„Frauen mit Behinderung müssen ermutigt werden, für ihre Rechte einzustehen“

Frau Abdulhameed, Sie studieren an der TH Köln soziale Arbeit. Warum haben Sie dieses Fach gewählt?

Ich hatte mit fünfzehn Jahren einen lebensverändernden Unfall und kämpfe als körperlich beeinträchtigte Frau mit Migrationsgeschichte im Alltag ständig mit Hindernissen. Neben meiner Familie haben mich dabei immer auch Sozialarbeiter:innen unterstützt, zum Beispiel bei Behördengängen. So konnte ich vieles erreichen, was sonst schwierig gewesen wäre. Durch den direkten Kontakt mit Mitarbeiter:innen dieser wichtigen Berufsgruppe wuchs auch mein eigenes Interesse daran, denn sie leisten enorm wichtige Arbeit: Sozialarbeiter:innen helfen ihren Klient:innen nicht nur in verschiedenen Problemlagen weiter, sondern fördern und emanzipieren sie auch. Mit dem Wissen aus meinem Studium möchte auch ich mich irgendwann für die Rechte anderer einsetzen und sie dazu befähigen, das ebenfalls zu tun.

Wegen Ihrer Querschnittslähmung studieren Sie in Teilzeit. Stellt Sie das in Ihrem Studienalltag vor Herausforderungen?

Ja, absolut. Ich kann durch den hohen Grad meiner Lähmung beispielsweise meine Hände nicht benutzen. Deswegen benötige ich nicht nur im Alltag Hilfe, sondern auch im Studium. Ich brauche außerdem für alles mehr Zeit, weil ich für jede Tätigkeit meine Assistentinnen anweisen muss. Dazu kommen viele bürokratische Aufgaben in meinem Alltag: Ich muss beispielsweise ständig Hilfsmittel beantragen oder Arzttermine und Aufenthalte im Krankenhaus koordinieren. Das nimmt ebenfalls viel Zeit in Anspruch.

Hat sich die Situation an der Uni für Sie durch die Corona-Pandemie verändert?

Vor der Pandemie war es auf jeden Fall bereichernd, auf dem Campus anwesend zu sein, vor allem, weil ich mich so ja auch persönlich mit meinen Kommiliton:innen austauschen konnte. Allerdings habe ich auch oft gefehlt, weil ich häufig chronische Schmerzen habe. Das war sehr schade. Das Online-Studium hat also auch Vorteile gebracht, denn mit Schmerzen ist es viel leichter für mich, die Vorlesungen einfach von Zuhause aus zu besuchen. Ich fehle dadurch nicht mehr so oft.

Was macht für Sie eine barrierefreie Hochschule aus und was läuft an Ihrer Uni diesbezüglich schon gut?

Eine Hochschule ist dann barrierefrei, wenn sie Nachteilsausgleiche für Studierende mit Beeinträchtigung sicherstellt. Das bedeutet, dass sie Hilfen anbietet, die sich an den Bedürfnissen der jeweiligen Personen orientieren. Die Uni kann Studierenden mit Behinderung zum Beispiel bei Klausuren mehr Zeit für die Bearbeitung der Aufgaben geben. Darüber hinaus sollten aber auch baulich-technische Barrieren und Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderung im Blick behalten und gegebenenfalls beseitigt werden. Ich kann natürlich nicht für alle Arten von Beeinträchtigung sprechen, aber baulich gesehen ist meine Hochschule überwiegend barrierefrei. Außerdem läuft die Kommunikation mit meinen Dozent:innen gut, zum Beispiel, wenn ich mal mehr Zeit für Abgaben oder mehrere Kopien für die Texte brauche.

Zu einem Studium gehört meistens auch ein Pflichtpraktikum. Wo absolvieren Sie Ihres und was sind dort Ihre Aufgaben?

