„Jeder Olympia-Stützpunkt sollte zugleich auch paralympisch sein“

Frau Knoblauch, Sie und Ihr Team steckten gerade mitten im Training für die Para-Weltmeisterschaften in Tokio, als die Corona-Pandemie alles durcheinanderbrachte. Wie hat sich dadurch Ihr Alltag verändert?

Die größte Veränderung ist, dass ich viel weniger trainiere als vorher. Normalerweise mache ich pro Woche sechs Stunden Krafttraining, 13 Stunden Badminton auf dem Feld und drei Stunden Ausdauer-Training. Hinzu kommen noch Physiotherapie, Ernährungsberatung und Termine bei Sportpsychologen. Anfang März war das schlagartig vorbei. Zwei Tage vor dem Abflug zum letzten Qualifikationsturnier in Spanien kam die Absage – rückblickend war das gerade noch rechtzeitig, denn kurz darauf wurde Spanien zum Risikogebiet erklärt. Es ist also sehr gut, dass das Turnier verschoben wurde, auch wenn das für uns alle großes Chaos bedeutet. So ist es ja auch in vielen anderen Bereichen, die ich übrigens viel wichtiger finde als den Sport.

Das Training einfach abzubrechen, ist für Leistungssportlerinnen und -sportler mitten in der Qualifikation wahrscheinlich keine gute Idee. Wie halten Sie und Ihr Team sich zu Hause fit?

Wir wissen leider noch nicht, wann wir wieder in die Hallen und die Krafträume können, und versuchen deshalb, in der Zwischenzeit irgendwie anders am Ball zu bleiben. Wir trainieren mit dem Team täglich eine Stunde über Skype, also per Videokonferenz. Für das Cardio-Training sind wir jeweils alleine mehrmals pro Woche mit dem Handbike draußen unterwegs – aber das war es auch schon. Eigentlich reicht das nicht.

Bis wann gelten die Trainingsverbote in Deutschland?

Vorerst sind bis zum 31. Mai alle Trainingslehrgänge und Turniere ausgesetzt. Durch die Absage des letzten Turniers ist auch noch nicht klar, wer sich für die Paralympics qualifiziert hat. Normalerweise hätten wir das im April erfahren. Die Organisatoren können derzeit auch noch nicht sagen, ob die Qualifikation vorzeitig abgeschlossen ist, ob sie verlängert wird oder ob es eine ganz neue geben wird. Keiner weiß, wie es weitergeht.

Womit beschäftigen Sie sich in der Zwischenzeit? 

Soweit das unter den aktuellen Umständen möglich ist, wende ich mich jetzt wieder mehr meinem Psychologie-Studium zu, das durch das viele Training in letzter Zeit zu kurz gekommen ist. Allerdings geht das Semester ja auch erst Anfang April wieder los – und die Uni Köln hat, wie alle Hochschulen, derzeit noch Probleme damit, von heute auf morgen flächendeckende Video-Seminare anzubieten. Schauen wir mal, was die nächsten Wochen bringen werden.

Valeska Knoblauch beim Para-Badminton in einer Sporthalle.
Foto: Mark Phelan/Badminton Europe

Mal ganz abseits der Corona-Pandemie und ihren Folgen: Wie inkludiert fühlen Sie sich als Rollstuhlfahrerin in Ihrem Studium und in der Berufswelt?

Im Studium habe ich meine Behinderung noch nie als Barriere empfunden. Auch in den Praktika, die ich während des Studiums absolvieren musste, habe ich durchweg nur positive Erfahrungen gemacht. Vielleicht lag das aber auch daran, dass ich dort immer in Krankenhäusern gearbeitet habe. Wie es in Arztpraxen oder in Unternehmen mit der Inklusion aussieht, kann ich nicht beurteilen.

Im Sport können Sie das sicher sehr gut einschätzen. Wie steht es aus Ihrer Sicht dort um die Inklusion?

Dazu möchte ich ein schönes Beispiel aus dem letzten Jahr nennen. Im August 2019 wurden die Parabadminton- und die Badminton-WM erstmals gleichzeitig und in einem Gebäude-Komplex ausgetragen. Das war für uns Para-Sportlerinnen und -Sportler ganz neu, weil plötzlich eine größere Aufmerksamkeit für uns da war. Es waren viel mehr Zuschauer auf den Rängen – und dadurch kam so richtig Stimmung auf. Wir haben außerdem viel Anerkennung der nicht-behinderten Athleten erfahren und die deutschen Teams haben sich untereinander sehr unterstützt. Das war ein tolles Gefühl. Ich fände es deshalb super, wenn das ab sofort immer so wäre, also wenn sich das Konzept etablieren würde, die Wettkämpfe grundsätzlich gleichzeitig auszutragen.

