.


Herr Sachadae, warum ist eine neue Definition des Begriffs „Behinderung“ nötig?

Zuallererst, weil Deutschland gesetzlich dazu verpflichtet ist, seine Gesetze an die Regeln der UN-Behindertenrechtskonvention anzupassen. Damit sind rechtliche, inhaltliche und sprachliche Anforderungen verbunden, die in der aktuellen Definition des Begriffs „Behinderung“ nicht vollständig erfüllt sind. Zweitens bestimmt ja die Frage, ab wann ein Mensch laut Gesetz eine Behinderung hat und wodurch genau diese definiert wird, sehr stark mit, was sich in Sachen Inklusion in der Gesellschaft tun wird – oder eben nicht. Manchen Leuten mag die Diskussion über so einen kurzen Text also vielleicht kleinlich vorkommen, aber die Wirkung der Details darin ist weitreichend. Auf der Grundlage solcher sprachlichen Feinheiten wird nämlich entschieden, wer Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch IX beanspruchen kann und wer nicht.

Wie definiert das Sozialgesetzbuch den Begriff „Behinderung“ bisher, und was wird künftig anders sein?

Der bisher geltende Gesetzestext definiert eine Behinderung so: Der individuelle körperliche, geistige oder seelische Zustand eines Menschen muss von einem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und dadurch muss die Teilhabe dieses Menschen am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt sein. Aus Sicht des Gesetzgebers liegt dann ein Handicap vor und wird auch als solches anerkannt. Das Problem mit dieser Definition: Es wird davon ausgegangen, dass Beeinträchtigungen bei der Teilhabe aus einer körperlichen, geistigen oder seelischen Abweichung heraus resultieren müssen. Das greift aber gedanklich zu kurz. Ein Mensch mit Behinderung kann ja oft auch deshalb nicht gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben, weil die Gesellschaft ihn nicht lässt. Wie seine Umwelt gestaltet ist, denkt und handelt, bestimmt in hohem Maße mit, ob eine Behinderung überhaupt als solche empfunden wird oder nicht. Genau das besagt auch die UN-Behindertenrechtskonvention, doch die bisher geltende Definition des Begriffs Behinderung im Sozialgesetzbuch gibt dieses Denken nicht wieder. Verkürzt ausgedrückt stand der Gesetzgeber also jetzt vor der Aufgabe, den Behinderungsbegriff so anzupassen, dass damit ein neuer Leitsatz abgebildet wird, der auch einer Kampagne des Sozialverbandes Deutschland ihren Namen gegeben hat: „Ich bin nicht behindert, ich werde behindert!“

Ist das in der neuen Behinderungsdefinition aus Ihrer Sicht gelungen?

Das ist schwierig zu beantworten, weil das von der Auslegung der sprachlichen Feinheiten abhängt, aber auch davon, welche Erwartungen an diese neue Definition gestellt werden. Ging es den Juristen um mehr Klarheit in der Rechtslage? Sollte das Bewusstsein durch bessere Formulierungen geschärft werden? Das ist sicherlich gelungen. Aber sollte es auch inhaltliche Veränderungen in der neuen Definition geben, die tatsächlich rechtliche Konsequenzen haben? Das ist meiner Ansicht nach weitestgehend danebengegangen.

Woran machen Sie das fest?

Um das zu beantworten, stelle ich am besten mal beide Definitionen nebeneinander. Die bisherige Formulierung, die noch bis Ende 2017 gilt, lautet so:

„Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist […].“

Ab 2018 tritt die folgende neue Definition in Kraft:

„Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach S. 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht.“

Auf den ersten Blick unterscheiden sich die Versionen voneinander. Aber wenn man genauer hinschaut, wurden eigentlich nur ein paar neue Formulierungen eingebaut.

Warum reicht das aus Ihrer Sicht nicht aus?

Das Problem an dieser neuen Definition – und eine häufige, aus meiner Sicht berechtigte Kritik seitens der Behindertenverbände – ist, dass sich inhaltlich nichts verändert hat. Der Text ist sprachlich überarbeitet und in Teilen auch verbessert worden. Das ist fraglos wichtig, weil man annehmen kann, dass die Sprache auch ein Stück weit das Denken beeinflusst. Das wird aber leider kaum bis gar nicht dazu führen, dass die neue Definition auch rechtlich anders ausgelegt oder angewendet werden wird als die bisherige.

Was genau finden Sie an den Änderungen problematisch?

Zunächst einmal ist es dem Gesetzgeber nicht gelungen, die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention sauber umzusetzen, obwohl genau das eines der erklärten Ziele des Bundesteilhabegesetzes war. Ein Beispiel: Im neuen Gesetzestext wird jetzt ausdrücklich die „gleichberechtigte“ Teilhabe angesprochen. Das erscheint auf den ersten Blick zwar richtig formuliert, weil auch in der UN-Behindertenrechtskonvention von einer „vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe“ die Rede ist. Im Unterschied zum Konventionstext wurden im Bundesteilhabegesetz aber die Worte „voll“ und „wirksam“ komplett weggelassen. Damit wird das Thema Teilhabe abgeschwächt, wenn nicht sogar abgewertet.

Sehen Sie denn auch Annäherungen an die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention?

Ja, die gibt es schon, nur betreffen sie leider Bereiche der Definition, die keine echten Veränderungen bewirken – und das, obwohl man als Laie wahrscheinlich erstmal einen ganz positiven Eindruck bekommt. In der Definition ist beispielweise das Wort „Sinnesbeeinträchtigung“ ergänzt worden. Damit sind insbesondere Behinderungen des Sehens und Hörens gemeint, die im bisherigen Behindertenbegriff nicht extra erwähnt waren. Diese Änderung wirkt wie eine inhaltliche Neuerung, die mehr Behinderungsarten einschließt, es ist aber keine.

