Vom belegten Brötchen bis zur Autowäsche

Langeweile kennt Alexander Schneider in seinem Job im Hahme Frische Markt nicht. „Ich bekomme immer wieder neue Aufgaben. Das ist interessant und die Zeit geht schnell vorbei“, sagt der 47-Jährige mit fröhlicher Stimme. Meist hat er an der Waschanlage zu tun, die an den kleinen Supermarkt im Stemweder Ortsteil Haldem angeschlossen ist. Dort reinigt er die Wagen der Kunden und hält die Arbeitsgeräte in Schuss. Zwischendurch hilft er im Laden mit, sortiert Waren in die Regale ein oder wischt den Boden.
Bevor er im Mai 2015 die Stelle im Frische Markt bekam, jobbte er in verschiedenen Berufen, unter anderem in der Metallbranche. Einen neuen Arbeitsplatz zu finden, war für den Osnabrücker nicht einfach, denn er humpelt mit dem rechten Fuß und muss zwischendurch immer wieder Pausen einlegen.

In seinem neuen Job ist das kein Problem. 22 der insgesamt 48 Mitarbeiter haben eine Beeinträchtigung. Die Marktleiterin Olga Bartel hat bei jedem einzelnen im Blick, was er leisten kann. „Manche Kollegen können trotz einer Sehschwäche auch an der Kasse arbeiten. Bei anderen klappt das nicht“, erklärt die 36-Jährige: „Die helfen dann beim Räumen oder schmieren Brötchen.“

Das Ziel: Jobs auf dem ersten Arbeitsmarkt

Der Supermarkt ist Teil des Integrationsunternehmens Servicehaus Stemwede gGmbH, dessen Mitarbeiter mit und ohne Behinderung den Kunden neben dem Service im Laden auch Malerarbeiten, Hauswirtschafts- und Hausmeisterservice sowie Gartenpflege anbieten. Geschäftsführer Lothar Pannen und der Verein Lebensperspektiven e. V. haben das Servicehaus Anfang 2008 gegründet. Das Ziel war vor allem, Beschäftigungsmöglichkeiten für die Bewohner des Stemweder Heilpädagogischen Kinderhauses auf dem ersten Arbeitsmarkt zu schaffen. In dieser Einrichtung betreuen Lothar Pannen und seine Mitarbeiter bis zu 140 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene; die meisten von ihnen haben psychische, geistige oder körperliche Behinderungen.
„Die Frage damals war: Wie können wir es schaffen, den jungen Menschen mit all ihren Problemen, aber auch Ressourcen eine Perspektive zu ermöglichen?“, beschreibt Pannen die große Aufgabe. „Wir können sie ja schlecht ohne Aussicht auf einen Arbeitsplatz zurück in ihre Heimatstädte ziehen lassen.“

Zwei Mitarbeiter reinigen die Scheiben und Felgen eines Autos vor
Zwei Mitarbeiter reinigen die Scheiben und Felgen eines Autos vor. Foto: Thorsten Arendt

Das Servicehaus ist nicht nur für die Mitarbeiter eine tolle Sache. Wer in dem vergleichsweise strukturschwachen Haldem wohnt, kann jetzt wieder vor Ort einkaufen. Der Supermarkt hat zum Beispiel Obst und Gemüse, Käse und Wurst, Nudeln, Tiefkühlpizza und Hygieneartikel vorrätig. Wegen der angeschlossenen Tankstelle hat dieser Teil des Unternehmens auch abends und sogar sonntags geöffnet. Das schätzen die Kunden besonders. „Gerade am Wochenende ist hier viel los“, sagt Olga Bartel. „Wenn alle anderen Geschäfte geschlossen sind, gibt es bei uns frische Brötchen und Grillfleisch.“

Immer mehr Kunden

Die Marktleiterin war von Anfang an dabei, sie hat den Supermarkt 2008 mit aufgebaut. „An unser Konzept mussten sich die Kunden anfangs noch gewöhnen“, sagt sie. Diese sollten zwar eigentlich so wenig wie möglich davon merken, dass sie in einem Integrationsbetrieb einkaufen. „Aber manchmal geht es eben an der Kasse doch etwas langsamer, wenn dort zum Beispiel ein Kollege mit Sehschwäche eingesetzt ist und viele Einkäufer da sind.“ Um solche Spitzen abzufangen, springt die Chefin auch mal selbst an der zweiten Kasse ein.

Wenn trotzdem einmal Kunden unzufrieden sind, spricht Olga Bartel sie direkt an und erklärt, warum es gerade länger dauert. Damit hat sie Erfolg. „Bisher ist es uns gelungen, jeden unserer Kunden zu halten. Es kommen sogar immer mehr. Auch nach fast neun Jahren steigern wir uns noch.“




Nur, wer alles versteht, kann überall mitmachen

Leichte Sprache ist weit mehr als nur eine Art, sich besonders einfach auszudrücken. Sie ist eine „Variation“ des Deutschen, die eigenen, strengen Regeln folgt. Die Idee dieses Konzeptes: Einen Text in Leichter Sprache soll jeder verstehen können, zum Beispiel auch Menschen mit geistigen oder Lernbehinderungen oder Menschen, die kaum Deutsch sprechen.

Es braucht viel Wissen und Übung, um auf diese Weise schreiben zu können und auch, um aus der Alltagssprache in die Leichte Sprache zu übersetzen. Außerdem müssen alle Texte immer sorgfältig geprüft werden, bevor sie veröffentlicht werden. Es gibt daher ganze Redaktionsbüros, die sich auf diese Arbeit spezialisiert haben, und eines davon stellen wir in diesem Film vor: Das Lebenshilfe Büro für Leichte Sprache Ruhrgebiet, das zugleich ein noch junges Inklusionsunternehmen ist.*



* Die Lebenshilfe musste den Inklusionsbetrieb „Büro für Leichte Sprache Ruhrgebiet“ inzwischen leider schließen. Hier erklärt sie, warum.




