Mit viel Engagement für die gute Idee

Sein Inklusionsunternehmen, die Arbeit und Beschäftigung gGmbH, hat mittlerweile 70 Mitarbeiter. 2017 hat Ulrich Gerlach für sein Engagement das Bundesverdienstkreuz bekommen.


Herr Gerlach, Sie engagieren sich schon seit Jahrzehnten für Menschen, die es in unserer Gesellschaft nicht so einfach haben. Wie fing das an?

Im Grunde war das ein Zufall. Ich bin in Marsberg geboren und in einem Haus aufgewachsen, das 500 Meter Luftlinie entfernt von der 1814 gegründeten psychiatrischen Klinik lag. Damals war das noch nicht so eine moderne psychiatrische Fachklinik wie heute. Die so genannte „bewachende Psychiatrie“ war der Normalzustand. Dort wurden sowohl Menschen mit psychischen Erkrankungen als auch solche mit geistigen Behinderungen untergebracht. Neben den psychiatrischen Anstalten gab es kaum Alternativen, um Menschen mit seelischen und geistigen Erkrankungen oder Behinderungen angemessen zu betreuen und zu fördern. Die Menschen gehörten zum Stadtbild in Marsberg einfach dazu, sie spazierten mit ihren Betreuern durch den Ort und waren immer daran zu erkennen, dass sie in kleinen Gruppen unterwegs waren. Und weil ich praktisch nebenan wohnte, hatte ich sehr früh Kontakt mit ihnen.

Sie haben das Thema zu Ihrem Beruf gemacht und arbeiten heute als Sozialpädagoge in der Gerontopsychiatrie der LWL-Klinik Marsberg. Warum haben Sie sich so früh auch noch darüber hinaus engagiert?

Viele der Menschen mit Behinderung, die ich in den 1980er-Jahren betreut und kennengelernt habe, waren ganz unglücklich mit ihrer beruflichen Situation. Sie gingen für ein Taschengeld zur Arbeit in Werkstätten für Menschen mit Behinderung. Zugleich definiert sich unsere Gesellschaft stark über die Arbeit. Das betrifft Menschen mit einer psychischen Behinderung ganz genauso, und viele hätten gern mit ihrem Job ihren Lebensunterhalt verdient. Für uns Pädagogen und Therapeuten war das ein wichtiger Impuls. Wir fingen mit der so genannten ausgelagerten Arbeitstherapie an, bei der die Patienten für kurze oder längere Zeit unter realistischen Bedingungen ausprobieren konnten, wie sie mit einem „normalen“ Arbeitsalltag klarkommen würden. Dafür absolvierten sie Praktika in Marsberger Firmen und Betrieben und wurden dabei von uns begleitet. Das Ziel war schon damals, sie irgendwann in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis zu vermitteln, mit dem sie dann eigenständig ihren Lebensunterhalt würden verdienen können.

Hat das funktioniert?

Das Problem war, dass sich an den „normalen“ Arbeitsplätzen oft großer Druck aufbaute, dem viele Menschen mit Behinderung nicht standhielten – sie wurden krank oder waren völlig überfordert, so dass es immer wieder Probleme im Betrieb gab. Da war für meine Kollegen und mich klar: Wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, in denen unsere Patienten passend zu ihren persönlichen Voraussetzungen einer angemessen entlohnten, sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgehen konnten. Wir brauchten also ein neues Unternehmens-Format, das irgendwo zwischen Werkstatt für behinderte Menschen und allgemeinem Arbeitsmarkt liegen musste.

Gab es solche Betriebskonzepte schon?

Die Dalke GmbH in Gütersloh verfolgte schon eine ähnliche Idee. Wir haben uns dort informiert und danach weiter überlegt. Wir wollten zuerst einen großen Träger ansprechen, hatten aber die Befürchtung, dass wir durch viel zu viele Instanzen gemusst hätten. Wir wollten keine Zeit verlieren. Also haben wir uns für die Vereinsform entschieden. Damit blieben wir klein und beweglich. Zugleich war das rechtlich am unkompliziertesten, denn als Verein konnten wir nur bei grober Fahrlässigkeit juristisch haftbar gemacht werden. Das war sehr wichtig, weil mein damaliger Kollege im Vorstand und ich persönliche Bürgschaften übernommen hatten, um den Verein überhaupt auf die Beine stellen zu können. Und weil wir uns damit privat in großes Risiko begeben hatten, mussten wir alle Unwägbarkeiten so gering wie möglich halten.

Sie sprechen von Ihrem Kollegen im Vorstand, mit dem Sie den „Verein für Arbeit und Beschäftigung für psychisch Behinderte Marsberg e. V.“ gegründet haben. Waren nur Sie beiden an der Gründung beteiligt?

Nein. Zu einer Vereinsgründung sind mindestens sieben Personen erforderlich. In der Gründungsversammlung sind 17 Personen dem Verein beigetreten und haben meinen Kollegen Norbert Wild zum Geschäftsführer und mich zum ersten Vorsitzenden gewählt. Alle Mitglieder hatten einen beruflichen oder persönlichen Bezug zu Menschen mit einer psychischen Behinderung. Der Verein war von Anfang nur als Träger der Selbsthilfefirma „Inselwerkstatt“ gedacht. Unsere Firma war damit der Vorläufer des heutigen Integrationsunternehmens.

Wie ging es danach weiter?

Wir haben in einer alten Malerwerkstatt angefangen und den Betrieb mit zusätzlichen Räumen in einer alten Bäckerei erweitert. Das Ziel war damals, zehn sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze zu schaffen. Wir übertrafen uns aber schnell selbst, die Selbsthilfefirma wurde ein regelrechter Selbstläufer. Parallel zu den sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen haben wir Praktikumsstellen angeboten, um überhaupt erste Möglichkeiten und Vorstufen zu schaffen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wieder an eine geregelte Arbeit heranzuführen. Die Menschen sollten sich bei uns ausprobieren können. Für die Anleitung dazu brauchten wir über kurz oder lang Fachleute. Wir hatten Glück und konnten einen damals arbeitslosen Sozialarbeiter als pädagogische Leitung des Betriebs gewinnen, außerdem einen Techniker und eine Heilerziehungspflegerin. Diese Kollegen waren Angestellte, nur der Vorstand des Vereins bestand also aus Ehrenämtlern. Das hatten wir aber auch von Anfang an so geplant. Wir wollten ja einen richtigen Betrieb aufbauen und die Menschen bezahlen, die darin arbeiteten.

Was hat ihr Unternehmen denn produziert beziehungsweise als Leistung angeboten?

Wir haben von Beginn an Verpackungs- und Kleinteilmontagearbeiten für Industriebetriebe aus der Region angeboten. 1994 haben wir dafür die erste 600 Quadratmeter große Halle gebaut. Unsere Mitarbeiter haben dort zum Beispiel Schlauchschellen bearbeitet, Biegearbeiten erledigt oder auch kompliziertere Aufgaben übernommen. Uns war wichtig, dass wir nicht nur einen Großkunden hatten, sondern mehrere kleine. So war das Risiko verteilt. Im Laufe der Jahre kamen immer mehr Kunden und Mitarbeiter dazu. Das Ganze wuchs so stark, dass die Rechtsform als Verein irgendwann nicht mehr geeignet war. Wir mussten damals für Einkäufe und Personalkosten schon in Millionenhöhe in Vorleistung gehen. Im Jahr 2001 bauten wir uns deshalb in eine gemeinnützige GmbH um. Den Verein gibt es nach wie vor, aber er ist jetzt einziger Gesellschafter der gGmbH.

Was für eine Unternehmenskultur pflegen Sie in Ihrem Betrieb?

