„Ich war immer der komische Kauz“

Erst seit 2016 weiß Freimut Kahr, dass er autistisch ist. Davor wusste er lange Zeit nicht, warum er sich so oft als Außenseiter fühlte. In der Schule war er „immer der komische Kauz“, sagt er, soziale Kontakte fielen und fallen ihm schwer. Auch die vielen Reize in seiner Umwelt sind für ihn anstrengend: Gespräche im Hintergrund, klingelnde Telefone, raschelndes Papier.

Sein Einstieg ins Berufsleben war deshalb nicht so einfach. Vor seinem aktuellen Job arbeitete er eine Zeit lang als Korrektor, verlor die Stelle aber wieder. Die Agentur für Arbeit vermittelte ihm immer wieder neue Arbeitsplätze, doch die Bewerbungsgespräche und der Kontakt mit Kund:innen stressten ihn einfach zu sehr.

Schließlich stellte sich heraus, dass er Asperger-Autist ist, und durch die Diagnose tat sich eine neue Chance für den 47-Jährigen auf. Der Integrationsfachdienst Bremen (IFD) vermittelte Freimut Kahrs gezielt an seinen heutigen Arbeitgeber, ein kleines IT-Unternehmen in Bremen. Dort kann er so arbeiten, wie es für ihn gut passt. Er kann zum Beispiel Ruhepausen einlegen und dafür einen Rückzugsraum nutzen, wenn die Reize zu viel werden. In den ersten Tagen begleitete ihn außerdem eine Betreuerin des IFD Bremen. Dadurch zerstreuten sich die anfänglichen Ängste recht schnell – und Freimut Kahrs und sein Arbeitgeber sind miteinander sehr zufrieden.




Wie der Kunstmarkt inklusiver werden könnte

Bei „Touchdown 21“ arbeiten Menschen mit und ohne Down-Syndrom zusammen. Sie sammeln zum Beispiel Informationen über das Down-Syndrom und bereiten sie auf, vernetzen Forschende aus der ganzen Welt und unterstützen sich gegenseitig bei ihrer eigenen Arbeit. Mit dabei sind auch einige Künstler:innen, die sich in Workshops über ihre Werke und Ideen austauschen und vom Netzwerk des Projekts profitieren.

Für Katja de Bragança, die mit dem Goethe-Insititut über das Thema gesprochen hat, ist die Vermittlung von Kontakten zu Museen und anderen Ausstellungsorten eine gute Möglichkeit, Künstler:innen mit Behinderung zu unterstützen. Warum auch Geld und eine gute persönliche Verbindung wichtig sind, erklärt sie im Interview, das es hier zu lesen gibt:




Wie offen gehe ich am Arbeitsplatz mit meiner Behinderung um? Ein Selbsttest hilft bei der Entscheidung

Laut Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB) verschweigen viele Menschen mit Schwerbehinderung diese am Arbeitsplatz lieber – aus Angst vor Nachteilen. Andersherum können Arbeitgeber:innen ihren Pflichten gegenüber Angestellten mit Behinderung nur dann nachkommen, wenn sie darüber Bescheid wissen. Eine Zwickmühle, die auch rechtlich nicht eindeutig geklärt ist.

Gerade wer keine sichtbare Behinderung hat, steht im Laufe der Karriere wahrscheinlich irgendwann vor der Entscheidung: Sag ich’s – oder nicht? Die Antwort auf diese Frage hängt von vielen verschiedenen Faktoren und der individuellen Lebenssituation ab.
Die Uni Köln hat im Rahmen eines Forschungsprojektes einen Selbsttest für Menschen mit chronischer Erkrankung oder Schwerbehinderung im Job entwickelt, um bei der Entscheidung zu helfen. Der Test steht kostenlos auf der Website „Sag ich’s? Chronisch krank im Job“ zur Verfügung und fragt detailliert ab, wie die persönliche und die berufliche Situation aussieht. Zum Beispiel: Wie ist das Verhältnis zu Vorgesetzten, Kolleg:innen, Arbeitgeber:innen? Was sind die persönlichen Bedürfnisse am Arbeitsplatz, was ist dort schon vorhanden? Wie gehe ich anderen gegenüber mit für mich sehr persönlichen Informationen um? Wie wichtig ist es mir, ich selbst sein zu können? Wenn ich anderen gegenüber offen war, welche Erfahrungen habe ich damit gemacht?

