VIER FRAGEN AN… Mechthild Schickhoff, Inklusionsberaterin bei der Landwirtschaftskammer NRW

#1: Frau Schickhoff, welche Aufgaben haben Sie als Inklusionsberaterin?

Ich bin Ansprechpartnerin für landwirtschaftliche Betriebe, die Menschen mit Behinderung ausbilden oder einstellen möchten. Außerdem berate ich Betriebsleiter:innen, wenn ein:e Mitarbeiter:in nach einer Erkrankung oder einem Unfall eine Behinderung hat. Ich informiere dazu, welche Expertinnen und Fachstellen dabei unterstützen können, den Arbeitsplatz und die Arbeitsabläufe behinderungsgerecht umzugestalten. Diese Lotsenfunktion ist überhaupt sehr wichtig. Ich bin also die erste Anlaufstelle für alle Fragen und Anliegen rund um das Thema. Wenn ich nicht selbst zuständig bin, vermittle ich an die richtigen Personen weiter und stelle Kontakte her.
Ich mache darüber hinaus viel Aufklärungsarbeit und fahre zum Beispiel zu Tagungen der Landwirtschaftskammer oder zu Fachschulen, um das Thema dort vorzustellen. An den Fachschulen bilden sich Landwirt:innen zu:r Meister:in oder Agrarbetriebswirt:in fort. Das sind Menschen, die später in einer verantwortlichen Position als Hofnachfolger:in oder Betriebsleiter:in arbeiten – da ist es gut, früh Kontakte zu knüpfen und auf das Thema Inklusion aufmerksam zu machen.
Wenn Interesse besteht, besuche ich natürlich auch einzelne Betriebe, um vor Ort konkrete Fragen zu besprechen. Leider hält sich oft noch hartnäckig die Vorstellung, dass landwirtschaftliche Berufe für Menschen mit Behinderung nicht gut geeignet sind, vor allem nicht für Menschen mit körperlichen Behinderungen. Dieses Vorurteil ist nicht nur bei den Verantwortlichen in der Branche weit verbreitet, sondern auch bei Eltern, Betreuungs- und Lehrkräften. Meine Aufgabe ist es, dieses Bild aufzubrechen.

#2: Mit welchen Fragen oder Anliegen wenden sich landwirtschaftliche Betriebe besonders oft an Sie?

Das hängt stark vom Vorwissen der Verantwortlichen ab. Manche möchten einen inklusiven Arbeitsplatz in ihrem Betrieb einrichten und stellen erst einmal sehr grundsätzliche Fragen: Was ist eine Schwerbehinderung? Und was bedeutet es für mich als Arbeitgeberin oder Arbeitgeber, einen Menschen mit Schwerbehinderung einzustellen?
Manche fragen auch sehr konkret nach den Förderungsmöglichkeiten oder dem Kündigungsschutz. Oder es geht darum, eine passende Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter für eine Stelle zu finden. In diesen Fällen greife ich auf mein Netzwerk zurück und frage bei Arbeitsagenturen, Integrationsfachdiensten und Schulen nach, ob sie jemanden kennen, die oder der für die Stelle in Frage kommt.
Diese Netzwerkarbeit funktioniert übrigens auch andersherum. Manchmal melden sich zum Beispiel Mitarbeiter:innen von Integrationsfachdiensten bei mir, weil ein Mensch mit Behinderung ein Praktikum in einem landwirtschaftlichen Betrieb machen möchte oder einen festen Arbeitsplatz sucht. Ich frage dann nach, ob die Person lieber im Bereich Gemüseanbau, Grünland- oder Tierpflege arbeiten möchte. Anschließend spreche ich Kolleg:innen aus der Landwirtschaftskammer an, die vielleicht einen passenden Betrieb empfehlen können.

#3: In welchen landwirtschaftlichen Bereichen können Sie (junge) Menschen mit Behinderung dabei unterstützen, einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu finden?

