Inklusives Kita-Tanzprojekt der Villa Kunterbunt gewinnt den LWL-Sonderpreis „Vorbild Inklusion“

Seit 2015 arbeitet Anja Wagner 15 Stunden pro Woche in der Villa mit, hilft in Küche und Garten, spielt mit den rund 60 Kindern mit und ohne Behinderung, die hier von insgesamt 14 Mitarbeiter:innen betreut werden – und sie entwickelt und trainiert im Rahmen des Tanzprojekts „Keep on dancing – Anders ist normal“ Choreografien mit den Kleinen, die zwischen zwei und sechs Jahren alt sind. Zum Beispiel den Superhelden-Tanz mit passender Verkleidung (siehe Foto).

Die 26-Jährige hat selbst eine Behinderung und ist durch das Projekt „Neueinstellung“ der AWO-Tochter Bildung+Lernen gGmbH zur Villa Kunterbunt gekommen. Weil die Einrichtung damit vorbildlich dazu beiträgt, Menschen mit Schwerbehinderung den Einstieg in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu erleichtern, hat sie dafür in diesem Jahr den LWL-Sonderpreis „Vorbild Inklusion“ (Infos siehe Kasten unten) gewonnen.
Beworben hatte sich die Villa zusammen mit Anja Wagner und ihrem Tanz- und Theaterprojekt, das inzwischen fest zum Arbeitsalltag der Kita gehört. Die Auszeichnung gebührt also ebenso der 26-Jährigen selbst, die sich sehr über den Entschluss des Villa-Teams freut, das Preisgeld von 8.000 Euro direkt wieder in das Projekt „Neueinstellung“ zu investieren. „Damit noch mehr Menschen mit Down-Syndrom oder Handicap ein Praktikum machen können“, erklärt sie. Denn so könnten bald, so wie sie selbst, noch mehr Menschen einen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt finden. 





Video-Fundstück zum Thema Autismus: Warum Lisa eine Maske trägt

Lisa fühlt sich in vielen sozialen Situationen überhaupt nicht wohl. Das ist ihr aber kaum anzumerken, denn die 29-Jährige hat sich etwas antrainiert, das sich „Masking“ nennt: Sie imitiert die sozialen Verhaltensweisen nicht-behinderter Menschen, um nicht so sehr aufzufallen.
Eigentlich würde die Asperger-Autistin aber beispielsweise bei der Begrüßung anderer Menschen gar keinen Augenkontakt herstellen. Sie tut es trotzdem. Anstrengung und Reizüberflutung sind dabei riesig. „Ich kann dich zwar anschauen, wie du ja jetzt auch siehst – aber es ist mir total unangenehm“, erklärt Lisa der Reporterin Anna ihr Gefühl, die sie im Film für „reporter“ interviewt und begleitet.
Anna spricht neben Lisa auch noch mit einer psychologischen Beraterin, die ebenfalls Asperger-Autistin ist. Sie gibt einige Tipps für eine gute Kommunikation zwischen autistischen und nicht-autistischen Menschen.

Vor allem Menschen ohne Behinderung sollten sich diese schöne, kurzweilige Filmreportage unbedingt anschauen und am besten direkt weiterempfehlen – denn je besser auch sie über Autismus Bescheid wissen, desto weniger müssen sich Autist:innen in Zukunft verstellen.




VIER FRAGEN AN… Mechthild Schickhoff, Inklusionsberaterin bei der Landwirtschaftskammer NRW

#1: Frau Schickhoff, welche Aufgaben haben Sie als Inklusionsberaterin?

Ich bin Ansprechpartnerin für landwirtschaftliche Betriebe, die Menschen mit Behinderung ausbilden oder einstellen möchten. Außerdem berate ich Betriebsleiter:innen, wenn ein:e Mitarbeiter:in nach einer Erkrankung oder einem Unfall eine Behinderung hat. Ich informiere dazu, welche Expertinnen und Fachstellen dabei unterstützen können, den Arbeitsplatz und die Arbeitsabläufe behinderungsgerecht umzugestalten. Diese Lotsenfunktion ist überhaupt sehr wichtig. Ich bin also die erste Anlaufstelle für alle Fragen und Anliegen rund um das Thema. Wenn ich nicht selbst zuständig bin, vermittle ich an die richtigen Personen weiter und stelle Kontakte her.
Ich mache darüber hinaus viel Aufklärungsarbeit und fahre zum Beispiel zu Tagungen der Landwirtschaftskammer oder zu Fachschulen, um das Thema dort vorzustellen. An den Fachschulen bilden sich Landwirt:innen zu:r Meister:in oder Agrarbetriebswirt:in fort. Das sind Menschen, die später in einer verantwortlichen Position als Hofnachfolger:in oder Betriebsleiter:in arbeiten – da ist es gut, früh Kontakte zu knüpfen und auf das Thema Inklusion aufmerksam zu machen.
Wenn Interesse besteht, besuche ich natürlich auch einzelne Betriebe, um vor Ort konkrete Fragen zu besprechen. Leider hält sich oft noch hartnäckig die Vorstellung, dass landwirtschaftliche Berufe für Menschen mit Behinderung nicht gut geeignet sind, vor allem nicht für Menschen mit körperlichen Behinderungen. Dieses Vorurteil ist nicht nur bei den Verantwortlichen in der Branche weit verbreitet, sondern auch bei Eltern, Betreuungs- und Lehrkräften. Meine Aufgabe ist es, dieses Bild aufzubrechen.

#2: Mit welchen Fragen oder Anliegen wenden sich landwirtschaftliche Betriebe besonders oft an Sie?