Viele Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung

Am 1. März findet in Münster eine Veranstaltung statt, die in Deutschland einzigartig ist: Die LWL-Messe der Integrationsunternehmen. Diese Art von Unternehmen ist etwas Besonderes, weil 25 bis 50 Prozent der Menschen, die dort arbeiten, eine Behinderung haben – gesetzlich vorgeschrieben sind für alle Firmen in Deutschland, die mehr als 20 Mitarbeiter haben, mindestens fünf Prozent. Integrationsunternehmen bieten also viele feste Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, müssen sich zugleich aber ebenso in der freien Wirtschaft behaupten wie andere Betriebe auch.

In der Region Westfalen, in der die Messe stattfinden wird, gibt es mittlerweile rund 160 solcher Firmen – in ganz Deutschland sind es 850. Ein großer Teil der westfälisch-lippischen Integrationsunternehmen stellt sich auf der Messe im März vor und drumherum wird es Aktionen, Seminare und Workshops geben. Sie sind für alle Besucher interessant, aber vor allem für junge Menschen mit Behinderung, die kurz vor dem Schulabschluss stehen, und für Gründerinnen und Gründer neuer Integrationsunternehmen oder -abteilungen.

Auf der Messe wird außerdem eine Wanderausstellung zu sehen sein, die Menschen mit Behinderung bei ihrer Arbeit in Integrationsunternehmen zeigt. Die Ausstellung war im Januar schon in Berlin in der NRW-Landesvertretung zu sehen und zieht im März weiter zur Messe. Bei einem großen „Get-Together“ rund um das Event tauschten sich Gründer und Geschäftsführerinnen von Integrationsunternehmen mit Verantwortlichen aus der Bundes- und Landespolitik aus. Zum Beispiel waren dabei: Fritz Baur, der Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsfirmen, Thomas Tenambergen vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, der LWL-Direktor Matthias Löb, der NRW-Landtagsabgeordnete Günter Garbrecht und Roland Matzdorf vom Landesministerium NRW für Arbeit, Integration und Soziales.

Bei der Veranstaltung lobte Verena Bentele, die Bundesbeauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderung, die Integrationsunternehmen als „eine wunderbare Möglichkeit, das Arbeitsleben kennenzulernen, sich selbst kennenzulernen, andere Menschen kennenzulernen, Erfolge zu feiern und neue Situationen zu meistern.“ Der LWL-Chef Matthias Löb ergänzte, dass die Zahl dieser Unternehmen in Westfalen-Lippe seit dem Jahr 2008 von 57 auf 158 gestiegen ist. Er sagte außerdem, dass „sich die Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung, die auf diese Weise neu entstanden sind, im gleichen Zeitraum auf 2000 verdreifacht“ haben: „Damit liegen wir im bundesweiten Vergleich an der Spitze.“ In ganz Deutschland sind zusammengenommen etwa 10.000 solcher neuen Arbeitsplätze entstanden. –




Ideen in allen Farben

„Ich möchte gerne einen bunten Frühlingsstrauß verschenken“, sagt der Mann, der direkt vor Katharina Wodrich steht. „Können Sie bitte auch Freesien reinbinden?“ Während er spricht, schaut ihm die 24-Jährige hinter dem Verkaufstresen bei Moderne Floristik Steinbrecher in Waltrop konzentriert ins Gesicht. Dann nickt sie lächelnd und zieht eine gelbe Freesie aus einer Vase. Dazu sucht sie weiße Ranunkeln, blaue Hyazinthen und Ginster aus. „Gefällt Ihnen das?“, fragt sie und sieht den Kunden wieder an. Die junge Frau ist auf einem Ohr taub, auf dem anderen hat sie nur noch drei Prozent Hörkraft. Dass der Mann mit ihrem Vorschlag zufrieden ist, liest sie von seinen Lippen ab.

Als Inhaberin Birgit Honvehlmann, die 22 Jahre lang beim Gründer-Ehepaar Otto und Erika Steinbrecher angestellt war, das Blumengeschäft Anfang 2014 übernahm, machte sie aus dem Laden ein Integrationsunternehmen. Neben Katharina Wodrich beschäftigt sie noch drei weitere Mitarbeiterinnen mit einer Behinderung. Für Wodrich war die Stelle in Waltrop ein Segen. „Das war schon mein Traumberuf, als ich noch im Kindergarten war“, sagt die gelernte Floristin.

Katharina Wodrich zieht zwei Metallwagen mit Blumentöpfen und Kisten darauf
Katharina Wodrich wollte schon als Kind Floristin werden. Foto: Thorsten Arendt

Deko für die BVB-Heimspiele

Ein ganz besonderer Auftrag steht alle paar Wochen an. Dann begleitet die junge Frau ihre Chefin nach Dortmund ins Stadion des BVB, zusammen mit weiteren Kolleginnen und Kollegen aus dem Blumengeschäft. Seit 2014 liefert Moderne Floristik Steinbrecher zu jedem Heimspiel die Dekoration für die VIP-Lounges. „Ich habe die innige Verbindung zu Borussia Dortmund von Otto Steinbrecher übernommen“, erklärt Birgit Honvehlmann. „Er hat schon lange vor meiner Zeit die Meisterwagen für den Verein geschmückt, mit denen sich die Mannschaft nach Titelgewinnen durch Dortmund fahren ließ.“

Birgit Honvehlmann gestaltet in einer VIP-Lounge beim BVB eine Schale mit weißen Orchideen
Das Team um Inhaberin Birgit Honvehlmann gestaltet die VIP-Lounges beim BVB in Dortmund. Foto: Thorsten Arendt

Beim Gestalten der Buffets und Tische können die Floristinnen ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Heute hat Honvehlmann zum Beispiel leuchtend gelbe Gerbera eingepackt, die sie als Tischdekoration zusammen mit Gras in Bierflaschen arrangieren will. Die Chefin bespricht letzte Details mit dem Team der BVB-Cateringabteilung, dann schieben ihre Mitarbeiterinnen die Blumen auf Rollcontainern ins Innere des Stadions. Sie arbeiten schnell und mit Präzision.