Die Landwirtschaftskammer ist für insgesamt zwölf Ausbildungsberufe in der Branche zuständig. Neben der Ausbildung zur Landwirtin oder zum Landwirt gibt es beispielsweise auch den Beruf „Fachkraft Agrarservice“. Wer darin ausgebildet ist, bedient landwirtschaftliche Maschinen und mäht, pflügt oder erntet im Auftrag von Betrieben. Tierwirt:innen wiederum spezialisieren sich in der Ausbildung auf eine bestimmte Tierart, etwa Schweine oder Geflügel. Auch die Bereiche Gartenbau und Forstwirtschaft gehören zu den so genannten grünen Berufen, zu denen das Team der Landwirtschaftskammer und ich beraten können.
Wenn jemand keine klassische Ausbildung machen kann oder möchte, gibt es auch noch die Berufe der Landwirtschaftsfachwerker:in, Werker:in im Gartenbau oder Werker:in in der Forstwirtschaft. Diese Ausbildungen haben einen kleineren Theorie-Teil als die anderen Berufe.
Manche landwirtschaftlichen Betriebe stellen übrigens auch Menschen ein, die gar keine Berufsausbildung haben, aber gerne in der Landwirtschaft arbeiten möchten. Sie werden dann für bestimmte Hilfstätigkeiten angelernt.

#4: Wie sind die Zukunftsaussichten für junge Menschen mit Behinderung, die in einem landwirtschaftlichen Betrieb arbeiten möchten?

In der Landwirtschaft findet derzeit ein Strukturwandel statt, der einen Blick in die Zukunft sehr schwer macht. Es zeichnen sich aber zwei große Trends ab. Zum einen werden landwirtschaftliche Betriebe immer größer und brauchen deshalb auch mehr Mitarbeiter:innen. Wie in vielen anderen Branchen fehlen aber auch in der Landwirtschaft Fachkräfte. Das kann eine Chance für die Inklusion sein. Menschen mit Lernbehinderungen oder kognitiven Beeinträchtigungen können wiederkehrende Hilfs- und Handarbeiten übernehmen und dadurch die Fachkräfte entlasten. Landwirtschaftsfachwerker:innen und angelernte Arbeitskräfte bleiben zudem, wenn alles passt, dauerhaft im Unternehmen. Das sehen viele Betriebsleiter:innen als Pluspunkt, sie suchen deshalb gezielt nach solchen Mitarbeiter:innen.
Gleichzeitig gibt es aber auch Unternehmen, die gern ausgebildete Landwirt:innen anstellen möchten, die die Betriebsleitung entlasten und bei Krankheit oder Urlaub vertreten können. Denn je mehr digitale Lösungen ein landwirtschaftlicher Betrieb einsetzt, desto mehr qualifizierte Mitarbeiter:innen werden dort gebraucht. Je nach Arbeitsbereich können Menschen mit körperlichen Behinderungen diese Aufgaben sehr gut übernehmen, bei Bedarf bekommen sie dafür technische Arbeitshilfen. Ich kenne etliche Betriebe, in denen das gut geklappt hat und die Betriebsleitung und die angestellten Landwirt:innen sehr zufrieden sind. Ich hoffe, dass meine Kolleg:innen und ich durch unsere Aufklärungsarbeit noch mehr landwirtschaftliche Betriebe dafür gewinnen können, inklusive Arbeitsplätze einzurichten.


Tobias Koddebusch steht mit seinem Fahrrad auf dem Hof vor dem Stall und lächelt in die Kamera. Er trägt einen blauen Overall.

LESETIPP

Bei Tobias Koddebusch hat es geklappt: Der junge Mann mit Down-Syndrom hat bei der preisgekrönten Bertelsbeck GbR in Coesfeld seinen Traumberuf gefunden – also bei einem landwirtschaftlichen Betrieb auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. 2019 haben wir auf unserem Blog eine Reportage über ihn veröffentlicht.

Zum Beitrag: Impfen, füttern, ausmisten: Wie ein 19-Jähriger seinen Traumjob fand