Ich arbeite in einer Einrichtung für Kinder und Jugendliche in Köln und unterstütze die jungen Menschen dort dabei, ihre künstlerischen, kreativen oder sportlichen Talente und Fähigkeiten zu entfalten. Zum Beispiel durch Malen, Basteln, Tanzen, Backen, gemeinsames Spielen, Spaziergänge, Ausflüge, Sport – oder, indem wir einfach nur zusammen Zeit verbringen. Ich begleite die Kinder und Jugendlichen dabei und sammle ihre Ideen für neue Aktivitäten. Wir schauen dann gemeinsam, was sich wie umsetzen lässt. So komme ich mit ihnen ins Gespräch, verstehe ihre Gefühlslage besser und kann sie motivieren. Manchmal geht es aber auch einfach nur darum, gemeinsam Spaß zu haben und den stressigen Schulalltag hinter sich zu lassen.

Welche Erfahrungen haben Sie dort bisher gemacht und welche Rückmeldungen kommen von den Jugendlichen?

Ich empfinde das Praktikum als sehr positiv und bereichernd. Auch die Zusammenarbeit mit meinen Kolleg:innen ist lehrreich und harmonisch. Zu Beginn waren vor allem die jüngeren Kinder eher zurückhaltend mir gegenüber. Sie haben mir aber auch viele Fragen gestellt, zum Beispiel, warum ich im Rollstuhl sitze oder wieso ich nicht immer die gleiche Assistentin dabei habe. Inzwischen beachten sie den Rollstuhl aber schon viel weniger und sehen einfach nur mich als Person.

Laut einer Studie der Aktion Mensch und dem SINUS-Institut aus dem Jahr 2021 sind Frauen mit Behinderung im Studium und auf dem Arbeitsmarkt doppelt benachteiligt: Sie verdienen weniger, werden seltener in Vollzeit beschäftigt und übernehmen seltener Führungspositionen. Was könnte Ihrer Ansicht nach dazu beitragen, dieses Ungleichgewicht zu korrigieren?

Da gibt es einiges zu tun. Grundsätzlich ist es so, dass sich das Rollenbild von Frauen in der Gesellschaft verändern muss. Ihre beruflichen Chancen sollten ebenso wie bei Männern von ihren Fähigkeiten und Leistungen abhängig sein, nicht vom Geschlecht. Dazu sind auch strukturelle Veränderungen nötig. Die Arbeitszeiten müssten flexibler sein, es müssten mehr Kitaplätze geschaffen werden und eine vom Geschlecht unabhängige Bezahlung sollte sowieso selbstverständlich sein. Darüber hinaus müssen vor allem Frauen mit Behinderung ermutigt werden, für sich und ihre Rechte einzutreten und selbstbewusster zu handeln, damit sie ihre Talente und Fähigkeiten entfalten können. Denn eigentlich ist ja niemand behindert, sondern sie oder er wird behindert – durch die Umwelt, die Gesellschaft, die daraus entstehenden Barrieren in Ausbildung oder Beruf. Genau daran müssen wir alle arbeiten. Dazu muss sich auch das Bild von Behinderung grundlegend verändern: Wir müssen als Gesellschaft weg davon, eine Beeinträchtigung vor allem als Mangel oder Schwäche zu sehen.

Welchen Beruf wollen Sie nach Ihrem Studium ergreifen?

Das ist eine gute Frage! Soziale Arbeit umfasst ja viele Bereiche. Ich habe viele Ideen und bin mir noch nicht sicher, welchen Weg ich gehen möchte. Ich kann mir aber nach den Erfahrungen in meinem Praktikum gut vorstellen, junge Menschen – vor allem solche mit Beeinträchtigung – in den Übergangsphasen zwischen Schule, Ausbildung oder Studium und Beruf zu beraten. Ich könnte mir aber auch vorstellen, politisch zu arbeiten und die Inklusion damit weltweit voranzubringen.

Haben Sie zum Schluss noch einen praktischen Tipp für studierende Frauen mit Behinderung?

Ich kann nur allen empfehlen, sich auf Stipendien bewerben. Ich bin selbst Stipendiatin des Avicenna-Studienwerks. Das ist eine der schönsten Erfahrungen in meinem Studium, denn das Engagement des Studienwerks ist nicht nur persönlich bereichernd, sondern wird sich später auch positiv auf meine Chancen auf dem Arbeitsmarkt auswirken. Leider erlebe ich bisher nur wenige Frauen mit Behinderung in solchen Stipendien. Daher möchte ich hiermit noch einmal jede zu einer Bewerbung ermutigen!