Das hängt stark vom Vorwissen der Verantwortlichen ab. Manche möchten einen inklusiven Arbeitsplatz in ihrem Betrieb einrichten und stellen erst einmal sehr grundsätzliche Fragen: Was ist eine Schwerbehinderung? Und was bedeutet es für mich als Arbeitgeberin oder Arbeitgeber, einen Menschen mit Schwerbehinderung einzustellen?
Manche fragen auch sehr konkret nach den Förderungsmöglichkeiten oder dem Kündigungsschutz. Oder es geht darum, eine passende Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter für eine Stelle zu finden. In diesen Fällen greife ich auf mein Netzwerk zurück und frage bei Arbeitsagenturen, Integrationsfachdiensten und Schulen nach, ob sie jemanden kennen, die oder der für die Stelle in Frage kommt.
Diese Netzwerkarbeit funktioniert übrigens auch andersherum. Manchmal melden sich zum Beispiel Mitarbeiter:innen von Integrationsfachdiensten bei mir, weil ein Mensch mit Behinderung ein Praktikum in einem landwirtschaftlichen Betrieb machen möchte oder einen festen Arbeitsplatz sucht. Ich frage dann nach, ob die Person lieber im Bereich Gemüseanbau, Grünland- oder Tierpflege arbeiten möchte. Anschließend spreche ich Kolleg:innen aus der Landwirtschaftskammer an, die vielleicht einen passenden Betrieb empfehlen können.

#3: In welchen landwirtschaftlichen Bereichen können Sie (junge) Menschen mit Behinderung dabei unterstützen, einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu finden?

Die Landwirtschaftskammer ist für insgesamt zwölf Ausbildungsberufe in der Branche zuständig. Neben der Ausbildung zur Landwirtin oder zum Landwirt gibt es beispielsweise auch den Beruf „Fachkraft Agrarservice“. Wer darin ausgebildet ist, bedient landwirtschaftliche Maschinen und mäht, pflügt oder erntet im Auftrag von Betrieben. Tierwirt:innen wiederum spezialisieren sich in der Ausbildung auf eine bestimmte Tierart, etwa Schweine oder Geflügel. Auch die Bereiche Gartenbau und Forstwirtschaft gehören zu den so genannten grünen Berufen, zu denen das Team der Landwirtschaftskammer und ich beraten können.
Wenn jemand keine klassische Ausbildung machen kann oder möchte, gibt es auch noch die Berufe der Landwirtschaftsfachwerker:in, Werker:in im Gartenbau oder Werker:in in der Forstwirtschaft. Diese Ausbildungen haben einen kleineren Theorie-Teil als die anderen Berufe.
Manche landwirtschaftlichen Betriebe stellen übrigens auch Menschen ein, die gar keine Berufsausbildung haben, aber gerne in der Landwirtschaft arbeiten möchten. Sie werden dann für bestimmte Hilfstätigkeiten angelernt.

#4: Wie sind die Zukunftsaussichten für junge Menschen mit Behinderung, die in einem landwirtschaftlichen Betrieb arbeiten möchten?

In der Landwirtschaft findet derzeit ein Strukturwandel statt, der einen Blick in die Zukunft sehr schwer macht. Es zeichnen sich aber zwei große Trends ab. Zum einen werden landwirtschaftliche Betriebe immer größer und brauchen deshalb auch mehr Mitarbeiter:innen. Wie in vielen anderen Branchen fehlen aber auch in der Landwirtschaft Fachkräfte. Das kann eine Chance für die Inklusion sein. Menschen mit Lernbehinderungen oder kognitiven Beeinträchtigungen können wiederkehrende Hilfs- und Handarbeiten übernehmen und dadurch die Fachkräfte entlasten. Landwirtschaftsfachwerker:innen und angelernte Arbeitskräfte bleiben zudem, wenn alles passt, dauerhaft im Unternehmen. Das sehen viele Betriebsleiter:innen als Pluspunkt, sie suchen deshalb gezielt nach solchen Mitarbeiter:innen.
Gleichzeitig gibt es aber auch Unternehmen, die gern ausgebildete Landwirt:innen anstellen möchten, die die Betriebsleitung entlasten und bei Krankheit oder Urlaub vertreten können. Denn je mehr digitale Lösungen ein landwirtschaftlicher Betrieb einsetzt, desto mehr qualifizierte Mitarbeiter:innen werden dort gebraucht. Je nach Arbeitsbereich können Menschen mit körperlichen Behinderungen diese Aufgaben sehr gut übernehmen, bei Bedarf bekommen sie dafür technische Arbeitshilfen. Ich kenne etliche Betriebe, in denen das gut geklappt hat und die Betriebsleitung und die angestellten Landwirt:innen sehr zufrieden sind. Ich hoffe, dass meine Kolleg:innen und ich durch unsere Aufklärungsarbeit noch mehr landwirtschaftliche Betriebe dafür gewinnen können, inklusive Arbeitsplätze einzurichten.


Lesetipp

Tobias Koddebusch mit seinem Fahrrad auf dem Hof

Bei Tobias Koddebusch hat es geklappt: Der junge Mann mit Down-Syndrom hat bei der preisgekrönten Bertelsbeck GbR in Coesfeld seinen Traumberuf gefunden – also bei einem landwirtschaftlichen Betrieb auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. 2019 haben wir auf unserem Blog eine Reportage über ihn veröffentlicht.

Impfen, füttern, ausmisten: Wie ein 19-Jähriger seinen Traumjob fand




„Ich habe meine Bilder im Kopf und transportiere sie durch die Fotografie nach außen“

Frau Emmermann, Sie haben uns für diesen Beitrag ein tolles Foto zugeschickt. Darauf ist eine Frau mit langen Haaren zu sehen, die rote Handschuhe trägt und sich die Augen zuhält. Die Handschuhe und die Haare leuchten. Wie haben Sie das gemacht?

Mit einer Technik, die „Light Painting“ (auf Deutsch: „Licht-Malerei“) heißt. Sie kennen sicher Bilder, die im Dunklen aufgenommen wurden und auf denen jemand mit einer Taschenlampe oder mit Wunderkerzen Wörter oder Formen in die Luft „geschrieben“ hat. So ähnlich arbeite ich auch. Die Kamera wird in einem dunklen Raum oder bei Nacht draußen aufgestellt und nimmt mehrere Sekunden, Minuten oder sogar Stunden auf. Während der Belichtungszeit leuchte ich meine Motive mit unterschiedlich großen Taschenlampen, Knicklichtern oder Lichterketten an, manchmal direkt von vorne, manchmal von der Seite, manchmal befindet sich die Lichtquelle auch hinter dem Motiv – je nach dem gewünschten Effekt. Ich spiele mit dem Licht.
Für das Foto, das ich Ihnen geschickt habe, habe ich mit kleinen Lampen die Haare und die Handschuhe angeleuchtet. Der besondere Effekt ist unter anderem dadurch entstanden, dass der glänzende Stoff der Handschuhe das Licht reflektiert hat.