Ganz wichtig ist eine tolerante Haltung zu Fehlern, die nun einmal passieren – uns selbst, aber auch unseren Mitarbeitern. Das ist eine sehr entscheidende Voraussetzung dafür, dass unser Unternehmenskonzept überhaupt funktioniert. Wir haben den Verein damals ja vor allem gegründet, weil der Druck in den regulären Betrieben für die Menschen mit seelischen Behinderungen oft zu hoch war. Bei uns werden sie ihren Talenten und Fähigkeiten entsprechend gefördert. Ihr Arbeitsplatz gestaltet sich um sie herum, nicht umgekehrt. Und sie dürfen dort eben auch mal scheitern! Trotzdem gelingt es uns, den hohen Ansprüchen unserer Kunden gerecht zu werden. So sind wir zum Beispiel als „A-Lieferanten“ eingestuft und nach der Norm DIN EN ISO 9001:2000 zertifiziert worden, die das Qualitätsmanagement eines Unternehmens beurteilt.

Ist es nicht ein großer Widerspruch, als Konkurrent zu anderen Unternehmen auf dem ersten Arbeitsmarkt agieren zu wollen und gleichzeitig eine Art „geschütztes Umfeld“ zu schaffen?

Das klingt erstmal so, ja. Aber es funktioniert gut, wir haben viele zufriedene Kunden und unser Konzept trägt sich schon seit Jahren. Und neben uns gibt es in ganz Deutschland ja insgesamt schon über 700 Integrationsunternehmen, das scheint also auch andernorts gut zu klappen. Das Thema Controlling ist für mich aber zum Beispiel ein ganz schwieriges. Wenn wir immer erst mal alles in Frage stellen und alles bis ins Kleinste kontrollieren, gibt es auch nie neue Ideen, Umwege und Zufälle. Damit versperren wir den Weg für Eigeninitiative, Aktion und am Ende auch für den Fortschritt. Eine wertschätzende, vertrauensvolle Zusammenarbeit schafft Zufriedenheit bei den Mitarbeitern und ist aus meiner Sicht die Voraussetzung dafür, dass sie sich in hohem Maße mit der Firma und mit dem Arbeitsplatz identifizieren können.

Wie sehen Sie den Stand der Inklusion heutzutage?

Die Inklusion wurde aus meiner Sicht in vielen Lebensbereichen völlig übers Knie gebrochen. Sie lässt sich aber nicht von oben nach unten durchboxen. Es fehlte und fehlt nach wie vor die Möglichkeit, sie nach und nach wachsen zu lassen – so etwas Großes geht nicht von heute auf morgen, für niemanden. Man braucht dafür Menschen, die bereit sind, die dahinterstehende Idee mitzutragen. Man kann zwar anregen und einen Rahmen schaffen, so wie wir mit der AuB. Zugleich muss die Politik aber auch unbedingt die „Basis“ stärken, damit irgendwann größere Veränderungen möglich werden. Das gilt auch für das Arbeitsleben. Wie ich schon sagte: Wir müssen nach und nach gute Rahmenbedingungen schaffen, die dabei helfen, die Fähigkeiten von Menschen zu fördern und sie zu motivieren. Gleichzeitig müssen wir aber auch eine Kultur pflegen, in der Fehler zugelassen werden und in der es bis zu einem gewissen Punkt in Ordnung so ist, dass nicht immer alles perfekt läuft – sonst wird es nie gleichberechtigt zugehen.

Wie wichtig sind Ihrer Meinung nach ehrenamtlich engagierte Menschen beim Thema Inklusion?

Ohne das Ehrenamt geht das meines Erachtens nicht. Wir brauchen für solche großen gesellschaftlichen Veränderungen immer Menschen, die eine intrinsische Motivation haben, etwas voranzubringen. Das kann man nicht „verordnen“ und das nötige Engagement von allen gleichermaßen verlangen, erst recht nicht von professionellen Mitarbeitern zum Beispiel in den Regelschulen, die – selbst wenn sie hochmotiviert bei der Sache sind – schon zur Genüge mit anderen Aufgaben beschäftigt sind. Bei uns in Marsberg betrifft das zum Beispiel auch kleinere Bereiche. Hier können wir immer Ehrenamtliche im Freizeitbereich gebrauchen, weil in der Zusammenarbeit mit Menschen mit Behinderung, aber auch mit älteren Menschen etwa mit Demenzen gerade die sozialen Kontakte und zwischenmenschlichen Begegnungen sehr wichtig sind – und diese fehlen leider oft. Dazu können wir aber nicht Mitarbeiter „verpflichten“. Deshalb ist das Ehrenamt hier so wichtig: Wer sich freiwillig engagiert, der meint es auch wirklich so und hat eine ehrliche Freude daran.

Wenn jemand auf Sie zukommen und sagen würde: ‚Ich habe große Lust, mich zu engagieren, weiß aber gar nicht, wie und wo!‘ Was würden Sie antworten?

Dem würde ich sagen: Setzen wir uns doch mal auf einen Kaffee zusammen – und dann schauen wir, was wir verwirklichen können!




Wann hat ein Mensch vor dem Gesetz eine Behinderung?

Das Bundesteilhabegesetz soll eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft für Menschen mit Behinderung auf den Weg bringen. Es wurde im Jahr 2016 verabschiedet und wird über sieben Jahre hinweg stufenweise in Kraft gesetzt – ein komplexes Verfahren, das sehr viele verschiedene Änderungen umfasst. Ein Beispiel ist die neue Definition des Begriffs „Behinderung“ im Sozialgesetzbuch IX, die dort ab 2018 mit einer neuen Formulierung verankert sein wird. Dieser Text ist die Grundlage für vieles andere – und deshalb nicht nur sehr wichtig, sondern auch umstritten.
Die Ausführungen in diesem Interview geben nur die persönliche Auffassung von Dr. Till Sachadae wieder, sie sind getrennt von seinem dienstlichen Auftrag zu verstehen.


Herr Sachadae, warum ist eine neue Definition des Begriffs „Behinderung“ nötig?

Zuallererst, weil Deutschland gesetzlich dazu verpflichtet ist, seine Gesetze an die Regeln der UN-Behindertenrechtskonvention anzupassen. Damit sind rechtliche, inhaltliche und sprachliche Anforderungen verbunden, die in der aktuellen Definition des Begriffs „Behinderung“ nicht vollständig erfüllt sind. Zweitens bestimmt ja die Frage, ab wann ein Mensch laut Gesetz eine Behinderung hat und wodurch genau diese definiert wird, sehr stark mit, was sich in Sachen Inklusion in der Gesellschaft tun wird – oder eben nicht. Manchen Leuten mag die Diskussion über so einen kurzen Text also vielleicht kleinlich vorkommen, aber die Wirkung der Details darin ist weitreichend. Auf der Grundlage solcher sprachlichen Feinheiten wird nämlich entschieden, wer Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch IX beanspruchen kann und wer nicht.

Wie definiert das Sozialgesetzbuch den Begriff „Behinderung“ bisher, und was wird künftig anders sein?

Der bisher geltende Gesetzestext definiert eine Behinderung so: Der individuelle körperliche, geistige oder seelische Zustand eines Menschen muss von einem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und dadurch muss die Teilhabe dieses Menschen am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt sein. Aus Sicht des Gesetzgebers liegt dann ein Handicap vor und wird auch als solches anerkannt. Das Problem mit dieser Definition: Es wird davon ausgegangen, dass Beeinträchtigungen bei der Teilhabe aus einer körperlichen, geistigen oder seelischen Abweichung heraus resultieren müssen. Das greift aber gedanklich zu kurz. Ein Mensch mit Behinderung kann ja oft auch deshalb nicht gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben, weil die Gesellschaft ihn nicht lässt. Wie seine Umwelt gestaltet ist, denkt und handelt, bestimmt in hohem Maße mit, ob eine Behinderung überhaupt als solche empfunden wird oder nicht. Genau das besagt auch die UN-Behindertenrechtskonvention, doch die bisher geltende Definition des Begriffs Behinderung im Sozialgesetzbuch gibt dieses Denken nicht wieder. Verkürzt ausgedrückt stand der Gesetzgeber also jetzt vor der Aufgabe, den Behinderungsbegriff so anzupassen, dass damit ein neuer Leitsatz abgebildet wird, der auch einer Kampagne des Sozialverbandes Deutschland ihren Namen gegeben hat: „Ich bin nicht behindert, ich werde behindert!“

Ist das in der neuen Behinderungsdefinition aus Ihrer Sicht gelungen?