Die Testergebnisse werden am Schluss sofort anschaulich mit einer Auswertung aufbereitet und können auch als PDF heruntergeladen werden. Außerdem gibt es hilfreiche Tipps für weitere Beratung und Unterstützung.




Podcast-Tipp »Sag’s einfach«: „Mari Lang, warum bist du nicht behindert?“

Zu Besuch bei „Sag’s einfach“ ist in einer Folge die Journalistin und Autorin Mari Lang, die selbst den Podcast „Frauenfragen“ moderiert. Der Name ist dabei Programm: Sie stellt Männern Fragen, die sonst nur Frauen zu hören bekommen. Zum Beispiel: „Wie lassen sich Kinder und Karriere vereinbaren?“ oder „Wie ist das mit den Falten und dem Älterwerden?“.

Mari Langs Idee hat den Journalist:innen von „andererseits“ so gut gefallen, dass sie die Autorin eingeladen und deren Konzept für ihren „Sag’s einfach“-Podcast in etwas abgewandelter Form übernommen haben. Moderatorin Yuria Knoll fragt Mari Lang zum Beispiel: „Wie wohnst du?“, „Hast du Hilfe in deiner Wohnung?“ oder „Warum bist du nicht behindert?“.

Das ungewöhnliche Interview zeigt, wie absurd viele der oft gestellten Fragen sind. Die beiden Frauen tauschen sich in dem hörenswerten Gespräch außerdem darüber aus, wie es ist, nicht zur Mehrheitsgesellschaft zu gehören, und welche Parallelen es zwischen sexistischen und behindertenfeindlichen Aussagen gibt.

Die ganze Folge könnt ihr euch hier anhören.




Recht auf Bildung und Arbeit für alle: Wege aus der Werkstatt

Als die Werkstätten in den 60er-Jahren geschaffen wurden, sollten sie Menschen mit Behinderung eigentlich auf den Arbeitsmarkt vorbereiten – aber nie selbst einer werden. Das ist heute aber der Fall. Nur ein Prozent der Beschäftigten dort gelingt der Weg auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. Die anderen 99 Prozent, also gut 320.000 Menschen, erwirtschaften in den Werkstätten einen gesammelten Umsatz von rund acht Milliarden Euro. Sie bekommen dafür aber weniger als den Mindestlohn.

Das ist ungerecht, sagen Menschen wie der YouTuber Lukas Krämer, einer von mehreren Interviewpartner:innen, mit denen ZEITOnline zu diesem Thema gesprochen hat. Die Menschen in den Werkstätten werden am Umsatz nämlich nicht beteiligt. Im Jahr 2019 verdienten sie durchschnittlich 207 Euro pro Monat.

Die Vereinten Nationen forderten Deutschland deshalb schon 2015 auf, die Werkstätten nach und nach zu schließen. Das löse die Probleme der Beschäftigten allerdings auch nicht, fürchtet der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung Jürgen Dusel, der im Artikel ebenfalls zu Wort kommt. Im Gegenteil: Viele würden so in die Beschäftigungslosigkeit stürzen. Das habe in Großbritannien beobachtet werden können, als dort innerhalb kurzer Zeit die Werkstätten geschlossen wurden. Aber auch Dusel fordert eine Reform des Systems hin zu einer fairen Bezahlung und einem einfacheren Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt*. Für letzteres soll ab diesem Jahr eine zentrale Ansprechstelle geschaffen werden (Anm. d. Red.: siehe auch unser Interview mit Dagmar Greskamp von der Aktion Mensch).