Warum, glauben Sie, ist das im Moment noch nicht so?

An den sportlichen Leistungen, der Stimmung und dem Unterhaltungsfaktor kann es nicht liegen, das bieten beide Wettkämpfe. Ich weiß aber, dass Events in dieser Größe mit großen logistischen und organisatorischen Herausforderungen verbunden sind. Die Wettkampfstätten müssen ja auch die Bedürfnisse aller Teilnehmenden erfüllen. Diese hohen Anforderungen sprechen derzeit wahrscheinlich gegen eine regelmäßige gleichzeitige Austragung der Meisterschaften.
Wenn die mediale Aufmerksamkeit jeweils gleich groß wäre, fände ich es in Ordnung, wenn sie weiterhin nacheinander stattfinden – aber das ist eben oft nicht der Fall. Dabei trainieren und kämpfen wir Para-Athletinnen und -Athleten ja im Vorfeld mindestens genauso hart für die Teilnahme am Wettkampf wie die Olympioniken und hätten die Aufmerksamkeit ebenso verdient.

Wie beurteilen Sie die Inklusion im Sport insgesamt?

Das ist ein ziemlich weites Feld mit sehr vielen Disziplinen, dazu kann ich also kein allgemeingültiges Urteil abgeben. Ich glaube aber, dass das stark von den einzelnen Sportarten abhängt. Auch die Aufgeschlossenheit der Menschen spielt eine große Rolle – die der Sportlerinnen und Sportler mit und ohne Behinderung, aber auch derer, die rundherum mitwirken oder organisieren. Meine Erfahrung ist, dass sich immer etwas Neues, Gutes entwickelt, von dem alle profitieren können, wenn die Türen für Inklusion erst einmal geöffnet sind und dadurch auch die Berührungsängste abnehmen.

Können Sie Beispiele nennen?

Die schon genannte Para-Badminton-WM im August 2019 etwa, bei der man sehen konnte, dass das Interesse auf beiden „Seiten“ offenbar groß ist. Oder die Trainings mit unserem Bundestrainer an der Sporthochschule: Die „Fußgänger“, also die Studentinnen und Studenten ohne Gehbehinderung sehen mich dort häufig. Die finden das sehr spannend, weil meine s­­portliche Disziplin ganz auf den Rollstuhl ausgelegt ist. Ich mache auch anderes Krafttraining und das Para-Badminton selbst folgt etwas anderen Regeln. Es hat eine andere Dynamik.

Welche strukturellen Veränderungen wünschen Sie sich, damit sich noch mehr Menschen für die Paralympics begeistern?

Ich fände es zum Beispiel sehr gut, wenn jeder Olympia-Stützpunkt zugleich immer auch ein Paralympics-Stützpunkt wäre. Das wäre ein wichtiger erster Schritt, um einen regen Austausch zwischen den Trainingslagern zu etablieren, denn so könnten sich die Athletinnen und Athleten gemeinsam beziehungsweise nebeneinander auf die Wettkämpfe vorbereiten. Sie wären gleichwertig und würden untereinander mehr über die Sportart, das Training und die Erfolge des jeweils anderen Teams erfahren. Das könnte viel zur Inklusion beitragen – nicht nur im Sport.

Was wünschen Sie sich für Ihre berufliche Zukunft?

Als allererstes hoffe ich auf eine erfolgreiche Teilnahme bei den nächsten Paralympics und in diesem Zusammenhang auf baldige Klarheit für uns alle, wann sie stattfinden werden. Danach möchte ich allmählich wieder in mein Studium zurück finden.
Auf lange Sicht würde ich sehr gern weiterhin den Sport und den Beruf miteinander verbinden. Ich weiß von anderen Sportlern, dass das häufig sehr schwierig ist. Einige andere haben den Sport zugunsten des Berufs sogar ganz aufgegeben. Das fände ziemlich frustrierend und hoffe sehr, dass mir das nicht passiert. Bei manchen funktioniert es aber auch gut, vor allem bei Athletinnen und Athleten aus anderen Nationen, die ich bei Wettkämpfen kennengelernt habe. Das macht mir Mut.