Das ist schwierig zu beantworten, weil das von der Auslegung der sprachlichen Feinheiten abhängt, aber auch davon, welche Erwartungen an diese neue Definition gestellt werden. Ging es den Juristen um mehr Klarheit in der Rechtslage? Sollte das Bewusstsein durch bessere Formulierungen geschärft werden? Das ist sicherlich gelungen. Aber sollte es auch inhaltliche Veränderungen in der neuen Definition geben, die tatsächlich rechtliche Konsequenzen haben? Das ist meiner Ansicht nach weitestgehend danebengegangen.

Woran machen Sie das fest?

Um das zu beantworten, stelle ich am besten mal beide Definitionen nebeneinander. Die bisherige Formulierung, die noch bis Ende 2017 gilt, lautet so:

„Menschen sind behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist […].“

Ab 2018 tritt die folgende neue Definition in Kraft:

„Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach S. 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht.“

Auf den ersten Blick unterscheiden sich die Versionen voneinander. Aber wenn man genauer hinschaut, wurden eigentlich nur ein paar neue Formulierungen eingebaut.

Warum reicht das aus Ihrer Sicht nicht aus?

Das Problem an dieser neuen Definition – und eine häufige, aus meiner Sicht berechtigte Kritik seitens der Behindertenverbände – ist, dass sich inhaltlich nichts verändert hat. Der Text ist sprachlich überarbeitet und in Teilen auch verbessert worden. Das ist fraglos wichtig, weil man annehmen kann, dass die Sprache auch ein Stück weit das Denken beeinflusst. Das wird aber leider kaum bis gar nicht dazu führen, dass die neue Definition auch rechtlich anders ausgelegt oder angewendet werden wird als die bisherige.

Was genau finden Sie an den Änderungen problematisch?

Zunächst einmal ist es dem Gesetzgeber nicht gelungen, die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention sauber umzusetzen, obwohl genau das eines der erklärten Ziele des Bundesteilhabegesetzes war. Ein Beispiel: Im neuen Gesetzestext wird jetzt ausdrücklich die „gleichberechtigte“ Teilhabe angesprochen. Das erscheint auf den ersten Blick zwar richtig formuliert, weil auch in der UN-Behindertenrechtskonvention von einer „vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe“ die Rede ist. Im Unterschied zum Konventionstext wurden im Bundesteilhabegesetz aber die Worte „voll“ und „wirksam“ komplett weggelassen. Damit wird das Thema Teilhabe abgeschwächt, wenn nicht sogar abgewertet.

Sehen Sie denn auch Annäherungen an die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention?

Ja, die gibt es schon, nur betreffen sie leider Bereiche der Definition, die keine echten Veränderungen bewirken – und das, obwohl man als Laie wahrscheinlich erstmal einen ganz positiven Eindruck bekommt. In der Definition ist beispielweise das Wort „Sinnesbeeinträchtigung“ ergänzt worden. Damit sind insbesondere Behinderungen des Sehens und Hörens gemeint, die im bisherigen Behindertenbegriff nicht extra erwähnt waren. Diese Änderung wirkt wie eine inhaltliche Neuerung, die mehr Behinderungsarten einschließt, es ist aber keine.

Warum nicht?

Weil diese Behinderungen ohnehin zu den körperlichen zählen, und die sind auch in der alten Definition erwähnt und damit abgedeckt. Dass das ergänzt wurde, trägt sicherlich zu einer Schärfung des Bewusstseins bei, weil etwas klarer wird, dass körperliche Behinderungen manchmal für andere Menschen nicht unbedingt auf den ersten Blick sichtbar sind. Rechtlich ist dadurch aber nichts anders geworden, auch hier ist nur eine rein sprachliche Annäherung an den Wortlaut der UN-Behindertenrechtskonvention passiert. Wie ich schon sagte, ist das überhaupt das größte Manko des neuen Textes aus meiner Sicht: Es gibt keine wirklichen inhaltlichen Veränderungen.

Was sind die Folgen für Menschen mit Handicap?

Viele von ihnen gelten durch die neue Definition auch weiterhin nicht als Menschen mit Behinderung. Sie haben deshalb keinen Anspruch auf Leistungen vom Staat oder auf sonstige Nachteilsausgleiche. Vorübergehende Behinderungen werden zum Beispiel weiterhin nicht anerkannt, obwohl auch für diese Menschen die gesellschaftliche Teilhabe ja nachweislich eingeschränkt ist. Auch altersbedingte Erkrankungen gelten in der neuen Definition nicht als Handicap. Im Text steht ja weiterhin, dass der Zustand eines Menschen von dem „für das Lebensalter typischen Zustand“ abweichen muss, und zwar „mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate“. Damit hat laut Gesetz weder ein junger Mann eine Behinderung, der einen schweren Unfall hatte und sich deshalb ein knappes halbes Jahr mit Rollstuhl durch seine Umwelt bewegt, noch eine alte Dame, die im dafür „typischen“ Lebensalter an einer Demenz erkrankt ist. Aus meiner Sicht leben aber beide Menschen nicht weniger mit einer geistigen oder körperlichen Behinderung als andere auch.

Gibt es denn trotzdem sprachliche Veränderungen im Vergleich zu 2016, die Sie unverzichtbar finden?

Gut und wichtig ist, dass das Wort „behindert“ durch „Behinderung“ ersetzt wurde. Das stützt den schon erklärten Wechselwirkungsansatz, denn damit sind Menschen laut Gesetz nicht mehr behindert, sondern werden höchstens behindert, denn sie haben eine Behinderung. Damit wird auch eine sprachliche Norm geprägt, weil diese jetzt offiziell verankert wurde – und dadurch wird sich irgendwann hoffentlich auch etwas in den Köpfen tun. Die Formulierung „Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren“ ist in diesem Zusammenhang ebenfalls eine wichtige, weil damit nochmals klarer gemacht wird, dass eine Behinderung immer im Zusammenhang mit der Umwelt eines Menschen steht und auch dadurch zustande kommt. Mit den „einstellungsbedingten“ Barrieren werden außerdem Ängste und Vorurteile seitens der Arbeitgeber benannt, die Menschen mit Behinderung ein Berufsleben oft gänzlich unmöglich machen. Und gut ist auch, dass „umweltbedingte“ Barrieren erwähnt werden, mit denen sowohl bauliche und technische als auch kommunikative Hürden gemeint sein können. Eine zu komplexe Sprache gilt künftig also genauso als Barriere wie eine fehlende Rampe vor einem öffentlichen Gebäude. –




Ein neuer Blickwinkel

Anna Spindelndreier will mit ihren Bildern Menschen erreichen, aufklären und sie zugleich berühren und glücklich machen. Mit uns hat sie über ihren Beruf, den Einstieg in die Selbstständigkeit, ihre Wünsche für die Zukunft, aber auch über die Vorurteile gesprochen, die ihr im Laufe ihrer Karriere immer wieder begegnet sind.


Frau Spindelndreier, seit wann fasziniert Sie die Fotografie?

Ich habe als Kind meinem Vater viel über die Schulter geguckt, der als Verleger arbeitet und viel fotografiert hat. Er hat früher viele Bildbände und Postkartenbücher gestaltet. Bei ihm im Büro lagen immer tausende Dias und Fotos herum. Das hat mich schon früh fasziniert. Mit neun Jahren bekam ich dann von meinem Patenonkel zur Kommunion meine erste eigene Kamera geschenkt. In dieser Zeit fing ich damit an, meine ganze Umwelt auf Zelluloid zu bannen und alles zu fotografieren, was mir vor die Linse kam.

Wie sind Sie Fotografin geworden?

