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Mit den Fingern lesen: 7 Fragen und Antworten zur Brailleschrift

Blinde und Menschen mit schweren Sehbehinderungen lesen mit den Händen: Sie ertasten Buchstaben, Texte und Bücher, die in so genannter Brailleschrift geschrieben sind, mit den Fingern. Wir haben hier für euch zusammengefasst, wie die Punktschrift funktioniert, wo ihr Bücher in Braille bekommt und warum die Blindenschrift seit 2020 zum UNESCO-Kulturerbe gehört. Sieben spannende Fakten zur Brailleschrift!

Eine digitale Braillezeile auf einem Schreibtisch, davor liegt ein Kopfhörer.

#1: Was ist Brailleschrift?

Braille ist eine taktile (also tastbare) Punktschrift. Die Schriftzeichen sind aus kleinen, erhabenen Punkten zusammengesetzt, die von der Rückseite aus in das Papier gedrückt sind. Blinde und Menschen mit Sehbehinderung können diese Punkt-Buchstaben mit den Fingern ertasten und so Texte oder ganze Bücher lesen.

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Die Schrift ist nach ihrem Erfinder Louis Braille benannt. Der Franzose erblindete durch einen Unfall, als er drei Jahre alt war. Als Jugendlicher wünschte er sich sehr, lesen zu können. Also erfand der damals 16-Jährige im Jahr 1825 die Punktschrift, die inzwischen auf der ganzen Welt benutzt wird. Als Vorlage diente ihm die so genannte Nachtschrift, mit der Soldaten im Krieg ihre Texte verschlüsselten. Die Buchstaben dieser Militärschrift bestanden aus elf Punkten. Louis Braille entschied sich für seine Schrift für ein Raster aus sechs Punkten, das mit den Fingern noch leichter ertastet werden kann als die Vorlage.


#2: Hat die Brailleschrift die gleichen Buchstaben wie das moderne lateinische Alphabet?

Ja, für jeden Buchstaben des Alphabets gibt es in der Brailleschrift eine Punktkombination. Das Raster, nach dem die Punkte angeordnet sind, wird oft mit einem senkrecht stehenden Eierkarton verglichen: Es gibt zwei Spalten und drei Reihen. Also können höchstens zwei Punkte nebeneinander und drei übereinander stehen. Pro Braillezeichen werden in diesem Raster nur an bestimmten Stellen Punkte platziert. Je nach Kombination ergeben sich daraus verschiedene Buchstaben, Umlaute und Satzzeichen.

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In einem Sechs-Punkte-Raster sind insgesamt nur 64 Kombinationen möglich. Das wäre zu wenig, um alle 26 Buchstaben, Umlaute und sämtliche Satzzeichen abzubilden, wenn dabei außerdem die Klein- und Großschreibung beachtet werden soll. In der Brailleschrift gibt es deshalb nur kleine Buchstaben. Wenn doch einmal ein Großbuchstabe dargestellt und betont werden soll, weist ein Sonderzeichen vor dem eigentlichen Buchstaben darauf hin. So ähnlich werden auch Zahlen abgebildet: Die Zeichen für die Ziffern 0 bis 9 sind identisch mit den Buchstaben a bis j – davor steht aber jeweils ein Zahlzeichen.


#3: Gibt es die Blindenschrift auch in anderen Sprachen?

Alle Sprachen, für die es Schriftzeichen gibt, können auch in Brailleschrift dargestellt werden. Sie wird von blinden Menschen auf der ganzen Welt benutzt – zum Beispiel gibt es ganz eigene Punktkombinationen für das russische Alphabet, für chinesische Schriftzeichen und für die Umlaute oder andere Sonderzeichen der verschiedenen europäischen Sprachen. Sie alle werden immer in dem einfachen Sechs-Punkte-Raster dargestellt, das Louis Braille entwickelt hat.

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Mit dem System der Blindenschrift können nicht nur Schriftzeichen, sondern auch Symbole abgebildet werden. Louis Braille hat etwa auch eine Notenschrift entworfen, mit der sich blinde Menschen Musikstücke erschließen können. Außerdem gibt es mittlerweile Schriften für mathematische Zeichen, chemische Formeln und Strickmuster. Auch die Symbole solcher Sonderschriften werden im Sechs-Punkte-Raster abgebildet. Die Nutzerinnen und Nutzer müssen also lernen, welche Punktekombination für welche Musiknoten oder Formeln stehen. Wenn eine Sonderschrift benutzt wird, wird darauf jeweils am Seitenanfang hingewiesen.


#4: Wo gibt es Bücher in Brailleschrift zu kaufen oder zu leihen?