Eine gesetzliche Regelung in Deutschland sollte den Absturz in die Beschäftigungslosigkeit eigentlich sowieso verhindern, was aber nicht funktioniert. Die so genannte Beschäftigungsquote sieht vor, dass Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeiter:innen fünf Prozent der Stellen mit Menschen mit Behinderung besetzen müssen. Viele halten sich aber nicht daran und zahlen lieber eine monatliche Abgabe als „Strafe“. Diese wiederum ist mit 140 bis 360 Euro (ab 2022) relativ niedrig. Damit wird niemand abgeschreckt, sagt Jürgen Dusel.
Lukas Krämer arbeitete selbst fünf Jahre lang in einer Werkstatt. Auch er setzt sich nun für eine Reform ein und fordert, dass Beschäftigte dort den Mindestlohn gezahlt bekommen.

Dieser ZEITOnline-Artikel (Z+ – lesbar für 1 € als 4-Wochen-Probeabo) erklärt das Dilemma der Werkstätten, lässt Expert:innen zu Wort kommen und zeigt an den Geschichten von drei Menschen mit Behinderung, wie der Weg von der Werkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt dennoch gelingen kann.




Inklusionsunternehmen im Gespräch: Folge 4 des Live-Talk-Formats „Stark für Inklusion“

Inklusionsunternehmen sind eigentlich gewöhnliche Betriebe. Sie wirtschaften also gewinnorientiert und müssen auf dem freien Markt bestehen. Anders als andere Unternehmen setzen sie dabei aber besonders auf Vielfalt und stellen die Stärken ihrer Mitarbeiter:innen bewusst in den Vordergrund, anstatt auf Schwächen und Defizite zu schauen.
In Inklusionsbetrieben arbeiten Menschen mit und ohne Schwerbehinderung gleichberechtigt und auf sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen zusammen. Außerdem ist der Anteil der Belegschaft mit Schwerbehinderung mit 30 bis 50 Prozent besonders groß.

In Westfalen gibt es aktuell rund 170 solcher Betriebe, die insgesamt rund 4.300 Menschen beschäftigen. 2.200 davon haben eine Schwerbehinderung. Weil die Firmen damit einen sehr wichtigen Beitrag zur Inklusion auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leisten, werden sie besonders gefördert und unterstützt.
Wie genau das funktioniert und was die aktuelle Situation ist, erklären Michael Wedershoven und Ulrich Adlhoch im Interview:




„Irgendwann möchte ich unabhängig von meinen Eltern leben“

Melanie Strasser lebt mit Rollstuhl, sie spricht langsamer und undeutlicher als andere und kommuniziert deswegen lieber schriftlich. Die Agentur für Arbeit riet ihr deshalb, in einer Werkstatt für behinderte Menschen anzufangen oder sich gleich arbeitslos zu melden.

Melanie Strasser befolgte diesen „Rat“ aber nicht. Gemeinsam mit ihrer Mutter fand sie selbst einen Ausbildungsplatz und ließ sich zur Kauffrau für Büromanagement weiterbilden. Sie zog in ein Internat, sammelte erste praktische Erfahrungen und fand schließlich einen passenden Job. Nach einem dreimonatigen Praktikum bei einer Bildungs- und Begegnungsstätte bekam sie dort eine feste Stelle. Ihr nächster Wunsch steht auch schon fest: So viel zu verdienen, dass nicht mehr bei ihren Eltern wohnen muss.




Expert:innen in eigener Sache: Dozierende mit Behinderung als Inklusionstrainer:innen

Am Annelie-Wellensiek-Zentrum für inklusive Bildung an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg lehren und forschen Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam. Anna Neff, Helmuth Pflantzer und Thorsten Lihl sind drei der sechs neuen Dozent:innen mit einer geistigen oder körperlichen Behinderung.
Vor ihrer Anstellung an der Hochschule haben sie alle in einer Behindertenwerkstatt gearbeitet. Sie qualifizierten sich dann im Rahmen des Projektes „Inklusive Bildung Baden-Württemberg“ innerhalb von drei Jahren zur Bildungsfachkraft weiter und wechselten im November 2020 an das Annelie-Wellensiek-Zentrum.