Warum nicht?

Weil diese Behinderungen ohnehin zu den körperlichen zählen, und die sind auch in der alten Definition erwähnt und damit abgedeckt. Dass das ergänzt wurde, trägt sicherlich zu einer Schärfung des Bewusstseins bei, weil etwas klarer wird, dass körperliche Behinderungen manchmal für andere Menschen nicht unbedingt auf den ersten Blick sichtbar sind. Rechtlich ist dadurch aber nichts anders geworden, auch hier ist nur eine rein sprachliche Annäherung an den Wortlaut der UN-Behindertenrechtskonvention passiert. Wie ich schon sagte, ist das überhaupt das größte Manko des neuen Textes aus meiner Sicht: Es gibt keine wirklichen inhaltlichen Veränderungen.

Was sind die Folgen für Menschen mit Handicap?

Viele von ihnen gelten durch die neue Definition auch weiterhin nicht als Menschen mit Behinderung. Sie haben deshalb keinen Anspruch auf Leistungen vom Staat oder auf sonstige Nachteilsausgleiche. Vorübergehende Behinderungen werden zum Beispiel weiterhin nicht anerkannt, obwohl auch für diese Menschen die gesellschaftliche Teilhabe ja nachweislich eingeschränkt ist. Auch altersbedingte Erkrankungen gelten in der neuen Definition nicht als Handicap. Im Text steht ja weiterhin, dass der Zustand eines Menschen von dem „für das Lebensalter typischen Zustand“ abweichen muss, und zwar „mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate“. Damit hat laut Gesetz weder ein junger Mann eine Behinderung, der einen schweren Unfall hatte und sich deshalb ein knappes halbes Jahr mit Rollstuhl durch seine Umwelt bewegt, noch eine alte Dame, die im dafür „typischen“ Lebensalter an einer Demenz erkrankt ist. Aus meiner Sicht leben aber beide Menschen nicht weniger mit einer geistigen oder körperlichen Behinderung als andere auch.

Gibt es denn trotzdem sprachliche Veränderungen im Vergleich zu 2016, die Sie unverzichtbar finden?

Gut und wichtig ist, dass das Wort „behindert“ durch „Behinderung“ ersetzt wurde. Das stützt den schon erklärten Wechselwirkungsansatz, denn damit sind Menschen laut Gesetz nicht mehr behindert, sondern werden höchstens behindert, denn sie haben eine Behinderung. Damit wird auch eine sprachliche Norm geprägt, weil diese jetzt offiziell verankert wurde – und dadurch wird sich irgendwann hoffentlich auch etwas in den Köpfen tun. Die Formulierung „Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren“ ist in diesem Zusammenhang ebenfalls eine wichtige, weil damit nochmals klarer gemacht wird, dass eine Behinderung immer im Zusammenhang mit der Umwelt eines Menschen steht und auch dadurch zustande kommt. Mit den „einstellungsbedingten“ Barrieren werden außerdem Ängste und Vorurteile seitens der Arbeitgeber benannt, die Menschen mit Behinderung ein Berufsleben oft gänzlich unmöglich machen. Und gut ist auch, dass „umweltbedingte“ Barrieren erwähnt werden, mit denen sowohl bauliche und technische als auch kommunikative Hürden gemeint sein können. Eine zu komplexe Sprache gilt künftig also genauso als Barriere wie eine fehlende Rampe vor einem öffentlichen Gebäude. –




Praxistipps und Fortbildungen für Schwerbehindertenvertretungen & Co.

In Betrieben ab einer bestimmten Mitarbeiterzahl müssen verschiedene Vertreterinnen und Vertreter gewählt werden, die sich um die Belange von Menschen mit Behinderungen kümmern oder die Arbeitgeber beim Thema Inklusion im Unternehmen unterstützen.
Diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erfüllen viele wichtige Aufgaben, die sie ehrenamtlich neben ihrem normalen Job im Betrieb erledigen: Sie helfen dabei, Konflikte zu lösen, die in einem Beschäftigungsverhältnis entstehen können, sie nehmen an Verhandlungen zum Kündigungsschutz teil und unterstützen dabei, Arbeitsplätze in den Betrieben und Dienststellen behinderungsgerecht zu gestalten. Sie beraten aber auch, zum Beispiel, wenn ein Mensch mit Schwerbehinderung neu eingestellt werden soll. Für all das müssen sie viel Fachkompetenz und Verhandlungsgeschick mitbringen, zugleich aber auch Durchsetzungs- und Einfühlungsvermögen haben.

Um die gewählten Vertreterinnen und Vertreter in Betrieben aus der Region Westfalen-Lippe bei ihren vielfältigen Aufgaben zu unterstützen und ihnen die passenden Handlungskompetenzen zu vermitteln, stellt das LWL-Inklusionsamt Arbeit jedes Jahr ein umfassendes Kursprogramm zu verschiedenen Schwerpunktthemen zusammen (Tipp für Interessierte außerhalb von Westfalen: Im Rheinland ist der LVR mit einem eigenen Kursangebot zuständig, in Regionen außerhalb von NRW jeweils andere Inklusionsämter oder sonstige Anbieter). Im Jahr 2018 werden für die Region Westfalen beispielsweise wieder viele Grund- und Aufbaukurse angeboten, die sich unter anderem um die Aufgaben und Pflichten von Schwerbehindertenvertretungen drehen. Es finden auch mehrere Themenkurse statt, etwa zur Vielfalt in Unternehmen, zum Thema Burnout und anderen psychischen Erkrankungen, zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) oder zum Umgang mit Suchterkrankten am Arbeitsplatz. Ergänzt wird das Angebot durch Fachseminare für Menschen mit Hörbehinderungen und wer möchte, kann auch an qualifizierten Aus- und Fortbildungen teilnehmen.