War das so geplant?

Nein, bei diesem Bild hat sich vieles erst im Prozess ergeben. Es war eines der ersten Fotos, die ich mit der Light-Painting-Technik aufgenommen habe. Ich wollte einen Bezug zum Nicht-sehen-Können herstellen und hatte die Idee, dass das Modell sich die Augen zuhalten soll. Den Rest haben wir während des Shootings erarbeitet. Inzwischen setze ich das Light Painting ganz gezielt ein und plane meine Motive vorher sehr gründlich. Ich habe die Bilder im Kopf und transportiere sie über Fotos nach außen.

Wann haben Sie die Fotografie für sich entdeckt?

Ich habe schon als Jugendliche sehr gerne fotografiert. Mein Vater hatte mir seine alte Kamera gegeben, damit habe ich im Urlaub und bei Festen Bilder gemacht. Diese Kamera habe ich lange benutzt, aber irgendwann ging es nicht mehr und es hat keinen Spaß mehr gemacht, weil ich nicht mehr richtig durch den Sucher schauen konnte.

Das hat mit Ihrer starken Sehbehinderung zu tun. Können Sie beschreiben, was Sie sehen können und was nicht mehr?

Ich habe die Netzhaut-Erkrankung Retinitis pigmentosa, die zu einer schleichenden Erblindung führt. Mit Anfang 30 habe ich die Diagnose bekommen. Inzwischen bin ich blind mit einem kleinen Sehrest. Ich kann noch ein bisschen hell und dunkel erkennen.

Wie haben Sie Ihr Jugend-Hobby später wiederentdeckt?

Die ersten Bilder habe ich mit meinem Smartphone gemacht, wenn ich schöne Momente erlebt habe oder in einer Gegend war, die ich kannte und mochte. Zum Beispiel an einem Ort an der Ostsee, wo ich schon als Kind Urlaub gemacht hatte. Wenn man dort zwischen den Dünen hindurch zum Strand läuft, kommt man an einen kleinen Durchgang mit Blick aufs Meer, rechts und links sind Sträucher und Bäume, wunderschön. Dieses Panorama wollte ich einfangen. Mit dem Smartphone geht so etwas ganz gut, weil es vieles automatisch einstellt und viele Bildinformationen ansagt, etwa den Fokus und wie viele Gesichter im Bildausschnitt zu sehen sind.

Heute arbeiten Sie zusammen mit anderen blinden Fotografinnen und Fotografen in einem Fotostudio. Wie kam es dazu?

Ich hatte mich vor Jahren zu einem Projekt der Alice-Salomon-Hochschule hier in Berlin angemeldet. Das ist eine Hochschule für Soziale Arbeit und Gesundheitsberufe. Bei dem Projekt haben Studentinnen und Studenten blinde Menschen beim Fotografieren begleitet und sie unterstützt, indem sie ihnen die Umgebung, die Motive und die Bilder beschrieben haben. Vor ein paar Jahren habe ich dann in einem Workshop das Light Painting kennengelernt und tolle Kolleginnen und Kollegen getroffen. Wir haben nach dem Kurs zusammen in einem Fotostudio weitergemacht, das speziell für blinde Menschen und das Light Painting eingerichtet ist. Wir alle arbeiten mit Light Painting und tauschen uns dazu viel aus. Wir gestalten in unserem Studio gemeinsam Ausstellungen. Zuletzt haben wir unsere Bilder bei f3 – freiraum für fotografie gezeigt. Außerdem bieten wir Workshops an, etwa für soziale Projekte. Es macht Spaß, Menschen diese Technik zu zeigen. Vor allem Kinder sind davon total begeistert.

Arbeiten Sie bei Ihren Foto-Shootings allein?

Nein, ich habe immer eine Assistentin oder einen Assistenten dabei, meistens Freundinnen und Freunde von mir, die selbst auch fotografieren oder sich einfach dafür interessieren. Sie stellen für mich die Kamera so ein, dass sie das Motiv genau so erfasst, wie ich es mir vorstelle. Wenn wir ein Bild gemacht haben, beschreiben sie es mir mit allen Details – so, wie es damals auch die Studentinnen und Studenten an der Hochschule gemacht haben. Anhand dieser Informationen kann ich entscheiden, ob ein Foto gut geworden ist oder ob wir noch etwas verändern müssen.

Welche Motive fotografieren Sie am liebsten?

Ich mache gerne Bilder von Menschen, zuletzt habe ich mich viel mit Händen beschäftigt. Das sind Körperteile, die Halt und Sicherheit geben und Mut machen können. Das möchte ich zeigen. Auf einem Foto sind zwei Frauen zu sehen, die sich über einen symbolisch dargestellten Fluss hinweg die Hände reichen. Zwischen den Händen habe ich mit Taschenlampen Lichtstreifen erzeugt, um ihre Verbindung darzustellen.
Ich finde es aber auch sehr spannend, abstrakte Formen zu schaffen. Für ein Foto habe ich mich zum Beispiel ganz dunkel gekleidet und mit schwarzen Handschuhen eine Taschenlampe gehalten, die wir vorher mit buntem Transparentpapier beklebt hatten. Ich habe sie schräg in die Kamera gehalten und spiralförmig bewegt, dabei bin ich von der Kamera aus rückwärtsgelaufen. Dadurch ist ein Bild mit 3D-Effekt entstanden. Die Form hat Ähnlichkeit mit einer Luftschlange.

Ist die Fotografie für Sie ein Hobby oder ein Beruf?

Sie ist nicht mein Beruf, aber mehr als ein Hobby. Die Fotografie ist für mich eine Möglichkeit, Gefühle und Erlebnisse kreativ zu verarbeiten und auszudrücken. Im Hauptberuf arbeite ich in der Finanzabteilung der Berliner Verkehrsbetriebe.




4 Fragen an… Natalie Dedreux

Natalie, warum arbeitest du gerne als Journalistin?