Das war anfangs sehr schwierig. Nach dem Abitur wollte ich eigentlich gern eine Ausbildung zur Mediengestalterin machen, war mit meinen Bewerbungen aber nicht erfolgreich. Gleichzeitig hatte ich mich als Auszubildende für Fotografie beworben, bekam bei den Vorstellungsgesprächen aber leider zu hören, dass man mich nicht anstellen könne, weil man nicht wisse, wie Kunden auf mich als kleinwüchsige Fotografin reagieren würden. Schließlich klappte es nach über 80 Bewerbungen dann doch noch. Nach dem Abschluss der Ausbildung konnte ich leider keine Festanstellung finden – ich bin nicht sicher, ob es vor allem an der schwierigen Arbeitsmarktsituation in dieser Branche lag oder doch an meinem Kleinwuchs. Eingeredet habe ich mir immer das erstere. Ich habe dann erst einmal als Assistentin in einem Fotostudio angefangen zu arbeiten. Mit der Erfahrung und den Fähigkeiten, die ich dort sammeln konnte, habe ich mich schließlich selbstständig gemacht und parallel ein Studium begonnen.

Wie war der Einstieg in die Selbstständigkeit für Sie?

Zu Beginn meiner Selbstständigkeit lag mein Fokus noch sehr auf dem Studium. Ich habe in dieser Zeit vor allem freie Fotoprojekte für die Uni gemacht und mich daneben mit studentischen Hilfsjobs über Wasser gehalten. Viel Akquise habe ich damals aber nicht betrieben. Die ersten Aufträge bekam ich dadurch, dass ich weiterempfohlen wurde, weil ich vorher schon mal anderswo gute Arbeit geleistet hatte. Was das betrifft, ist mein Einstieg in die Freiberuflichkeit also weitestgehend positiv verlaufen, sie trug sich nach und nach und ich wurde unabhängiger. Trotzdem war das rückblickend betrachtet keine einfache Phase. In der Selbstständigkeit erlebt man gerade in kreativen Branchen viele Höhen und Tiefen, erst recht am Anfang. Es braucht immer viel Disziplin. Man muss lernen, sich seine Zeit vernünftig einzuteilen, zugleich muss man mit abstrakten Arbeitsstrukturen gut umgehen können oder sich darin am besten sogar sehr wohl fühlen.

Was für Aufträge hatten Sie am Anfang und wie kamen sie zustande?

Wie gesagt waren meine ersten freien Projekte die an der Uni, zugleich bin ich, wie viele andere Fotografen auch, über die Hochzeitsfotografie an Aufträge gekommen. Das erste Vertrauen von anderen, dass ich gut in meinem Beruf bin, bekam ich also vor allem von Freunden und Freunden von Freunden.

Welchen Schwerpunkt setzen Sie in Ihrer Arbeit?

Für mich war in der Ausbildung eigentlich klar, dass ich später mal in der Still-Life-Photography Fuß würde fassen wollen, mich also auf Produktfotos spezialisieren wollte. Bei dieser Art der Fotografie fehlte mir aber schon bald die menschliche Komponente. Deshalb verlagerte ich meinen Schwerpunkt nach und nach auf die Porträtfotografie, die heute ganz klar mein Hauptbereich ist.

Sie sind als selbstständige Fotografin ja in einem Berufsfeld unterwegs, in dem die Konkurrenz groß ist. Wie heben Sie sich von den Kolleginnen und Kollegen ab?

Das ist in meinem Beruf tatsächlich gar nicht so einfach. Eine Art Markenzeichen meiner Fotografie ist wohl, dass ich Stereotypen zu durchbrechen und neue Blickwinkel zu eröffnen versuche. Bei den Motiven ziehen sich vor allem Menschen mit Behinderung wie ein roter Faden durch meine Arbeit. Am wichtigsten ist mir hierbei, dass ich mit meinem ganz persönlichen, subjektiven Blick durch die Linse schaue. Ich beschönige nichts, meine Fotos sprechen klar alles so aus, wie es ist. Ich weiß auch, dass ich das sehr gut mache und vor allem deshalb gebucht werde. Abseits davon ist aber natürlich auch meine für viele Menschen ungewöhnliche Körpergröße ein bedeutendes Merkmal – auch wenn ich immer wieder gerne betone, dass ich in erster Linie Fotografin bin und erst in zweiter Linie kleinwüchsig. Aber diese körperliche Eigenschaft spiegelt sich indirekt eben auch öfter in der Perspektive meiner Fotos wider. Man kann dabei vielleicht ein bisschen von einer „Heldenperspektive“ sprechen, also einer Sicht von unten, die ich durch meine Größe ganz automatisch einnehme. Das ist ein Blickwinkel, der besonders gerne bei Models und Politikern verwendet wird. Mit Hilfe meiner Trittleiter kann ich natürlich trotzdem auch die „normale“ Perspektive anbieten.

Wer engagiert Sie – und mit welchen Kunden arbeiten Sie am liebsten zusammen?

Aktuell arbeite ich vor allem mit vielen Selbsthilfevereinen zusammen, unter meinen Kunden sind aber auch soziale Organisationen wie Special Olympics NRW, Change.org, Aktion Mensch, die AWO oder auch mal Privatleute wie der TV-Koch Volker Westermann, der selbst kleinwüchsig ist. Lieblingskunden gibt es dabei nicht, das ist immer von den Projekten selbst abhängig, die ich machen darf. Hier begeistern mich vor allem die Aufträge, bei denen mit besonders viel Herzblut gearbeitet wird. Wenn ich abends auf meinem Rechner die Bilder sortiere und dabei in freudestrahlende Gesichter schaue, dann weiß ich genau, warum ich diesen Job mache und liebe.

Wenn Sie an Aufträge der jüngeren Vergangenheit zurückdenken: Welcher hat Ihnen besonders viel Spaß gemacht und warum?

Vor einigen Wochen habe ich zusammen mit meiner sehr geschätzten Kollegin die Landesspiele der Special Olympics NRW in Neuss fotografiert. Dort haben über 1000 Athleten und Athletinnen mit Lernschwierigkeiten in unterschiedlichsten Leichtathletik-Disziplinen ihr Können gezeigt – das waren drei Tage voller Adrenalin, Action, Emotionen und Herzlichkeit, die ich so schnell nicht vergessen werde.

Wie sah bei diesem Auftrag Ihr Alltag aus?

Wir standen um 8 Uhr morgens auf dem Sportplatz, um den Startschuss der Wettkämpfe mitzubekommen. Danach und für den Rest des Tages sind wir von Sportstätte zu Sportstätte gezogen und haben dabei möglichst jede Sportart festgehalten und sehr viele Sportler porträtiert. Abends gegen sieben waren wir wieder zurück im Hotel, haben die Daten gesichert, eine kleine Bildauswahl gemacht für die sozialen Medien – Marketing gehört zwischendurch auch immer mit dazu –, und die Kamera-Akkus geladen. Anschließend sind wir ziemlich erschöpft ins Bett gefallen, und am nächsten Tag ging es fit und frisch in die zweite Runde.

Sehen Sie sich privat oder beruflich manchmal mit Vorurteilen oder anderen Barrieren konfrontiert – und falls ja, wie gehen Sie damit um?

Mal abgesehen von den baulichen Barrieren, die einem im Alltag ständig begegnen – zu hohe Ladentheken, Geldscheinautomaten, Lichtschalter und so weiter – werde ich hin und wieder leider auch mit Vorurteilen konfrontiert. Am häufigsten habe ich das Gefühl, dass andere Menschen meinen, sie könnten von meiner körperlichen auf meine intellektuelle Größe schließen.

Gibt es etwas, das Sie sich in Ihrem Beruf für die Zukunft wünschen würden?