Die Veranstaltungen und Kurse werden von fachkundigen Referentinnen und Referenten aus dem LWL-Inklusionsamt Arbeit geleitet, es stehen aber auch weitere erfahrene Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Berufen zur Verfügung. Sie alle geben den Kursteilnehmern praxisnahe Hilfestellungen.

Das vollständige Kursprogramm kann hier auf den Seiten des LWL-Inklusionsamtes abgerufen werden – dort kann man sich einfach durch die verschiedenen Kurse klicken und sich jeweils unten auf den einzelnen Veranstaltungsseiten direkt online anmelden.




Bundesteilhabegesetz 2018: Die zehn wichtigsten Änderungen im Arbeitsleben

Deutschland ist dazu verpflichtet, seine Gesetze an die Regeln der UN-Behindertenrechtskonvention anzupassen. Damit sind einige Anforderungen verbunden, die künftig erfüllt werden müssen – rechtliche und inhaltliche, aber auch sprachliche. Für das Jahr 2018 wurde daher neben anderen Änderungen im Gesetz auch die bisher geltende Definition des Begriffs „Behinderung“ überarbeitet. Das hat im Vorfeld für sehr viel Streit und Protest gesorgt, weil sich viele Menschen mit Behinderung in dieser Definition nicht wiederfinden. Der Text ist sehr wichtig für sie, weil er rechtlich bindend festlegt, ab wann ein Mensch laut Gesetz eine Behinderung hat. Die Definition hat also große Auswirkungen für sehr viele Menschen und ist richtungsweisend dafür, ob und in welchem Umfang jemand Anspruch auf Leistungen vom Staat hat.

Ab 2018 sollen Menschen mit Schwerbehinderungen besser davor geschützt sein, wegen ihres Handicaps gekündigt zu werden. Wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis beendet, ohne vorher die Schwerbehindertenvertretung einzubeziehen, ist die Kündigung unwirksam. Der Arbeitgeber muss dann mit einem Kündigungsschutzverfahren und arbeitsrechtlichen Strafen rechnen. Die Schwerbehindertenvertretung kann in solchen Fällen künftig auch vor das Arbeitsgericht ziehen. Dort kann sie fordern, dass die Entscheidung ausgesetzt wird, bis der Arbeitgeber sein Versäumnis nachgeholt hat. Widersetzt sich der Arbeitgeber, können Strafen von bis zu 250.000 Euro anfallen.

Vertrauenspersonen sind die Schwerbehindertenvertretungen eines Betriebes. Sie beraten und unterstützen ihre Kolleginnen und Kollegen mit Behinderung ehrenamtlich. Damit sind sie Interessenvertreter, zugleich aber auch Beschäftigte des Betriebes, die ihre Arbeit wie jeder andere verrichten müssen. Dadurch entsteht für sie eine Doppelbelastung, die in den vergangenen Jahren immer größer geworden ist. Vertrauenspersonen haben deshalb einen gesetzlichen Anspruch darauf, sich vorübergehend von ihrer Arbeit freistellen zu lassen. Der Gesetzgeber entlastet sie zum Jahr 2018 noch weiter, indem er den betrieblichen  Schwellenwert von 200 auf 100 senkt. Das heißt: Wenn in einer Organisation, einem Betrieb oder Unternehmen mindestens 100 Menschen mit Schwerbehinderung beschäftigt sind, dürfen sich die Vertrauensperson auf Wunsch nur noch auf ihre Beratungstätigkeit konzentrieren.

Übrigens: Auch Vertrauenspersonen in kleineren Betrieben können sich freistellen lassen, allerdings nur in einem kleineren Umfang und soweit es für ihr Amt in der Interessenvertretung wirklich erforderlich ist. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Inklusionsämter empfiehlt deshalb, dass Vertrauenspersonen ihre Arbeit transparent machen und dem Arbeitgeber so deutlich wie möglich zeigen sollten, was sie alles zum Wohl der Beschäftigten und somit für den gesamten Betrieb tun.

Schon seit 2016 regelt das Bundesteilhabegesetz, dass ein Schwerbehindertenvertreter bestimmte Aufgaben an einen Stellvertreter abtreten darf – sofern im Unternehmen mehr als 100 Menschen mit Schwerbehinderung arbeiten. Bei mehr als 200 Menschen mit Handicap im Betrieb darf die Vertrauensperson sich von einem weiteren Stellvertreter unterstützen lassen. Ab 2018 gilt neuerdings: Jedes Mal, wenn im Betrieb die Marke von weiteren 100 Mitarbeitern mit Behinderung erreicht ist, darf die Vertrauensperson einen zusätzlichen Stellvertreter benennen. Die ehrenamtliche Arbeit soll so auf mehrere Personen verteilt und die Menschen im Betrieb besser unterstützt und beraten werden.

