Eine Anlaufstelle für alle Fragen: Die Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung (EUTB) für Menschen mit Behinderung
Frau Wagner, Frau Donat, wer kann sich an Ihre Beratungsstelle wenden und bei welchen Fragen können Sie helfen?
Wagner: Das Prinzip jeder EUTB ist ‚Eine für alle‘. Menschen mit Behinderung, ihre Angehörigen und Menschen, die ein erhöhtes Risiko für eine Behinderung haben – sie alle können mit sämtlichen Anliegen zu uns kommen. Am häufigsten beantworten wir Fragen zum Schwerbehindertenausweis, zur Inklusionsassistenz in der Schule, zu Wohnangeboten und zur Pflege. Wenn jemand wegen einer Erkrankung seinen Beruf nicht mehr ausüben kann oder Hilfsmittel beantragen möchte, um weiterarbeiten zu können, helfen wir auch gerne weiter.
Donat: Ich bin Peer-Beraterin für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Das heißt, ich bin selbst betroffen und berate auf der Grundlage meiner eigenen Erfahrungen. Ich helfe Menschen zum Beispiel dabei, nach einem Klinikaufenthalt den Übergang in ihren Alltag zu Hause gut zu gestalten und die Wartezeit bis zu einer ambulanten Therapie zu überbrücken. Oft erkläre ich ihnen dazu erst einmal die Hilfs- und Unterstützungsangebote im psychiatrischen Versorgungssystem, die viele Menschen ja gar nicht kennen. Wenn jemand längere Zeit krankgeschrieben war, muss außerdem geklärt werden, wie die Wiedereingliederung am Arbeitsplatz gelingen kann.
Wie lange begleiten Sie Ratsuchende?
Wagner: Solange es nötig ist. Manchmal übernehmen wir eher eine Lotsenfunktion, weil etwa der Integrationsfachdienst, das Inklusionsamt Arbeit oder die Reha-Abteilung der Arbeitsagentur konkreter beraten können. Auf Wunsch begleiten wir Menschen dann aber weiter und ergänzen die Arbeit der spezialisierten Anlaufstellen. Von einer Behinderung oder Erkrankung ist ja selten nur ein Lebensbereich betroffen. Wir haben einen Blick auf das Gesamtbild und können mit jeder Person immer wieder überlegen, wo sie noch Unterstützung und Infos braucht. Oft tauchen ja auch nach längerer Zeit wieder neue Fragen auf, wenn jemand in eine neue Lebensphase tritt.
Donat: Manchmal arbeiten wir auch sehr kleinschrittig. Wir unterstützen zum Beispiel erst einmal dabei, in einem einzelnen Lebensbereich Struktur zu schaffen, zum Beispiel eine gute gesundheitliche Versorgung sicherzustellen. Dann kommt der Beruf dran, dann die Freizeit. Das alles braucht Zeit.
Wie genau sieht diese kleinschrittige Arbeit aus?
Donat: Am Anfang lassen wir die Menschen erst einmal erzählen, wo sie stehen, was passiert ist und welche Probleme sie haben. Dann legen wir mit ihnen gemeinsam fest, was das langfristige Ziel der Beratung ist und welchen ersten kleinen Schritt wir in Angriff nehmen wollen. Die Ratsuchenden sollen ja einen Überblick bekommen, aber nach Möglichkeit auch schnell selbst etwas tun können. Das ist sehr wichtig für das Selbstwertgefühl. Meistens verteilen wir deshalb kleine Hausaufgaben, die beide Seiten bis zum nächsten Treffen erledigen sollen. Das können zum Beispiel Papiere sein, die die ratsuchende Person zusammenstellen oder eventuell erst besorgen muss. Die Beraterin erstellt währenddessen vielleicht eine Liste mit möglichen Therapeut:innen oder fragt nach, wo Plätze für ambulant begleitetes Wohnen frei sind. Manchmal müssen wir auch Dolmetscher:innen für eine Fremdsprache oder die Deutsche Gebärdensprache engagieren und Kontakt zu anderen Anlaufstellen aufnehmen.
Wagner: Wie die Aufgabenverteilung genau aussieht, ist aber sehr individuell. Grundsätzlich arbeiten wir nach dem sogenannten Empowerment-Ansatz. Das bedeutet, wir möchten Menschen befähigen, selbst zu handeln. Wenn sich jemand nach einem Unfall oder in einer anderen Extremsituation aber erst einmal fangen muss, übernehmen die Beraterinnen zu Beginn vieles für die ratsuchende Person, geben ihr also nicht gleich eine lange Liste mit Aufgaben. Andersherum kommen Menschen manchmal schon mit sehr konkreten Vorstellungen und möchten gerne mehr Dinge selbst tun. Das besprechen wir jeweils im Einzelfall.