Themensträuße mit Liebe zum Detail

Zurück in Waltrop macht sich Stefanie Salewski, die ebenfalls mit beim BVB war, wieder an die Arbeit. Ihr Spezialgebiet sind Themen- und Ideensträuße. „Die sind bei unseren Kunden sehr beliebt“, sagt ihre Chefin. „Steffi versteckt in den Sträußen viele Details, arbeitet zum Beispiel kleine Zwiebeln oder Äste ein. Es gibt für die Kunden immer etwas zu entdecken, das gut zur Saison passt.“

Stefanie Salewski ist seit ihrer Geburt gehörlos und war die erste Mitarbeiterin mit Behinderung im Floristikunternehmen. Im Frühjahr 2013 brachte die heute 40-Jährige ihre Initiativbewerbung in den Laden, der damals noch von Gabriele Steinbrecher, der Tochter des Gründer-Ehepaars, geleitet wurde. Diese stellte Salewski als Aushilfe ein, 2014 bekam die junge Frau bei der neuen Inhaberin Birgit Honvehlmann eine halbe Stelle. Aus ihrem Betrieb ein Integrationsunternehmen zu machen, war für diese ein ganz natürlicher Schritt. „Meine Schwester hat schon lange Pflegekinder mit Behinderung, deshalb war das Thema für mich nicht neu“, erklärt sie. „Und durch einen Unfall oder eine Krankheit kann es jeden treffen. Deshalb sollten möglichst auch kleine Betriebe einen Beitrag leisten.“




Integration über Jahrzehnte

Als Sandra und Alexander Schwenk im Jahr 1995 die Wäscherei Kreft im Dortmunder Vorort Kirchhörde von den Vorbesitzern abkauften, wollten sie zunächst nur eine berufliche Existenz für sich selbst aufbauen. „Ich war als Außendienstmitarbeiter für die Firma meines Vaters unterwegs, der die Wäscherei als Kunden hatte“, erinnert sich Alexander Schwenk. „Als der Eigentümer relativ jung verstarb, fragte dessen Frau meinen Vater um Rat. Es gab dort ein besonderes Vertrauensverhältnis.“
Die Firma stand zum Verkauf – und Alexander Schwenk entschied sich nach längerem Überlegen, den Schritt zu wagen. Ehefrau Sandra, die als Arzthelferin einen guten Job hatte, stieg mit ein. Die beiden bauten den Betrieb stetig aus, heute hat sich die Anzahl der gereinigten Wäschestücke versiebenfacht. Zum Angebot zählen die klassische Hemdenwäsche für Privatkunden, aber auch Großaufträge für Unternehmen sowie spezielle Angebote, wie chemische, Teppich- oder Lederreinigung, und ein Änderungs- und Abholservice.

Engagement von Anfang an

Von der Idee eines Integrationsunternehmens waren sie damals noch weit entfernt – und es sollte bis zum Jahr 2010 dauern, bis die Wäscherei Kreft offiziell eine Integrationsabteilung eröffnen würde. Die Arbeit mit Menschen mit Behinderungen dagegen startete schon fast zu Beginn der Firmenübernahme. „Bei uns hat sich eine gehörlose Frau vorgestellt, deren Lebensgefährte mit Gebärden gedolmetscht hat. Wir waren so begeistert von ihr, dass wir es ausprobieren wollten“, sagt Alexander Schwenk. Der Versuch klappte, die junge Mitarbeiterin zeigte viel Engagement und bewies sich im Betrieb.
Keine alltägliche Erfahrung für die Gründer: „Es war schon damals nicht einfach, überhaupt gute Leute für diese Arbeit zu finden“, sagt Sandra Schwenk. Die Bezahlung in der Branche ist nicht sehr gut, der Alltag ist geprägt durch Schnelligkeit und immer wiederkehrende Tätigkeiten. In vielen Wäschereien arbeiten Frauen in Teilzeit. Das ist in dem eher wohlhabenden Dortmunder Stadtteil, in dem die Wäscherei Kreft ihren Hauptbetrieb hat, eher selten der Fall. „Für Mitarbeiterinnen aus anderen Stadtteilen würde sich die Anfahrt deshalb kaum lohnen.“

Zuverlässige und präzise Arbeit

Die Schwenks setzten schon immer auf Vollzeitstellen – und haben mittlerweile eine ganz besondere Beschäftigtenstruktur. „Wir haben ältere Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen mit Behinderungen in der Belegschaft.“ Eine Gruppe, die auf dem ersten Arbeitsmarkt sonst schwierig zu vermitteln ist. „Bei uns kommt es aber vor allem darauf an, dass die Beschäftigten zuverlässig und präzise arbeiten – und das zeigen unsere Kräfte jeden Tag.“ Eine Mitarbeiterin etwa sortiert gerade im großen Hauptraum die Wäsche eines Privathaushalts nach Farben und Stoffen, um die Waschtemperaturen festzulegen. Eine andere entnimmt mit geübtem Griff die exakt gefalteten und mit Namen bestickten Hemden der Köche eines noblen Restaurants. Eine dritte befestigt mit immer wieder denselben Handbewegungen Oberhemden am Bügelautomaten.
Damit das Unternehmen auch weiterhin betriebswirtschaftlich funktionieren konnte, haben die Schwenks im Jahr 2010 eine Integrationsabteilung gegründet. Das LWL-Inklusionsamt Arbeit finanzierte unter anderem Rollcontainer, einen Trocken- und Bügelautomaten und eine Laderampe. Ohne diese Arbeitserleichterungen wären manche Handgriffe für die Menschen mit Behinderung nicht zu leisten. Darüber hinaus erhält der Betrieb Einstellungsprämien sowie den Minderleistungsausgleich und Zahlungen für den erhöhten Betreuungsaufwand. Der vom LWL finanzierte Integrationsfachdienst half bei der Einarbeitung.

