Eine Software für menschlichere Computerschrift

Die Digitalisierung macht’s möglich: Durch Untertitel können auch taube Menschen oder Menschen mit schweren Hörbehinderungen Filme, Dokus, Serien und Videos schauen und verstehen.

Doch die Computerschrift, die dafür eingesetzt wird, hat auch ein großes Manko: Im Gegensatz zu gesprochener Sprache hat sie nichts menschliches und emotionales, sie drückt keine Betonungen, kein Tempo und keine unterschiedlichen Lautstärken aus.

Der Unternehmer Tim Schlippe möchte das mit seiner Software „Wavefont“ ändern. Sie verändert das Aussehen von Computerschrift so, dass die Leser sich anhand dessen vorstellen können, wie sich die geschriebenen Worte gesprochen anhören würden. Gründerszene.de hat den Unternehmer und seine Idee in diesem Artikel vorgestellt.




Was genau ist das „Budget für Arbeit“?

Herr Wedershoven, wie würden Sie einem Außenstehenden in wenigen Sätzen das Budget für Arbeit erklären, das Anfang 2018 im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes in ganz Deutschland eingeführt wurde?

Das Budget für Arbeit ist kein „Budget“ im eigentlichen Sinne, sondern eine Sammlung verschiedener Geldleistungen und Förderangebote. Diese sind dazu da, Menschen mit (schweren) Behinderungen dabei zu unterstützen, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, die aktuell noch in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) arbeiten oder kurz davor sind, zum Beispiel aus der Förderschule dorthin zu wechseln. Darüber hinaus können sich Menschen mit Behinderung und deren Arbeitgeber von Fachleuten der örtlichen Inklusionsfachdienste (IFD) begleiten lassen, damit die Zusammenarbeit für beide Seiten von Anfang an optimal gestaltet werden kann. Die Förderangebote richten sich aber nicht nur an Arbeitssuchende mit Behinderung selbst, sondern auch an Betriebe, die gern Menschen mit Behinderung einstellen möchten.

Was haben die Arbeitgeber davon?

Wenn sie neue Arbeitsplätze für Menschen mit Handicap schaffen, haben sie meist einen höheren Betreuungsaufwand und mehr Kosten, weil die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Behinderung oft etwas langsamer arbeiten oder mehr Pausen einlegen müssen. Dafür bekommen die Unternehmen aber dann einen finanziellen Ausgleich über das Budget für Arbeit, den so genannten Nachteilsausgleich.

Wie ist dieses Programm entstanden – und wie verändert es das (Arbeits-)Leben von Menschen mit Behinderung?

In Nordrhein-Westfalen gibt es das Budget für Arbeit schon seit fast zehn Jahren – es hieß nur lange Zeit anders beziehungsweise war etwas anders aufgestellt. In Westfalen wird es vom LWL organisiert und finanziert, im Rheinland ist der Landschaftsverband Rheinland (LVR) zuständig. Angefangen hat in Westfalen alles mit den Programmen „aktion5“ und „Übergang plus“. Damit wurden zum Beispiel Schülerinnen und Schüler schon vor dem Schulabschluss mit einem so genannten „Vorbereitungsbudget“ für den späteren Berufsalltag in einem regulären Betrieb unterstützt. Auch Menschen, die schon einen solchen Job oder eine Ausbildung angefangen hatten, konnten mit „aktion5“ bestimmte Leistungen nutzen, die sie im Arbeitsalltag unterstützt haben – zum Beispiel Computerkurse. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) wurden zusätzlich mit dem Programm „Übergang plus“ dabei unterstützt, auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu wechseln.

Bekamen auch die Arbeitgeber in diesen beiden Modellen Unterstützung?

Ja, für sie gab es in beiden Programmen unter anderem Prämien, wenn sie einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz für einen Menschen mit schwerer Behinderung in ihrem Betrieb geschaffen hatten, und natürlich auch Lohnkostenzuschüsse. Mit „aktion5“ wurden so zwischen 2008 und 2017 insgesamt rund 8.500 Menschen oder Betriebe gefördert, mit „Übergang plus“ schafften rund 850 Menschen den Sprung aus der Werkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt.

Hat sich seit Anfang 2018 etwas verändert, als dieses Konzept unter dem Namen „Budget für Arbeit“ in ganz Deutschland eingeführt wurde?

Die Struktur wurde etwas verändert, ja. Aus zwei Programmen mit mehreren Modulen wurde ein Programm mit vier Modulen. Insgesamt ist der Ansatz aber gleich geblieben. Wir gehen fest davon aus, dass mit dieser Ausweitung des Programms auf ganz Deutschland noch viel mehr Menschen die Chance bekommen werden, aus der Schule oder aus Werkstätten in ein reguläres Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis zu wechseln – also einen tariflich bezahlten, unbefristeten Arbeitsplatz zu finden, mit dem sie ihren Lebensunterhalt eigenständig finanzieren können.