Bisher war es für die Stellvertreter einer Vertrauensperson nur unter sehr engen Bedingungen möglich, sich für ihre Amtsaufgaben aus- und weiterbilden zu lassen. Dafür mussten sie zum Beispiel schon besonders oft oder ständig herangezogen worden sein beziehungsweise die Vertrauensperson schon häufig vollständig vertreten haben. Hintergrund war, dass für den Gesetzgeber bisher erst dann ein ausreichender Anlass für Weiterbildungen gegeben war. Er ging nämlich davon aus, dass wegen des häufigen Einspringens zu erwarten war, dass er Stellvertreter bald ins Hauptamt aufrücken würde. Diese Regelung passt aber längst nicht mehr zu den Anforderungen an die Stellvertreter, die sie auch dann schon erfüllen müssen, wenn sie nicht in absehbarer Zeit die Vertrauensperson ersetzen. Der Gesetzgeber geht ab 2018 davon aus, dass die Schwerbehindertenvertretung in einem Betrieb jederzeit ausfallen kann, denn in der Regel besteht diese nur aus einem gut ausgebildeten Mitarbeiter: der Vertrauensperson selbst. Ab dem neuen Jahr dürfen deshalb auch alle Stellvertreter entsprechende Weiterbildungen besuchen.

Noch mehr Entlastung für die Vertrauenspersonen: Ab 2018 steht den Schwerbehindertenvertretungen in Betrieben eine Bürokraft zu, die sie bei ihren täglichen Aufgaben unterstützen und entlasten soll. Die Kosten dafür trägt der Arbeitgeber.

Wenn ein Betrieb nicht mehr in seiner ursprünglichen Form weiterbestehen kann, endet damit normalerweise auch die Amtszeit des Betriebsrates und der Schwerbehindertenvertretungen. Das bedeutet aber, dass gerade in einer schwierigen Zeit für die Arbeitnehmer eine „Lücke“ entsteht. Für Betriebsräte gilt in diesen Situationen schon lange ein so genanntes „Übergangmandat“: Sie behalten auch in der Phase, in der ein Betrieb neu organisiert und strukturiert wird, ihre Mitbestimmungsrechte und dürfen Neuwahlen einleiten. Dieses Mandat endet erst dann, wenn die Umstrukturierungen abgeschlossen sind, in den neu entstandenen Betrieben ein neuer Betriebsrat gewählt wurde und das Wahlergebnis bekannt gegeben ist – spätestens jedoch nach sechs Monaten. Durch einen Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung kann das Übergangsmandat auf bis zu insgesamt ein Jahr verlängert werden. Ab 2018 gelten diese Regelungen und Rechte nun auch für die Schwerbehindertenvertretungen. Nur der öffentliche Dienst ist davon aufgrund anderer Bestimmungen ausgenommen, hier gelten weiterhin die so genannten Personalvertretungsgesetze.

In größeren Unternehmen und Organisationen gibt es nicht nur eine, sondern mehrere Vertrauenspersonen, die auf mehreren Ebenen eingesetzt werden. Zum Beispiel gibt es eine eigene Schwerbehindertenvertretung für die Konzern-Zentrale, eine andere für Unternehmenstöchter und wieder weitere für die einzelne Bezirke, in denen die Unternehmen tätig sind. Für die Vertretungen ist es da gar nicht so einfach, den Überblick zu behalten. Ab dem Jahr 2018 vereinfacht der Gesetzgeber deshalb das Verfahren, mit dem die Wahlen dieser vielen Schwerbehindertenvertretungen organisiert werden dürfen.

Arbeitgeber sind schon seit dem Jahr 2016 dazu verpflichtet, frei gewordene Stellen in ihrem Betrieb an die Bundesagentur für Arbeit zu melden. Diese schaut dann, ob es einen arbeitsuchenden Menschen mit Behinderung gibt, der für die Stelle in Frage kommen könnte. Ab 2018 wird diese Regelung abgeändert, weil öffentliche Einrichtungen bestimmte haushaltsrechtliche Vorschriften erfüllen müssen. Eine Stadtverwaltung zum Beispiel ist dazu verpflichtet, zuerst nach internen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu schauen, bevor sie den Arbeitsplatz neu ausschreibt. Wenn es in der Verwaltung niemanden gibt, der passt, müssen auch öffentliche Arbeitgeber die freie Stelle umgehend an die Bundesagentur für Arbeit melden.

Die Arbeitgeber sind schon seit Inkrafttreten des Bundesteilhabegesetzes 2016 dazu verpflichtet, die Inklusion in ihren Unternehmen vorantreiben. Der Gesetzgeber legte deshalb fest, dass in jedem Betrieb verantwortliche Vertreter der Geschäftsführung benannt werden müssen, die sich im Unternehmen für die Belange der Beschäftigten mit Schwerbehinderung einsetzen. Idealerweise sollten diese Personen selbst eine Schwerbehinderung haben. Ab 2018 tragen diese Vertreterinnen und Vertreter, passend zu ihrer Funktion, den Titel „Inklusionsbeauftragte“. Was im Gesetz allerdings nach wie vor fehlt, ist eine konkrete Liste der Aufgaben, die sie haben und erledigen sollen.




Barrieren im Kopf

In den Beruf einzusteigen und Karriere zu machen, ist für fast jeden anstrengend – für Menschen mit Behinderungen ist dieser Weg oft gar nicht erst möglich, oder er wird durch Vorurteile und andere Hürden stark erschwert. Das ist nicht nur ungerecht, sondern auch sehr frustrierend für alle Betroffenen.

Silke Hoock von ZEIT Online hat sich diesen Sommer im Artikel „Die Barriere in unseren Köpfen“ mit der Situation von Menschen auseinandergesetzt, die zwar die Fähigkeiten und Qualifikationen für einen anspruchsvollen Arbeitsplatz mitbringen würden, aber wegen ihrer Behinderung keine Chance bekommen.
Unser Linktipp der Woche!




