VIER FRAGEN AN… Silke Naun-Bates

Im Alter von acht Jahren hatte Silke Naun-Bates einen schweren Unfall. Ihr mussten anschließend beide Beine amputiert werden. Die heute 50-Jährige ließ sich von diesem Schicksalsschlag nicht unterkriegen und geht heute sehr selbstbewusst mit ihrer körperlichen Behinderung und den damit verbundenen Veränderungen um. Durch ihre positive Haltung und entgegen ärztlicher Prognosen erkämpfte sich Silke Naun-Bates ein unabhängiges, selbstständiges Leben, in dem sie sehr glücklich ist. Sie arbeitet als Autorin und spricht unter anderem auf Konferenzen über das Thema Inklusion und über ihr Leben mit Behinderung. Mit uns hat sie über ihre persönliche Vision einer inklusiven Gesellschaft und Arbeitswelt gesprochen.


#1: Frau Naun-Bates, was bedeutet für Sie Inklusion im Beruf und bei der Arbeit?

Inklusion bedeutet für mich: die Vielfalt und Heterogenität einer Gesellschaft und der gesamten Menschheit als selbstverständlich zu betrachten. Nicht der Einzelne sollte sich dem System anpassen müssen, sondern umgekehrt. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen müssen aus meiner Sicht so flexibel gestaltet sein, dass sie es jedem Einzelnen ermöglichen, uneingeschränkt am täglichen Leben teilzuhaben. Dafür müssen zum Beispiel als erstes die offensichtlichsten Barrieren – Treppen, Bordsteinkanten und so weiter – abgebaut werden.
Das gleiche Prinzip gilt auch im Berufsleben: Jeder Mensch sollte, wenn sie oder er die nötigen Fähigkeiten, Qualifikationen und Talente für einen bestimmten Job mitbringt, die Möglichkeit erhalten, diesen Beruf auch auszuüben. Wenn sich die Rahmenbedingungen dahingehend ändern würden, dass das möglich wird, würden sich viele Diskussionen um Bewerbungsabsagen an Menschen mit Behinderung von selbst erledigen.
Bei Menschen, die durch ihre Behinderung bestimmten Anforderungen in der Berufswelt nicht auf Anhieb gerecht werden können, sollte für einen vernünftigen Ausgleich gesorgt werden, damit sie trotzdem arbeiten können – zum Beispiel mit zusätzlichem Personal oder finanziellen Hilfen. Übrigens: Das System, das diese Ausgleichsmittel regelt, müsste sich meiner Meinung nach ebenfalls ändern. Viele Fördergelder für notwendige Umbauten am Arbeitsplatz oder Eingliederungszuschüsse werden zwar schon seit Jahrzehnten gezahlt, aber die erwünschte Wirkung – nämlich ein wirklich inklusiver Arbeitsmarkt – bleibt bis heute aus.

#2: Was bremst Ihrer Meinung nach die Inklusion – bei der Arbeit, aber auch in der Gesellschaft insgesamt?

Es sind vor allem die Barrieren in den Köpfen vieler Menschen. Diese abzubauen, mehr Offenheit, Toleranz und ein besseres Miteinander zu erreichen, darin sehe ich eine wichtige Aufgabe, um Inklusion zu schaffen. Wir müssen das verbindende Element zwischen unserer jeweils eigenen und der Individualität anderer Menschen erkennen, anstatt uns auf die Unterschiede zu konzentrieren. Ich glaube, wenn wir dann noch offen mit unseren unterschiedlichen Eigenschaften und Voraussetzungen umgehen, werden sich die Rahmenbedingungen auf ganz sanfte Art und Weise zu ändern beginnen. Dafür braucht es allerdings die Bereitschaft aller Beteiligten, das anzuerkennen, was schon erreicht wurde. Darauf können wir aufbauen und gemeinsam weiter daran arbeiten, dass es besser wird. Wer erwartet, dass in unserer komplexen Gesellschaft alle Änderungen die für eine vollständige Inklusion eigentlich nötig wären, über Nacht geschehen, der kann nur enttäuscht werden. Barrieren im Kopf verschwinden nicht einfach so und weichen einem neuen Verständnis, nur weil man sich das wünscht oder weil es eigentlich so sein müsste. Dafür fehlt es zu vielen Menschen (noch) an der Bereitschaft, über ihren so genannten Tellerrand hinauszuschauen. Viele sind nur auf ihre eigenen Bedürfnisse fokussiert, oft genug sogar mit gutem Grund. Ein Wandel im Denken tritt meist erst dann ein, wenn diese Menschen selbst in Situationen geraten, in denen sie nicht mehr überall teilhaben können – dann spüren sie sehr direkt, was für eine Einschränkung das bedeutet. Und solche Erlebnisse beschränken sich längst nicht nur auf den Kontext einer anerkannten Behinderung.

#3: Mit welchen kleinen oder größeren Handlungen könnten einzelne Menschen aus Ihrer Sicht zur Inklusion beitragen?

Alle sollten versuchen, offen aufeinander zuzugehen und sich auf das Verbindende zu konzentrieren. Wir alle sind Menschen, wir alle haben Bedürfnisse und Emotionen. Wir lachen, wir weinen, sind wütend oder begeistert, wir alle müssen Herausforderungen meistern, nur dass diese immer unterschiedliche sind. Wenn wir die Gemeinsamkeiten darin erkennen, wird der gefühlte Unterschied zwischen einzelnen Menschen gleich viel kleiner.