Die Fotografie ist, wie viele andere Branchen auch, ein immer noch stark von Männern dominiertes Berufsfeld. Ich würde mir sehr wünschen, dass sich das in den nächsten Jahren ändert und mehr Frauen sich trauen, in diesem Beruf selbstständig zu arbeiten. Darüber hinaus könnte die ganze Medienbranche gerne etwas lockerer und offener werden. Ich möchte nie wieder hören müssen, dass ich einen Auftrag nicht bekomme, weil man nicht weiß, wie die Kunden auf mich – also auf meinen Kleinwuchs – reagieren könnten. Der größte Erfolg wäre es aber für mich, wenn ich es so lange wie möglich schaffen könnte, mit meiner Fotografie möglichst viele unterschiedliche Leute zu erreichen, aufzuklären und glücklich zu machen. –




Ein steiniger Weg an die Uni

Der Aufhänger ist eine beeindruckende aktuelle Zahl: drei Millionen. So viele junge Menschen sind heute an deutschen Hochschulen eingeschrieben. Das ist tatsächlich viel und auch deutlich mehr als früher, deshalb spricht die Politik davon oft, um zu zeigen, dass das Bildungsniveau in Deutschland steigt. Was an dieser Zahl aber nicht deutlich wird: Gleichberechtigt ist der Zugang an die Unis längst nicht für alle jungen Mitglieder der Gesellschaft, deren Leistungen aber gut genug sind, um ein Hochschulstudium absolvieren zu können. Kinder aus finanziell schwächeren Haushalten haben es zum Beispiel besonders schwer, hier Fuß zu fassen. Und wenn dann noch eine Behinderung dazukommt – wie bei Sabrina Vielmayer, die mit einer spinalen Muskelatrophie geboren wurde –, werden die Hürden noch viel komplexer.

Wie die junge Frau es auch nach wiederholten Rückschlägen trotzdem geschafft hat, ihren Bildungsweg bis zur Hochschule zu schaffen, diese abzuschließen und erfolgreich in ihren ersten Job zu starten, könnt ihr in dieser Reportage in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nachlesen – eine Geschichte, die hoffentlich auch vielen anderen jungen Menschen Mut macht, trotz vieler Barrieren ihren Weg zu gehen!




„Inklusion war für mich immer selbstverständlich“

Als diese Disziplin des Behinderten-Leistungssports im Jahr 2013 aufkam, war er sofort Feuer und Flamme, weil er schon seit Kindertagen nicht nur ein Leichtathlet, sondern auch ein begeisterter Ballsportler ist. Was Sport für ihn bedeutet und wie er dieses intensive Hobby mit seinem Beruf vereint, erzählt er uns im Interview.


Frederic, erklär doch gleich zu Beginn kurz den Zungenbrecher: Was ist eine Cerebralparese, die dem CP-Fußball ihren Namen gibt, und inwiefern betrifft sie dich?

„Cerebral“ heißt übersetzt „zum Gehirn gehörende Strukturen“. „Parese“ wiederum ist das Fachwort für „Lähmung“. Frei übersetzt ist eine Cerebralparese also eine „Gehirnlähmung“, die durch eine Schädigung des Gewebes im Gehirn verursacht wird. Bei Menschen mit dieser Behinderung treten dauerhafte Krampfzustände auf, auch Spastiken genannt. Davon können einzelne Körperteile betroffen sein oder aber der gesamte Körper, das ist ganz unterschiedlich. Deshalb gibt es innerhalb des CP-Fußballs auch verschiedene Klassen. Die Klassifizierungen reichen von C5 für Menschen, bei denen beide Beine betroffen sind, bis zu C8 für Menschen mit nur einer sehr geringen Ausprägung der Behinderung. C6 ist in dieser Reihe die Klasse für Menschen mit Spastiken am ganzen Körper, bei C7-Spielern ist nur eine Körperhälfte betroffen – so wie bei mir.

Wie lange spielst du schon in der deutschen CP-Fußball-Nationalmannschaft?

Die Mannschaft wurde im Jahr 2014 gegründet. Kurz danach wurden mehrere Sportvereine angeschrieben und darüber informiert, dass es ein Sichtungstraining für Fußballtalente mit dieser Behinderung geben soll. Daran habe ich teilgenommen und bin prompt in der CP-Fußball-Nationalmannschaft gelandet. Ich war schon als Kind ein begeisterter Ballsportler. Daher war das für mich die perfekte Gelegenheit, nach Jahren in der Leichtathletik etwas Neues auszuprobieren.

Was bedeutet Sport und insbesondere Fußball für dich?

Sport generell hat einen sehr hohen Stellenwert in meinem Leben. Ich kann hier immer wieder etwas Neues versuchen und mich zugleich weiter steigern und verbessern. Am Fußball reizt mich, dass es ein Mannschaftssport ist, in dem man alles zusammen erlebt. Die anderen Spieler und ich feiern zusammen Siege, müssen aber auch Niederlagen einstecken. Dann arbeiten wir gemeinsam daran, Fehler abzustellen.

Was machst Du beruflich? Hat es etwas mit Sport zu tun oder hast du bewusst etwas anderes gewählt?

Ich bin gelernter Veranstaltungskaufmann und bin Teil des Infothek-Teams des LVR-Inklusionsamtes in Münster. Mein Job hat gut geregelte Arbeitszeiten, daher lässt sich das mit dem Sport gut vereinen, zumal wir uns mit der CP-Fußball-Nationalmannschaft nur an ein bis zwei Wochenenden im Monat treffen. Ich trainiere darüber hinaus sowieso in einer Mannschaft, in der ansonsten nur Menschen ohne Behinderung spielen.

Frederic Heinze im Zweikampf beim CP-Fußball.
Foto: Parasport Danmark

Wie erlebst du das Thema Inklusion beim Sport und bei der Arbeit?

Ich habe wie gesagt schon immer in Gruppen und Mannschaften trainiert, in denen vor allem Menschen ohne Behinderung gespielt haben. Inklusion war also immer selbstverständlich für mich. Weder meine Mitspieler noch ich selbst haben uns je Gedanken darüber gemacht, was ich kann und was nicht. Auch im Beruf spielt das keine Rolle. Ich erledige alles alleine, was ich eigenständig machen kann, und bei den anderen Sachen bitte ich einfach meine Kollegen um Hilfe. In beiden Fällen war und ist Inklusion nicht so ein großes Thema – es wird einfach „gemacht“.

Begegnen dir dennoch manchmal Hürden, die mit deiner Behinderung zu tun haben?

An und für sich komme ich ziemlich gut mit meiner Behinderung zurecht, weil ich schon seit meiner Geburt daran gewöhnt bin. Ich kenne kein Leben ohne Behinderung. Dadurch wird man mit der Zeit ganz automatisch erfinderisch, um bestimmte Hürden zu umgehen, die dann doch immer mal wieder auftauchen. Ein Beispiel aus dem Alltag ist Möbel aufbauen oder Bilder aufhängen. Das kann ich nicht alleine, weil meine Feinmotorik so eingeschränkt ist, dass ich nicht mit beiden Händen zugleich koordiniert arbeiten kann. Aber dabei helfen mir dann eben andere. Um diese Hürde ganz überwinden zu können, müsste schon die Behinderung als solche verschwinden.

Was ist dein Traumberuf, und wie sähe dein Alltag in diesem Job aus, wenn du es dir aussuchen könntest?

Ich denke, jeder wünscht sich, sein „Hobby“ zum Beruf machen zu können. Mein Traum wäre, wie bei wahrscheinlich jedem leidenschaftlichen Sportler, eines Tages mit dem Sport meinen Lebensunterhalt verdienen zu können. Aber davon ist der Behindertensport noch ziemlich weit entfernt. Wenn es doch so weit käme, würde ich den Trainingsalltag ganz anders gestalten und auch intensiver trainieren. Und: Wir würden uns mit der CP-Mannschaft viel häufiger nur als nur ein oder zwei Mal im Monat treffen. –




Digitale Barrieren abbauen

Herr Warnke, Sie leben selbst mit einer Sehbeeinträchtigung. Welche Barrieren begegnen Ihnen besonders oft beim Umgang mit dem Computer?