Die Arbeit beim „Ohrenkuss“ ist meine Leidenschaft, ohne geht für mich gar nichts. Es macht Spaß, viel zu recherchieren und einfach drauflos zu schreiben. Wir sind 20 Kolleginnen und Kollegen mit Down-Syndrom, die sich regelmäßig zu den Redaktionssitzungen treffen. Für jedes „Ohrenkuss“-Heft haben wir ein Thema, zum Beispiel die Natur, die Familie oder Reisen. Dazu suchen wir im Internet und dann schreibt jeder einen Text. Manche Kollegen diktieren ihren Text auch.
Letztes Jahr habe ich auch ein Praktikum beim „Deutschlandfunk“ gemacht. Da habe ich über die Untersuchung von ungeborenen Kindern während einer Schwangerschaft recherchiert. Und ich habe Meldungen darüber geschrieben, was in der Welt passiert – zu ganz unterschiedlichen Themen. Das hat mir auch gut gefallen. Die Meldungen wurden später im Radio vorgelesen.

Wo würdest du gerne noch mehr arbeiten?

Ich würde gerne fürs Fernsehen arbeiten, weil ich dann noch berühmter werden könnte. Ich möchte, dass Menschen mit Down-Syndrom mehr gesehen werden und bekannter sind. Im Fernsehen, auf Instagram, überall. Deshalb mache ich auch viel auf Instagram und zeige da mein cooles Leben und meine Reisen, die ich mit meiner Familie mache. Meine Freunde, die auch das Down-Syndrom haben, haben auch Internetseiten und posten viele Bilder bei Instagram.

Was würdest du in der Welt gern verändern?

Es soll mehr Inklusion geben, vor allem bei der Arbeit und in der Schule. Da hapert es noch am meisten. Ich war auf einer inklusiven Schule und fand das gut. Es gibt mehr Bildung und alle sind zusammen, auch Menschen mit Behinderung. Im Beruf sollen auch alle zusammenarbeiten. Wenn Menschen mit Behinderung eine Assistenz bekommen, dann funktioniert das. Ich kann zum Beispiel sehr gut Texte schreiben, aber bei der Recherche brauche ich manchmal meine Assistentin. Sie übersetzt für mich Texte, die in Schwerer Sprache geschrieben sind, in Leichte Sprache.

Welche Ziele hast du noch für dein Leben?

Ich möchte weiter als Aktivistin für Menschen mit Down-Syndrom kämpfen, sie gehören zur Welt und zur Gesellschaft. Deshalb habe ich im März 2019 eine Petition gegen den Pränataltest auf das Down-Syndrom gestartet. 28.000 Leute haben schon unterschrieben. Das finde ich gut. Ich möchte, dass gegen den Bluttest richtig Krach gemacht und demonstriert wird. Der Test soll nicht von den Krankenkassen bezahlt werden. Und ich will, dass die Politiker über meine Petition diskutieren.




„Ich musste mit meinen eigenen Vorurteilen umgehen lernen“

Frau Maack, Sie arbeiten als Moderatorin, Rednerin und Coachin. Durch Ihre Tätigkeiten haben Sie also viele verschiedene persönliche und berufliche Situationen kennengelernt. Wie erleben Sie mit dieser Erfahrung die Arbeitsmarktsituation für Menschen mit Behinderungen?

Die Lage wird in vielen Bereichen besser, auch wenn es sehr langsam geht. Es wird viel gefordert, geredet und auch viel investiert. Zugleich passiert noch viel zu wenig. Vor allem für die größer werdende Anzahl von Menschen mit psychischen Erkrankungen wird die Situation eher schwieriger als besser. Insgesamt ist das Arbeitsleben ja für alle viel fordernder geworden. Wir müssen sehr flexibel sein, uns ständig neu aufstellen und uns für wachsende Anforderungen weiterqualifizieren. Das ist für kaum jemanden einfach – ganz unabhängig von einer Behinderung.

Sie selbst sind im Laufe Ihres Lebens erblindet. Sie können also beurteilen, wie ein Berufsleben mit und ohne Behinderung aussieht. Welche positiven und negativen Erfahrungen haben Sie gemacht?

Ich habe sehr viel Unterstützung aus meinem Umfeld erfahren. Ich habe aber auch erlebt, dass ich wegen meiner Behinderung mehr arbeiten und mich stärker beweisen musste als andere Menschen. Ich musste darum kämpfen, meiner Qualifikation und Erfahrung gemäß beschäftigt und bezahlt zu werden. Nach meinem Studium war ich fast 15 Jahre im Ausstellungsprojekt „Dialog im Dunkeln“ beschäftigt und habe dort den Bildungsbereich aufgebaut und geleitet. Seit 2018 bin ich selbständig und damit meine eigene Chefin. Das hat noch einmal alles verändert. Bisher habe ich diese Entscheidung noch nicht bereut, obwohl die „Extrameilen“, die ich auch dort gehen muss, nicht weniger werden. Als Moderatorin, Coachin und Rednerin zu arbeiten, heißt für mich, das zu tun, was ich liebe. Das ist ein großes Glück für mich und ich weiß, dass das für viele Menschen – ob mit oder ohne Behinderung – nicht selbstverständlich ist.

Welche Rahmenbedingungen sind aus Ihrer Sicht nötig, damit Inklusion im Berufsleben für Menschen mit Behinderungen möglich wird?

Zuallererst müssten einige Grundvoraussetzungen erfüllt sein und selbstverständlich werden. Zum Beispiel die barrierefreie Ausstattung von Gebäuden, Leitstreifen für sehbehinderte oder blinde Menschen, behinderungsgerechte Computer-Software, Dolmetscher für Gebärdensprache oder auch Assistenzen. Oft scheitert eine erfolgreiche Karriere oder eine langfristige Anstellung für einen Menschen mit Behinderung daran, dass der Aufwand einfach zu groß und der ganze Prozess zu langwierig ist, sobald eine bestimmte Ausstattung benötigt wird.

Woran liegt das?