Hilfsmittel & Co. für ein selbstbestimmtes Leben

Die internationale RehaCare-Messe in Düsseldorf hat Geburtstag! Schon seit 1977 präsentieren hier jedes Jahr hunderte Aussteller aus vielen Ländern der Welt ihre Ideen, Produkte, Hilfsmittel und Dienstleistungen rund um das Thema Rehablitation und Pflege. Dadurch entsteht eine besonders große Vielfalt mit vielen Innovationen aus den Bereichen Arbeit + Beruf, Hirn + Auge + Ohr, Mobilität + Reisen, Leben mit Pflege @home und Sport + Spaß + Kultur. Die Gäste können zum Beispiel Lesehilfen aus dem 3D-Drucker für Menschen mit Sehbehinderung bestaunen und ausprobieren, die das Fraunhofer Institut entwickelt hat – oder auch ein Computerspiel der TU Kaiserslautern, das durch gezielte Übungen für Beine und Füße spielerisch dabei helfen soll, Thrombosen vorzubeugen.

Foto eines barrierefrei gestalteten Büro-Arbeitsplatzes.
So könnte und sollte ein barrierefreier Büro-Arbeitsplatz für einen Menschen mit Sehbehinderung aussehen. Foto: Bastian Everding

Neben Forschungsinstituten und Unis sind auch viele soziale Organisationen auf der Messe vertreten, darunter die beiden großen Landschaftsverbände aus Westfalen (LWL) und dem Rheinland (LVR). An einem gemeinsamen Stand zeigen sie unter anderem, wie Arbeitsplätze in den Bereichen Büro, Industrie und Kommissionierung behinderungsgerecht gestaltet werden könnten und sollten: Welche Voraussetzungen müssen dort zum Beispiel für gutes Hören, Sehen und Sitzen vorhanden sein, damit alle Beschäftigten mit und ohne Behinderung barrierefrei ihrer Arbeit nachgehen können? Am Stand können sich die Messegäste, deren Begleitpersonen und deren Angehörige außerdem rund um das Thema beraten lassen. Und: Die Inklusionsämter aus Westfalen und dem Rheinland bieten direkt nebenan im Themenpark „Menschen mit Behinderung im Beruf“ verschiedene Vorträge zum Thema an, die für alle Gäste kostenfrei zugänglich sind. Hier geht es zum Programm!

Die internationale Fachmesse RehaCare findet in diesem Jahr vom 4. bis zum 7. Oktober 2017 in den Messehallen in Düsseldorf statt. Tickets kosten für einen Messetag bei einer Online-Buchung vorab 8 Euro, vor Ort 14 Euro (ermäßigt: 8 Euro). Um eine Eintrittskarte im Internet kaufen zu können, ist vorher eine Registierung nötig. Aber das lohnt sich: Mit dem eTicket dürfen die Besucher kostenlos mit der Rheinbahn im Tarifgebiet des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr (VRR) an- und abreisen.




Ein neuer Blickwinkel

Anna Spindelndreier will mit ihren Bildern Menschen erreichen, aufklären und sie zugleich berühren und glücklich machen. Mit uns hat sie über ihren Beruf, den Einstieg in die Selbstständigkeit, ihre Wünsche für die Zukunft, aber auch über die Vorurteile gesprochen, die ihr im Laufe ihrer Karriere immer wieder begegnet sind.


Frau Spindelndreier, seit wann fasziniert Sie die Fotografie?

Ich habe als Kind meinem Vater viel über die Schulter geguckt, der als Verleger arbeitet und viel fotografiert hat. Er hat früher viele Bildbände und Postkartenbücher gestaltet. Bei ihm im Büro lagen immer tausende Dias und Fotos herum. Das hat mich schon früh fasziniert. Mit neun Jahren bekam ich dann von meinem Patenonkel zur Kommunion meine erste eigene Kamera geschenkt. In dieser Zeit fing ich damit an, meine ganze Umwelt auf Zelluloid zu bannen und alles zu fotografieren, was mir vor die Linse kam.

Wie sind Sie Fotografin geworden?

Das war anfangs sehr schwierig. Nach dem Abitur wollte ich eigentlich gern eine Ausbildung zur Mediengestalterin machen, war mit meinen Bewerbungen aber nicht erfolgreich. Gleichzeitig hatte ich mich als Auszubildende für Fotografie beworben, bekam bei den Vorstellungsgesprächen aber leider zu hören, dass man mich nicht anstellen könne, weil man nicht wisse, wie Kunden auf mich als kleinwüchsige Fotografin reagieren würden. Schließlich klappte es nach über 80 Bewerbungen dann doch noch. Nach dem Abschluss der Ausbildung konnte ich leider keine Festanstellung finden – ich bin nicht sicher, ob es vor allem an der schwierigen Arbeitsmarktsituation in dieser Branche lag oder doch an meinem Kleinwuchs. Eingeredet habe ich mir immer das erstere. Ich habe dann erst einmal als Assistentin in einem Fotostudio angefangen zu arbeiten. Mit der Erfahrung und den Fähigkeiten, die ich dort sammeln konnte, habe ich mich schließlich selbstständig gemacht und parallel ein Studium begonnen.

Wie war der Einstieg in die Selbstständigkeit für Sie?

Zu Beginn meiner Selbstständigkeit lag mein Fokus noch sehr auf dem Studium. Ich habe in dieser Zeit vor allem freie Fotoprojekte für die Uni gemacht und mich daneben mit studentischen Hilfsjobs über Wasser gehalten. Viel Akquise habe ich damals aber nicht betrieben. Die ersten Aufträge bekam ich dadurch, dass ich weiterempfohlen wurde, weil ich vorher schon mal anderswo gute Arbeit geleistet hatte. Was das betrifft, ist mein Einstieg in die Freiberuflichkeit also weitestgehend positiv verlaufen, sie trug sich nach und nach und ich wurde unabhängiger. Trotzdem war das rückblickend betrachtet keine einfache Phase. In der Selbstständigkeit erlebt man gerade in kreativen Branchen viele Höhen und Tiefen, erst recht am Anfang. Es braucht immer viel Disziplin. Man muss lernen, sich seine Zeit vernünftig einzuteilen, zugleich muss man mit abstrakten Arbeitsstrukturen gut umgehen können oder sich darin am besten sogar sehr wohl fühlen.

