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Auf die Größe kommt’s nicht an

Peter Brownbill ist Schauspieler und leitet zusammen mit seiner Frau eine eigene Agentur, die Brownbill GmbH. Sie vermittelt vor allem kleinwüchsige Künstlerinnen und Künstler. Im Interview erzählt er von seinem Traumjob, zu dem er erst sehr spät gekommen ist, von Neid und Missgunst, aber auch großer Anerkennung. Und von seinem Wunsch einer Welt, in der nicht mehr auf die Größe oder andere körperliche Merkmale geschaut wird.

Peter Brownbill auf einem Stuhl vor einem bunten Hintergrund

Herr Brownbill, wie haben Sie Ihren Karriereeinstieg in der Film- und Fernsehbranche erlebt?

Das war ein Abenteuer. Als behinderter Mensch war es sehr schwer, eine Ausbildung zu machen. Ich bin so in meinen ersten Berufsjahren als Verwaltungsfachangestellter im Öffentlichen Dienst gelandet. Obwohl ich das nicht als meine „Berufung“ empfunden habe, war ich froh, dass ich nicht auf Sozialleistungen angewiesen war oder in einer Werkstatt für behinderte Menschen arbeiten musste.
Als ich 40 Jahre alt war, wollte ich es noch mal wissen und habe mir die schönste Spielwiese der Welt dafür ausgesucht: Die Schauspielerei. Dabei habe ich mein Handicap bewusst als Alleinstellungsmerkmal eingesetzt (lacht). Es war eine ganz neue Erfahrung für mich, auf einmal eine gefragte Persönlichkeit zu sein, anstatt immer nur Absagen zu bekommen. Die Schauspielerei ist aber auch kein einfacher Beruf. Ich musste vor allem als Quereinsteiger hart arbeiten, um relativ schnell erfolgreich zu sein.

Wie waren die üblichen ersten Reaktionen?

Skepsis und Bewunderung, aber auch Verachtung, zum Beispiel von Behindertenverbänden. Die negativen Reaktionen hatten wohl auch damit zu tun, dass das Wort „Schauspieler“ von „Zurschaustellen“ kommt. Wenn man an die Freak-Shows aus der Vergangenheit denkt, in denen kleinwüchsige Menschen tatsächlich wie wundersame Wesen ausgestellt wurden, ist das ein schmaler Grat, auf dem ich mich bewege.

Im Vergleich zu nicht-kleinwüchsigen Menschen: Mussten Sie mehr tun, um als Schauspieler wahr- und ernstgenommen zu werden?

Ich bin nicht sicher, ob ich tatsächlich mehr leisten musste. Eher denke ich, dass es um die Qualität eines Darstellers geht. Der US-amerikanische Film- und Theaterschauspieler Peter Dinklage zum Beispiel, der aus „Game of Thrones“ bekannt ist, hat das Handwerk von der Pike auf gelernt. Ich nicht. Anders als er musste ich also auch deshalb erst einmal viele klischeebehaftete und stereotype Rollen annehmen. Die Prioritäten lagen bei mir notgedrungen anders: Ich musste meinen Lebensunterhalt verdienen und mit meinen ersten Rollen zugleich innerhalb kürzester Zeit das Handwerk erlernen. Da konnte ich keine tollen Angebote erwarten. Das alles kann aber schnell dazu führen, dass man in eine Schublade gesteckt wird.

Hat sich das in den vergangenen Jahren verändert? 

Es tut sich gerade etwas, aber der Weg ist noch lang. Wenn ich mir heute zum Beispiel Werbespots anschaue, fällt mir schon auf, dass viele unterschiedliche Schauspielerinnen und Schauspieler darin auftauchen. Kleine und große Menschen mit verschiedenen Behinderungen und verschiedener Herkunft, Homosexuelle, Transsexuelle. Da ist mehr Diversität spürbar und sichtbar als früher.

Merken Sie das auch an den Aufträgen für die Schauspielerinnen und Schauspieler, die Sie vermitteln?