Weil die Unternehmen, aber auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oft erst unzählige Anträge stellen, für Unterstützung streiten und dann trotzdem noch sehr lange auf eine Bewilligung warten müssen. Ohne eine behinderungsgerechte Ausstattung am Arbeitsplatz ist es aber oft nicht möglich, zu zeigen, was man kann. Gerade in der sensiblen Phase der Probezeit in einem neuen Job kostet es also erst einmal viel Zeit und Energie, sich um die formalen Voraussetzungen zu kümmern. Das lenkt ab und ist für beide Seiten anstrengend. Für mich als Arbeitnehmerin und auch für das Unternehmen, in dem ich vielleicht arbeiten möchte, wäre es viel besser, wenn ich als blinde Berufseinsteigerin meine Ausstattung und meine Assistentin gleich selbst mitbringen könnte.

Das geht im Moment noch nicht?

Zur Zeit müssen die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowohl die Arbeitsplatzausstattung als auch die Assistenzen bei den Inklusionsämtern beantragen. Das hat strukturelle Gründe. Es ist umgekehrt aber auch keine Lösung, wenn der große bürokratische Aufwand, der damit verbunden ist, von einer Arbeitnehmerin allein geschultert werden müsste. Es wird trotzdem immer wieder gefordert, dass gerade beim Berufsstart oder Berufswechsel eine andere Institution diese Aufgabe übernehmen sollte. Zu Beginn meiner Selbstständigkeit hat mir zum Beispiel das Beratungsunternehmen Quikstep sehr geholfen, das von dem blinden Berater Stefan Wilke betrieben wird. Er hatte ähnliche Erfahrungen gemacht wie ich und konnte mich aus dieser Perspektive besonders gut beraten.

Welche Chancen sehen Sie in der Digitalisierung?

Insgesamt sehr große. Für mich als erblindete Frau wäre es ohne digitale Hilfsmittel kaum oder nicht möglich, in einem qualifizierten Beruf zu arbeiten. Mein Computer ist blindengerecht ausgestattet und ich benutze eine barrierefreier Software – damit geht das Arbeiten problemlos. So geht es sicher auch anderen Menschen mit Behinderungen, zum Beispiel gibt es für gehörlose Menschen oder für Menschen mit Lernschwierigkeiten ja vergleichbare digitale Lösungen. Und Menschen mit einer Körperbehinderung profitieren ebenfalls enorm vom technischen Fortschritt.

Auch in der Corona-Krise?

Gerade jetzt. So schlimm und einschränkend diese Zeit auch ist, im Arbeitsleben hat sie einige große Vorteile gebracht. Es ist normaler geworden, dass Menschen im Home-Office arbeiten. Für jemanden mit einer Behinderung kann das eine große Erleichterung bedeuten, weil weniger oder gar keine langen Wege mehr zur Arbeit zurückgelegt werden müssen, die sonst großen Aufwand bedeuten würden. Und wenn behinderungsbedingt die Arbeit zeitlich anders eingeteilt werden muss, ist die Flexibilität dafür im Home-Office auch deutlich größer.

Und welche Nachteile sehen Sie im digitalen Wandel?

Für Menschen mit Behinderung besteht die Gefahr, dass sie durch das Tempo der Digitalisierung erneut abgehängt werden. Das kann vor allem dann schnell passieren, wenn bei neuen Arbeitsplätzen, Projekten oder Konzepten nicht von vornherein auch barrierefreie Lösungen mitgedacht und mitgeplant werden. Oder dann, wenn einfache Arbeiten oder Routinetätigkeiten bald millionenfach vollständig von Computern und Robotern übernommen werden, die vorher häufig von Menschen mit schweren körperlichen oder geistigen Behinderungen erledigt werden konnten.

Sie haben dieses Jahr Ihr erstes Buch veröffentlicht. Worum geht es?

Ich beschreibe darin ganz subjektiv die Geschichte meiner Erblindung. Es geht aber weniger um den praktischen Umgang mit meiner Behinderung, sondern mehr um den Bewältigungsprozess als Ganzes. Ich bin mit den Bildern der „Aktion Sorgenkind“ aufgewachsen, in denen Menschen mit Behinderung als bemitleidenswert und bedürftig dargestellt wurden. Die Organisation hat erst viel später die radikale Wende zur „Aktion Mensch“ gemacht und sich ab dann für echte Inklusion engagiert. Durch diese Bilder war ich anfangs also das Opfer meiner eigenen Vorurteile: Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ein Leben ohne Sehen überhaupt lebenswert sein kann. Ich habe aber trotz meiner anfangs heftigen Widerstände schließlich die sehr wichtige Erfahrung gemacht, dass Glück und Erfüllung im Leben eben nicht davon abhängen, ob ich sehen kann oder nicht.

Was wünschen Sie persönlich sich für die Inklusion im Arbeitsleben?

Am schönsten wäre es, wenn es keine Sensation mehr wäre, wenn ein Unternehmen oder eine Organisation einen Menschen mit Behinderung anstellt. Das sollte ganz selbstverständlich werden. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg, denn es gibt noch viele Hindernisse zu überwinden: für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Behinderung, für die Unternehmen – und für die Gesellschaft. —





Auf die Größe kommt’s nicht an

Herr Brownbill, wie haben Sie Ihren Karriereeinstieg in der Film- und Fernsehbranche erlebt?

Das war ein Abenteuer. Als behinderter Mensch war es sehr schwer, eine Ausbildung zu machen. Ich bin so in meinen ersten Berufsjahren als Verwaltungsfachangestellter im Öffentlichen Dienst gelandet. Obwohl ich das nicht als meine „Berufung“ empfunden habe, war ich froh, dass ich nicht auf Sozialleistungen angewiesen war oder in einer Werkstatt für behinderte Menschen arbeiten musste.
Als ich 40 Jahre alt war, wollte ich es noch mal wissen und habe mir die schönste Spielwiese der Welt dafür ausgesucht: Die Schauspielerei. Dabei habe ich mein Handicap bewusst als Alleinstellungsmerkmal eingesetzt (lacht). Es war eine ganz neue Erfahrung für mich, auf einmal eine gefragte Persönlichkeit zu sein, anstatt immer nur Absagen zu bekommen. Die Schauspielerei ist aber auch kein einfacher Beruf. Ich musste vor allem als Quereinsteiger hart arbeiten, um relativ schnell erfolgreich zu sein.