Ich arbeite mit einem Windows-PC und nutze ein Vergrößerungsprogramm, eine Art Lupe. Damit steht mir nur ein kleiner, vergrößerter Bildschirmausschnitt zur Verfügung, mit dem ich über den Bildschirm navigiere. Es ist wichtig, dass das Vergrößerungsfenster immer dort ist, wo ich gerade schreibe oder per Tastatur in Menüs eine Auswahl treffe. Eigentlich eine praktische Hilfe, aber leider funktioniert dies nicht immer reibungslos. Es kommt vor, dass es nach einem Windows-Update erhebliche Probleme gibt, bis hin zum Systemabsturz. Manche der Probleme verschwinden, wenn endlich das nächste Update für das Vergrößerungsprogramm kommt. Darüber hinaus kann ich in der neuesten Windows-Version nicht mehr die Fensterhintergrundfarbe frei wählen – ich hatte früher immer hellgrau eingestellt. Das ist für mich wichtig, weil ich sehr lichtempfindlich bin. Heute geht das nicht mehr, weil Microsoft so gut wie keine individuellen Einstellungen mehr zulässt. Dadurch ist für mich das Arbeiten am PC viel anstrengender geworden.

Wie sieht es mit dem Smartphone aus?

Für mich ist mein Smartphone ein universelles Hilfsmittel: beim Navigieren, beim Reisen mit Bahn und Bus, beim Lesen oder Vorlesen Lassen von Büchern und Zeitungen, als elektronische Lupe oder sogar als Fernrohr. Ich nutze ein Gerät, das schon von Hause aus für sehbeeinträchtigte Menschen gut nutzbar ist. Problematisch wird es aber immer, wenn die Apps, die ich verwende, nicht barrierefrei sind – wenn ich also zum Beispiel Inhalte nicht vergrößern kann, wenn Kontraste zu schwach sind, wenn es ungünstige Farbkombinationen gibt oder ich die Sprachausgabe nicht nutzen kann.

Welche Hilfsmittel setzen Sie beim Surfen ein und wie gut funktioniert das? Welche Hürden begegnen Ihnen besonders oft?

Ich benutze auch hier das PC-Vergrößerungsprogramm, das ich oben beschrieben habe. Das geht bei klar strukturierten Websites ganz gut. Allerdings unterscheiden sich die meisten Seiten in ihrem Aufbau sehr deutlich voneinander, ich muss sie also jedes Mal wieder neu erkunden. Das kann sehr anstrengend sein. Oft sind die Kontraste so schwach, dass ich Schriften nicht gut erkennen kann. Wenn dann noch ständig Werbung dazwischen „funkt“ wird es für mich noch schwieriger beim Surfen. Formulare kann ich oft auch nicht mühelos ausfüllen, weil die Namen der Felder nicht per Sprachausgabe vorgelesen werden können. Ich weiß dann nicht, was ich wo in welcher Reihenfolge eintragen muss. Dadurch ist es schon vorgekommen, dass ich eine Buchung oder einen Interneteinkauf vorzeitig abbrechen musste.

Welche Hindernisse könnten aus Ihrer Sicht leicht vermieden werden – und wie?

Für sehbeeinträchtigte Menschen sind klar strukturierte, kontrastreiche Programmoberflächen und Webseiten sehr wichtig. Eine wesentliche Erleichterung ist auch, wenn barrierefreie PDF-Dokumente zur Verfügung stehen, deren Texte für Sprachausgaben lesbar sind. Es gibt hier offizielle Vorgaben für die barrierefreie Gestaltung von Programmoberflächen und Web-Inhalten. Leider werden diese immer noch zu wenig beachtet und umgesetzt.

Gibt es eine Möglichkeit, die eigene Webseite oder Apps auf Barrieren prüfen zu lassen?

Ja. Für Webinhalte gibt es den so genannten BITV-Test. BITV steht für „Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung“. Apps wiederum können mit dem BITi-Prüfverfahren auf Barrierefreiheit geprüft werden.

Entstehen automatisch Mehrkosten, wenn Anbieter ihre Seiten oder Angebote barrierefrei gestalten wollen?

Der Schlüssel ist, Barrierefreiheit von Anfang an mitzudenken und bei der Entwicklung umzusetzen, denn nachträglich ist dies oft nicht mehr möglich. Und wenn schon in der Konzeptphase für ein Programm oder eine Website die Standards für Barrierefreiheit berücksichtigt und durch das IT-Personal auch konsequent umgesetzt werden, dann entstehen auch kaum Mehrkosten. Falls doch, überwiegt trotzdem der Gewinn, weil durch eine anwenderfreundliche und barrierefreie Gestaltung generell mehr Nutzerinnen und Nutzer gewonnen werden können.

Gibt es empfehlenswerte Websites oder Apps, die Menschen mit Sehbehinderung besonders gut nutzen können und von denen Anbieter sich inspirieren lassen können?

Ja, auf der BITV-Test-Seite gibt es eine Reihe vorbildlicher Websites, die von kompetenten Agenturen entwickelt worden sind. Eine vergleichbare Sammlung von mobilen Apps kenne ich leider nicht.

An wen können sich Redaktionsteams, Entwickler oder Webdesigner wenden, wenn sie Probleme von vorn herein vermeiden wollen?

Beratungsstellen des BITV-Test-Prüfverbunds bieten an, den Entwicklungsprozess von Websites und Apps mit Tests zu begleiten. Außerdem gibt es Checklisten für die Web- und App-Entwicklung, zum Beispiel die BITV-Checkliste des Rechenzentrums Erlangen oder der Qualitäts-Guide für mobile Apps der TU Dortmund.

Welche Anlaufstellen gibt es für Betroffene, denen Barrieren im Netz oder auch sonst im digitalen Bereich begegnet sind?

Ein guter Anlaufpunkt ist die Meldestelle für digitale Barrieren. Menschen mit Sehbeeinträchtigungen können aber auch ihren örtlichen Blinden- und Sehbehindertenverein ansprechen.

Welche Rolle spielt das Projekt BIT inklusiv in diesem Zusammenhang, das Sie geleitet haben?

BIT inklusiv war ein Projekt des Deutschen Vereins der Blinden Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V. (DVBS). Die Abkürzung steht für „Barrierefreie Informationstechnik für inklusives Arbeiten“. Genau das war unser Ziel: Wir wollten digitale Angebote dahingehend verbessern, dass sie für alle Menschen zugänglich sind. Konkret wurden mit dem Projekt IT-Experten in öffentlichen Verwaltungen und privatwirtschaftlichen Unternehmen für barrierefreie Informationstechnik sensibilisiert. Außerdem haben wir ihnen das Know-How an die Hand gegeben, Websites und Apps barrierefrei umzusetzen und Testverfahren anzuwenden. Aus dieser Arbeit sind mehrere Kompetenzzentren für barrierefreie IT hervorgegangen. Einige haben am Ende der Projektphase begonnen, auf den freien Markt zu gehen, um ihr Angebot zu verbreiten und ihr Wissen stärker in die Öffentlichkeit zu tragen. –




VIER FRAGEN AN… Dennis Winkens

#1: Herr Winkens, was bedeutet Inklusion bei der Arbeit für Sie?

Wenn ein völlig normales und unvoreingenommenes Miteinander von Menschen mit und ohne Handicap stattfindet, ist das für mich gelungene Inklusion. Für mich darf es dabei keine Rolle spielen, ob diese Begegnungen in der Freizeit oder in der Arbeitswelt stattfinden. Zugleich sind die Rahmenbedingungen im Beruf natürlich etwas andere als im Privaten – überspitzt gesagt zählen hier vor allem die Leistung der Mitarbeiter und die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens. Daher finde ich es auch selbstverständlich, dass Arbeitgeber ihre offenen Stellen mit Personen besetzen wollen, die die nötigen Kenntnisse und Fähigkeiten für den Job mitbringen. Das bedeutet aber zugleich eben nicht, dass dieser Jobanwärter ein kerngesunder Fußgänger sein muss. Ich finde einfach, dass hier öfter der Fokus darauf liegen sollte, welche Dinge jemand gut kann und nicht vorwiegend darauf, welche Defizite sie oder er mitbringt. In unserer Gesellschaft gehört Arbeit einfach zum Leben dazu, deshalb sollte auch jeder die Möglichkeit haben, seinen Fähigkeiten entsprechend arbeiten zu können, egal, ob er oder sie nur eine Hand hat, im Rollstuhl sitzt oder sonst ein Handicap hat. Wie genau die jeweiligen Aufgaben dann umgesetzt werden – beispielsweise mit Hilfe von technischen Hilfsmitteln oder einer Arbeitsassistenz –, ist doch eigentlich relativ gleichgültig, solange sie erfüllt werden und den Qualitätsansprüchen des Arbeitgebers entsprechen.