Um vor Überraschungen auf beiden Seiten gefeit zu sein, arbeiten sämtliche neuen Kolleginnen und Kollegen zunächst auf Probe: „Für zwei bis drei Monate“, sagt Sandra Schwenk, „wenn es dann funktioniert, stellen wir sie ein. Zunächst befristet auf ein Jahr, anschließend unbefristet.“ Die Befürchtung, Beschäftigte mit einer Behinderung im schlechtesten Fall nicht kündigen zu können, entkräftet Alexander Schwenk sofort. „Wir haben leider mit unserer ersten Mitarbeiterin mit Behinderung die schlechte Erfahrung gemacht, dass sie im Team nicht zurechtkam“, sagt der Chef. „Die Probleme haben wir sehr ernst genommen, uns auch Beratung vom Integrationsfachdienst geholt – aber am Ende mussten wir ihr kündigen, das Inklusionsamt hat die Zustimmung erteilt. Das war sehr schade, aber für den Betrieb und auch für sie war es das Beste.“

Um die Ecke denken

Um für alle Beteiligten das Optimale herauszuholen, müsse er manchmal auch um die Ecke denken, sagt Alexander Schwenk. Bei seinen Fahrern zum Beispiel: Mit Transportern bringen sie die Wäsche zu größeren Kunden wie der Catering-Firma von Borussia Dortmund. Schnell kommen einige hundert Kilogramm pro Tour zusammen. „Wir haben einen Kollegen, der nicht schwer tragen kann. Ihm gebe ich deshalb einen weiteren Mann mit, der die körperliche Arbeit übernimmt, aber selbst wegen einer Lernbehinderung keinen Führerschein hat.“ Aus zwei Kollegen mit Handicaps wird so ein leistungsstarker Mitarbeiter. „Das funktioniert aber nur, wenn beide Arbeitsplätze bezuschusst werden“, sagt Schwenk. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Zwei Menschen hätten ohne diese Idee wenig Chancen auf einen versicherungspflichtigen Arbeitsplatz. Bei der Wäscherei Kreft haben beide eine Stelle bekommen.




Der gute Geschmack

Schon an der Eingangstür der Firma Werner & Co. Gewürze strömt den Besuchern der Duft von Kardamom entgegen, dazu mischt sich Pfefferstaub, der in der Nase kitzelt. „Wir selbst riechen das kaum noch“, sagt Helmut Schulte, Inhaber und Geschäftsführer des Gelsenkirchener Traditionsunternehmens. Kein Wunder: Bis zu 30 Tonnen der verschiedensten Gewürze setzen die 30 Mitarbeiter jeden Tag um.

Sebastian Vollrath, der heute für die Mühle eingeteilt ist, hebt einen Sack auf die Schulter und kippt weiße Pfefferkörner in einen Trichter. Der 33-Jährige arbeitet zügig und geschickt; dass ihm an beiden Händen jeweils vier Finger fehlen, fällt erst auf den zweiten Blick auf. Seit seiner Geburt hat Vollrath nur seine beiden Daumen. Dank lebenslanger Übung kann er mit ihnen und dem Rest seiner Hände aber ebenso viel leisten wie die Kollegen.

Werner & Co. Gewürze hat seit 2010 eine Integrationsabteilung: Zehn der 30 Mitarbeiter haben eine Behinderung. Sebastian Vollrath ist froh, hier eine Chance bekommen zu haben. Vor gut anderthalb Jahren bewarb er sich initiativ. „Ich bin kein Typ für einen Bürojob, ich brauche immer Bewegung“, sagt der Essener.

Sebastian Vollrath füllt an einer Maschine Pfefferkörner in große weiße Tüten ab
Viele Chefs trauten Sebastian Vollrath körperliche Arbeit nicht zu. Foto: Thorsten Arendt

Eine pragmatische Entscheidung führt zum Erfolg

Seine Ausbildung zum Kaufmann für Bürokommunikation hat er nicht abgeschlossen, stattdessen Umschulungen zum Fliesenleger, Maurer und Lageristen absolviert und als Bauhelfer gejobbt. Auf eine Festanstellung hoffte er aber lange vergeblich. „Die Chefs haben mir körperliche Arbeit einfach nicht zugetraut“, sagt er. Helmut Schulte dagegen ging die Sache pragmatisch an. „Ich habe ihm gesagt, dass er beweisen muss, dass er den Job machen kann“, erklärt der 61-jährige Inhaber von Werner  & Co. Gewürze. „Es lief gut, und seitdem hat Bastian eine unbefristete Stelle.“

Für die Kunden hat die Tatsache, dass bei Werner Gewürze & Co. Menschen mit und ohne Behinderung zusammenarbeiten, noch nie eine Rolle gespielt. „Die schauen auf die Qualität, das ist das einzige, was für sie zählt“, sagt der Unternehmer. Ihm selbst ist das Konzept mittlerweile eine Herzensangelegenheit. Dabei hatte Schulte nie geplant, eine Integrationsabteilung zu gründen. „Das Arbeitsamt sprach mich an und fragte, ob ich nicht eine Stelle für einen Menschen mit Down-Syndrom hätte“, blickt der 61-Jährige zurück. „Ich sagte Ja – und dann stand ich zu meinem Wort.“

Helmut Schulte steht im Gewürzlager zwischen hohen Regalen und lacht in die Kamera
Helmut Schulte ist die Integrationsabteilung eine Herzensangelegenheit. Foto: Thorsten Arendt

Dieser Mann der ersten Stunde ist André „Andi“ Wilbert. Schulte stellte ihn vor 15 Jahren ein, trotz anfänglichen Widerstands einiger anderer Mitarbeiter. Wilbert hat das Down-Syndrom und braucht deshalb länger als seine Kollegen, um Arbeitsaufträge zu verstehen und umzusetzen. Damals stieß das nicht bei allen auf Verständnis, aber Schulte ließ nicht mit sich reden: „Ich habe den Mitarbeitern gesagt, sie können sich an Andi gewöhnen oder sie können gehen.“ Heute gehört André Wilbert ganz selbstverständlich dazu und führt seine Aufgaben routiniert aus. Er ist zufrieden mit seinem Job, und das zählt. „Die Arbeit macht Spaß“, sagt er. „Mit anderen Worten: Es läuft.“




Einfach machen und durch

Alexa Berndt packt an. „Wenn Tüten gepackt werden, dann bin ich da“, beschreibt die Münsteranerin ihren Job. „Wenn Tüten getackert werden, dann bin ich an der Tacker-Maschine. Auch, wenn bei der Montage jemand fehlt, bin ich da.“ Mit einem Wort: Die 37-Jährige arbeitet bei der Varia GmbH „überall“, sie rollt an jeden Arbeitsplatz, wenn dort ein Job zu erledigen ist.