Für wen ist dieses neue „Budget für Arbeit“ gedacht und wer kann es beantragen?

Das Programm richtet sich an Schülerinnen und Schüler aus Förderschulen, die kurz vor dem Abschluss stehen, aber auch an Menschen, die sich aktuell noch in psychiatrischen Einrichtungen befinden und wieder in den Arbeitsmarkt einsteigen möchten. Eine wichtige Zielgruppe sind auch Personen, die in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) arbeiten und wechseln wollen. Wir wollen also vor allem Arbeitsuchende erreichen, die vor der Entscheidung stehen, ob sie in einer Werkstatt anfangen beziehungsweise weiterarbeiten möchten oder ihren Weg auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt machen wollen. Wir begleiten auf diese Weise viele Menschen mit Behinderung sehr frühzeitig auf ihrer beruflichen Laufbahn, zeigen Chancen auf und helfen, die Weichen zu stellen. Das Ziel ist immer, sie auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu vermitteln – das ist unsere wichtigste Botschaft und auch der Kern des Programms.

Wo sehen Sie Schwierigkeiten? Hören Sie auch kritische Stimmen von Menschen mit Behinderung, die das Budget für Arbeit nutzen?

Insgesamt kommen die Förderangebote sehr gut an, weil sie einfach viele tolle Chancen eröffnen und wir schon sehr viel damit erreicht haben. Aber sie greifen stellenweise leider immer noch zu kurz. Viele Menschen, die Leistungen aus dem Budget für Arbeit beantragt haben, finden sie zu gering. Manche Angebote wiederum können nur Menschen mit anerkannter Schwerbehinderung nutzen, obwohl sie vielleicht auch für Menschen mit geringeren Behinderungen sinnvoll wären. Über das Budget für Arbeit werden leider auch keine schulischen Ausbildungen gefördert, was ebenfalls ein Manko ist. Und bei Werkstattwechslerinnen und -wechslern kann es vereinzelt vorkommen, dass ihre Rente geringer ausfällt, wenn sie auf einem regulären Arbeitsplatz ihr Geld verdienen, als wenn sie in der Werkstatt bleiben würden.

Können Sie als großer Träger von Sozialhilfeleistungen diese Probleme selbst angehen?

Nur zum Teil, weil die Zusammenhänge komplex sind: Oft sind uns durch die aktuelle Gesetzgebung die Hände gebunden, manchmal dürfen wir nur aus bestimmten Töpfen Geld schöpfen und kommen damit einfach nicht hin. Aber wie gesagt: Insgesamt ist das Budget für Arbeit ein sehr gutes Konzept, weil es das erreicht, was es soll: Möglichst viele Menschen mit Behinderung auf unbefristete Arbeitsplätze vermitteln und sie dauerhaft dort halten.

Nun gibt es seit 2008 auch noch das so genannte „Persönliche Budget“, das wieder häufiger Thema in den Medien war, seit das Bundesteilhabegesetz in Kraft getreten ist. Wo liegt der Unterschied zum Budget für Arbeit?

Grob erklärt ist das Persönliche Budget ein monatlicher Geldbetrag, der vom Staat allen Menschen mit einer anerkannten Behinderung zur Verfügung gestellt wird, wenn diese einen Anspruch auf eine Leistung der Eingliederungshilfe haben. Sie können damit dann bestimmte Leistungen bezahlen, zum Beispiel eine Einkaufshilfe oder einen Sprachcomputer – je nachdem, was gebraucht und gewünscht ist. Das Budget für Arbeit dagegen ist ein gezieltes Förderprogramm, mit dem Menschen mit schweren Behinderungen durch verschiedene Leistungen Chancen eröffnet werden sollen, aus einer Werkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu wechseln. Beide Budgets haben aber im Grunde das gleiche Ziel: Menschen mit Behinderung sollen selbst bestimmen können, wie sie ihr Leben gestalten möchten, und sie sollen sich dieses Leben auch selbst finanzieren können. Das geht aus unserer Sicht nur mit einem richtigen Job und einem vernünftigen Einkommen.





„Für mich war klar: Ein Bürojob ist nichts für mich“

Egal, ob auf dem Platz oder im Stadion, in der Halle oder im Tanz- und Fitnessstudio, in der freien Natur oder rund ums Wasser: Sport bringt Menschen zusammen, ist halb Spiel, halb Arbeit, und löst Glücksgefühle aus, sobald sich die ersten kleinen und großen Erfolge einstellen.