Ja, auch da ist eine Veränderung zu merken. Mit unserer Künstleragentur haben wir kürzlich einen kleinwüchsigen Schauspieler für eine „normale“ Rolle vermittelt. Er sollte in der ARD-Serie „In aller Freundschaft“ mitspielen. Aus dem Drehbuch ging ursprünglich aber nicht hervor, dass die Rolle mit einem Kleinwüchsigen besetzt werden sollte. Ich nehme daher an, dass das Casting-Team angewiesen war, mehr „Diversity“ in die Serie zu bringen, ohne dafür die Rollen umzuschreiben. Das finde ich sehr spannend, denn das zeigt, dass Kleinwüchsige nicht mehr nur nur als potentielle Besetzung für einen Zwerg gesehen werden. Obwohl ich auch diese Rollen sehr mag. Aber: Solange wir nicht auch Kripo-Kommissarinnen oder -Kommissare sein dürfen, werden wir – wie im Münster-Tatort – weiterhin „nur“ Zwerge sein.

Gibt es Unterschiede zwischen der deutschen Kreativbranche und der restlichen Welt bei der Inklusion von Menschen mit Behinderungen? 

Ich bin da nicht so gut informiert, habe persönlich aber den Eindruck, dass andere Länder wie die USA oder England offener für solche Sachen sind. Hierzulande wirkt es oft gezwungen, es wird häufig gefragt: „Darf der das?“ Einarmige Tagesschau-Sprecherinnen oder -sprecher scheinen irgendwie noch ziemlich weit weg zu sein.

Wie entstand die Idee, eine Agentur zu gründen?

Ich konnte irgendwann nicht mehr alle Anfragen für Rollen selbst abdecken. Meine Frau und ich beschlossen also, diese an andere Schauspielerinnen und Schauspieler weiterzuleiten. Mit der Agentur kann ich nun meine Erfahrungen weitergeben, was mir viel Freude macht. Und die Kosten für die Homepage und andere Ausgaben werden unter mehreren Leuten aufgeteilt. Es profitieren also alle Seiten.

Was haben Sie erreicht und worauf sind Sie besonders stolz? 

Ich habe mir viele Träume erfüllt. Ich stand auf tollen Bühnen, habe in schönen Filmen mitgewirkt und großartige Menschen kennengelernt. Und obwohl ich ein Spätzünder und Quereinsteiger bin, gehöre ich mit inzwischen über 100 Produktionen zu den meistgebuchten kleinwüchsigen Schauspielern in Deutschland. Meine ehemaligen Vorbilder habe ich damit sogar überholt. Und ich bin glücklich, dass ich auf der „Zielgeraden“ des Lebens trotz des Risikos noch einmal meine Komfortzone verlassen habe.

Was müsste sich aus Ihrer Sicht ändern, damit Kleinwüchsige, Menschen mit Down-Syndrom oder Menschen mit anderen Behinderungen in der Film- und Fernsehwelt einfach als gewöhnliche Schauspielerinnen und Schauspieler wahrgenommen werden?

Das wichtigste sind die Qualifikationen, dass also die Grundlagen des Schauspiels, das nötige Know-how und das handwerkliche Können vorhanden sind. Wir sprechen hier über einen schwierigen Beruf, für den im Normalfall mit gutem Grund eine Ausbildung erforderlich ist. Ich bin zwar auch durch die Hintertür eingestiegen, aber das war sehr schwierig. Nur, weil man sich auf Youtube angeschaut hat, wie man Fliesen verlegt, ist man ja auch noch lange kein Fliesenleger. Ich kenne allerdings kaum kleinwüchsige Schauspieler, die eine richtige Schauspielausbildung vorweisen können. Beim Down-Syndrom und anderen Behinderungen ist es nicht viel anders.
Unsere Agentur betreut mittlerweile zwei ausgebildete kleinwüchsige Schauspieler und zwei weitere, die sich im Moment in der Ausbildung befinden. Das macht uns sehr stolz. Früher mag es für eine Produktion ausgereicht haben, für die Rolle des „Lustigen August“ oder des „Zirkus-Liliputaners“ mit etwas Selbstvertrauen über die Bühne oder durch das Bild zu laufen. Bei manchen Filmen und Stücken reicht das vielleicht auch heute noch. Aber um als Profi wahr- und ernstgenommen zu werden, ist das ganz sicher zu wenig.