„Ich weiß gar nicht, wie die hier ohne mich klarkamen“, lacht sie. Seit gut zwei Jahren pendelt Alexa Berndt in ihrem Rollstuhl zwischen Büro und Montagehalle der Varia GmbH hin und her. Sie verteilt Arbeitsaufträge an die Kollegen, bei den meisten davon geht es um Fahrrad-Gepäckträger, die Varia in Münsters Norden für die Tubus Carrier System GmbH montiert. Ein edles Produkt, sehr leicht und belastbar, so dass es „auch extreme Torturen nicht krumm nimmt“, wie es in der Werbung heißt. Varia ist ein Tochterbetrieb der Stift Tilbeck GmbH aus Havixbeck, die in den dortigen Baumbergen die ‚Tilbecker Werkstätten‘ betreibt. Die Firma selbst ist ein Integrationsunternehmen, das unter anderem vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe unterstützt wird und ein Team aus behinderten und nicht-behinderten Mitarbeitern beschäftigt.

Tubus als Auftraggeber von Varia ist gleich auf der anderen Straßenseite angesiedelt. Das Unternehmen, das seit zwei Jahrzehnten hochwertige Fahrradgepäckträger-Systeme herstellt und weltweit als führender Hersteller auf diesem Markt gilt, ist von sich überzeugt – und gibt deshalb auch 30 Jahre Garantie auf die Träger. „Wir montieren hier bei Varia 3000 bis 4000 Gepäckträger in der Woche für Tubus. Ich hab’s selber nicht geglaubt, als ich diese Zahl gelesen habe“, sagt Alexa Berndt. Tubus-Chef Peter Ronge und sein Team verlassen sich ganz auf Varia und darauf, dass die Mitarbeiter dort die Gepäckträger sorgfältig zusammensetzen, sie etwa mit einer Federklappe versehen, ein Namensschild darauf kleben und die Rücklichter einbauen. Erst diese Endmontage des Produkts, die hier erledigt wird, verwandelt die Ware in die vom Kunden bestellten Varianten. Die Einzelteile dafür werden in China hergestellt.

Vor 15 Jahren hatte Alexa Berndt Glück im Unglück. Sie überlebte damals einen schweren Autounfall, bei dem ihr damaliger Freund am Steuer saß. Seither ist sie querschnittsgelähmt und lebt mit Rollstuhl. „Wir sind richtig in den Graben rein und haben uns überschlagen. Ihm ist nichts passiert.“ Sie bemüht sich, nüchtern zu klingen, als sie weiter erzählt, dass ihr damaliger Freund sie nach dem Unfall verlassen hat. Er war nicht der Einzige: „Von meinen besten Freunden von damals sind mir nur zwei geblieben“, sagt sie bitter.

Umschulung zur Bürokauffrau

Bevor ihr das passiert ist, hatte sie kaum bis keinen Kontakt zu Menschen mit Behinderung, erzählt sie. „Die eigene Weltsicht ändert sich nach so einer Veränderung aber ganz schlagartig, man sieht alles ganz anders. Zum Beispiel sieht man jede Bordsteinkante, denn das ist immer ein potentielles Hindernis. Ich habe früher, vor meinem Unfall, selbst ab und zu auf einem Behindertenparkplatz geparkt. Deshalb rege ich mich heute auch nicht so sehr auf, wenn einer ohne Behinderung darauf steht. Ich kenne beide Seiten,“ sagt sie. Damals musste sie trotzdem mit erleben, wie Freunde sagten: Die kann keine Party mehr machen, die kann nirgendwo mehr mit hin. Heute kämpft Alexa Brandt gegen diese Sichtweise. „Natürlich kann man auch mit einer Behinderung ganz viel machen!“ Zum Beispiel im Beruf eine Umschulung zur Bürokauffrau, so wie sie: „Einfach machen und durch“, sagt sie heute. Bis vor kurzem hat sie sogar noch fünf Stunden mehr bei Varia gearbeitet als jetzt. Inzwischen braucht ihr achtjähriger Sohn sie mehr zu Hause, denn er geht nun in die dritte Schulklasse. „Jetzt wird’s ernst!“, lacht die 37-Jährige, denn sie muss den Jungen jetzt regelmäßig bei den Hausaufgaben unterstützen.

Alexa Berndt hat ihr Leben und ihre Arbeit mit der Behinderung gut organisiert. Sie wohnt zusammen mit ihrem Ehemann und ihrem Sohn mitten in der Stadt im Haus ihrer Oma, in der dritten Etage, unterhalb der Wohnung ihr die Eltern. Das Haus wurde mit einem Aufzug ausgestattet, so dass die 37-Jährige sich frei bewegen kann. Morgens um kurz nach 8 Uhr rollt sie mit ihren Auto bei Varia vor, holt den Rolli aus dem Wagen – und der Arbeitstag kann starten. Sie freut sich täglich, dass sie mit Varia-Betriebsleiter Martin Arning so gut zusammenarbeiten kann. Vorher hat sie in einer Großwäscherei in der Verwaltung gearbeitet, über das Internet fand sie den neuen Job bei Varia. „Ich fühlte mich hier gleich wohl und bin sehr froh, dass ich diesen Schritt gewagt habe.“