#2: Was bremst Ihrer Meinung nach die Inklusion – bei der Arbeit, aber auch in der Gesellschaft insgesamt?

Einer der größten Fehler, den viele Menschen im Alltag und besonders auch in der Politik machen, ist, dass sie übereinander anstatt miteinander reden. Ich finde, nur wer miteinander redet, kann auch miteinander leben, und das ist doch das Ziel. Wenn also nicht auf Augenhöhe gesprochen wird, ist das Ergebnis fast immer, dass man sich gegenseitig ausgrenzt.

#3: Mit welchen kleinen oder größeren Handlungen könnten einzelne Menschen aus Ihrer Sicht selbst zur Inklusion beitragen?

Wie schon erwähnt fehlt es meiner Meinung nach vor allem an Kommunikation. Die Menschen müssten offener und unvoreingenommener aufeinander zu- und miteinander umgehen. Es ist jedes Mal das gleiche Szenario: Wenn ich als Mensch mit Behinderung auf Personen treffe, die bisher wenig Kontakt zu Menschen mit Handicap hatten, sind sie in der Regel sehr vorsichtig und zurückhaltend, weil sie sehr unsicher sind, wie sie sich verhalten sollen. Keiner will etwas Falsches tun oder sagen. Oft haben sie dann nur flüchtige oder neugierige Blicke für mich übrig und meist macht sich auch noch ein Schweigen breit. Sobald ich sie aber kurz anspreche, scheint die große Berührungsangst, die vorher noch deutlich zu spüren war, auf einmal vergessen zu sein. Die Leute merken durch Kommunikation schnell, dass ich auch nur ein ganz normaler Mensch bin, so wie ihr Nachbar von nebenan.
Ein weiteres Problem der Inklusion ist das Geld. Ich bin der Meinung, dass die Politik noch mehr finanzielle Mittel zur Verfügung stellen oder passende Gesetze erlassen müsste, um beispielsweise Barrierefreiheit oder Assistenzleistungen für Menschen mit Behinderung gezielt zu fördern. Durch diese Maßnahmen könnten Menschen mit Handicap einfach deutlich leichter am gesellschaftlichen Leben teilhaben und wären dort dann auch viel präsenter. Aus meiner Sicht kann sich auf Dauer nur so auch das Bild verändern, das Menschen von der Zusammensetzung einer „normalen“ Gesellschaft im Kopf haben – viele würden also vielleicht nicht mehr so stark in bestimmten Kategorien denken. Vielfalt hat sehr viele Vorzüge, die auf diesem Weg vielleicht öfter erkannt und gelebt werden könnten. Ich zitiere in diesem Zusammenhang sehr gerne Raul Krauthausen: „Etwa jeder zehnte Mensch in Deutschland hat eine Behinderung, aber nicht jeder zehnte davon findet sich auch in unserem Freundes- und Bekanntenkreis wieder. Wo sind diese Leute also?“ Diese Frage zeigt, dass die Durchmischung und Chancengleichheit im Beruf wie im Privaten, die Inklusion ja eigentlich befördern soll, oft noch nicht vorhanden ist. Das heißt, es muss sich etwas ändern, damit Menschen mit Handicap kein Schattendasein mehr führen, wie das bei zu vielen noch der Fall ist. Sie müssen wie alle anderen als Teil der Gesellschaft wahrgenommen werden und darin gut und gleichberechtigt leben können.

#4: Wenn Sie Ihren Traum-Arbeitsplatz frei entwerfen könnten: Wie sähe der aus?

Das kann ich relativ leicht beantworten: Flexible Arbeitszeiten, sympathische Kolleginnen und Kollegen, ebenso freundliche Geschäftspartner, kreative und abwechslungsreiche Tätigkeiten sowie die eine oder andere Dienstreise – gerne auch weltweit – würden für mich dazugehören. Wahrscheinlich würde ich auch mein eigener Chef sein wollen, denn so könnte ich viele dieser Aspekte leichter umsetzen. –




VIER FRAGEN AN… Norbert Sandmann

#1: Herr Sandmann, was bedeutet Inklusion bei der Arbeit für Sie?

Arbeit gehört in unserer Gesellschaft einfach fest zum Leben dazu. Wir verdienen mit ihr nicht nur unseren Lebensunterhalt, sondern definieren uns selbst auch durch das, was wir beruflich tun. Deshalb ist Inklusion im Arbeitsleben so wichtig, denn sie spielt eine große Rolle für unser Selbstwertgefühl und ermöglicht es uns zugleich, unser Leben eigenmächtig zu gestalten. Ein echter Arbeitsplatz, an dem nicht nur Beschäftigungstherapie angesagt ist, gibt jedem Menschen mit Handicap das gute Gefühl, mehr als ein „Quotenbehinderter“ zu sein. Stattdessen wird man oft erst dann als ein wirklich vollwertiges Mitglied der Gesellschaft wahrgenommen.

#2: Was bremst Ihrer Meinung nach die Inklusion – bei der Arbeit, aber auch in der Gesellschaft insgesamt?

Am häufigsten sind es wohl Berührungsängste seitens vieler Kollegen oder Vorgesetzten. Aus dieser Angst, dass Menschen mit Behinderung „anders“ sein könnten, entstehen schnell Vorurteile, und dadurch sehen viele bloß noch das Handicap und nicht mehr den Menschen dahinter.

#3: Mit welchen kleinen oder größeren Handlungen könnten einzelne Menschen aus Ihrer Sicht selbst zur Inklusion beitragen?

Kommunikation ist das A und O, damit Inklusion gelingen kann. Wenn wir alle mehr miteinander reden würden, wäre schon eine Menge geschafft. Das gilt übrigens für beide Seiten. Wir als Betroffene sollten ungezwungener auf unsere Mitmenschen zugehen, ihnen Unsicherheiten zugestehen und offen und ehrlich erklären, ob, wann und warum wir Hilfe benötigen – und genauso auch, wann diese unnötig ist. Auf ähnliche Weise gilt das umgekehrt auch für Nichtbehinderte: Sie sollten versuchen, nicht aus Angst oder Scham gar nichts mehr zu sagen, sondern lieber ein Gespräch suchen und gegebenenfalls auch die eigenen Unsicherheiten ansprechen.

#4: Wenn Sie Ihren Traum-Arbeitsplatz frei entwerfen könnten: Wie sähe der aus?

Ich würde ich mir vor allem ein Team wünschen, bei dem das Thema Behinderung keine Rolle spielt. Gerade im Arbeitsleben ist das eine sehr spannende Sache, weil hier neben Persönlichkeit immer auch Leistung gefragt ist. Damit diese auch effektiv erbracht werden kann, ist es umso wichtiger, dass sich alle aufeinander einstellen. Bei meinem Traum-Arbeitsplatz würden daher alle auf die jeweils unterschiedlichen Bedürfnisse, Kenntnisse und auch Einschränkungen der anderen achten, um dadurch im Arbeitsleben gemeinsam stark zu sein.




„So viele maßgeschneiderte Arbeitsplätze wie möglich“

Welchen Beitrag leistet Ihr Unternehmen im Bereich Inklusion?

Für uns ist es selbstverständlich, Mitarbeiter, die im Laufe ihres Arbeitslebens eine Schwerbehinderung erleiden, in ihrem vertrauten Arbeitsumfeld– wir nennen es gern im „Heimathafen“ – angemessen zu beschäftigen. Wir leben den Positivansatz, bei dem die Stärken des Mitarbeiters im Vordergrund stehen. Daher schaffen wir eine Arbeitsatmosphäre, die alle gleichermaßen fördert. Zugleich versuchen wir, so viele maßgeschneiderte Arbeitsplätze wie möglich anzubieten. Barrierefreiheit ist dabei eine Selbstverständlichkeit. Bei Bedarf bieten wir zum Beispiel auch Behindertenparkplätze an. Neben diesen betrieblichen Maßnahmen unterstützt BASF externe, integrative Projekte wie beispielsweise die gemeinsame Ausbildung von Jugendlichen mit und ohne Behinderung.

