Vielfalt und Inklusion in Unternehmen messbar machen: Ein Forschungsprojekt der Internationalen Hochschule (IU)

Frau Prof. Rehfeld, Frau Prof. Würtemberger, was ist das Ziel Ihres Forschungsprojekts?

Rehfeld: Wir möchten ein Modell entwickeln, mit dem Unternehmen und andere Organisationen messen können, wie weit sie im Bereich Diversität (einfacher: Vielfalt) und Inklusion sind. Die Idee ist, dass die Verantwortlichen verschiedene Fragen beantworten und ihre Organisation dabei selbst einschätzen. Am Ende sollen sie eine Auswertung und im besten Fall auch Tipps für Verbesserungen bekommen.

Würtemberger: Es gibt zwar schon Modelle zum Thema, die aber englischsprachig und in der Regel kostenpflichtig sind. Viele sogenannte Audits – also Verfahren, mit denen Unternehmen sich prüfen und zertifizieren lassen können – sind für Mittelstandsbetriebe viel zu teuer. Das Ergebnis unseres Projekts soll deutschsprachig und frei zugänglich sein. Wir arbeiten dafür mit dem Verein „Charta der Vielfalt“ zusammen, in dem sich Arbeitgebende zusammengeschlossen und dazu verpflichtet haben, sich für mehr Vielfalt in der Arbeitswelt einzusetzen. Wir liefern die wissenschaftlichen Grundlagen. Der Verein wird die Ergebnisse und später auch das Modell auf seiner Website verfügbar machen. Denn das Modell ist für alle Unternehmen gedacht, egal wie groß und in welcher Branche sie tätig sind.

Der Begriff „Diversität“ wird viel gebraucht und oft sehr unterschiedlich ausgelegt. Wie definieren Sie ihn in Ihrem Projekt?

Rehfeld: Unsere Grundlage ist das Diversity Wheel (auf Deutsch: Rad der Vielfalt), das auf die Arbeit der Organisationsberaterinnen und Autorinnen Lee Gardenswartz und Anita Rowe zurückgeht. Der Verein der Charta macht mit diesem Rad verschiedene Aspekte sichtbar. Im innersten Ring stehen sieben Kerndimensionen: Alter, Ethnische Herkunft und Nationalität, Geschlecht und geschlechtliche Identität, Körperliche und geistige Fähigkeiten, Religion und Weltanschauung, Sexuelle Orientierung sowie Soziale Herkunft. Diese Aspekte haben wir bei unserer Arbeit im Blick. Wir verwenden deshalb übrigens die englischen Begriffe „Diversity“ und „Inclusion“. Das englische „Inclusion“ ist weiter gefasst als der deutsche Begriff „Inklusion“, es geht um alle Dimensionen von Vielfalt (Anm. der Redaktion: Anders als der deutsche Begriff beschreibt „Inclusion“ also nicht ausschließlich die Zusammenarbeit von Menschen mit und ohne Behinderung).

Was war für Sie der Anlass, sich diesem Thema zu widmen?

Würtemberger: Die Idee zu dem Projekt hat mit meinem beruflichen Hintergrund zu tun. Ich habe früher bei zwei Unternehmen gearbeitet, die beide Mitglied bei der „Charta der Vielfalt“ sind. Ich habe also schon lange Berührungspunkte mit dem Thema Diversität. Im Jahr 2022 habe ich an der IU angefangen, Katharina Rehfeld hat sich damals bereits mit Internationalem Personalwesen und Themen wie Diversity und Inclusion beschäftigt. Hier an der Internationalen Hochschule werden besonders zukunftsträchtige Forschungsideen unterstützt und die daraus resultierenden Forschungsprojekte finanziell gefördert. Wir haben die Gelegenheit gesehen, nach meinen praktischen Erfahrungen auch wissenschaftlich zum Thema Diversität zu arbeiten. Für das Projekt haben wir dann die Kooperation mit der „Charta der Vielfalt“ verabredet.

Wie gehen Sie bei Ihrer Arbeit am Projekt vor?