Jetzt haben sie ein eigenes Büro, werden nach Tarif bezahlt und sind gleichwertige Mitarbeitende. Das ist bisher einmalig an deutschen Hochschulen.

In ihren Seminaren erzählen die Dozent:innen ihren Studierenden von ihrem Leben mit Behinderung. Wie es dazu gekommen ist, welchen Vorurteilen sie dadurch ausgesetzt werden und was sie sich von einer guten Inklusion wünschen. So soll die Inklusionskompetenz der angehenden Pädagog:innen gestärkt werden. Und das zeigt Wirkung. Viele Studierende haben vorher noch nie mit einem Menschen mit Behinderung gesprochen. Sie erkennen durch die Gespräche an der Uni, dass viele Menschen mit Behinderung oft eine komplexe Vorgeschichte haben, die nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist.

Dieser ZEIT-CAMPUS-Artikel (mit Abo lesbar) zeigt am Beispiel der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, wie alle von Inklusion profitieren können und erklärt, welche Anreize dazu führen könnten, dass mehr Hochschulen Bildungsfachkräfte einstellen.




Aus Angst vor Nachteilen

Fatma Ismail aus Wuppertal, die mit Business Insider über das Thema ausführlich gesprochen hat, gehört zu den Menschen, die ihre Behinderung in ihrem beruflichen Umfeld lange verschwiegen haben. Aus gutem Grund: Bei ihrem ersten Vorstellungsgespräch bekam sie unverblümt zu hören, dass sie nur befristet eingestellt werden würde, weil sie einen Schwerbehindertenausweis hatte.

Der Hintergrund solcher harschen Aussagen ist meist, dass viele Arbeitgeber die Auflagen scheuen, die sie für Mitarbeitende mit Behinderung einhalten müssen: den besonderen Kündigungsschutz zum Beispiel oder den Anspruch auf einen behindertengerechten Arbeitsplatz. Die junge Frau ließ sich aber nicht entmutigen. Trotz frustrierender Erfahrungen setzte sie sich in ihrem Job durch. Die dreifache Mutter ist heute selbstständige Karriereberaterin und arbeitet als Produktmanagerin in Teilzeit bei ihrem ersten Arbeitgeber.

Der Beitrag erzählt ihre Geschichte, gibt Einblicke in die Studie – und liefert Impulse für Unternehmen, die Menschen mit Behinderung beschäftigen.




ARD-Doku-Serie: „Von der Behindertenwerkstatt in den Hörsaal“

Die Frauen und Männer absolvieren am Institut für inklusive Bildung eine Qualifizierung zur Bildungsfachkraft, die drei Jahre dauert (mehr zum Institut in unserem Blog-Interview mit der Mitarbeiterin Sara Gross, Anm. d. Red.). Alle Teilnehmer:innen waren vorher in einer Werkstatt für behinderte Menschen beschäftigt und haben jetzt die Chance auf einen sozialversicherungspflichtigen Job auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Nach ihrer Ausbildung können sie sich an Hochschulen bewerben und den Studierenden dort als Dozent:innen die Perspektiven und Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung vermitteln.

Die Regisseurin Tabea Hosche hat für die Doku die angehenden Bildungsfachkräfte während des Bewerbungsverfahrens und der Qualifizierung begleitet. Daraus ist eine sehr schöne Serie mit vier Folgen entstanden, die jeweils 15 bis 20 Minuten dauern. Die Filme erzählen, wie die sieben Auszubildenden neue Stärken entdecken und entfalten, wie sie nach dem theoretischen Unterricht zum ersten Mal Studierende treffen, wie sie ihr erstes Seminar halten, aber auch, wie sie sich durch die Ausbildung privat weiterentwickeln und neue Freundschaften schließen.