Forschung und praktisches Wissen rund um Inklusion: Der Masterstudiengang ‚Rehabilitationswissenschaften‘ an der Uni Köln
Frau Niehaus, welche Inhalte lehren Sie in Ihrem Fach „Inklusionsmanagement und Rehabilitation in der Arbeitswelt“?
Niehaus: Wir vermitteln neben Theorien und Konzepten auch viel praktisches Wissen über das System der beruflichen Rehabilitation und über Inklusion im Beruf. Dazu laden wir beispielsweise Expert:innen von Inklusionsämtern, Integrationsfachdiensten und Sozialversicherungsträgern wie der Deutschen Rentenversicherung oder einer Unfallversicherung ein. Sie erklären, welche Aufgaben ihre jeweilige Institution hat und was sie für die Inklusion im Arbeitsleben tut. Unsere Studierenden lernen außerdem die rechtlichen Grundlagen kennen, nach denen alle diese Akteure arbeiten.
Der zweite große Themenblock sind wichtige Begriffe und andere Grundlagen, auf dem das berufliche Reha-System aufbaut: Was ist der Unterschied zwischen Behinderung und Krankheit? Wann ist eine Person beschäftigungsfähig, kann also auf dem ersten Arbeitsmarkt eine Stelle finden und dauerhaft arbeiten? Und was ist eigentlich das Ziel von beruflicher Rehabilitation?
In einem dritten Block vermitteln wir die Methoden, mit denen wir in unserem Fachbereich forschen. Die Studierenden lernen auch, wie sie Erfahrungen mit inklusivem Arbeiten aus anderen Ländern einbeziehen und welche gesellschaftlichen Veränderungen und technischen Innovationen künftig eine Rolle spielen können.
Welche Vorkenntnisse oder welchen Abschluss sollten Studierende haben, damit sie sich für diesen Masterstudiengang einschreiben können?
Niehaus: Unsere Master-Studierenden kommen aus verschiedensten Bachelor-Studiengängen zusammen. Einige haben zuvor Sonder- oder Heilpädagogik studiert, andere kommen eher aus dem Bereich der Psychologie sowie den Erziehungs- und Gesundheitswissenschaften. Manchmal schreiben sich auch Studierende aus dem Lehramt-Studiengang Sonderpädagogik ein, die sich nach dem Bachelor doch für eine Laufbahn außerhalb der Schule entschieden haben.
Und welche Berufe stehen ihnen mit dem Masterabschluss offen?
Niehaus: Viele ehemalige Studierende arbeiten bei Integrationsfachdiensten oder anderen Rehabilitationsträgern. Manche bekommen schon während des Studiums Jobangebote, wenn die Reha-Träger sich und ihre Arbeit in unseren Seminaren vorstellen. Die Verantwortlichen bei den Trägern schätzen das Wissen, das wir im Studiengang vermitteln, und möchten bei uns gerne künftige Fachkräfte für sich gewinnen. Andere ehemalige Studierende sind jetzt als Referent:innen oder in der Projektentwicklung bei Sozialversicherungsträgern oder in Unternehmen tätig. Und einige unterstützen im Programm KAoA-STAR (Anm.: Abkürzung für „Kein Abschluss ohne Anschluss – Schule trifft Arbeitswelt“) Jugendliche im Übergang zwischen Schule und Arbeitsleben.
Frau Groß, Sie haben den Masterstudiengang „Rehabilitationswissenschaften“ absolviert und sind als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Mathilde Niehaus geblieben. Warum haben Sie sich für diese Fachrichtung entschieden?
Groß: Ich habe meinen Bachelor in Psychologie gemacht und während des Studiums auch schon Praktika absolviert. Dabei habe ich aber gemerkt, dass mir das Fach inhaltlich zu eng war. Der Masterstudiengang „Rehabilitationswissenschaften“ ist dagegen sehr praxisnah und interdisziplinär aufgebaut. Dadurch gibt es auch viele Möglichkeiten, sich weiter zu spezialisieren. Das gefiel mir.
In welchem Bereich forschen Sie jetzt?