Für Alexander Donner ist der Sport zur Berufung geworden. Der 30-Jährige ist seit seiner Jugend querschnittsgelähmt und arbeitet heute als Ruder-Trainer beim Hochschulsport an der Uni Hamburg. In diesem Interview erzählt er, wie es dazu kam – unser Fundstück der Woche!




Lehren und Lernen auf Augenhöhe

Frau Groß, „Institut für Inklusive Bildung“ klingt für Laien etwas trocken. Wie würden Sie einem Außenstehenden Ihre Arbeit erklären?

Wir setzen uns dafür ein, dass Inklusion in der Bildung, im Arbeitsleben und auch in anderen Lebensbereichen in der Praxis besser funktioniert. Ein Beispiel aus dem Schulkontext: Kinder mit einer Behinderung sollen im inklusiven Unterricht genauso gut lernen wie alle anderen Schülerinnen und Schüler in der Klasse. Das wird zwar heute schon umgesetzt, die Lehrkräfte sind aber fast immer Menschen, die selbst keine Behinderung haben und sich zugleich mit dem Thema in der Ausbildung kaum auseinandersetzen mussten. Das finden wir schwierig, denn gerade die Lehrkräfte spielen ja bei der Inklusion eine wichtige Rolle. Sie müssen also eine bessere Idee davon bekommen, was in Menschen mit Behinderung vorgeht, wie sie die Welt sehen, welche Bedürfnisse sie im Unterricht haben. Und genau hier kommt das Institut für Inklusive Bildung ins Spiel.

Wie erreichen Sie die künftigen Lehrerinnen, Lehrer und anderen Bildungsfachkräfte?

Wir entwickeln Seminare für Hochschulen, Fachschulen und andere Bildungseinrichtungen, in denen wir angehende Lehrerinnen und Lehrer, Bildungsfachkräfte sowie Fachschülerinnen und -schüler in der Ausbildung genau dafür sensibel machen.
Wir sprechen aber zum Beispiel auch Führungskräfte und Personalverantwortliche in Betrieben an. Das Besondere an unserem Konzept ist, dass wir uns zwar gezielt an Menschen ohne Behinderung richten, unsere Lehrkräfte aber immer Menschen sind, die selbst eine Behinderung haben. Sie wissen nämlich am besten, wie ihre Lebenswelt aussieht und was sie brauchen, sind also „Experten in eigener Sache“. Sie müssen aus unserer Sicht deshalb gerade in der Bildung unbedingt mitreden.
Um sie für diese Tätigkeit fit zu machen, bilden wir sie wie gesagt speziell für die inklusive Bildungsarbeit mit Menschen „aus, die ohne leben. Das Ziel ist, die Barrieren in den Köpfen abzubauen. Wir wollen erreichen, dass sich eines Tages alle Menschen auf Augenhöhe begegnen und mehr miteinander anstatt übereinander sprechen. Genau so lautet auch unser Motto: „Nicht über uns ohne uns!“

Wie sind diese Idee und das Institut entstanden?

Das Ganze hat mit einem Innovations-Workshop angefangen, der im Jahr 2008 von der Stiftung Drachensee durchgeführt wurde. Daraus entstand die gute Idee, Menschen aus Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) in die Ausbildung angehender Lehr- und Fachkräfte einzubinden. Im Studiengang „Soziale Arbeit“ an der Fachhochschule Kiel gab es kurz danach ein erstes Seminar namens „Meine Welt“, das von 13 Menschen mit Behinderung und drei Sozialpädagoginnen ins Leben gerufen wurde.

Haben die Studierenden das Angebot gut angenommen?

Ja, sehr gut sogar! Das Seminar lief drei Jahre lang, bis 2012. Leider konnte es dann so nicht mehr weitergehen. Der Aufwand und die Barrieren für diejenigen, die das Seminar veranstalteten, waren hoch. Alle Beteiligten machten das ja neben dem normalen Arbeitsalltag. Dazu kam, dass die Menschen mit Behinderungen, die am Seminar beteiligt waren, eigentlich gar nicht an der Hochschule sein durften – schon gar nicht als Lehrende. Außerdem merkten viele, wie anspruchsvoll und anstrengend Bildungsarbeit sein kann. Das schöne Konzept drohte zu scheitern.

Blick in einen vollen Hörsaal
Ein Team vom Institut für Inklusive Bildung erklärt Studierenden im Audimax-Hörsaal der Europa-Universität in Flensburg, was diese später zum Thema Inklusion in ihren Berufen wissen müssen. Foto: Institut für Inklusive Bildung

Wie ging es weiter?