Was für Aufträge hatten Sie am Anfang und wie kamen sie zustande?

Wie gesagt waren meine ersten freien Projekte die an der Uni, zugleich bin ich, wie viele andere Fotografen auch, über die Hochzeitsfotografie an Aufträge gekommen. Das erste Vertrauen von anderen, dass ich gut in meinem Beruf bin, bekam ich also vor allem von Freunden und Freunden von Freunden.

Welchen Schwerpunkt setzen Sie in Ihrer Arbeit?

Für mich war in der Ausbildung eigentlich klar, dass ich später mal in der Still-Life-Photography Fuß würde fassen wollen, mich also auf Produktfotos spezialisieren wollte. Bei dieser Art der Fotografie fehlte mir aber schon bald die menschliche Komponente. Deshalb verlagerte ich meinen Schwerpunkt nach und nach auf die Porträtfotografie, die heute ganz klar mein Hauptbereich ist.

Sie sind als selbstständige Fotografin ja in einem Berufsfeld unterwegs, in dem die Konkurrenz groß ist. Wie heben Sie sich von den Kolleginnen und Kollegen ab?

Das ist in meinem Beruf tatsächlich gar nicht so einfach. Eine Art Markenzeichen meiner Fotografie ist wohl, dass ich Stereotypen zu durchbrechen und neue Blickwinkel zu eröffnen versuche. Bei den Motiven ziehen sich vor allem Menschen mit Behinderung wie ein roter Faden durch meine Arbeit. Am wichtigsten ist mir hierbei, dass ich mit meinem ganz persönlichen, subjektiven Blick durch die Linse schaue. Ich beschönige nichts, meine Fotos sprechen klar alles so aus, wie es ist. Ich weiß auch, dass ich das sehr gut mache und vor allem deshalb gebucht werde. Abseits davon ist aber natürlich auch meine für viele Menschen ungewöhnliche Körpergröße ein bedeutendes Merkmal – auch wenn ich immer wieder gerne betone, dass ich in erster Linie Fotografin bin und erst in zweiter Linie kleinwüchsig. Aber diese körperliche Eigenschaft spiegelt sich indirekt eben auch öfter in der Perspektive meiner Fotos wider. Man kann dabei vielleicht ein bisschen von einer „Heldenperspektive“ sprechen, also einer Sicht von unten, die ich durch meine Größe ganz automatisch einnehme. Das ist ein Blickwinkel, der besonders gerne bei Models und Politikern verwendet wird. Mit Hilfe meiner Trittleiter kann ich natürlich trotzdem auch die „normale“ Perspektive anbieten.

Wer engagiert Sie – und mit welchen Kunden arbeiten Sie am liebsten zusammen?

Aktuell arbeite ich vor allem mit vielen Selbsthilfevereinen zusammen, unter meinen Kunden sind aber auch soziale Organisationen wie Special Olympics NRW, Change.org, Aktion Mensch, die AWO oder auch mal Privatleute wie der TV-Koch Volker Westermann, der selbst kleinwüchsig ist. Lieblingskunden gibt es dabei nicht, das ist immer von den Projekten selbst abhängig, die ich machen darf. Hier begeistern mich vor allem die Aufträge, bei denen mit besonders viel Herzblut gearbeitet wird. Wenn ich abends auf meinem Rechner die Bilder sortiere und dabei in freudestrahlende Gesichter schaue, dann weiß ich genau, warum ich diesen Job mache und liebe.

Wenn Sie an Aufträge der jüngeren Vergangenheit zurückdenken: Welcher hat Ihnen besonders viel Spaß gemacht und warum?

Vor einigen Wochen habe ich zusammen mit meiner sehr geschätzten Kollegin die Landesspiele der Special Olympics NRW in Neuss fotografiert. Dort haben über 1000 Athleten und Athletinnen mit Lernschwierigkeiten in unterschiedlichsten Leichtathletik-Disziplinen ihr Können gezeigt – das waren drei Tage voller Adrenalin, Action, Emotionen und Herzlichkeit, die ich so schnell nicht vergessen werde.

Wie sah bei diesem Auftrag Ihr Alltag aus?

Wir standen um 8 Uhr morgens auf dem Sportplatz, um den Startschuss der Wettkämpfe mitzubekommen. Danach und für den Rest des Tages sind wir von Sportstätte zu Sportstätte gezogen und haben dabei möglichst jede Sportart festgehalten und sehr viele Sportler porträtiert. Abends gegen sieben waren wir wieder zurück im Hotel, haben die Daten gesichert, eine kleine Bildauswahl gemacht für die sozialen Medien – Marketing gehört zwischendurch auch immer mit dazu –, und die Kamera-Akkus geladen. Anschließend sind wir ziemlich erschöpft ins Bett gefallen, und am nächsten Tag ging es fit und frisch in die zweite Runde.

Sehen Sie sich privat oder beruflich manchmal mit Vorurteilen oder anderen Barrieren konfrontiert – und falls ja, wie gehen Sie damit um?

Mal abgesehen von den baulichen Barrieren, die einem im Alltag ständig begegnen – zu hohe Ladentheken, Geldscheinautomaten, Lichtschalter und so weiter – werde ich hin und wieder leider auch mit Vorurteilen konfrontiert. Am häufigsten habe ich das Gefühl, dass andere Menschen meinen, sie könnten von meiner körperlichen auf meine intellektuelle Größe schließen.