Alexa Berndt und Varia-Betriebsleiter Martin Arning sitzen nebeneinander und lächeln in die Kamera.
Die gelernte Bürokauffrau Alexa Berndt freut sich über die Zusammenarbeit mit Varia-Betriebsleiter Martin Arning. Foto: Thorsten Arendt

In der Varia GmbH hat Alexa Berndt zehn Kollegen, zählt Martin Arning auf, davon haben sieben eine Behinderung. Zusammen mit weiteren Kollegen arbeiten sie in der Endmontage, wo sie 84 verschiedene Gepäckträger-Modelle zusammenbauen. An einer scheinbar endlos langen Hallenwand hängen alle Modelle – eine beeindruckende Vielfalt. Bis 2008 fand die Endmontage noch in Tilbeck statt: „Dort haben wir die ersten Träger montiert. Danach hat sich das so langsam aufgebaut,“ erklärt der Betriebsleiter. Heute pendeln Werkstattmitarbeiter nach Münster zu Varia, um dort zu arbeiten. Diese räumliche Nähe zwischen Auftraggeber und Dienstleister hat zugleich viele logistische Probleme gelöst: Es gibt heute gemeinsame Teams von Varia- und Tubus-Mitarbeitern. „Das geht nahtlos ineinander über, da sind wir ganz flexibel.“ So wie Alexa Berndt, die schlagfertig sagt: „Ich hab hier ‚All-in‘ gebucht, im Büro und in der Produktion. Das war die Einstellungsbedingung: Du darfst überall arbeiten, du bist die Frau für alles.“




Inklusion im ältesten Haus Wiedenbrücks

Kuchen verkaufen: Das macht Ann-Sophie Bathe am liebsten. „Heute haben wir Käsekuchen, Apfelkuchen, Kirsch-Krokant und Mandarine-Maracuja“, zählt sie auf. Die zierliche junge Frau mit der roten Schürze steht hier entweder hinter der Kuchentheke oder bringt den Gästen Kaffee an den Tisch. Zwischendurch verpackt sie kleine Nussecken für den Verkauf und verschließt die durchsichtigen Tütchen sorgfältig mit roten Schleifen.

Die 28-Jährige ist eine von sieben Mitarbeitern mit Behinderung im Inklusionsunternehmen Café Anker Villa in Rheda-Wiedenbrück. Sie hat starke Lernschwierigkeiten, vor allem Mathematik ist ihr immer schwergefallen. Deshalb hat sie mit Zahlen ihre Probleme, Abläufe und Daten kann sie sich ebenfalls schlecht merken. Doch ihr größtes Handicap, sagt die junge Frau, ist ihre Schüchternheit. „Ich bin manchmal sehr unsicher und ich traue mich viele Sachen nicht“, erzählt sie. „Am liebsten würde ich mich dann in mein Schneckenhaus zurückziehen.“

„So, wie ich bin“

Nach der Schule machte Ann-Sophie Bathe eine Ausbildung zur Restaurant-Fachgehilfin im Hotel Aspethera in Paderborn, das wie die Anker Villa ein Inklusionsbetrieb ist. Für den neuen Job zog die gebürtige Soesterin nach Rheda-Wiedenbrück, wo sie heute zwanzig Stunden pro Woche arbeitet. Ihre Wohnung liegt zwei Kilometer vom Café entfernt, den Weg fährt sie jeden Tag mit dem Fahrrad.

Die Stelle war ein Glücksfall, findet die 28-Jährige: „Meine Kollegen nehmen mich so an, wie ich bin. Und wenn mal was schiefgeht, geht es eben schief.“ Vor allem, wenn es im Café voll wird, meldet sich die Unsicherheit – dann braucht Ann-Sophie Bathe auch mal eine Pause. „Die Kollegen hier respektieren das aber und helfen, solche Stresssituationen zu überbrücken“, sagt ihre Chefin Wiltrud Schnitker, die zugleich feststellt, dass sich ihre neue Mitarbeiterin mit der Zeit sehr entwickelt hat: „Sie wird immer mutiger und selbständiger.“

Inklusionsbetrieb seit 2009

Der Weg zum Inklusionsunternehmen war für die 53-Jährige nicht von Anfang vorgezeichnet. Vor 19 Jahren eröffnete sie das Café in der Anker Villa, dem ältesten Gebäude in der Stadt, gemeinsam mit ihrem Mann, der 2008 schwer erkrankte und zwei Jahre später starb. „Die Arbeit war allein einfach nicht mehr zu schaffen“, sagt Wiltrud Schnitker. Sie hatte damals Glück im Unglück: Die Evangelische Stiftung Ummeln in Bielefeld, die sich seit den siebziger Jahren in der Behindertenhilfe engagiert, übernahm das Gebäude und das Café. 2009 fiel die Entscheidung, den Betrieb als Inklusionsunternehmen neu zu gründen – mit Wiltrud Schnitker als Leiterin.

Ann-Sophie Bathe geht schnell mit einem Tablett durchs Café.
Auch hektische Situationen meistert Ann-Sophie Bathe gut. Foto: LWL/Arendt

Den Grund für diese Übernahme erklärt Lisa Kübler, die seit Anfang 2010 für die Stiftung als Projektmanagerin des Cafés arbeitet, so: „Neben unseren Werkstätten wollten wir für Menschen mit Behinderung auch Arbeitsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.“ Ein Traumjob für die 32-Jährige, die nach ihrer Ausbildung zur Erzieherin ein Sozialmanagement-Studium absolviert hat. „Es macht Spaß, zu sehen, wie zufrieden Ann-Sophie und die Kollegen hier sind“, erzählt sie. Kübler stellte beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe, beim Land Nordrhein-Westfalen, bei der Aktion Mensch und der Stiftung Wohlfahrtspflege die Förderanträge für den Umbau der Anker Villa. Jetzt kümmert sie sich um die Personalplanung und kommt zwei bis drei Mal im Monat zu Teamgesprächen nach Rheda-Wiedenbrück.

