Tagungen und Konferenzen barrierefrei planen: Worauf es ankommt
Frau Anderssen, wann ist eine Tagung oder Konferenz barrierefrei?
Das hängt davon ab, wer teilnehmen möchte. Grundsätzlich ist es wichtig, dass der Veranstaltungsort baulich barrierefrei ist. Alle Räume müssen für Menschen mit Rollstuhl oder Gehbehinderung erreichbar und zugänglich sein – und zwar sowohl der Publikumsbereich als auch die Bühnen. Es muss genug barrierefreie Toiletten geben und Glastüren müssen kontrastreich markiert sein, damit sie keine Gefahr für Menschen mit Sehbehinderung darstellen. Auch alle Wege im Gebäude sollten klar mit Schildern markiert werden, falls es vor Ort kein solches Leitsystem gibt. Wir empfehlen, mit Checklisten zu arbeiten, um bei der Planung nichts zu vergessen. Wenn die Verantwortlichen den Veranstaltungsort vorab anschauen, sollten sie auch einen Zollstock mitnehmen und prüfen, ob die Türen wirklich breit genug sind. Das erspart ihnen ärgerliche Überraschungen am Veranstaltungstag.
Das Gebäude muss außerdem für alle erreichbar und gut zu finden sein. Das heißt: Mindestens eine barrierefreie Haltestelle eines ebenfalls barrierefreien öffentlichen Verkehrsmittels ist in der Nähe. Den Weg von der Haltestelle zum Veranstaltungsort müssen die Verantwortlichen so beschreiben, dass auch Menschen mit Sehbehinderung und Menschen mit Lernschwierigkeiten ihn problemlos finden können.
Woran sollten Verantwortliche bei der Planung noch denken?
Es ist sehr hilfreich, schon bei der Anmeldung abzufragen, was die Teilnehmenden brauchen. Wie viele Rollstuhlplätze werden benötigt? Wer bringt eine Assistenz mit? Wie viele Personen brauchen welche Dolmetschung? Es gibt in Deutschland bisher weder genügend Schrift- und Gebärdensprachdolmetschende noch genügend Dolmetscherinnen und Dolmetscher für Leichte Sprache. Wer also ganz sicher gehen will, fragt diese Fachkräfte direkt an, sobald der Veranstaltungstermin feststeht. Falls eine bestimmte Dienstleistung dann doch nicht benötigt wird, lässt sich die Anfrage meistens noch stornieren.
In der Einladung zur Veranstaltung und auf der Website sollten Interessierte außerdem schon vorab Infos über den Veranstaltungsort und die Barrierefreiheit dort finden. Die Gäste werden auch wissen wollen, ob sie sich aktiv an Diskussionen beteiligen können oder nicht.
Welche Tipps haben Sie für Veranstalter:innen, die zum ersten Mal ein barrierefreies Event organisieren?
Barrierefreiheit ist ein Querschnittsthema, deshalb muss ganzheitlich gedacht und geplant werden. Die Veranstalterinnen und Veranstalter sollten daher alle Personen einbeziehen und informieren, die etwas zur Veranstaltung beitragen. Das sind die Moderatorinnen und Moderatoren sowie die Referierenden, die zum Beispiel während ihrer Vorträge Folien beschreiben sollten, damit auch blinde Menschen alle Informationen bekommen. Aber auch das Service-Personal für Empfang, Garderobe und Catering muss sich auskennen. Zu einer Veranstaltung gehören ja auch Pausen, in denen ebenfalls ein inklusives Miteinander möglich sein sollte. Gibt es beim Catering beispielsweise ein Schild mit den Speisen, das auch Rollstuhlnutzende gut sehen und lesen können? Sind neben Stehtischen auch niedrige, unterfahrbare Tische vorhanden, an denen Menschen mit Rollstuhl bequem essen können? Dort sollten zugleich Stühle bereitstehen, damit sich alle aussuchen können, wo und mit wem sie gemeinsam essen möchten.
Dasselbe gilt für die Veranstaltungsräume. Dort müssen einerseits die Plätze gekennzeichnet sein, von denen aus die Gebärdensprachdolmetschenden und der Bildschirm mit der Schriftdolmetschung gut zu sehen sind. Das ist sehr wichtig für Menschen mit Hörbehinderung. Andererseits sollten sich aber alle Teilnehmenden ihre Plätze frei aussuchen können.
Wann und warum können Personen sich nicht aussuchen, wo sie sitzen möchten?