Die Arbeitslosenquote von Menschen mit Schwerbehinderung liegt mit 13,4 Prozent mehr als doppelt so hoch wie bei Menschen ohne Behinderung (Stand: 2016). Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe dafür?

Ich glaube, dass viele Arbeitgeber sich noch davor scheuen, Menschen mit Behinderung einzustellen, weil sie einfach den Umgang mit ihnen nicht gewohnt sind. Durch diese fehlenden Erfahrungen entstehen Bedenken und Berührungsängste, die wiederum Menschen aus unserer Gesellschaft ausschließen. Wir sehen aber beste Chancen, dass sich das durch die Umsetzung der UN-Konvention für die Rechte schwerbehinderter Menschen ändern kann. In inklusiven Kindertageseinrichtungen oder Schulen lernen Kinder heute schon gemeinsam und erleben damit ein ganz anderes Miteinander. Als Resultat fürchten sie sich nicht vorm Anderssein, sondern sehen es als etwas ganz Natürliches an. Genau diese Perspektive ist für eine inklusive Gesellschaft nötig und wird hoffentlich in Zukunft mehr und mehr selbstverständlich.

Wie hoch ist bei Ihnen die Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderung und in welchen Bereichen werden sie eingesetzt?

Bei der BASF SE liegt die Quote derzeit bei 4,4 Prozent mit steigender Tendenz. Dabei werden schwerbehinderte Kollegen in nahezu allen Bereichen des Unternehmens eingesetzt.

Mit 4,4 Prozent liegen Sie derzeit noch unter gesetzlich vorgeschriebene Quote. Was wird Ihr Unternehmen in Zukunft dafür tun, mehr Menschen mit Behinderung zu beschäftigen?

Wir beteiligen uns an verschiedenen Projekten. Unter anderem fördern wir eine inklusive Ausbildung, bei der Jugendliche mit Schwerbehinderung gemeinsam mit nichtbehinderten Kollegen lernen und arbeiten.

Wie wird Ihr Unternehmen in Zukunft mit dem Thema Inklusion und Diversity umgehen?

Bei BASF sind Diversity und Inclusion (Vielfalt und Inklusion) fest in der Unternehmenskultur verankert und seit 2008 auch Teil der Strategie. Dabei denken wir bei BASF Diversity und Inclusion mehrdimensional – für uns sind Faktoren wie kultureller Hintergrund, Nationalität, Geschlecht, Alter bzw. Generation ebenso relevant wie die Themen Religion oder Behinderung.
Wir wissen, dass wir die Vielfalt der Menschen brauchen, um dauerhaft an der Weltspitze zu bleiben. Mit ihren unterschiedlichen Hintergründen und Denkweisen tragen sie entscheidend zu innovativen Lösungen und damit zu unserem Erfolg bei. Deswegen schätzen und fördern wir eine vielfältige Kultur, die unterschiedlichste Denkansätze und Erfahrungen einbezieht. Das zeigt sich auch in unserem Motto „We create chemistry“: Uns ist wichtig, dass die Chemie stimmt – zwischen uns und unseren vielen Partnern, Kunden und vor allem auch Mitarbeitern. Daher legen wir großen Wert auf Respekt und gegenseitige Wertschätzung.
Daher sehen wir auch in dem Abbau von Barrieren zwischen Mitarbeitern mit und ohne Behinderung große Chancen für das gesamte Unternehmen. Wir wollen, dass verschiedene Mitarbeitergruppen wie selbstverständlich miteinander arbeiten und das Anderssein als Potenzial begreifen. Erreichen wollen wir das, indem wir weiterhin Vielfalt fördern und dazu ermuntern, häufiger die Perspektive zu wechseln. Zum Beispiel auch dadurch, dass wir mit Veranstaltungen genau auf solche Themen aufmerksam machen. –




„Jeder hat einen eigenen Schatz an Fähigkeiten“

Herr Flöter, die Arbeitslosenquote von Menschen mit Schwerbehinderung liegt mit 13,4 Prozent mehr als doppelt so hoch wie bei Menschen ohne Behinderung (Stand: 2016). Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe dafür?

Meiner Meinung nach gibt es nicht einfach „die“ Schwerbehinderung, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher, individueller Beeinträchtigungen. Dennoch hat jeder Mensch einen eigenen Schatz an Fähigkeiten, der eine Arbeitsgemeinschaft bereichern kann. Es ist in unserer Gesellschaft noch nicht weit verbreitet, diese Tatsache anzuerkennen. Die hohe Arbeitslosenquote bei Menschen mit Behinderungen scheint mir also ein Ausdruck vielfältiger Vorbehalte zu sein, die es abzubauen gilt.

Welchen Beitrag leistet Ihr Unternehmen im Bereich Inklusion?

Das Thema Vielfalt spielt bei dm in allen Unternehmensbereichen eine große Rolle – gerade auch bei den Mitarbeitern. Menschen mit Behinderung sind Teil der Arbeitsgemeinschaft bei dm, und wir bieten ihnen die Unterstützung, die sie benötigen. Das können zum Beispiel Seminare sein, aber auch die Buchung eines Gehörlosendolmetschers. Wir möchten für alle Mitarbeiter die Voraussetzungen dafür schaffen, gemeinsam und voneinander zu lernen, einander als zu Menschen begegnen und die Individualität des anderen anzuerkennen.

Wie hoch ist bei Ihnen die Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderung?

Es bleibt bei uns jedem selbst überlassen, zu entscheiden, inwieweit er den Verantwortlichen bei uns oder auch die Arbeitsgemeinschaft darüber informieren will, ob sie oder er eine Behinderung hat oder nicht. Die Quote der Menschen bei uns, die einen versorgungsamtlich festgestellten Schwerbehinderten- beziehungsweise Gleichstellungsstatus an dm mitgeteilt haben, liegt bei 3,25 Prozent – Tendenz ist steigend. Wir arbeiten außerdem eng mit Werkstätten für Menschen mit Behinderung zusammen. Diese Arbeitsplätze rechnen wir zu unserer Beschäftigungsquote dazu, die somit bei über fünf Prozent liegt.

In welchen Bereichen werden die Mitarbeiter bei Ihnen eingesetzt?

Überall in unserer Arbeitsgemeinschaft, ihren Bedürfnissen und Möglichkeiten entsprechend, sich individuell einzubringen. Das kann genauso eine geringfügige Beschäftigung wie eine Führungsposition sein. Hier ist auch ein Kooperationsvertrag zu nennen, den wir mit den Nordeifelwerkstätten haben. Sie übernehmen vielfältige Aufgaben für dm.

Auf Ihrer Webseite weisen Sie auf eine Auszeichnung der VERBRAUCHER INITIATIVE e. V. hin, bei der dm als „Nachhaltiges Einzelunternehmen 2015“ mit Silber ausgezeichnet wurde. Inwiefern wurde dabei auch unternehmerisches Engagement in Bezug auf die Inklusion berücksichtigt?

Für die Auszeichnung der Verbraucherinitiative war unter anderem die Frage zu beantworten, welche Maßnahmen wir ergreifen, um die Vielfalt unter den Mitarbeitern zu fördern. Davon ist die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung ein Teil.

Wie will Ihr Unternehmen in Zukunft mit dem Thema Inklusion und Vielfalt umgehen?

Wir möchten bei dm weiterhin die Vielfalt leben und fördern. Dabei schauen wir bewusst auf die Talente jedes Einzelnen und darauf, wie diese Fähigkeiten unsere Arbeitsgemeinschaft weiter voranbringen können.

Wer oder was sind die größten „Inklusions-Bremsen“ unserer Gesellschaft?

Meiner Ansicht nach ist es die bei vielen fehlende Vorstellungskraft, dass jeder Mensch – egal ob mit oder ohne Beeinträchtigung – ein Unternehmen und dessen Team durch sein Wissen, seine Kreativität und seine Persönlichkeit bereichern kann. –