Die Skepsis legte sich schnell

Seit der Neueröffnung laufen die Geschäfte gut. „Wir haben umgebaut“, sagt Wiltrud Schnitker. „Nur das Holzparkett ist geblieben, das komplette Innenleben ist neu.“ Schwere dunkle Holzbalken, Sitzpolster in warmen Rot-, Orange- und Gelbtönen und ein riesiger Stoff-Kronleuchter, der über drei Etagen reicht, schaffen eine gemütliche Atmosphäre.

Die Flex-Treppe, die seit dem Umbau vom großen weißen Holztor am Eingang bis ins Innere führt, hilft Rollstuhlfahrern beim Zugang zum Café: Auf Knopfdruck klappen die Treppenstufen hoch und verwandeln sich in ein ebenes Podest, das als Aufzug genutzt werden kann. Zu Anfang war der Erfolg noch nicht absehbar, denn die Rheda-Wiedenbrücker begegneten dem Inklusionsprojekt eher skeptisch. „Was macht ihr da eigentlich?“, fragten sie, wie sich Lisa Kübler erinnert. „Es gingen Gerüchte um, dass das Café ausschließlich für Menschen mit Behinderung gedacht sei.“ Es dauerte eine Weile, bis die Nachbarn mit dem neuen Konzept warm wurden. Ähnlich erging es Wiltrud Schnitker und ihren nicht-behinderten Mitarbeitern. Nur wenige im Team hatten Erfahrung darin, mit Menschen mit Behinderung zu arbeiten. „Wir hatten schon Berührungsängste“, erzählt die Chefin sehr offen, die von der Evangelischen Stiftung Ummeln mit Fachtagen und kontinuierlicher Beratung unterstützt wird. Inzwischen ist die Belegschaft aber sehr gut zusammengewachsen. „Ich bin angenehm überrascht, auch von mir selbst, wie viel Geduld ich habe“, sagt sie und lacht. Auch Ann-Sophie Bathe lächelt: „Wir sind ein super Team.“




Für die Kunden auf Achse

Mit schnellen Schritten eilt Cira Franke durch die langen Gänge des Edeka Marktes, der etwas außerhalb der Gemeinde Kirchlengern liegt. Direkt hinter ihr läuft Christina Klocke. Sie schiebt einen kleinen Rollwagen, auf dem eine halb gefüllte, gelbe Plastikkiste steht. „Wir brauchen noch Geflügelwurst. Aber nicht die günstige, sondern die hier vorne“, sagt Cira Franke und deutet auf ein Regal.

Die beiden jungen Frauen kaufen nicht für Zuhause ein. Sie bearbeiten die Bestellung eines Kindergartens, der Lebensmittel und Getränke benötigt. Bei den Wasserkisten hilft den beiden Christian Kiehl. „Wenn ich Zeit habe, passt das schon. Die Kästen sind ja schwer“, sagt er und bringt gleich zwei nach draußen. Dort wartet ein Transporter, an dessen Seite »Sie kaufen ein, wir bringen’s heim« steht – und auf den Türen sind die Kolleginnen und Kollegen in Überlebensgröße zu sehen.

Große Entlastung für den Betrieb

Das Trio arbeitet in der im Februar vorigen Jahres gegründeten Inklusionsabteilung von Edeka Wehrmann, das fünf Märkte in Herford, Enger, Spenge, Hiddenhausen und Kirchlengern führt. Die drei Menschen mit Behinderung wickeln alles selbst ab: Vom Kommissionieren des Einkaufs über die Auslieferung – immer zu zweit – an rund 30 Kindergärten und Firmen sowie Privatpersonen bis hin zum Kassieren beim Kunden. „Das klappt hervorragend“, sagt Wilhelm Bischoff, der als Geschäftsführer für Personal, Ausbildung, Finanzen und Controlling zuständig ist. Gemeinsam mit Firmenchef Peter Wehrmann hat er die Zusammenstellung des kleinen Teams vorangetrieben.

Mehrere Faktoren veranlassten das Unternehmen, die Abteilung zu gründen. „Wir hatten vor einigen Jahren erste Gespräche mit dem Integrationsfachdienst Herford, ob es nicht Arbeitsmöglichkeiten bei uns für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Werkstätten für behinderte Menschen in Lübbecke und Herford geben könnte“, erinnert sich Bischoff. Einige der Menschen mit Behinderung hatten einen Führerschein – und der Mitarbeiter des Integrationsfachdienstes traute ihnen auch komplexere Aufgaben zu. „Außerdem wollten wir damals gern unseren Lieferservice ausbauen.“

Zuvor hatten das Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übernommen. „Weil die Lieferungen immer zu den Zeiten stattfinden, wenn auch im Geschäft viel los ist, passte das oft nicht so gut“, sagt Wilhelm Bischoff. Er ergriff die Chance: Mit den drei Menschen mit Behinderungen hat sich die Engstelle nun aufgelöst.

Geholfen hat Edeka Wehrmann der LWL, der den Transporter mit einem Investitionskostenzuschuss mitfinanziert hat. Ebenso bekommt das Unternehmen laufende Zuschüsse für die drei Kräfte, weil sie aus einer Werkstatt für behinderte Menschen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt wechseln. Und bei der Einarbeitung half der Integrationsfachdienst Herford.

Mehr Service, höhere Umsätze

Das Geschäft mit dem Lieferservice wächst, ebenso wie die Märkte von Peter Wehrmann. „Die Edeka-Zentrale forciert das, indem sie zum Beispiel einen Internet-Shop anbietet, den die einzelnen Franchise-Unternehmen nutzen können“, erklärt Wilhelm Bischoff. So könne der Service für die Kunden steigen und es würden größere Umsätze möglich. Vorstellbar seien für ihn auch weitere Einstellungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Behinderungen. „Wenn wir die richtigen Aufgaben für die Beschäftigten finden, sehe ich da gar kein Problem.“




Arbeiten auf dem Bauernhof

Christian Hofmann überquert eine Weide, auf der schwarzgescheckte Milchkühe grasen, und stapft weiter zum Hühnergehege. Er schaltet den Elektrozaun ab, der Legehennen und Rinder voneinander trennt, und steigt darüber. „Na, ihr Süßen“, sagt er zu den braunen Hennen, die ihn erwartungsvoll gackernd umringen.

