Gleichberechtigt feiern: Über eine Initiative für mehr Inklusion in der Kultur
Herr Ringert, welchen persönlichen Bezug haben Sie zum Thema Kultur – und warum engagieren Sie sich hier für mehr Barrierefreiheit?
Ich bin schon in meiner Jugend gerne auf Festivals gegangen, das ist damals wie heute meine große Leidenschaft. Während der Schulzeit und später auch neben meinem Musikmanagement-Studium habe ich zeitweise auf dem Festival „Wacken Open Air“ gearbeitet, das nicht weit entfernt von meinem Heimatort stattfindet. Nach dem Studium habe ich dort als Sponsoring Manager angefangen, das heißt, ich habe die Zusammenarbeit mit Dienstleistern und Geldgebern des Festivals organisiert. 2015 hatte ich einen Verkehrsunfall, seitdem bin ich im Rollstuhl unterwegs. Ich entwickelte dadurch, dass ich selbst betroffen war, und durch den Kontakt zur Community nach und nach einen Blick für Barrieren – und zwar nicht nur für die baulichen, die ja vor allem Menschen mit körperlichen Behinderungen wie mich einschränken, sondern auch für viele andere Hindernisse. Das war der Antrieb für mich, beim Wacken Open Air die Inklusionsarbeit zu übernehmen. Seither habe ich das Thema dort stetig weiterentwickelt. Ich stand außerdem schon damals in engem Austausch und Kontakt mit der Beratungsagentur „WIR KÜMMERN UNS“, die aus der „Initiative Barrierefrei Feiern“ entstanden war. Vor drei Jahren bin ich nebenbei auch noch als Gesellschafter bei „WIR KÜMMERN UNS“ eingestiegen.
Was steckt hinter der „Initiative Barrierefrei Feiern“ und wie ist sie entstanden?
Die Initiative vereint Menschen mit ganz unterschiedlichen Behinderungen, die alle ihre ganz eigenen Erfahrungen und Bedürfnisse mitbringen. Sie geben diese an die Veranstaltenden oder Clubbetreiber:innen weiter, die daraus wiederum konkrete Maßnahmen ableiten können. Wir setzen unsere Teams immer aus Menschen mit mehreren Perspektiven zusammen, zum Beispiel aus einer rollstuhlfahrenden und einer blinden Person. Der Grund dafür ist, dass ich als Rollstuhlfahrer mir nicht anmaße, über die Bedürfnisse von Blinden entscheiden zu können – und andersherum ist es genauso.
Entstanden ist die Initiative dank der heutigen Geschäftsführerin der Beratungsagentur „WIR KÜMMERN UNS“, Elnaz Amiraslani. Bevor es die Agentur und die Initiative gab, hat sie als Tourmanagerin für eine Band mit einer blinden Sängerin gearbeitet und dabei schnell gemerkt, mit welchen Barrieren und Benachteiligungen Menschen mit Behinderungen im Kulturleben konfrontiert sind. Daraufhin hat sie die Initiative als gemeinnütziges Kollektiv gegründet, später kam dann die Beratungsagentur hinzu. Ich bin Teil von beidem und unterstütze die „Initiative Barrierefrei Feiern“ mit meinem Fachwissen, das ich durch das Organisieren von Großveranstaltungen und durch meine privaten Erfahrungen erworben habe.
Mit welchen Angeboten hilft die Initiative beispielsweise Clubbetreiber:innen dabei, ihre Veranstaltungen barrierefreier zu gestalten?
Wir bieten Workshops zu Inklusion und Barrierefreiheit in der Popkultur an. Dazu gehören auch Maßnahmen, die für das Thema als solches sensibilisieren sollen. Es können aber auch Sprechstunden bei uns gebucht werden. Im Idealfall arbeiten die Veranstaltenden ganzheitlich mit uns zusammen, das heißt, wir begleiten gemeinsam mit ihnen den gesamten Prozess etwa eines Festivals. Das beinhaltet neben den Workshops auch Strategiepapiere, Handbücher, einen Bereich „Häufig gestellte Fragen“ für die Website und eine Überprüfung der Barrierefreiheit derselben. Die „Häufig gestellten Fragen“ sind dazu da, im Vorfeld Anfragen abzufangen, weil diese sich oft gleichen. Zum Beispiel fragen viele nach Infos zu den Tickets, zur Anreise oder zu den Regelungen für Begleitpersonen. Weitere Teile des Prozesses sind außerdem Ortsbegehungen, mobile Dienstleistungen auf den Veranstaltungen selbst, Community-Management, eine inklusive Programmgestaltung sowie Akquise, etwa von Gebärdensprachdolmetschenden, und deren Koordination.
Welche Projekte hat die Initiative schon erfolgreich begleitet und was ist noch geplant?
Wir werden mit unserem Team oft dafür gebucht, eine Veranstaltung vor Ort zu begleiten. Die Königsdisziplin sind dabei unsere „Services für Gäste mit Behinderung“, die wir beispielsweise bei Großveranstaltungen wie Konzerten von „Die Ärzte“ anbieten, bei denen mehr als 200 Gäste mit Behinderung im Publikum sind. Dazu gehört etwa ein Treffpunkt beim Konzert, den alle aufsuchen und dort Infos bekommen können, aber beispielsweise auch die Begleitung von blinden Menschen, damit sie sich auf dem Gelände gut zurechtfinden.
Wir werden dieses Jahr außerdem erstmals das Lollapalooza-Festival in Berlin im Vorfeld und vor Ort begleiten. Dort werden ca. 60.000 Besucher:innen erwartet, darunter sicherlich auch viele junge Menschen mit Behinderung. Die Arbeit vor Ort macht großen Spaß, weil wir dort mit der Community in den direkten Austausch gehen dürfen.
Welche Ziele möchten Sie in den nächsten Jahren erreichen?
Unser wahrscheinlich sehr optimistisches, aber konkretes Ziel ist es, dass alle Menschen gleichberechtigt gemeinsam feiern können – und zwar ohne, dass dabei einzelne Personengruppen sozial oder infrastrukturell benachteiligt werden und deswegen besondere Vorkehrungen treffen müssen. Das ist nur durch barrierefreie Kulturangebote möglich, von denen es aktuell noch viel zu wenige gibt, obwohl die UN-Behindertenrechtskonvention genau das vorschreibt. Bis dieses Ziel erreicht ist, setzen wir uns als Kollektiv dafür ein, Veranstaltende, Club-Betreibende und die Kulturpolitik bestmöglich für das Thema zu sensibilisieren – und so viele Veranstaltungen wie nur möglich dabei zu unterstützen, Barrieren abzubauen.
Wer kann bei der Initiative „Barrierefrei Feiern“ mitmachen?
Grundsätzlich sind bei uns alle willkommen, die sehr kulturaffin sind und sich wegen einer körperlichen, sensorischen oder psychischen Beeinträchtigung als Mensch mit Behinderung identifizieren. Bestenfalls hat die Person schon erste Berufserfahrungen mit Kunst, Kultur und Veranstaltungen gesammelt, und ganz besonders freuen wir uns über Künstler:innen mit Behinderung in unseren Reihen. Es ist natürlich auch nicht verkehrt, wenn jemand gut und klar kommunizieren kann und ein Grundverständnis für die politischen Dimensionen von Behindertenrechten und Inklusion mitbringt. Denn tatsächlich haben viele unserer Mitstreiter:innen ihren Aktivismus erst entwickelt, seit sie bei uns mitmachen.