Wie waren die üblichen ersten Reaktionen?

Skepsis und Bewunderung, aber auch Verachtung, zum Beispiel von Behindertenverbänden. Die negativen Reaktionen hatten wohl auch damit zu tun, dass das Wort „Schauspieler“ von „Zurschaustellen“ kommt. Wenn man an die Freak-Shows aus der Vergangenheit denkt, in denen kleinwüchsige Menschen tatsächlich wie wundersame Wesen ausgestellt wurden, ist das ein schmaler Grat, auf dem ich mich bewege.

Im Vergleich zu nicht-kleinwüchsigen Menschen: Mussten Sie mehr tun, um als Schauspieler wahr- und ernstgenommen zu werden?

Ich bin nicht sicher, ob ich tatsächlich mehr leisten musste. Eher denke ich, dass es um die Qualität eines Darstellers geht. Der US-amerikanische Film- und Theaterschauspieler Peter Dinklage zum Beispiel, der aus „Game of Thrones“ bekannt ist, hat das Handwerk von der Pike auf gelernt. Ich nicht. Anders als er musste ich also auch deshalb erst einmal viele klischeebehaftete und stereotype Rollen annehmen. Die Prioritäten lagen bei mir notgedrungen anders: Ich musste meinen Lebensunterhalt verdienen und mit meinen ersten Rollen zugleich innerhalb kürzester Zeit das Handwerk erlernen. Da konnte ich keine tollen Angebote erwarten. Das alles kann aber schnell dazu führen, dass man in eine Schublade gesteckt wird.

Hat sich das in den vergangenen Jahren verändert? 

Es tut sich gerade etwas, aber der Weg ist noch lang. Wenn ich mir heute zum Beispiel Werbespots anschaue, fällt mir schon auf, dass viele unterschiedliche Schauspielerinnen und Schauspieler darin auftauchen. Kleine und große Menschen mit verschiedenen Behinderungen und verschiedener Herkunft, Homosexuelle, Transsexuelle. Da ist mehr Diversität spürbar und sichtbar als früher.

Merken Sie das auch an den Aufträgen für die Schauspielerinnen und Schauspieler, die Sie vermitteln?

Ja, auch da ist eine Veränderung zu merken. Mit unserer Künstleragentur haben wir kürzlich einen kleinwüchsigen Schauspieler für eine „normale“ Rolle vermittelt. Er sollte in der ARD-Serie „In aller Freundschaft“ mitspielen. Aus dem Drehbuch ging ursprünglich aber nicht hervor, dass die Rolle mit einem Kleinwüchsigen besetzt werden sollte. Ich nehme daher an, dass das Casting-Team angewiesen war, mehr „Diversity“ in die Serie zu bringen, ohne dafür die Rollen umzuschreiben. Das finde ich sehr spannend, denn das zeigt, dass Kleinwüchsige nicht mehr nur nur als potentielle Besetzung für einen Zwerg gesehen werden. Obwohl ich auch diese Rollen sehr mag. Aber: Solange wir nicht auch Kripo-Kommissarinnen oder -Kommissare sein dürfen, werden wir – wie im Münster-Tatort – weiterhin „nur“ Zwerge sein.

Gibt es Unterschiede zwischen der deutschen Kreativbranche und der restlichen Welt bei der Inklusion von Menschen mit Behinderungen? 

Ich bin da nicht so gut informiert, habe persönlich aber den Eindruck, dass andere Länder wie die USA oder England offener für solche Sachen sind. Hierzulande wirkt es oft gezwungen, es wird häufig gefragt: „Darf der das?“ Einarmige Tagesschau-Sprecherinnen oder -sprecher scheinen irgendwie noch ziemlich weit weg zu sein.

Wie entstand die Idee, eine Agentur zu gründen?

Ich konnte irgendwann nicht mehr alle Anfragen für Rollen selbst abdecken. Meine Frau und ich beschlossen also, diese an andere Schauspielerinnen und Schauspieler weiterzuleiten. Mit der Agentur kann ich nun meine Erfahrungen weitergeben, was mir viel Freude macht. Und die Kosten für die Homepage und andere Ausgaben werden unter mehreren Leuten aufgeteilt. Es profitieren also alle Seiten.

Was haben Sie erreicht und worauf sind Sie besonders stolz? 

Ich habe mir viele Träume erfüllt. Ich stand auf tollen Bühnen, habe in schönen Filmen mitgewirkt und großartige Menschen kennengelernt. Und obwohl ich ein Spätzünder und Quereinsteiger bin, gehöre ich mit inzwischen über 100 Produktionen zu den meistgebuchten kleinwüchsigen Schauspielern in Deutschland. Meine ehemaligen Vorbilder habe ich damit sogar überholt. Und ich bin glücklich, dass ich auf der „Zielgeraden“ des Lebens trotz des Risikos noch einmal meine Komfortzone verlassen habe.

Was müsste sich aus Ihrer Sicht ändern, damit Kleinwüchsige, Menschen mit Down-Syndrom oder Menschen mit anderen Behinderungen in der Film- und Fernsehwelt einfach als gewöhnliche Schauspielerinnen und Schauspieler wahrgenommen werden?

Das wichtigste sind die Qualifikationen, dass also die Grundlagen des Schauspiels, das nötige Know-how und das handwerkliche Können vorhanden sind. Wir sprechen hier über einen schwierigen Beruf, für den im Normalfall mit gutem Grund eine Ausbildung erforderlich ist. Ich bin zwar auch durch die Hintertür eingestiegen, aber das war sehr schwierig. Nur, weil man sich auf Youtube angeschaut hat, wie man Fliesen verlegt, ist man ja auch noch lange kein Fliesenleger. Ich kenne allerdings kaum kleinwüchsige Schauspieler, die eine richtige Schauspielausbildung vorweisen können. Beim Down-Syndrom und anderen Behinderungen ist es nicht viel anders.
Unsere Agentur betreut mittlerweile zwei ausgebildete kleinwüchsige Schauspieler und zwei weitere, die sich im Moment in der Ausbildung befinden. Das macht uns sehr stolz. Früher mag es für eine Produktion ausgereicht haben, für die Rolle des „Lustigen August“ oder des „Zirkus-Liliputaners“ mit etwas Selbstvertrauen über die Bühne oder durch das Bild zu laufen. Bei manchen Filmen und Stücken reicht das vielleicht auch heute noch. Aber um als Profi wahr- und ernstgenommen zu werden, ist das ganz sicher zu wenig.