Die Stiftung Drachensee entschied kurzerhand, das Angebot professioneller aufzustellen. Sie begann, Menschen mit geistigen Behinderungen zu Bildungsfachkräften auszubilden – und das wurde mit dem Institut für Inklusive Bildung dann nochmal auf ganz neue Beine gestellt.

Und wie genau bilden Sie Menschen mit Behinderung zu Bildungsfachkräften aus?

Wir arbeiten immer mit Menschen, die aktuell noch in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) tätig sind. Die Qualifizierung bei uns dauert drei Jahre und findet in Vollzeit statt, das Konzept ähnelt also einer klassischen Ausbildung etwa an einem Berufskolleg. Wer die Ausbildung erfolgreich absolviert, hat nach der Prüfung eine gute Chance auf einen festen Arbeitsplatz in der Bildungsarbeit bei uns. Das war uns von Anfang an sehr wichtig. Damit die Qualifizierung nach festen Standards verläuft, haben wir ein eigenes Modulhandbuch entwickelt, das bestimmte Ziele, Inhalte und Prüfungsanforderungen festlegt.

Wie organisieren Sie die Sensibilisierungs-Seminare?

Meistens führen zwei Bildungsfachkräfte gemeinsam ein Seminar durch und werden dabei von einer pädagogischen Assistenz unterstützt. Manchmal arbeitet aber auch nur eine einzelne Bildungsfachkraft mit einer hauptamtlichen Lehrkraft zusammen, also zum Beispiel mit einer Professorin an der Uni oder einem Lehrer an der Schule. Das nennen wir Co-Teaching. So können wir ganz gewöhnliche Seminare über ein komplettes Semester hinweg anbieten.
Wir bieten ansonsten aber auch einzelne Vorlesungen oder Workshops an, sind als Gastdozentinnen oder -dozenten bei Konferenzen dabei oder machen Bildungsarbeit bei anderen großen Veranstaltungen. Unser Bildungs-Teams kommen also immer dann ins Spiel, wenn über kurz oder lang neue Strukturen, Abläufe und Denkweisen geschaffen werden sollen, die gut zu den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung passen, damit sie gleichberechtigt an verschiedenen Bereichen unserer Gesellschaft teilhaben können.

Wenn es nicht nur in Schulen, sondern auch auf dem Arbeitsmarkt inklusiv zugehen würde, könnten Menschen mit Behinderung eigenständig und selbstbestimmt ihren Lebensunterhalt verdienen anstatt in einer Werkstatt nur ein „Taschengeld“ zu bekommen. Wie trägt Ihre Arbeit dazu bei, diese Entwicklung voranzutreiben?

Genau das ist der Kern unseres Angebots. Auf der einen Seite schaffen wir ein breites Bewusstsein bei unseren Zielgruppen, auf der anderen Seite bieten wir mit unserem Qualifizierungsangebot Menschen in Werkstätten eine echte Perspektive auf einen unbefristeten, dauerhaften und nach Tarif bezahlten Job bei uns im Institut. Im November 2016 fingen bei uns die ersten fünf Bildungsfachkräfte auf festen Stellen zu arbeiten an, heute gestalten sie aktiv die Bildungslandschaft von Schleswig-Holstein im Sinne der Inklusion mit.
Unser Institut hat außerdem Kontakt zu über 60 Hochschulen aus dem In- und Ausland aufgebaut, die entweder gern Erfahrungen mit uns austauschen wollen oder die Leistungen unserer Bildungsfachkräfte in Anspruch nehmen möchten. Wir streuen also unser Wissen. Im Wintersemester 2017/2018 starteten zum Beispiel sieben neue Menschen mit Behinderung in Baden-Württemberg an der Uni Heidelberg ihre Ausbildung zur Bildungsfachkraft – und es sind noch mehr an anderen Orten geplant.

Welche Projekte planen Sie sonst noch?

In den nächsten fünf Jahren wollen wir 60 neue Qualifizierungsplätze für Menschen mit Behinderungen an zehn deutschen Hochschulstandorten schaffen. So wollen wir mit unserer inklusiven Bildungsarbeit jedes Jahr 20.000 angehende Lehrkräfte und andere Zielgruppen direkt erreichen. Bei diesem Vorhaben werden wir von der Aktion Mensch Stiftung und der Software AG Stiftung mit Fördergeldern unterstützt.
Darüber hinaus haben wir in Nordrhein-Westfalen kürzlich eine gemeinnützige GmbH gegründet („Institut für Inklusive Bildung NRW gGmbH“). Über diese „Zweigstelle“ starten wir ab April 2019 eine Kooperation mit der Technischen Hochschule Köln, an der wir zunächst sechs weitere Menschen mit Behinderungen zu Bildungsfachkräften ausbilden wollen – vorausgesetzt, die Mittel dafür werden bewilligt.