Bieten Sie immer auch eine Peer-Beratung an, also Gespräche mit Berater:innen, die selbst eine Behinderung oder Erkrankung haben?
Wagner: In unserem Team haben alle hauptamtlichen Mitarbeiter:innen entweder selbst eine Behinderung oder Angehörige mit Behinderung, bringen also persönliche Erfahrungen mit dem Thema mit. Wir organisieren es so, dass immer die Beraterin eine neue Anfrage übernimmt, die als erste einen Termin frei hat. Sie ist dann fest für die ratsuchende Person zuständig. Darüber hinaus haben wir ehrenamtliche Mitarbeiter:innen, die jeweils zu ihren eigenen Erfahrungen beraten. Ein Kollege wird zum Beispiel rund um die Uhr durch eine Assistenz unterstützt. Er kommt auf Wunsch von Ratsuchenden dazu, wenn dieses Thema bei ihnen auftaucht, und bringt als Peer-Berater sein Wissen ein. Genauso haben wir auch Berater:innen mit Seh- oder Hörbehinderung und mit Lernschwierigkeiten.
Frau Donat, Sie sagten bereits, dass Sie Peer-Beraterin für Menschen mit psychischen Erkrankungen sind. Welche Vorteile hat das für die Menschen, die zu Ihnen kommen?
Donat: Die Ratsuchenden merken es, wenn ihre Beraterin schon einmal in einer ähnlichen Situation war und daher genau weiß, wie es ihnen gerade geht. Sie fassen schneller Vertrauen und können auf einer anderen Ebene mit mir sprechen. Da ich als hauptamtliche Mitarbeiterin fest in unserer Beratungsstelle angestellt bin, ist die Peer-Beratung für psychisch Erkrankte aber nur ein Teil meiner Arbeit. Ich berate auch Menschen, die mit anderen Anliegen zu uns kommen, genau wie meine Kolleginnen. Bei Bedarf hole ich eine weitere Peer-Person dazu.
Warum haben Sie sich entschieden, als Peer-Beraterin zu arbeiten?
Donat: Ich habe in meinem früheren Beruf gearbeitet, bis ich durch ein schweres Trauma eine psychische Erkrankung bekam. Es hat mehrere Jahre gedauert, bis ich mich davon erholt hatte. Damals bin ich durch einen Zufall auf die „Qualifikation zur Genesungsbegleiterin“ gestoßen, eine zwölfmonatige Weiterbildung, die unter anderem in Bielefeld-Bethel angeboten wird. Menschen mit Psychiatrieerfahrung werden damit vorbereitet, andere Menschen mit psychischen Erkrankungen zu begleiten und zu unterstützen, also sozusagen als Bindeglied zwischen den Betroffenen und professionellen Helfer:innen aufzutreten. Nachdem ich diese Weiterbildung abgeschlossen hatte, bekam ich hier in Lippe einen Minijob als Peer-Beraterin. Das ist genau das Richtige für mich. Ich kann so wieder am Arbeitsleben teilnehmen und mit all dem, was ich erlebt habe, anderen Menschen helfen. Es ist so ein Glücksgefühl, wenn jemand in der Beratung Mut fasst und wieder lächelt!
Wieder an Sie beide: Können Sie von Beratungen mit solchen positiven Entwicklungen erzählen?
Wagner: Ich berate zurzeit viele Menschen mit Fluchthintergrund, die eine Behinderung oder Angehörige mit Behinderung haben. Diese Menschen sind gerade erst in unserer Region angekommen und wissen nicht, wo sie überhaupt Unterstützung bekommen können. Ich helfe ihnen dabei, die nötigen Anträge auszufüllen. Das ist für sie ein wichtiger Schritt zu gesellschaftlicher Teilhabe. Ich glaube, dass ich da viel bewirken kann.
Donat: Ich habe einmal eine Frau beraten, die selbst eine psychische Erkrankung hat und gleichzeitig auch als Angehörige betroffen ist. Ihr Mann war damals in einer psychiatrischen Klinik und verbrachte nur die Wochenenden zuhause. Kurz vor dem Ende seines Klinikaufenthalts hatte die Frau unglaubliche Angst davor, dass sie es zu Hause nicht schaffen würden. Wir haben in der Beratung herausgearbeitet, warum sie diese Sorgen hat, und dann auch ihren Ehemann mit ins Boot geholt. Später erzählten mir die beiden, dass diese Gespräche sehr viel Druck von ihnen genommen und Klarheit geschaffen haben. Als der Mann aus der Klinik entlassen wurde, hatten sie kaum Probleme, inzwischen arbeiten beide wieder. Darüber freue ich mich sehr. —