Sie haben Humor und provozieren gern. Das haben Sie zuletzt mit der „Minibar“ gezeigt, die Sie auf Festivals zusammen mit zwei kleinwüchsigen Kollegen betrieben und dort „Kurze“ ausgeschenkt haben. Ist das nur Spaß oder verfolgen Sie mit solchen Aktionen ein Ziel?

Humor und Selbstironie sind eine unglaublich starke Waffe, um auf Probleme aufmerksam zu machen. Ich habe deshalb ein eigenes Stand-up-Comedy-Programm namens „Zwergenaufstand“ auf die Beine gestellt. Mit einem Augenzwinkern möchte ich den Menschen den Spiegel vor die Nase halten – aber eben nicht mit dem erhobenen Zeigefinger. Die „Minibar“ ist so ähnlich: Sie wirkt lustig, ist aber kein Spaß. Sie ist eine Art Installation. Mit diesem Konzept leben wir die Inklusion.

Wie meinen Sie das?

Warum müssen Tresen, Barhocker oder Stehtische so hoch sein, dass Kinder, Rollstuhlfahrer oder eben auch kleinwüchsige Menschen sie nicht nutzen können? Mit der Minibar drehen wir dieses Konzept von Normalität um und verdeutlichen so, dass es auch andere Sichtweisen gibt. Mit 1,20 Meter Körpergröße fühlen wir uns an einem „normalen“ Stehtisch nämlich nicht nur nicht wohl, sondern können auch bestimmte Berufe nicht ausüben. Barkeeperin und Barkeeper zum Beispiel, Servicekraft oder Verkäuferin und Verkäufer an der Metzger- oder Bäckertheke. Und das im 21. Jahrhundert. Wir schießen Raketen zum Mond, sind aber zugleich so mit DIN-Normen überwuchert und dadurch so behindert, das eine klare Sichtweise verloren gegangen ist.

Und deshalb provozieren Sie?

Ja. Kleinwüchsige und Menschen mit anderen Behinderungen könnten sehr gut zum Beispiel auch Polizistinnen und Polizisten, Krankenpflegerinnen und -pfleger oder Feuerwehrleute sein. Aber so, wie es jetzt ist, findet das tägliche Leben in der Gesellschaft ohne uns statt. Diese Tatsache nur sachlich in Diskussionsrunden anzusprechen, bringt leider nicht viel. Es erzeugt in vielen Kreisen höchstens ein müdes Lächeln. Deshalb provoziere ich lieber, um Denkanstöße zu geben. Wir treten in der Minibar außerdem den Beweis an, dass viele verschiedene Menschen dort gemütlich sitzen und so „auf Augenhöhe“ sein können. Jeder kann uns besuchen und bei einem Kaffee oder Bier Vorurteile und Berührungsängste abbauen. Die Minibar ist aber nur ein kleiner erster Schritt für uns.

Was planen Sie noch?

Wir wollen eine Erlebnisausstellung eröffnen, die sich mit demselben Thema beschäftigt, und zwar ebenfalls in der Hamburger Hafencity. Das Ganze entsteht im Rahmen unseres gemeinnützigen Vereins „Groessenwahn e. V.“. Um der Idee die Krone aufzusetzen, haben wir auch noch einen Song im Stil von Rammstein aufgenommen. Der Refrain geht so: „Ob gross oder klein, nur wer liebt, ist wirklich reich. Ob schwarz oder weiss, rotes Blut fliesst in jedem gleich. Grössenwahn… Grössenwahn…“ —





Sport für alle: Interview mit der Sportlotsin Linda Bull

Frau Bull, was genau macht eine Sportlotsin?

Meine Aufgabe ist es, Vereine mit Sportlerinnen und Sportlern mit Behinderung zusammenzubringen. Ich weise ihnen sozusagen den Weg zueinander – daher auch die Bezeichnung „Sportlotsin“. Außerdem motiviere ich Menschen mit Behinderung, die noch unsicher sind, ob sie überhaupt Sport treiben können. Manche sehen nämlich nur die Profisportlerinnen und -sportler im Fernsehen und denken: ‚So schnell kann ich nicht laufen, das ist nichts für mich‘. Ich zeige ihnen, dass Sport auch ganz leicht sein und Spaß machen kann.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Ich verknüpfe Menschen mit Behinderung, die Sport machen möchten, oder ihre Betreuerinnen oder Betreuer mit einem passenden Verein. Sie rufen mich an und wir sprechen darüber, was sie sich wünschen – und ich überlege, was gut passen könnte. Häufig melden sich auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Stiftung, die für eine Wohngruppe ein Angebot suchen. Und wenn es im jeweiligen Stadtteil noch keine inklusive Sportgruppe gibt, versuche ich, gemeinsam mit einem Verein vor Ort etwas Neues auf die Beine zu stellen.
Manchmal besuche ich auch Menschen in ihren Wohngruppen, die geistige und schwere körperliche Behinderungen haben und deshalb nicht so einfach an einem externen Sportkurs teilnehmen können. Ich zeige ihnen und ihren Betreuerinnen und Betreuern einige Übungen und Spiele, die sie auch zu Hause in ihrem Wohnbereich machen können und für die sie nur ein paar Alltagsgegenstände brauchen. Manchmal reichen schon kleine Wattebäusche und Luftballons, die über den Tisch gepustet oder geworfen werden, oder eine Papierkugel, die über einen Stift gerollt wird. Oder wir spielen Kommando Pimperle. Jede Bewegung ist gut für den Körper und für das Selbstbewusstsein.

Was bieten Sie sonst noch an?