Hofmann klappt den Deckel der Futtertonne auf und streut Getreide auf die Wiese. Während die Vögel die Körner aufpicken, sammelt der Landwirtschaftshelfer die frisch gelegten Eier ein. „Die bringe ich gleich in die Scheune“, erklärt er. „Dort verpacke ich sie nach Größen sortiert für unseren Hofladen.“

Von zufrieden gackernden Hühnern und besonderen Kartoffelsorten

Seit Anfang 2014 arbeitet der heute 31-Jährige auf dem Hofgut Schloss Hamborn. Das Inklusionsunternehmen im ostwestfälischen Borchen beschäftigt in Landwirtschaft, Bäckerei, Käserei, Fleischerei und der Vermarktung 62 Männer und Frauen, 20 von ihnen haben, wie Christian Hofmann, eine Behinderung. Für ihn ging damit ein Traum in Erfüllung, denn für den jungen Mann stand schon lange fest, dass er einmal auf einem Bauernhof arbeiten wollte: „Nach der Schule habe ich fünf Jahre lang auf einem Biolandhof mitgeholfen und dann eine Ausbildung auf einem Demeterhof gemacht. Das ist genau das Richtige für mich.“

Seine größte Leidenschaft ist der Ackerbau. „Ich mag den Kontakt zur Erde und den Pflanzen“, sagt Hofmann. „Am liebsten habe ich Kartoffeln. Ich habe sogar schon Sorten mit ausgesucht, die festkochende Allians zum Beispiel und Gunda, eine mehligkochende Sorte.“ Weil er so in seiner Arbeit aufgeht, lebt der Geselle auch auf dem Hofgut und teilt sich mit ein paar Kollegen das dafür vorgesehene Wohnhaus. „Das ist bei uns nur ein Angebot, keine Pflicht“, sagt Gerd Bögeholz, Geschäftsführer der Hofgut-gGmbH, die seit 2013 als Inklusionsunternehmen geführt wird. „Die meisten unserer Mitarbeiter wohnen außerhalb.“

Das Hofgut ist Teil eines anthroposophischen Konzepts

Das Hofgut selbst gibt es schon seit dem Jahr 1931, es ist der älteste Demeterhof in Nordrhein-Westfalen. „Eines unserer Ziele ist es, hier einen in sich geschlossenen Nährstoffkreislauf zu betreiben“, erläutert Bögeholz das Konzept des Hofs. „Dazu gehört zum Beispiel, dass unsere Mastschweine aussortierte Kartoffeln, aber auch Getreide und Kraftfutter aus eigenem Anbau fressen. Außerdem bekommen sie die Molke, die in unserer Käserei abfällt.“ Das Demeter-Prinzip geht auf eine Weltanschauung zurück, die Rudolf Steiner begründete und die sich „Anthroposophie“ nennt.

Das Hofgut ist Teil einer ganzen Anlage in Borchen, in deren Einrichtungen dieses Konzept verfolgt wird: Auf dem Gelände des Anthroposophischen Zentrums Schloss Hamborn gibt es neben dem Bauernhof noch eine Reha-Klinik, ein Altenwohnheim, einen Waldorfkindergarten, einen stationären Jugendhilfebereich mit Berufsförderung und eine Waldorfschule mit Förderschulbereich. Ein Inklusionsbetrieb wie das Hofgut passt gut ins Konzept, findet Gerd Bögeholz: „Wir wollten eine berufliche Perspektive für die Schüler aus unserem Jugendbereich und auch anderer Förderschulen schaffen.“
Die Produkte wie Käse, Gemüse, Brot und Fleisch landen in den Küchen von Reha-Klinik und Kindergarten. „Wir verkaufen unsere Produkte auch in Paderborn auf dem Markt oder in unserem Online-Shop ‚Biomanufaktur‘“, erklärt der Inhaber Gerd Bögeholz. „Dort können die Kunden einzelne oder Abo-Bestellungen aufgeben, und wir beliefern über den Shop auch Bio-Supermärkte.“

Den mit Abstand größten Anteil am Verkauf hat aber der Hofladen ‚Natura‘, der unmittelbar neben Reha-Klinik und Schule liegt. Hier gibt es die Produkte des Hofgutes an der Fleisch-, Wurst- und Brötchentheke, aber auch in den Obst-, Gemüse- und Käseregalen zu kaufen. Kosmetikartikel, Tee, Kaffee und Bio-Weine ergänzen das Angebot, so dass die Kunden ihren kompletten Einkauf im Hofladen erledigen können.

Mercedes Hermann steht hier regelmäßig hinter der Ladentheke. Sie kennt das Geschäft noch aus der Zeit, als sie die Förderschule von Schloss Hamborn besuchte. „Ich habe hier als Schülerin ein längeres Praktikum gemacht“, sagt die 24-Jährige. Nach ihrer Schulzeit bekam sie eine Ausbildungsstelle, die auf ihre Behinderung angepasst war, und wurde anschließend übernommen. „Der Laden ist viel angenehmer als große Supermärkte“, findet die Verkaufshelferin. „Auch die Kunden sind viel offener und wollen mehr Beratung. So kommen wir viel mit ihnen in Kontakt, das ist schön.“

Vor zwei Jahren wurde das Geschäft umgebaut und modernisiert, die Verkäufe stiegen dadurch an. „Wir konnten den Umsatz durch diese Maßnahmen verdoppeln“, berichtet Gerd Bögeholz. 250 bis 300 Kunden kommen heute täglich in den Hofladen, neben den Bewohnern von Schloss Hamborn sind darunter auch viele Eltern. „Sie kaufen hier ein, wenn sie ihre Kinder zur Schule oder in den Kindergarten bringen“, erklärt der 47-Jährige. „Aber es gibt ebenso Kunden, die extra wegen des Ladens zu uns rausfahren, weil sie sich gesund ernähren und regional einkaufen wollen.“