Gibt es etwas, das Sie sich in Ihrem Beruf für die Zukunft wünschen würden?

Die Fotografie ist, wie viele andere Branchen auch, ein immer noch stark von Männern dominiertes Berufsfeld. Ich würde mir sehr wünschen, dass sich das in den nächsten Jahren ändert und mehr Frauen sich trauen, in diesem Beruf selbstständig zu arbeiten. Darüber hinaus könnte die ganze Medienbranche gerne etwas lockerer und offener werden. Ich möchte nie wieder hören müssen, dass ich einen Auftrag nicht bekomme, weil man nicht weiß, wie die Kunden auf mich – also auf meinen Kleinwuchs – reagieren könnten. Der größte Erfolg wäre es aber für mich, wenn ich es so lange wie möglich schaffen könnte, mit meiner Fotografie möglichst viele unterschiedliche Leute zu erreichen, aufzuklären und glücklich zu machen. –




Ein steiniger Weg an die Uni

Der Aufhänger ist eine beeindruckende aktuelle Zahl: drei Millionen. So viele junge Menschen sind heute an deutschen Hochschulen eingeschrieben. Das ist tatsächlich viel und auch deutlich mehr als früher, deshalb spricht die Politik davon oft, um zu zeigen, dass das Bildungsniveau in Deutschland steigt. Was an dieser Zahl aber nicht deutlich wird: Gleichberechtigt ist der Zugang an die Unis längst nicht für alle jungen Mitglieder der Gesellschaft, deren Leistungen aber gut genug sind, um ein Hochschulstudium absolvieren zu können. Kinder aus finanziell schwächeren Haushalten haben es zum Beispiel besonders schwer, hier Fuß zu fassen. Und wenn dann noch eine Behinderung dazukommt – wie bei Sabrina Vielmayer, die mit einer spinalen Muskelatrophie geboren wurde –, werden die Hürden noch viel komplexer.

Wie die junge Frau es auch nach wiederholten Rückschlägen trotzdem geschafft hat, ihren Bildungsweg bis zur Hochschule zu schaffen, diese abzuschließen und erfolgreich in ihren ersten Job zu starten, könnt ihr in dieser Reportage in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nachlesen – eine Geschichte, die hoffentlich auch vielen anderen jungen Menschen Mut macht, trotz vieler Barrieren ihren Weg zu gehen!




„Inklusion war für mich immer selbstverständlich“

Als diese Disziplin des Behinderten-Leistungssports im Jahr 2013 aufkam, war er sofort Feuer und Flamme, weil er schon seit Kindertagen nicht nur ein Leichtathlet, sondern auch ein begeisterter Ballsportler ist. Was Sport für ihn bedeutet und wie er dieses intensive Hobby mit seinem Beruf vereint, erzählt er uns im Interview.


Frederic, erklär doch gleich zu Beginn kurz den Zungenbrecher: Was ist eine Cerebralparese, die dem CP-Fußball ihren Namen gibt, und inwiefern betrifft sie dich?

„Cerebral“ heißt übersetzt „zum Gehirn gehörende Strukturen“. „Parese“ wiederum ist das Fachwort für „Lähmung“. Frei übersetzt ist eine Cerebralparese also eine „Gehirnlähmung“, die durch eine Schädigung des Gewebes im Gehirn verursacht wird. Bei Menschen mit dieser Behinderung treten dauerhafte Krampfzustände auf, auch Spastiken genannt. Davon können einzelne Körperteile betroffen sein oder aber der gesamte Körper, das ist ganz unterschiedlich. Deshalb gibt es innerhalb des CP-Fußballs auch verschiedene Klassen. Die Klassifizierungen reichen von C5 für Menschen, bei denen beide Beine betroffen sind, bis zu C8 für Menschen mit nur einer sehr geringen Ausprägung der Behinderung. C6 ist in dieser Reihe die Klasse für Menschen mit Spastiken am ganzen Körper, bei C7-Spielern ist nur eine Körperhälfte betroffen – so wie bei mir.

Wie lange spielst du schon in der deutschen CP-Fußball-Nationalmannschaft?

Die Mannschaft wurde im Jahr 2014 gegründet. Kurz danach wurden mehrere Sportvereine angeschrieben und darüber informiert, dass es ein Sichtungstraining für Fußballtalente mit dieser Behinderung geben soll. Daran habe ich teilgenommen und bin prompt in der CP-Fußball-Nationalmannschaft gelandet. Ich war schon als Kind ein begeisterter Ballsportler. Daher war das für mich die perfekte Gelegenheit, nach Jahren in der Leichtathletik etwas Neues auszuprobieren.

Was bedeutet Sport und insbesondere Fußball für dich?

Sport generell hat einen sehr hohen Stellenwert in meinem Leben. Ich kann hier immer wieder etwas Neues versuchen und mich zugleich weiter steigern und verbessern. Am Fußball reizt mich, dass es ein Mannschaftssport ist, in dem man alles zusammen erlebt. Die anderen Spieler und ich feiern zusammen Siege, müssen aber auch Niederlagen einstecken. Dann arbeiten wir gemeinsam daran, Fehler abzustellen.

Was machst Du beruflich? Hat es etwas mit Sport zu tun oder hast du bewusst etwas anderes gewählt?