Sie haben Humor und provozieren gern. Das haben Sie zuletzt mit der „Minibar“ gezeigt, die Sie auf Festivals zusammen mit zwei kleinwüchsigen Kollegen betrieben und dort „Kurze“ ausgeschenkt haben. Ist das nur Spaß oder verfolgen Sie mit solchen Aktionen ein Ziel?

Humor und Selbstironie sind eine unglaublich starke Waffe, um auf Probleme aufmerksam zu machen. Ich habe deshalb ein eigenes Stand-up-Comedy-Programm namens „Zwergenaufstand“ auf die Beine gestellt. Mit einem Augenzwinkern möchte ich den Menschen den Spiegel vor die Nase halten – aber eben nicht mit dem erhobenen Zeigefinger. Die „Minibar“ ist so ähnlich: Sie wirkt lustig, ist aber kein Spaß. Sie ist eine Art Installation. Mit diesem Konzept leben wir die Inklusion.

Wie meinen Sie das?

Warum müssen Tresen, Barhocker oder Stehtische so hoch sein, dass Kinder, Rollstuhlfahrer oder eben auch kleinwüchsige Menschen sie nicht nutzen können? Mit der Minibar drehen wir dieses Konzept von Normalität um und verdeutlichen so, dass es auch andere Sichtweisen gibt. Mit 1,20 Meter Körpergröße fühlen wir uns an einem „normalen“ Stehtisch nämlich nicht nur nicht wohl, sondern können auch bestimmte Berufe nicht ausüben. Barkeeperin und Barkeeper zum Beispiel, Servicekraft oder Verkäuferin und Verkäufer an der Metzger- oder Bäckertheke. Und das im 21. Jahrhundert. Wir schießen Raketen zum Mond, sind aber zugleich so mit DIN-Normen überwuchert und dadurch so behindert, das eine klare Sichtweise verloren gegangen ist.

Und deshalb provozieren Sie?

Ja. Kleinwüchsige und Menschen mit anderen Behinderungen könnten sehr gut zum Beispiel auch Polizistinnen und Polizisten, Krankenpflegerinnen und -pfleger oder Feuerwehrleute sein. Aber so, wie es jetzt ist, findet das tägliche Leben in der Gesellschaft ohne uns statt. Diese Tatsache nur sachlich in Diskussionsrunden anzusprechen, bringt leider nicht viel. Es erzeugt in vielen Kreisen höchstens ein müdes Lächeln. Deshalb provoziere ich lieber, um Denkanstöße zu geben. Wir treten in der Minibar außerdem den Beweis an, dass viele verschiedene Menschen dort gemütlich sitzen und so „auf Augenhöhe“ sein können. Jeder kann uns besuchen und bei einem Kaffee oder Bier Vorurteile und Berührungsängste abbauen. Die Minibar ist aber nur ein kleiner erster Schritt für uns.

Was planen Sie noch?

Wir wollen eine Erlebnisausstellung eröffnen, die sich mit demselben Thema beschäftigt, und zwar ebenfalls in der Hamburger Hafencity. Das Ganze entsteht im Rahmen unseres gemeinnützigen Vereins „Groessenwahn e. V.“. Um der Idee die Krone aufzusetzen, haben wir auch noch einen Song im Stil von Rammstein aufgenommen. Der Refrain geht so: „Ob gross oder klein, nur wer liebt, ist wirklich reich. Ob schwarz oder weiss, rotes Blut fliesst in jedem gleich. Grössenwahn… Grössenwahn…“ —


Über unseren Interviewpartner

Porträtfoto von Peter Brownbill
Foto: Robert Eikelpoth

Name: Peter Brownbill
Geburtsjahr: 1968
Wohn-/Arbeitsort: Emden/Hamburg
Beruf: Schauspieler, Agenturchef und Aktivist
(Persönlicher Bezug zum Thema) Behinderung: ist kleinwüchsig

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