Das Hotel „Haus vom Guten Hirten“: ein inklusives Team und ein barrierefreies Haus

Das Hotelzimmer ist geräumig, gemütlich und ordentlich; wer es betritt, möchte gleich die Füße hochlegen und entspannt abschalten. Wie es in einem guten Hotel sein sollte. Und der Anspruch des Hauses ist: Nicht nur die Gäste sollen sich wohlfühlen, sondern auch die Mitarbeiter:innen.

Seit 2009 ist das Hotel vom Guten Hirten ein inklusiver Betrieb. 13 der 18 Beschäftigten haben eine Schwerbehinderung oder eine Gleichstellung, also einen Grad der Behinderung von weniger als 50, aber mehr als 30. „Wir leben das hier“, erzählt Kersten. Ein Besuch im Hotel zeigt, was hinter der Aussage steckt. Das gesamte Haus ist barrierefrei gestaltet. Nach dem Prinzip „Reisen für alle“ wird hier Inklusion für die Gäste ebenso möglich gemacht wie für die Mitarbeiter:innen.

Ein Ort mit Geschichte

Das Hotel befindet sich auf einem ehemaligen Klostergelände im grünen Mauritzviertel im Osten von Münster, in dem ehemaligen Schwesternhaus der Anlage. Es grenzt direkt an die soziale Einrichtung der Schwestern vom Guten Hirten, die wie das Hotel in Trägerschaft der Schwestern vom Guten Hirten steht. Die Schwestern kümmerten sich hier früher um Frauen, die aus der Gesellschaft ausgestoßen wurden, und gaben ihnen die Möglichkeit, sich durch eine Berufsausbildung selbstständig zu machen. Inzwischen sind hier eine Wohn- und eine Pflegeeinrichtung für Menschen mit Behinderung sowie eine Kindertagesstätte angesiedelt.

Sema Franke ist schon seit Jahrzehnten in der Ordensgemeinschaft der Schwestern vom Guten Hirten tätig und nun auch Inklusionsbeauftragte des Hotels. Als das Gästehaus der Schwestern im Jahr 2009 in ein Hotel umgebaut wurde, gab es ein klares Ziel: „Der soziale Grundgedanke musste berücksichtigt werden, es sollte mehr sein als ‚nur‘ ein Hotel“, erinnert sie sich.

Die Arbeit im Haus vom Guten Hirten folgt dem gleichen Leitbild wie das damalige Kloster. Eine ehemalige Generaloberin, die mittlerweile heiliggesprochene Schwester Maria Euphrasia, hat in acht Grundsätzen die Haltung des Klosters und seine Verantwortung für die Menschen formuliert und in den Folgejahren weiterentwickelt. Es gehe darum, „den Menschen als ganzheitliche Persönlichkeit zu sehen und ihm so zu begegnen, dass sich jeder in seiner Einmaligkeit und seiner Würde erfahren kann, und ihn so zu begleiten, dass er seine Begabungen und Begrenzungen als Chance sieht.“ So steht es bis heute in der Leitbild-Broschüre.

Der Leiter des Hotels Kai-Uwe Kersten vor dem Haus.
Für Hotelleiter Kai-Uwe Kersten ist Inklusion Teil des Gesamtkonzepts. Foto: Kopfkunst/LWL

Ein Leitbild zum Mitleben

Das Leitbild bestimmt die Praxis und das Tagesgeschehen vor Ort. Um gut inklusiv zu arbeiten, müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Kleine Fehler wie die Falte im Bettbezug oder ein Messer auf der falschen Tischseite kommen zwar vor, passieren aber genauso auch in anderen Häusern. Den Gästen fallen kleinere Makel ohnehin oft gar nicht auf, und wenn doch, wird erfolgreich vermittelt.

Das Konzept geht auf: Seit zwei Jahren ist das Haus ein Drei-Sterne-Hotel, laut Kersten war der Standard schon lange vorher erfüllt. Das Feedback sei rundum gut, die Gäste schätzen die geräumigen Zimmer, die ruhige Lage, das ausgiebige Frühstück und das zuvorkommende Personal.

Gerade bei der Barrierefreiheit macht das Leitbild des Hotels für viele Gäste einen Unterschied. Menschen mit Behinderung können im Vorfeld ihre Wünsche oder Bedürfnisse kommunizieren, so dass das Personal darauf Rücksicht nehmen kann. Rollstuhlfahrer:innen wird beim Eindecken mehr Platz an den Tischen eingeräumt, den Begleitpersonen werden Organisation und Unterstützung zu gewissen Teilen abgenommen, und auch kleine Pflegeleistungen werden angeboten.