Wenn Sie noch weiter in die Zukunft schauen könnten: Wo würden Sie gern in zehn Jahren stehen?

Ich wünsche mir, dass das Konzept des Instituts in zehn Jahren weltweit (Hoch-)Schule gemacht hat!






Studieren mit Behinderung

Inklusion wird in der öffentlichen Debatte oft nur auf das Thema Schule reduziert. Dabei umfasst sie viel mehr, zum Beispiel die Zeit direkt nach dem Abschluss: Junge Absolventinnen und Absolventen mit Behinderung müssen sich genauso wie ihre Mitschülerinnen und Mitschüler ohne Handicap überlegen, wie es nach der Schule weitergehen soll. Für diejenigen, die gern studieren möchten, wird es dann oft kompliziert.

Der Grund ist, dass die Barrierefreiheit an vielen Hochschulen immer noch zu wünschen übrig lässt. Und damit sind nicht nur Behindertenparkplätze, Rampen und Aufzüge gemeint, sondern auch die Voraussetzungen für das Lernen in Vorlesungen und Seminaren. Mit technischen Hilfsmitteln ist dabei heute zum Glück schon viel mehr möglich als früher. Viele Unis müssen aber trotzdem noch viel für die Barrierefreiheit in ihren Hörsälen tun und sich insgesamt besser auf Menschen mit Behinderungen einrichten, zum Beispiel auf Studierende mit einer Seh- oder Hörbehinderung oder mit Rollstuhl.

Hürden gibt es also weiterhin viele. Das wissen auch die Studentenwerke und haben deshalb eine eigene Informations- und Beratungsstelle Studium und Behinderung (IBS) eingerichtet, an die sich junge Menschen wenden können, die Infos und Hilfe bei der Entscheidung möchten. Die Stelle wird übrigens auch in diesem guten Artikel zum Thema in der Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung erwähnt.

Darüber hinaus gibt es auch verschiedene Vereine, die junge Menschen bei der Organisation rund um die Studienwahl unterstützen. Die Stiftung MyHandicap hat dazu Informationen zusammengestellt. Sie empfiehlt zum Beispiel, sich frühzeitig um einen geeigneten Studienplatz zu kümmern und auch über Alternativen nachzudenken.




„Man kann auch wunderbar hinter den Plattentellern SITZEN“

Jan, was hat sich seit 2012 für dich verändert?

Alles (grinst). Zuallererst musste ich lernen, zu akzeptieren, dass ich ab sofort auf Hilfe angewiesen sein würde. Und ich musste alles neu organisieren. Meine Frau und ich mussten uns zum Beispiel eine neue Wohnung suchen, weil ich ja eine barrierefreie Umgebung brauchte. Das ist aber gar nicht so einfach in Berlin, da hat man die Qual der Wahl zwischen unbezahlbaren Angeboten oder Wohnungen in Gegenden, in denen die Infrastruktur schlecht ist. Die Suche dauerte fast drei Jahre. In der Zwischenzeit hat uns zum Glück meine Schwester herzlich in ihren Haushalt aufgenommen.

Welche Schwierigkeiten begegnen euch sonst im Alltag?

Zunächst mal ist viel Spontaneität verloren gegangen, es muss nämlich immer alles umfangreich und langfristig organisiert und geplant werden, egal ob es Ausflüge, Treffen mit Freunden, Urlaube oder andere Aktivitäten sind. Dazu kommt, dass zum Beispiel viele Orte nicht allzu verlässliche Infos zur Barrierefreiheit auf ihren Websites zur Verfügung stellen, so dass ich damit nicht gut planen kann. Wenn wir dann da ankommen, sind die Bedingungen oft nicht so optimal. Da kriegt man manchmal sowas zu hören wie „Ist doch nur eine Stufe!“ oder „Vier Man, vier Ecken – da tragen wir dich einfach rüber!“. So entsteht unnötiger Stress für mich.

Hat sich bei all diesen Veränderungen für dich auch etwas zum Positiven verändert?

Ja. Die Beziehungen zu Familie und Freunden sind enger geworden, weil sie von Anfang an zu mir und meiner Frau gehalten und uns unterstützt haben. Darüber bin ich sehr glücklich. Außerdem bin ich dankbar dafür, überlebt zu haben – und durch diese Sicht auf die Dinge hat sich für mich vieles relativiert. Früher stand beruflicher Erfolg für mich zum Beispiel sehr weit oben auf der Liste. Das ist jetzt nicht mehr so. Es gibt sehr viel wichtigere Dinge im Leben, und das habe ich durch die Erkrankung und das, was danach passiert ist, für mich erkannt.

