VIER FRAGEN AN… Bernhard Stüer, Inklusionsberater bei der Handwerkskammer Münster

#1: Herr Stüer, was brauchen Betriebe, damit Inklusion im Handwerk gelingt?

Meiner Erfahrung nach brauchen sie vor allem zwei Dinge: eine gute Beratung und finanzielle Unterstützung, etwa für neue Maschinen, die ein Mensch mit einer körperlichen Behinderung gut bedienen kann. Beides hängt damit zusammen, dass die meisten Handwerksbetriebe sehr klein sind. Im Schnitt haben sie zehn bis zwölf Mitarbeiter:innen. Investitionen sind für sie deshalb oft ein größerer Schritt als für Unternehmen mit höheren Umsätzen. Dazu kommt ein Zeitfaktor. In Handwerksfirmen gibt es in der Regel keine Personalabteilung, die Betriebsleitung muss diesen Bereich also „nebenbei“ mit übernehmen. Deshalb ist es wichtig, den Firmen mit einer guten Beratung so viel Aufwand wie möglich abzunehmen oder ganz zu ersparen.

#2: Wie und zu was genau beraten und unterstützen Sie Handwerksfirmen?

Meine Kollegin und ich beantworten alle Fragen zur Ausbildung, Einstellung und Weiterbeschäftigung von Menschen mit Behinderung. Wir informieren über die Rahmenbedingungen und unterstützen Betriebe dabei, Fördermittel zu beantragen. Es geht in den Beratungsgesprächen aber auch um weitere Anlaufstellen rund um das Thema Inklusion. Und wir vermitteln weiter, wenn etwa das Inklusionsamt, die Agentur für Arbeit oder der Integrationsfachdienst zuständig sind.

Die größte Hürde für uns selbst übrigens: Viele Betriebsleiter:innen wissen nach wie vor wenig über die Zusammenarbeit mit Menschen mit Behinderung. Deshalb haben sie Vorbehalte und scheuen sich davor, überhaupt Kontakt zu uns aufzunehmen. Viele beschäftigen sich erst dann mit dem Thema, wenn sie direkt damit in Berührung kommen – etwa weil jemand aus ihrer Belegschaft nach längerer Erkrankung oder einem Unfall eine Schwerbehinderung hat oder weil sich ein Mensch mit Schwerbehinderung bei ihnen bewirbt.

Wir arbeiten deshalb auch im Rahmen der Fachkräftesicherung daran, unsere Angebote bekannter zu machen. Unsere Kolleg:innen aus der Ausbildungs- und Betriebsberatung der Handwerkskammer machen Firmen auf unsere Unterstützungsmöglichkeiten aufmerksam. Das ist sehr wichtig, weil Unternehmen beispielswiese Fördergelder sehr frühzeitig beantragen müssen – nämlich noch bevor sie einen Menschen mit Behinderung neu einstellen. Deshalb sollten sie sich am besten sofort bei uns melden und beraten lassen, sobald das Thema aufkommt.

#3: Welche Fragen stellen Ihnen Betriebsinhaber:innen besonders häufig – und welche Antworten haben Sie gemeinsam mit den Unternehmen schon gefunden?

In mehr als zwei Dritteln unserer Beratungsgespräche geht es um Mitarbeiter:innen, die mit einer Schwerbehinderung in ihren Beruf zurückkehren möchten. Die Betriebsleitung muss prüfen, welche Möglichkeiten es dafür gibt: Welche Tätigkeiten kann die Person noch ausführen? Welche Hilfsmittel braucht sie dafür?
Verständlicherweise sind die Verantwortlichen in dieser Situation oft sehr unsicher. Wir schauen uns daher gemeinsam mit ihnen die Arbeitsabläufe an und überlegen, wo und wie sie eine Fachkraft weiter einsetzen könnten. Manchmal können moderne Maschinen helfen, damit jemand an seinen früheren Arbeitsplatz zurückkehren kann.
Manchmal braucht es aber auch ganz neue Lösungen. Im Idealfall können diese einen großen Mehrwert schaffen: Ein Betrieb, den wir beraten haben, setzt zum Beispiel einen erfahrenen Mitarbeiter mit Behinderung jetzt als zusätzlichen Ausbilder ein und bekommt dadurch viel besser geschulte Nachwuchskräfte. Ein anderes Unternehmen hat einen früheren LKW-Reifen-Monteur zur Servicekraft umgeschult. Er fährt nun zu den Kund:innen und prüft deren Fuhrparks, damit die Fahrer:innen für diesen Check nicht extra in die Werkstatt kommen müssen – eine tolle Dienstleistung, die die Kundenbindung stärkt.

#4: Was müsste sich ändern, damit mehr Betriebe Menschen mit Behinderung ausbilden oder einstellen?

Da gibt es verschiedene Ansatzpunkte. Ich glaube, für die Meister:innen müsste manches noch einfacher werden. Wenn ein Betrieb zum Beispiel einen gehörlosen Menschen beschäftigt, sind für manche Besprechungen oder Schulungen Gebärdensprachdolmetscher:innen nötig. Solche Angebote gibt es zwar, sie können aber oft nur mit einem langen zeitlichen Vorlauf gebucht werden, was im Betriebsalltag schwierig ist.

Angehenden Auszubildenden würde ich raten, ihre Schwerbehinderung schon vor der Einstellung offen anzusprechen. Mir ist klar, dass das eine sehr persönliche Entscheidung ist. Es kann jedoch ein Vorteil für beide Seiten sein, wenn das Thema direkt offen auf dem Tisch liegt. Die Betriebsleitung hat dann nämlich die Chance, sich rechtzeitig um eine passende Unterstützung zu bemühen. So lassen sich viele mögliche Schwierigkeiten im Alltag von vornherein verhindern – es wäre schließlich für beide Seiten schade, wenn ein Ausbildungsverhältnis wegen vermeidbarer Hürden abgebrochen werden muss.

Natürlich müssen sich auch die Betriebe bewegen. Viele suchen zum Beispiel ausschließlich nach Fachkräften, was manche Menschen mit Behinderung – je nach schulischer Vorgeschichte – von vornherein ausschließt. Dabei gibt es viele Tätigkeiten, die nach einer guten Einarbeitung auch Menschen ohne eine abgeschlossene Berufsausbildung übernehmen könnten. Es bräuchte dafür aber auch ein Umdenken bei der Arbeitsteilung. Hier müssen insbesondere die Verantwortlichen von wachsenden Betrieben dabei unterstützt werden, Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung zu ermitteln. Die Chancen für eine Einstellung sind wegen des Fachkräftemangels recht gut, wenn die Anforderungen den Fähigkeiten des Bewerbers entsprechen. Manche Betriebsinhaber:innen sind durch unsere Beratung und erste Erfahrungen dafür inzwischen auch aufgeschlossen. Aber wir brauchen hier noch viel mehr. —