Es gibt bei uns zum Beispiel Freizeitsportgruppen für Einsteiger. Dort probieren wir jede Woche verschiedene Sportarten aus, spielen Fußball und Basketball und balancieren über Sportgeräte. Wenn sich dabei herausstellt, dass jemand besonders viel Spaß am Fußball oder an einer anderen Sportart hat, versuchen wir anschließend, eine passende Mannschaft zu finden. Wenn er oder sie viel Talent hat und es sich zutraut, kann das natürlich auch ein fortgeschrittenes Team sein.
Darüber hinaus unterstützen wir Menschen mit Behinderung auch dabei, Wege zu finden, wie Mitgliedsbeiträge für Vereine oder Sportgruppen finanziert werden können. Wenn sie etwa in einer Einrichtung leben und Sozialleistungen beziehen, sind 20 oder 30 Euro im Monat oft kaum zu stemmen. Viele haben aber zum Beispiel einen Anspruch auf Reha-Sport, über den sich die Kosten oft auffangen lassen. Außerdem fördert der Hamburger Sportbund inklusive Kurse. Darauf weisen wir Vereine hin, wenn sie neue Angebote für Menschen mit Behinderung schaffen.

Eine Gruppe Menschen mit verschiedenen Behinderungen beim Sport in einer Turnhalle.
Foto: Aktion Mensch/Dominik Buschardt

Entstehen aus Freizeitangeboten manchmal auch inklusive Mannschaften in den Vereinen?

Ja, das entwickelt sich durchaus so. Das ist aber nicht unser Hauptziel. Inklusion bedeutet für uns, dass wir es jeder und jedem ermöglichen, ganz zwanglos Sport zu treiben, ganz egal, ob das in einer festen Gruppe oder Mannschaft geschieht. Manchmal fühlt sich jemand mit Behinderung in einem Team sogar eher unsicher, in dem auch Menschen ohne Behinderung spielen. Dann ist es besser, wenn sie oder er erst einmal zusammen mit der Wohngruppe oder mit Freunden trainieren und dabei einfach Spaß haben kann.

An wen genau richtet sich Ihr Angebot?

Wir unterstützen grundsätzlich alle, die Sport treiben möchten und bei uns anfragen. Unsere Hauptzielgruppe sind im Alltag aber Erwachsene mit geistiger Behinderung, weil sie am häufigsten in den Arbeits- und Wohngruppen der Stiftung leben und arbeiten.

Worauf kommt es in Ihrem Beruf an?

Ich muss immer sehr lokal denken und planen. Je nach Behinderung können manche Menschen nicht so ohne Weiteres zum Training in einen anderen Stadtteil fahren. Damit ich sie gut beraten und etwas Passendes anbieten kann, ist Netzwerkarbeit also sehr wichtig. Viele Vereine kommen aber inzwischen schon von selbst auf mich zu und fragen, wie sie neue Angebote für Menschen mit Behinderung schaffen könnten. Das freut mich und mein Team natürlich sehr. Ich gebe dann Tipps und stelle den Kontakt zu unseren Einrichtungen her, die in der Nähe liegen und für die es vielleicht noch keine lokale Sportgruppe gibt.

Worauf müssen Vereine achten, die Sport für Menschen mit Behinderung anbieten möchten?

Die Trainerinnen und Trainer sollten gut mit Menschen umgehen können und einfühlsam sein. Eine pädagogische Ausbildung brauchen sie nicht. Kleine Gruppen mit bis zu zehn Leuten sind zu empfehlen, wobei die Gruppengröße natürlich auch vom jeweiligen Angebot abhängt. Wenn Menschen mit körperlichen Behinderungen in den Sportgruppen sind, müssen der Sportraum und die Umkleiden natürlich barrierefrei zugänglich sein. Zu all dem beraten wir die Vereine aber sehr gern.






Stand-up im Rollstuhl: der Comedian Tan Çaglar (Radiobeitrag)

Tan Çaglar konnte über seine Behinderung lange Zeit weder lachen noch Witze machen. Er hat eine angeborene Erkrankung des Rückenmarks, die sich seit seiner Kindheit langsam verschlechtert hat. Bis er 22 Jahre alt war, konnte er laufen und spielte gerne Fußball. Als das nicht mehr ging, traf ihn das sehr hart. Er entwickelte eine Depression.
Der Journalist Wolf Eismann widmet dem Comedian in der ARD-Audiothek ein 25-minütiges Audio-Feature. In Interview-Einspielern erzählt Tan Çaglar von seinem Leben, warum er mit Ende 30 Comedian geworden ist, wie er seine Depression überwunden hat und was er über Inklusion denkt.

Zwischen den Interview-Ausschnitten und Moderationen werden außerdem immer wieder Auszüge aus Tan Çaglars erstem Bühnenprogramm „Rollt bei mir“ eingespielt – inzwischen ist er mit seinem zweiten Programm „Geht nicht? Gibt’s nicht!“ auf Tournee.




Kurzfilm-Tipp: „Unbehindert arbeiten. Wie Menschen mit Behinderung ihre Berufsziele erreichen“

Sreco Dolanc hat den Beruf, in dem er schon immer arbeiten wollte. Der gehörlose Mann besuchte in seinem Herkunftsland Slowenien eine Schule für pharmazeutische Technik und ist heute in einer Apotheke in Wien angestellt. Im Film „Unbehindert arbeiten“ (Youtube-Link) erzählt er von seinem Weg und den Schwierigkeiten und Vorurteilen, die ihm dabei begegnet sind. Auch seine Chefin Karin Simonitsch kommt zu Wort und erklärt, warum Inklusion nicht nur gesellschaftlich wichtig ist, sondern auch ein Gewinn für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sein kann.
Der Regisseur Stefan Bohun und der Filmemacher Gregor Centner haben noch zwei weitere Menschen getroffen und interviewt – neben Sreco Dolanc auch Anna Haunlieb, eine Platzanweiserin im Wiener Konzerthaus, oder den gelernten Koch Patrick Idinger, der heute als Friseurmeister einen eigenen Betrieb leitet.

Aus diesen drei Begegnungen ist dieser schöne, 20-minütige Film entstanden:

Der Kurzfilm „Unbehindert arbeiten“ von Stefan Bohun und Gregor Centner erzählt von drei Menschen, die ihren beruflichen Weg gefunden haben.