Und wie stand es damals um deinen Beruf? Du konntest ja durch deine Behinderung nicht so weiterarbeiten wie vorher.

Für mich brach von heute auf morgen meine gesamte Existenzgrundlage zusammen. Ich konnte nicht mehr durch die Gegend reisen wie früher, außerdem brauchte ich ab sofort ganz andere Bedingungen bei Veranstaltungen. Das ging erstmal nicht so ohne weiteres. Statt meines Einkommens bekomme ich eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Meine Frau kümmert sich als Pflegerin um mich und arbeitet in ihrem bisherigen Job weiter, jetzt aber am Telearbeitsplatz von Zuhause aus.

Inzwischen arbeitest du aber wieder als DJ. Was war der Anlass für dich, wieder einzusteigen?

Ich hatte nach den Erlebnissen 2012 eigentlich komplett mit dem Auflegen abgeschlossen und konnte mir nicht vorstellen, jemals wieder hinter Plattentellern zu stehen. Aber dann brachte mich ein Freund von mir, Hannes Teichmann, zum Nachdenken. Er sagte, man könnte doch wunderbar auch hinter den Plattentellern sitzen! Er und sein Bruder sind in der Szene bekannt als die „Gebrüder Teichmann“. Im Jahr 2015 lud das Museum Hamburger Bahnhof Berlin die beiden ein, bei der internationalen Tagung „Inklusion ist schön“ aufzulegen, und sie holten mich kurzerhand mit ins Boot. In diesem geschützten Rahmen schufen sie ein perfektes Setting für mich, wieder in den Job einzusteigen: ein DJ-Pult auf Rolli-Höhe, Bewegungsfreiheit in alle Richtungen. Außerdem waren die beiden die ganze Zeit in Reichweite und standen mir zur Seite. Das war super. Ich selbst hatte mich wochenlang auf diesen ersten Gig vorbereitet. Durch all das war der Wiedereinstieg wirklich sehr angenehm.

Hat das deine Meinung zum Thema Auflegen geändert?

Ich habe dadurch auf jeden Fall wieder Selbstvertrauen in mich und meine Fähigkeiten gewonnen. Das Event und die Resonanz waren toll und das Erlebnis, wieder aufzulegen, auch. Die nächste Gelegenheit ließ dann auch gar nicht lange auf sich warten: Beim Festival „Zurück zu den Wurzeln“ hatte ich 2017 die Chance, das erste Mal wieder vor einem richtig großen Publikum aufzutreten. Da habe ich natürlich Ja gesagt.

Was ist das für ein Festival?

„Zurück zu den Wurzeln“ hat sich die Inklusion auf die Fahnen geschrieben, das heißt, alle Menschen sollen mitmachen und das Festival-Erlebnis genießen können. Das gesamte Gelände wird jedes Jahr barrierefrei auf- und ausgebaut, es gibt Inklusionslotsen und behindertengerechte Toiletten. Das sind ideale Voraussetzungen für Gäste mit Behinderung, und entsprechend viele sind dort auch vertreten. Dem Veranstalter ist es außerdem wichtig, nicht nur Gäste, sondern auch Künstler mit Behinderung dabeizuhaben. Er kannte mich noch aus meiner früheren, aktiven Zeit als DJ, daher fragte er mich, ob ich mitmachen wollte.

Wie war dieser erste große Gig nach der langen Pause für dich?

Vor meinem Auftritt war ich sehr aufgeregt, obwohl ich mich intensiv vorbereitet hatte. Ich hatte vorher ja schon oft die Erfahrung gemacht, dass es nicht unbedingt etwas heißt, wenn ein Ort oder eine Veranstaltung sich ‚barrierefrei‘ nennt – in der Wirklichkeit sah das für mich leider oft ganz anders aus. Dadurch entstand eine Doppelbelastung: Zum einen wollte und will ich als Künstler einen perfekten Auftritt abliefern und hoffe dafür natürlich immer auf ideale Bedingungen. Die Technik, der Sound müssen stimmen, damit es richtig gut wird. Zum anderen bin ich als Rollifahrer auch auf gute Voraussetzungen in Sachen Barrierefreiheit angewiesen. Das DJ-Pult muss auf der richtigen Höhe und mit dem Rollstuhl unterfahrbar sein, damit ich die Technik gut erreichen kann. Außerdem muss ich ohne Hilfe an meinen Arbeitsplatz gelangen können, der Zuweg vom Auto bis zum DJ-Pult muss also ebenfalls barrierefrei sein. Zum Glück waren bei „Zurück zu den Wurzeln“ all diese Bedingungen optimal erfüllt. Als ich dann meine ersten Platten auflegte und das Publikum begeistert feierte, verfolg meine Aufregung ganz schnell.