Rehfeld: Zurzeit führen wir Expert:innen-Interviews mit Personen, die sich in ihren jeweiligen Unternehmen mit Diversität und Inklusion beschäftigen. Dabei sprechen wir über den gesamten sogenannten Employee Life Cycle (auf Deutsch: Mitarbeiter-Lebenszyklus): von der Bewerbung über den Start und die Entwicklung im Unternehmen bis zu dem Moment, in dem Mitarbeitende das Unternehmen wieder verlassen. Wir fragen für jede dieser Stationen, was aus Sicht der Expert:innen das Minimum in Bezug auf Vielfalt und Inklusion wäre, welche Empfehlungen sie für eine gute Praxis geben würden und wie der Idealzustand aussähe. Daraus wird sich später ein Stufenmodell ergeben, auf denen Unternehmen anhand ihrer Selbsteinschätzung eingeordnet werden.

Würtemberger: Das Modell und die Einstufung sollen Sicherheit und Orientierung bieten, und zwar anhand von klaren Kriterien, die jede:r auf der Website der Charta finden und nachlesen kann. Wir sehen in unserer Arbeit, dass Unternehmen sich selbst oft sehr unterschiedlich einschätzen. Einige sind sehr engagiert und nutzen Diversität für ihre Arbeitgebermarke – sie tragen das Thema also stark nach außen, um sich für mögliche neue Mitarbeiter:innen interessant zu machen. Andere Firmen machen auch schon sehr viel, tragen das aber weniger nach außen. Sie trauen sich dann oft noch nicht, die „Charta der Vielfalt“ zu unterzeichnen, weil sie denken, ihr Engagement reicht noch nicht. Hier möchten wir mehr Klarheit schaffen, damit Unternehmen ihren „Reifegrad“ besser einordnen können.

Wie haben Sie passende Expert:innen für die Gespräche gefunden?

Rehfeld: Das Team der Charta hat uns unsere Interview-Partner:innen vermittelt und sichergestellt, dass die Personen sich wirklich mit dem Thema auskennen. Die Expert:innen kommen nicht nur aus den großen Unternehmen, die Mitglied der Charta sind und häufig befragt und zitiert werden. Es sind auch Personen aus kleinen und mittelständischen Unternehmen dabei, weil wir ein breites Bild bekommen möchten. Uns geht es dabei nicht nur darum, was die jeweiligen Unternehmen schon tun. Die Expert:innen wissen oft mehr, als sie schon konkret umsetzen können. Dieses Wissen möchten wir auch einbeziehen, um den Nutzer:innen unseres Modells später möglichst viele Empfehlungen mitgeben zu können.

Können Sie schon Beispiele für solche Empfehlungen nennen?

Würtemberger: Es beginnt immer mit der Haltung. Wir sehen oft, dass auch in kleinen Betrieben viel möglich ist, wenn die Geschäftsführung hinter dem Thema steht und das auch klar zeigt. Ein Unternehmen kann beispielsweise seine Werte in einem Dokument aufschreiben, das alle Mitarbeitenden kennen und neue Kolleg:innen unterschreiben müssen. Das kostet kein Geld, ist aber wichtig für alles, was dann im Arbeitsalltag passiert. Entscheidend ist, dass die Verantwortlichen einem möglichen Fehlverhalten wirklich nachgehen. Sie dürfen nicht konfliktscheu sein, sondern müssen zeigen, dass es ihnen ernst ist.

Rehfeld: Wir haben in unseren Gesprächen festgestellt, dass viele Unternehmen wirklich schon viel tun, oft aber nicht bewusst unter der Überschrift „Diversität und Inklusion“. Ein kleiner Betrieb legt beispielsweise viel Wert darauf, geschlechtergerechte und inklusive Sprache zu verwenden. Die Verantwortlichen formulieren zum Beispiel Stellenanzeigen so, dass sie alle ansprechen – das ist die Voraussetzung dafür, dass sich auch tatsächlich Menschen mit verschiedensten Hintergründen bewerben und das Team vielfältig werden kann. Wer sich damit noch nicht gut auskennt, kann Stellenanzeigen auf einer Website der Technischen Universität München kostenlos prüfen lassen. Und die Verantwortlichen können natürlich auch auf die Zahlen schauen und prüfen, wie das Geschlechterverhältnis unter den Mitarbeitenden ist und wie viele Menschen mit Beeinträchtigungen schon im Unternehmen arbeiten. Das kann der Geschäftsführung Anregungen geben, mit welchen Maßnahmen sie sich für ein vielfältigeres Team einsetzen kann.

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