Groß: Ich habe meine Masterarbeit über Inklusionsbeauftragte in Unternehmen geschrieben. Sie achten als Vertreter:innen der Arbeitgebenden darauf, dass diese ihre gesetzlichen Pflichten gegenüber Menschen mit (Schwer-)Behinderung im Unternehmen einhalten. Inklusionsbeauftragte sind also sozusagen das Gegenstück zu den Schwerbehindertenvertretungen. Es hat sich aber noch kaum jemand wissenschaftlich damit beschäftigt, wie die Arbeit dieser Menschen in der Praxis genau aussieht. Das ist bis heute eines meiner Schwerpunktthemen.
Außerdem arbeite ich im Projekt Role Models mit, das die Uni Köln gemeinsam mit der Fortbildungsakademie der Wirtschaft umsetzt. Wir möchten darin erarbeiten, ob und wie Menschen mit Schwerbehinderung in Führungspositionen zu Vorbildern für betriebliche Inklusion werden können, also zu „Role Models“.
Frau Niehaus, Sie haben den Masterstudiengang vor zehn Jahren entwickelt. Wie sind Sie selbst zum Thema der beruflichen Inklusion gekommen?
Niehaus: Ich habe nach meinem Studium an einem wirtschaftswissenschaftlichen Projekt mitgearbeitet, in dem wir Arbeitsmarktdaten ausgewertet haben. Eine Datengruppe in dieser Auswertung hieß „Menschen mit Schwerbehinderung“. Es hat mich gewundert, dass damals innerhalb dieser Gruppe nicht nach Geschlecht differenziert wurde. Ich habe mich gefragt: Wie ist eigentlich die Situation von Frauen mit Behinderung? Ich habe diese Frage weiterverfolgt und meine Doktorarbeit über die soziale Lage von Frauen mit Behinderung geschrieben.
Ein Ergebnis meiner Forschungsarbeit war: Frauen mit Behinderung hatten es auf dem Arbeitsmarkt besonders schwer. Ich bin also über diese Datenanalyse zum Thema gekommen und dabei geblieben. Deshalb war es für mich auch ein Herzensanliegen, den Studiengang hier in Köln aufzubauen. Viele Professor:innen der Sonderpädagogik beschäftigen sich mit Inklusion in der Schule und mit Förderschulen. Aber kaum jemand denkt an die Zeit nach der Schule. Da habe ich eine Lücke und einen großen gesellschaftlichen Bedarf gesehen, gerade mit Blick auf den demografischen Wandel. Wenn Menschen in Zukunft länger arbeiten müssen, werden immer mehr von ihnen eine Behinderung oder gesundheitliche Beeinträchtigung haben und nicht mehr der scheinbaren „Normalität“ im Erwerbsleben entsprechen. Damit müssen wir uns beschäftigen.
Zu welchen Themen oder Projekten möchten Sie beide in Zukunft gerne noch forschen?
Niehaus: Eine wichtige Frage wird sicher sein, welchen Einfluss der Klimawandel auf die Arbeitswelt und speziell auf Menschen mit Behinderung hat. Auch die Themen Digitalisierung, künstliche Intelligenz und mobiles Arbeiten haben natürlich einen großen Stellenwert. Dabei geht es nicht zuletzt um die Gesundheit der Beschäftigten. Was bedeutet eigentlich menschengerechte Arbeit? Was ist eine gute Arbeit? Wenn wir von Inklusion als Ziel sprechen, kommt es auch auf solche Fragen an. Zu Hause haben Menschen zum Beispiel oft keinen gut angepassten Arbeitsplatz oder Hilfsmittel. Menschen mit Behinderung brauchen diese Ausstattung dann eigentlich doppelt, damit sie nicht unter schädlichen Bedingungen arbeiten müssen. Gleichzeitig kann das Home Office auch entlasten und dazu beitragen, dass Menschen besser arbeiten können, weil sie nicht so oft zum Unternehmen fahren müssen.
Groß: Ich beobachte, dass sich der Fokus erweitert. Früher ging es bei Inklusion vor allem um Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen. Inzwischen erkranken immer mehr Menschen auch psychisch, und zwar oft schon in jungen Jahren. Solche Erkrankungen werden heute auch viel früher thematisiert. Gleichzeitig gibt es bei Verantwortlichen in Unternehmen und auch bei Arbeitnehmer:innen noch viele Unsicherheiten, außerdem trauen sich viele Menschen mit unsichtbaren Beeinträchtigungen nicht, diese offenzulegen, weil sie Angst vor Stigmatisierung haben. Ich denke, das wird in Zukunft auch für die Forschung ein wichtiges Thema sein.