Ein schönes Beispiel dafür, was all das für die Gäste bedeutet: Ein mittlerweile langjähriger Stammgast konnte früher die Reise zu seiner Familie in Münster wegen einer Schwerbehinderung nur unter hohem Aufwand bewältigen. Seit das Haus vom Guten Hirten ein Pflegebett angeschafft und das Pflegeangebot eingerichtet hat, konnte der Trip deutlich vereinfacht werden – und somit ein richtiger Urlaub.

Im Film erklärt Hotelleiter Kai-Uwe Kersten das Konzept seines Hauses und beschreibt, was er an seinem Team so schätzt.

Ein offenes Miteinander

Marjam Said arbeitet an der Rezeption. Die 23-Jährige hat eine Hörbehinderung. Das fällt den Gästen in der Regel nicht gleich auf, zumal ihre Hörgeräte unter ihrem Kopftuch verschwinden. Eine Glasfront an der Rezeption erschwert die Kommunikation zwischen Said und den Gästen manchmal zusätzlich. Aber auch solche Schwierigkeiten lassen sich durch ein kurzes Gespräch erklären und auflösen. „Manchmal müssen sich die Gäste eben wiederholen“, fasst es die Rezeptionistin zusammen. Aber da gebe es nie Probleme.

„Es geht auch um Selbstverständlichkeit“, findet die Inklusionsbeauftragte Sema Franke. Die entstehe, wenn beide Seiten offen mit dem Thema umgehen können. Franke erlebt die Gäste als aufgeschlossen und bereit für dieses offene Miteinander.

Perspektiven und Zukunftsmusik

Auch für die Belegschaft scheint das Konzept aufzugehen; die Umgestaltung 2009 sollte laut Franke schließlich auch die beruflichen Perspektiven der inklusiven Belegschaft grundlegend miteinbeziehen. Marjam Said wollte ursprünglich eine Ausbildung im Einzelhandel machen, bekam in dem Bereich aber keine Stelle. Mit Unterstützung des vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe beauftragten Integrationsfachdienstes fand sie einen Praktikumsplatz im Hotel und konnte eine Ausbildung zur Hotelfachfrau beginnen. Im Vergleich zu einer theoriereduzierten Ausbildung war dies eine Entscheidung für die deutlich größere Herausforderung, da ihr der Unterricht an der Berufsschule wegen ihrer Hörbehinderung schwerer fiel als ihren Mitschüler:innen. Doch es war ihr wichtig, durch die abgeschlossene Ausbildung später verschiedene Möglichkeiten zu haben, sich beruflich weiterzuentwickeln.

Während der Ausbildung wurde sie von Kolleg:innen im Betrieb unterstützt, danach übernahm das Hotel sie sofort. Da sie ein Händchen für Computer hat und gerne im Kontakt mit den Gästen ist, passt die Arbeit an der Rezeption perfekt zu ihr. Für die Zukunft hat sie viele Optionen, für den Moment ist sie aber mit ihrem Arbeitsplatz zufrieden: „Alles in allem macht es hier einfach Spaß.“

Mitarbeiterin Stefanie Frie bei der Arbeit
Stefanie Frie arbeitet schon seit 21 Jahren im Hotel. Foto: Kopfkunst/LWL

Stefanie Frie kann dem nur beipflichten. Sie arbeitet hauptsächlich im Service und ist schon seit 21 Jahren im Unternehmen. Sie steht im – noch leeren – Restaurant und macht die letzten Handgriffe mit einem Lächeln im Gesicht. „Ich habe einfach gerne Menschen um mich herum“, erzählt die 51-Jährige, „und wenn die Gäste morgens schon mit guter Laune zum Essen kommen, muntert das auf.“ Gerade, wenn man mal etwas platter zur Arbeit käme, sei das wichtig, ergänzt sie grinsend.

Gemeinsam nach vorne

Generell ist das Miteinander essenziell für das gute Arbeitsklima. „Wir unterstützen uns gegenseitig gut“, sagt Frie. Was dem einen vielleicht nicht so gut gelinge, könne jemand anders auffangen. „Wir achten darauf, die Teams so zusammenzusetzen, dass es sich gut ergänzt“, beschreibt Kersten das Tagesgeschäft. Darauf müssen sich alle einlassen und bereit sein, mit anzupacken.

In den kommenden Jahren sollen Teile des Gebäudes abgerissen und das umliegende Gebiet neugestaltet werden. Kersten freut sich insbesondere auf die neuen Berührungspunkte zwischen den einzelnen Einrichtungen und die Synergien, die sich entwickeln können. Wer Angehörige im Wohnheim besuchen will, kann im Hotel übernachten. Die Bewohner:innen der Einrichtungen können gemeinsam auch in den neuen Restaurants oder Bistros zu Abend essen. Insgesamt soll das Leben für die Gäste, die Bewohner:innen und die Menschen in Mauritz gemeinschaftlicher, inklusiver und offener werden. —