Vier Fragen an… Martina Methe, Teamleiterin beim LWL-Präventionsfachdienst Sucht und Psyche

#1
Frau Methe, warum ist es Ihrer Meinung nach wichtig, dass die Verantwortlichen in Betrieben sich mit Fragen rund um psychische Gesundheit und Prävention beschäftigen?

Beschäftigte haben heute deutlich mehr Krankheitstage als noch vor zehn Jahren. Fast die Hälfte der Fehltage ist auf psychische Erkrankungen zurückzuführen. Das liegt daran, dass Menschen mit diesen Erkrankungen besonders lange ausfallen, nämlich im Schnitt 43 Tage. Es kommt auch immer häufiger vor, dass aus psychischen Erkrankungen Schwerbehinderungen werden.
Für Unternehmen ist das eine große Herausforderung, deshalb ist mentale Gesundheit ein solch großes Thema geworden. Viele psychische Erkrankungen und auch Suchterkrankungen entwickeln sich aus psychischen Belastungen, die eigentlich vorübergehend sein könnten. Aber die Betroffenen und auch ihre Vorgesetzten verpassen oft den richtigen Moment, um die schleichende negative Entwicklung noch zu unterbrechen.

#2
Auf welche Warnzeichen sollten Führungskräfte achten, damit sie bei Bedarf frühzeitig etwas unternehmen können?

Wer sich durch eine private oder berufliche Situation stark belastet fühlt, ist nicht mehr so leistungsfähig wie sonst. Manche Menschen wirken dann betrübt, andere sind aufbrausend, manche kommen vielleicht häufiger zu spät zur Arbeit. All das sind unspezifische Alarmsignale, die auf ein größeres Problem hindeuten können. Führungskräfte sollten dann aber auch in der Lage sein, die Mitarbeiterin oder den Mitarbeiter auf das Thema anzusprechen.

#3
Psychische und Suchterkrankungen sind ein sehr persönliches und oft schwieriges Thema. Welchen Rat geben Sie Vorgesetzten, die mit einer Person aus ihrem Team ein Gespräch darüber führen möchten?

Konkrete Anlässe können ein guter Hebel sein, um ein Gespräch zu eröffnen und sich behutsam zu erkundigen, was los ist. Wenn jemand oft zu spät kommt, haben Vorgesetzte das Recht, dem nachzugehen und nachzufragen. Das ist einfacher und auch sinnvoller, als jemanden direkt mit dem Verdacht zu konfrontieren, dass sie oder er zum Beispiel eine Suchterkrankung haben könnte. Auch die Beschäftigen selbst sollten übrigens genauer hinschauen, wenn sie bei Kolleg:innen Veränderungen bemerken. Aber es braucht ein entsprechendes Betriebsklima, damit sie ihre Gedanken und Sorgen auch ansprechen. Dieses Klima müssen die Führungskräfte schaffen. Überhaupt ist Prävention vor allem ein Führungsthema.

#4
Was können oder sollten Führungskräfte zur Prävention tun?

Sie sollten sich im ersten Schritt einen Überblick verschaffen, wo sie in ihrem Betrieb ansetzen können. Dabei können diese drei Fragen helfen:

  • Welche Herausforderungen oder Belastungen könnten mit der Arbeit im Unternehmen oder in bestimmten Abteilungen einhergehen?
  • Welche Präventionsangebote gibt es schon?
  • Welche Lücken gibt es, wo fehlen also präventive Maßnahmen?

Sowohl Belastungen im Arbeitsalltag als auch vorbeugende Maßnahmen hängen in der Regel stark mit dem Führungsverhalten zusammen. Führungskräfte sollten sich deshalb auch selbst kritisch hinterfragen. Bleiben sie beispielsweise mit Mitarbeiter:innen im Gespräch, wenn diese erkrankt waren, und bieten bei Bedarf ein sogenanntes Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) an? Ein solches Verfahren ist für Unternehmen Pflicht, wenn jemand länger als 42 Tage krankgeschrieben war. Es ist zur Vorbeugung gedacht, damit die betroffene Person möglichst nicht wieder arbeitsunfähig wird. Aber jeder Betrieb kann das Angebot so offen gestalten, dass Mitarbeiter:innen sich auch schon bei kürzeren Krankheitszeiten melden und Unterstützung suchen können. Ebenso wichtig ist es, auf mögliche Risiko- und Stressfaktoren bei einzelnen Personen im Team zu achten. Führungskräfte sollten hierzu bei Bedarf auch geschult werden. Wenn jemand zum Beispiel sehr perfektionistisch ist, sollte die oder der Vorgesetzte die Arbeit etwas enger begleiten und strukturieren, damit die Person nicht ständig zu viel Zeit und Energie in kleine Details steckt. Darüber hinaus können die Verantwortlichen auch Anlaufstellen für Mitarbeiter:innen schaffen, die sich in einem vertraulichen Rahmen informieren und Rat holen möchten.