In Deutschland bieten mehrere große Bibliotheken verschiedene Bücher und Noten in deutscher Blindenschrift, aber auch Hörbücher oder Hörfilme zum Leihen oder Kaufen an. Drei Beispiele sind das Deutsche Zentrum für barrierefreies Lesen (dzb lesen), der Verein „Norddeutsche Hörbücherei“ und das Bundesweite Kompetenzzentrum für Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung (blista). Sie alle verschicken Leihbücher auch an blinde Leserinnen und Leser, die weiter weg wohnen. Übrigens befördert die Deutsche Post Briefe und Päckchen mit Literatur in Brailleschrift bis zu einem Gewicht von sieben Kilogramm kostenlos.

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Die Brailleschrift ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Blinde und Menschen mit Sehbehinderung lesen, lernen und am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Deshalb gehört sie in Deutschland seit März 2020 zum so genannten Immateriellen UNESCO-Kulturerbe. Dafür setzte sich der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) ein.


#5: Sind Bücher in Brailleschrift größer als Bücher in gedruckter Schrift?

Ja, weil Braillezeichen viel höher und breiter sind als „Schwarzschrift“, wie gedruckte Buchstaben von Braille-Nutzerinnen und -Nutzern genannt werden. Punktschriftzeichen müssen deshalb in größerem Abstand zueinander stehen. Für ein Buch in Brailleschrift wird auch dickeres Papier benötigt, damit die Punkte erhaben genug und damit gut zu ertasten sind. Bücher in Blindenschrift sind also deutlich größer und schwerer als Bücher, in denen die gleichen Texte in Schwarzschrift abgebildet sind. Ein Beispiel: Das erste Buch der Harry-Potter-Reihe in Brailleschrift umfasst vier dicke Bände. Wie ein Braille-Buch entsteht, könnt ihr übrigens bei der Schweizerischen Bibliothek für Blinde, Seh- und Lesebehinderte nachlesen.

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Braille gibt es auch als Kurzschrift und sogar als Stenografieschrift. Beide können sehr viel schneller geschrieben und gelesen werden als die Basisschrift. Sie wurden Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelt und waren damals eine wichtige Voraussetzung dafür, dass blinde Menschen in Büroberufen arbeiten konnten.


#6: Wie lesen und arbeiten blinde Menschen ohne Papier – also am Computer oder mit dem Smartphone?

Am Computer wird meist eine Braillezeile verwendet, auch Brailledisplay genannt. Das flexible Gerät übersetzt mit einer speziellen Software den Text auf dem Bildschirm in Punktschrift. Dem jeweiligen Punkteraster entsprechend springen auf der Braillezeile kleine Stifte nach oben. So können Blinde Texte lesen und im Internet surfen. Manche Menschen lassen sich den Text, der gerade auf dem Bildschirm zu sehen ist, auch gleichzeitig über eine sogenannte Screenreader-Software vorlesen. Damit funktioniert übrigens auch das Lesen auch auf dem Smartphone.

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Blinde Menschen können Texte am Computer entweder auf einer Standard-Tastatur oder auf einer Braille-Tastatur schreiben. Braille-Tastaturen kommen mit deutlich weniger Tasten aus als Standard-Tastaturen. Es gibt acht Punkttasten: sechs für die Punkte des Braille-Rasters und zwei zusätzliche, die am Computer für Sonderzeichen genutzt werden. Dazu kommen Pfeil- und Steuertasten sowie ein Nummernblock. Egal, mit welcher Tastatur gearbeitet wird: Auf der Braillezeile kann anschließend geprüft werden, ob alles richtig aufgeschrieben wurde.


#7: Wie entstehen selbst geschriebene Brailletexte?

Wenn ein Text vom Computer auf Papier übertragen werden soll, kann dafür ein Brailledrucker verwendet werden, der einfach mit einem Kabel angeschlossen wird. Eine Software übersetzt den getippten Text in Braillezeichen, der Drucker prägt die Punkte ins Papier. Darüber hinaus gibt es auch mechanische und elektrische Braille-Schreibmaschinen. Sie sehen so ähnlich aus wie die Apparate, mit denen früher Texte in Schwarzschrift auf Papier getippt wurden. Eine Braille-Schreibmaschine hat allerdings nur sieben Tasten: Je eine für die insgesamt sechs Punkte, mit denen Buchstaben verschlüsselt werden können, und eine Leertaste.

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Braille kann auch mit der Hand geschrieben werden. Dafür benutzen Blinde und Menschen mit Sehbehinderung eine Punktschrifttafel, also eine Metallplatte mit kleinen, rechteckigen Aussparungen. Jedes Loch ist so groß wie ein Braillezeichen. Die Punkte werden mit einem Metallstift auf der Rückseite ins Papier gedrückt. Der Text wird also in Spiegelschrift aufgeschrieben, denn zum Ertasten der Punkte muss das Papier später umgedreht werden.
Mit einer Punktschrifttafel lässt sich übrigens auch Klebefolie prägen. Damit können zum Beispiel Alltagsgegenstände wie Dosen für Gewürze, Mehl oder andere Lebensmittel beschriftet werden.


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