Was empfindest du als größtes Hindernis für deine Arbeit als DJ?

In erster Linie meine eigene Einschränkung, also die Tatsache, dass ich nicht mehr zu jeder Tages- oder Nachtzeit auftreten und nach meinen Ansprüchen abliefern kann.

Was planst du für die Zukunft?

Im letzten Jahr habe ich zwei Remixe produziert und rausgebracht. Im Moment bin ich dabei, meine Vinyl-Plattensammlung für zukünftige Auftritte zu digitalisieren. Vor meiner Erkrankung habe ich fast ausschließlich mit Platten aufgelegt und das mit CDs ergänzt. Durch die motorischen Störungen zittern aber jetzt meine Hände, daher ist Auflegen mit Vinyl leider nicht mehr möglich.
Ganz unabhängig von der Musik versuche ich außerdem, mich für Barrierefreiheit im öffentlichen Raum zu engagieren – zum Beispiel, indem ich Tipps für Verbesserungen gebe, wenn ich irgendwo unterwegs bin und mir etwas auffällt. Das finde ich nicht nur für mich selbst wichtig.





Die Millionenidee

Schwarze, weiße oder graue Socken? Langweilig, fand John Cronin. Der junge Mann hatte sich schon sich als Kind gerne über besonders farbenfrohe Kleidung ausgedrückt. Diese Leidenschaft wollte der 21-Jährige mit anderen Menschen teilen und gründete gemeinsam mit seinem Vater Mark das Start-up John’s Crazy Socks. Auf der Website verkaufen die beiden seit Ende 2016 die von John entworfenen knallig-bunten Produkte. Inzwischen arbeiten sie zusammen mit 15 Mitarbeitern, zehn davon haben wie der junge Chef eine Behinderung. Und der Erfolg ist riesig: Im ersten Jahr verkaufte die Firma mehr als 42.000 Paare und nahm mehr als 1,7 Millionen Dollar ein. Unser Linktipp der Woche!




„Fünf Jahre, was soll ich sagen. Ich sitz noch immer“

„5 Jahre, was soll ich sagen. Ich sitz noch immer, shit happens, get over it. Gute Nacht“, schreibt Amelie Ebner auf ihrem Blog am 2. Februar 2018. Das Datum ist der fünfte Jahrestag eines schweren Skiunfalls, den sie mit 17 Jahren hatte. Seither ist sie querschnittsgelähmt. Über ihr Leben mit dieser Behinderung bloggt sie jetzt fleißig, ihre Seite nennt sie nach dem Jahrestag des Unfalls „zweiterfebruar“. Die heute 22-Jährige schreibt in all ihren Beiträgen sehr offen, direkt und ehrlich über sich, über ihre oft merkwürdigen Erlebnisse mit anderen Menschen (vor allem denjenigen, die keine sichtbare Behinderung haben) und über ihren Alltag, der sich seit dem Unfall stark verändert hat. Humor hat sie auch, und der ist oft ziemlich schwarz:

„Lag mal wieder flach mit Gehirnerschütterung. Die Leute sagen: ‚Haha, du bist zu dumm zum Laufen und sitzt im Rollstuhl!‘ Ich bin zu dumm zum Rollstuhl fahren. Passiert, wenn man einen anderen Rollstuhl ausprobiert, den Kipppunkt falsch einschätzt, zu viel Schwung gibt. Da landet man schon mal ungebremst auf dem Hinterkopf. Für Kippschutz ist Prinzessin ja zu cool. ‚Nene, ich kann das.‘“

In anderen Posts denkt sie laut darüber nach, warum es sie zwar nicht stört, wenn Leute ihr Hilfe anbieten, sie es aber unglaublich nervig findet, wenn ihr „Nein“ auf dieses Angebot nicht respektiert wird und einfach weiter„geholfen“ wird. Weil gutmeinende, fremde Menschen nämlich nicht wissen, dass zum Beispiel Jacke Anziehen im Rollstuhl sowieso schon schwierig genug ist. Mit ungebetener Hilfe gerät sie dabei eher noch schneller aus dem Gleichgewicht. Amelies Fazit dazu:

„Es ist nett gemeint, ich weiß. Aber es hilft kein Stück, ganz im Gegenteil. Und wenn ich sage ‚Nein‘, versteht das keiner. Manchmal werd ich dann nach dem dritten ‚Nein, bitte nicht!‘ lauter und die Leute sind verdutzt. Ich versteh euch ja auch, aber versteht bitte auch mich. Nein heißt Nein. Und ‚Finger weg‘ heißt ‚Finger weg‘. Egal in welcher Situation.“

Toller Blog, finden wir – und deshalb ist er unserer Linktipp der Woche. Hier geht’s zur Seite: zweiterfebruar.blogspot.de. Unbedingt reinlesen!