Ich bin gelernter Veranstaltungskaufmann und bin Teil des Infothek-Teams des LVR-Inklusionsamtes in Münster. Mein Job hat gut geregelte Arbeitszeiten, daher lässt sich das mit dem Sport gut vereinen, zumal wir uns mit der CP-Fußball-Nationalmannschaft nur an ein bis zwei Wochenenden im Monat treffen. Ich trainiere darüber hinaus sowieso in einer Mannschaft, in der ansonsten nur Menschen ohne Behinderung spielen.

Frederic Heinze im Zweikampf beim CP-Fußball.
Foto: Parasport Danmark

Wie erlebst du das Thema Inklusion beim Sport und bei der Arbeit?

Ich habe wie gesagt schon immer in Gruppen und Mannschaften trainiert, in denen vor allem Menschen ohne Behinderung gespielt haben. Inklusion war also immer selbstverständlich für mich. Weder meine Mitspieler noch ich selbst haben uns je Gedanken darüber gemacht, was ich kann und was nicht. Auch im Beruf spielt das keine Rolle. Ich erledige alles alleine, was ich eigenständig machen kann, und bei den anderen Sachen bitte ich einfach meine Kollegen um Hilfe. In beiden Fällen war und ist Inklusion nicht so ein großes Thema – es wird einfach „gemacht“.

Begegnen dir dennoch manchmal Hürden, die mit deiner Behinderung zu tun haben?

An und für sich komme ich ziemlich gut mit meiner Behinderung zurecht, weil ich schon seit meiner Geburt daran gewöhnt bin. Ich kenne kein Leben ohne Behinderung. Dadurch wird man mit der Zeit ganz automatisch erfinderisch, um bestimmte Hürden zu umgehen, die dann doch immer mal wieder auftauchen. Ein Beispiel aus dem Alltag ist Möbel aufbauen oder Bilder aufhängen. Das kann ich nicht alleine, weil meine Feinmotorik so eingeschränkt ist, dass ich nicht mit beiden Händen zugleich koordiniert arbeiten kann. Aber dabei helfen mir dann eben andere. Um diese Hürde ganz überwinden zu können, müsste schon die Behinderung als solche verschwinden.

Was ist dein Traumberuf, und wie sähe dein Alltag in diesem Job aus, wenn du es dir aussuchen könntest?

Ich denke, jeder wünscht sich, sein „Hobby“ zum Beruf machen zu können. Mein Traum wäre, wie bei wahrscheinlich jedem leidenschaftlichen Sportler, eines Tages mit dem Sport meinen Lebensunterhalt verdienen zu können. Aber davon ist der Behindertensport noch ziemlich weit entfernt. Wenn es doch so weit käme, würde ich den Trainingsalltag ganz anders gestalten und auch intensiver trainieren. Und: Wir würden uns mit der CP-Mannschaft viel häufiger nur als nur ein oder zwei Mal im Monat treffen. –




Engagiert für Inklusion im Beruf? Preisträger werden!

Die Auszeichnung ist mit 10.000 Euro dotiert und kürt jedes Jahr die drei besten Konzepte aus der Region. Teilnehmen können Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber aus jeder Branche, die einen Arbeitsplatz geschaffen haben, der speziell für einen (neuen) Mitarbeiter mit Schwerbehinderung ausgestaltet wurde. Gleiches gilt für Unternehmerinnen und Unternehmer, die etwa Praktikumsplätze für Förderschüler ermöglicht oder betriebsinterne Ausbilder geschult haben, die sich mit den Belangen von Menschen mit Behinderung auskennen.

Preisträger aus dem letzten Jahr

Ein Beispiel ist einer der Preisträger dieses Jahres, der Erlebnis-Bauernhof „Steckenpferd“ in Bünde bei Herford. Dahinter stehen die beiden Unternehmer Sandra und Jens Kreft. Sie betreiben eine Reitschule und einen Schulbauernhof mit einem ganzheitlichen Lern- und Erlebniskonzept für Menschen mit Behinderung. Auf ihrem Hof beschäftigen sie mehrere Minijobber sowie einen Mitarbeiter mit Behinderung in Teilzeit. Außerdem haben sie mehreren Beschäftigten aus Werkstätten für behinderte Menschen Praktika auf dem Hof ermöglicht, damit diese den Wechsel auf den allgemeinen Arbeitsmarkt erproben konnten. Einer der Praktikanten bekam im Anschluss einen festen Arbeitsplatz auf dem Hof angeboten, der genau auf ihn abgestimmt ist. Die Krefts erweiterten passend dazu ihr landwirtschaftliches Angebot und kauften mit Unterstützung des LWL-Inklusionsamtes ein „Hühnermobil“, das Platz für 225 Hennen bietet. Der neue Mitarbeiter ist heute für die Versorgung der Tiere und die Arbeitsabläufe rund um den mobilen Stall allein verantwortlich.

Ein Mitarbeiter des Erlebnis-Bauernhofs steht auf einer Wiese vor einem mobilen Hühnerstall und schaut in die Kamera.
Im letzten Jahr war der Erlebnis-Bauernhof „Steckenpferd“ in Bünde unter den Preisträgern. Die Hof-Betreiber hatten unter anderem eine feste Stelle für einen Mitarbeiter mit Behinderung geschaffen und den Arbeitsplatz ganz auf ihn ausgerichtet. Heute betreut er eigenverantwortlich den mobilen Hühnerstall des Hofs.

Teilnehmen und bewerben? So geht‘s

Wer an der Ausschreibung teilnehmen möchte, schickt die Bewerbung inklusive einer Kontaktmöglichkeit bitte per Post an:

LVR-Inklusionsamt
Eva Jäger-Kuhlmann
Von-Vincke-Straße 23-25
48143 Münster

Für die Bewerbungsfrist (31.08.2017) gilt das Datum des Poststempels. Wir drücken die Daumen!