Ich habe schon erlebt, dass bei Veranstaltungen die Dolmetschung in Leichte Sprache auf bestimmte Bereiche im Raum beschränkt war. Es gab „Flüsterecken“, wo den Gästen mit Lernschwierigkeiten die Inhalte in Leichter Sprache von der dolmetschenden Person zugeflüstert wurden – oft in abgelegenen Ecken, wo es die übrigen Gäste nicht stören sollte. Das ist allerdings nicht inklusiv und kann sogar sehr unangenehm für die Personen sein, die die Leichte Sprache brauchen. Wir empfehlen, stattdessen mit Kopfhörern zu arbeiten, so wie beim Fremdsprachen-Dolmetschen auch. Dann können die Nutzerinnen und Nutzer ihre Plätze frei wählen – und je nach Bedarf die Kopfhörer auf- oder wieder absetzen. Auch die Plätze für Rollstuhlnutzende sollten im ganzen Raum verteilt sein.
Gibt es weitere typische „Fettnäpfchen“, die unerfahrene Veranstalter:innen und ihre Teams vermeiden sollten?
Wenn Menschen einen Blindenführ- oder Assistenzhund mitbringen, wollen die Personen des Service-Teams den Hund häufig begrüßen. So etwas ist sehr nett gemeint, aber die Tiere sind hochkonzentriert, während sie arbeiten. Deshalb dürfen sie nicht ungefragt gestreichelt oder gar gefüttert werden. Menschen sollten auch den Augenkontakt mit den Hunden vermeiden. Die Tiere müssen trotzdem mit Wasser versorgt werden, im Catering-Bereich sollte für die Pause also ein Wassernapf bereitstehen.
Wenn es um Barrierefreiheit geht, wird meistens auch über Kosten gesprochen. Sind barrierefreie Veranstaltungen wirklich teurer?
Darauf möchte ich antworten: ‚Ja, aber.‘ Selbstverständlich bedeuten die Dienstleistungen von Dolmetschenden oder die zusätzliche Technik – etwa ein separater Funkkanal für die Leichte Sprache – zusätzliche Kosten im Vergleich zu Veranstaltungen, bei denen nicht auf Barrierefreiheit geachtet wird. Durch Bedarfsabfragen und frühzeitige Anfragen bei den Dienstleistenden lassen sich diese Kosten in der Regel aber reduzieren. Doch viele Aspekte von Barrierefreiheit kosten gar kein zusätzliches Geld, etwa die Suche nach einem barrierefreien Veranstaltungsort oder ausreichend hohe Kontraste bei den Einladungskarten oder E-Mails, damit sie für Menschen mit Sehbehinderung gut zu lesen sind.
Kann eine hybride Veranstaltung – also eine Veranstaltung vor Ort, die auch digital übertragen wird – eine Alternative sein, falls sich analog keine Barrierefreiheit umsetzen lässt?
Veranstaltende sollten nicht auf ein hybrides Format ausweichen, weil sie keinen barrierefreien Raum gefunden oder womöglich gar nicht danach gesucht haben. Eine solche Veranstaltung kann durchaus mehr Teilhabe ermöglichen, zum Beispiel für Referierende und Gäste, die nicht anreisen könnten. Trotzdem sollten die Verantwortlichen sich immer vor Ort um Barrierefreiheit bemühen. Ihnen muss außerdem bewusst sein, dass hybride Veranstaltungen mehr Aufwand bedeuten.
Was ist wichtig, damit eine hybride Tagung gut funktioniert?
Zuallererst eine stabile Internetverbindung, außerdem sind gute Kameras und Mikrofone wichtig, um das Zwei-Sinne-Prinzip zu erfüllen – also sicherzustellen, dass auch Menschen mit Hör- oder Sehbehinderung alles verfolgen können. Die Veranstaltenden müssen außerdem vorab entscheiden, ob digital zugeschaltete Gäste sich an der Diskussion beteiligen können oder nur zuhören und zusehen sollen. Gerade bei barrierefreier Interaktivität stoßen hybride Formate nämlich oft noch an ihre Grenzen. Die Online-Teilnehmenden sollten sich nicht nur mit mündlichen Beiträgen, sondern auch per Text oder Video beteiligen können, damit es wirklich barrierefrei ist. Es braucht also entsprechend viel Personal, um die Fragen auf allen Kanälen zu beantworten. In jedem Fall müssen für die digital zugeschalteten Gäste Untertitel sowie die Deutsche Gebärdensprache und Leichte Sprache zugänglich sein. Es gibt dafür gute Lösungen, diese müssen aber technisch gut vorbereitet und bei der Auswahl der Videokonferenz-Software mitbedacht und vorab getestet werden. Wenn das erfüllt ist, kann ein hybrides Format großen Mehrwert erzeugen.