Über #Behinderung berichten – ohne Klischees

Die Sprache bestimmt das Bewusstsein. Das gilt auch und gerade für die Medien, weil sie oft über Menschen und Gesellschaft schreiben und sprechen – also auch über Menschen mit Behinderung, über die oft sehr klischeehaft berichtet wird. Wenn ein Journalist zum Beispiel über einen Menschen mit Behinderung feststellt, dass er „tapfer seinem Schicksal trotzt“ oder „mutig sein Leben meistert“, bekommen Leser schnell den Eindruck, dass ein Leben mit Handicap eigentlich kaum zu ertragen ist. Dabei leben die meisten Männer und Frauen damit ganz selbstverständlich, es ist ein Teil ihres Lebens, den sie bloß etwas anders organisieren müssen als andere.
Auch Formulierungen wie zum Beispiel die, dass Menschen „trotz ihrer Behinderung vor Lebensfreude sprühen“, verzerren das Bild stark: Zum einen wird durch das Wörtchen „trotz“ der Eindruck erweckt, dass Lebensfreude und eine Behinderung Gegensätze sind, zum anderen entsteht beim Publikum das Gefühl, dass der dort beschriebene Mensch keinen normalen Alltag hat, sondern ständig vor Lebensfreude strotzt. Dabei geht auch sie oder er täglich den gleichen unspektakulären Tätigkeiten nach wie andere Menschen auch, zum Beispiel Arbeiten, Einkaufen oder Verabredungen zum Kino mit Freunden.

Solche Zitate zeigen, wie in Zeitungsartikeln, Fernsehdokumentationen oder Radiobeiträgen manchmal auch schon kleine Wörter das gesellschaftliche Bild von Menschen oder sogar ganzen gesellschaftlichen Gruppen mitprägen können. Zugleich zeigen die Journalisten selbst mit ihrer Art der Berichterstattung, welche Vorstellungen in ihrem Kopf zu bestimmten Themen kreisen.

Leidmedien.de hat sich die Medienkritik zu diesem und anderen Themen zur Aufgabe gemacht. Die Berliner Initiative aus Medienschaffenden mit und ohne Behinderung berät zum Beispiel Redaktionen und tauscht sich regelmäßig mit Expertinnen und Experten aus. Auf der Website ist inzwischen eine große Sammlung negativer wie positiver journalistischer Beispiele entstanden. Und demnächst informiert Leidmedien.de auch „live“: Am 1. März 2018 lädt die Initiative zum ersten Abend der Veranstaltungsreihe „Die Salonfähigen“ ins taz-Café nach Berlin ein, um mit anderen Medienschaffenden über die Berichterstattung zum Thema #Behinderung zu diskutieren – und um zu zeigen, wie es die Journalisten vielleicht besser machen können.

Die Reihe veranstaltet Leidmedien.de zusammen mit dem Netzwerk Neue deutsche Medienmacher und dem Lesben- und Schwulenverband Deutschland, denn die weiteren Termine in der Reihe behandeln zwei nicht minder wichtige Themen: am 12. April geht es um #Homosexualität und #Transgeschlechtlichkeit, am 25. Mai um #Migration.

Der Veranstaltungsort ist ebenerdig zugänglich, ein rollstuhlgerechtes WC ist vorhanden und die Veranstaltungen werden in Gebärdensprache übersetzt.





Frust macht erfinderisch: Das Rollstuhl-Startup „Freedom One Life“

Alex Papanikolaous herkömmlicher Rollstuhl ging schon oft und in den ungünstigsten Situationen kaputt. Eines Tages beschloss er deshalb, selbst ein besseres Produkt zu bauen, auf das er sich in Zukunft vollständig würde verlassen können. Der Schotte gründete das Start-up „Freedom One Life“. Er begann, einen neuen, robusteren Rollstuhl zu entwickeln, der ihm und anderen Menschen mit körperlichen Behinderungen künftig ein selbstbestimmteres Leben ermöglichen sollte – auf Nachfrage berichteten nämlich viele, die ebenfalls mit Rollstuhl leben, von den gleichen Problemen mit handelsüblichen Modellen. Im Jahr 2018 soll der neue „Freedom One Chair“, wie der Unternehmer seine Entwicklung nennt, marktreif sein.

ZEIT ONLINE hat den Gründer zu seiner Idee, seinem Start-up und seinem neuen Produkt interviewt  unser Linktipp der Woche! Hier könnt ihr das Gespräch nachlesen.

Noch mehr Infos zu „Freedom One Life“ gibt es auf der Homepage des Start-ups (englischsprachig).