#4: Wenn Sie Ihren Traum-Arbeitsplatz frei entwerfen könnten: Wie sähe dieser aus?

Hier auf meiner pinkfarbenen Couch fühle ich mich sehr wohl, ich mag meinen Arbeitsplatz zu Hause sehr. Ich reise aber auch viel, bin also immer wieder in Hotels oder auf Campingplatzen unterwegs, sowohl beruflich als auch privat. Diese Abwechslung ist für mich eine perfekte Arbeitssituation. Bis 2015 war ich in der Jugend- und Erwachsenenbildung tätig, vorwiegend im Bereich der Rehabilitation von Menschen mit körperlichen, geistigen und psychischen Behinderungen. Diese Menschen zu begleiten, mit unterstützenden Organisationen, Arbeitgebern und Kostenträgern zusammenzuarbeiten und die Öffentlichkeitsarbeit, die damit verbunden war, haben mich sehr erfüllt – trotz der Tatsache, dass die Barrierefreiheit nicht in allen Einrichtungen, mit denen ich zu tun hatte, erfüllt war. Für mich war es viel wichtiger, dass ich als gleichwertiger Mensch wahrgenommen wurde. Denn mein Körper mag zwar etwas anders aussehen, aber im Kern sind wir doch alle ziemlich gleich.




„Gleiche Chancen bieten, individuelle Unterschiede fördern“

Frau Ruopp, eine aktuelle Zahl zum Einstieg: Die Arbeitslosenquote von Menschen mit Schwerbehinderung liegt mit 13,4 Prozent mehr als doppelt so hoch wie bei Menschen ohne Behinderung. (Stand: 2016). Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe dafür?

Zum einen liegen die Probleme klar auf der Arbeitgeberseite: In vielen Unternehmen mangelt es an Barrierefreiheit, zugleich sind sich viele Unternehmer einfach zu unsicher im Umgang mit Menschen mit einer Schwerbehinderung. Viele Unternehmen wissen außerdem nicht, welche Fördermaßnahmen und finanziellen Hilfen die öffentliche Hand für sie bereithält. Daher ist es umso wichtiger, die Leute darüber aufzuklären und sie mit allen nötigen Informationen zu versorgen. Zum anderen sollten aber auch Menschen mit Behinderung mutiger werden. Wir würden uns von ihnen wünschen, dass sie noch öfter im Bewusstsein ihrer Stärken, selbstsicherer und zuversichtlicher auftreten und agieren würden.

Welchen Beitrag leistet Ihr Unternehmen im Bereich Inklusion?

„Diversity and Inclusion“ – also Vielfalt und Integration – sind grundlegend für unsere Visionen und Werte. Alle unsere Kollegen sind einzigartig. Wir setzen auf ein Arbeitsumfeld, in dem diese Unterschiede respektiert, geschätzt und gewürdigt werden. Alle sollen verantwortungsvoll und offen handeln und miteinander umgehen können. Nur so kann jeder seine Talente und Fähigkeiten nutzen und entfalten. Diesen Werten entsprechend fördern wir die Chancengleichheit aller Mitarbeiter und treten vehement gegen Diskriminierung und Belästigung jeder Art ein. Darüber hinaus sind weitere betriebliche Maßnahmen vorgesehen, unter anderem der Ausbau barrierefreier Zugänge, Türen und Kantinen. Wir planen Aufzüge mit Brailleschrift und Sprachansagen für blinde Kollegen, technische Unterstützung für taub-stumme Kollegen, Trainings zum Abbau von Vorurteilen und die verbesserte Kommunikation im Intranet, zum Beispiel zum internationalen Tag der Menschen mit Behinderung.

Wie hoch ist bei Ihnen die Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderung und in welchen Bereichen werden diese Mitarbeiter eingesetzt?

Die Quote liegt in unseren deutschen Einheiten bei 5,43 Prozent. Unsere Mitarbeiter mit (schweren) Behinderungen werden fast überall eingesetzt, zum Beispiel in der Verwaltung oder im Callcenter, aber auch in den Kraftwerken.

Wie wird Ihr Unternehmen in Zukunft mit dem Thema Inklusion und Diversity umgehen?

Wi werden bei E.ON auch in Zukunft das Prinzip von Vielfalt und Inklusion leben. Einer unserer Unternehmenswerte lautet: „Wir wollen verantwortungsbewusst handeln und offen an Dinge heran gehen.“ Genau diese Offenheit ist unser Fundament für eine gelebte Vielfalt. Dazu zählt auch, dass wir allen unseren Mitarbeitern gleiche Chancen bieten, also individuelle Unterschiede fördern und zugleich nutzen. Dieser ganzheitliche Ansatz umfasst alle Dimensionen der Vielfalt. Die Förderung derselben ist auch ein Fokusthema in unserer neuen Nachhaltigkeitsstrategie.

Wer oder was sind die größten „Inklusions-Bremsen“ unserer Gesellschaft?

Simpel ausgedrückt sind es Barrieren – sowohl die im Kopf als auch die baulichen, zum Beispiel in Form von Treppenstufen. Dazu gesellen sich oft unbewusste Vorurteile. Aber auch mangelnde Information und Aufklärung bremsen aus unserer Sicht ein freundschaftliches Miteinander aus und fördern zusätzlich die Unsicherheiten, die viele im Umgang mit Menschen mit Behinderung haben. –




VIER FRAGEN AN… Günter Benning

Unternehmensberater helfen Betrieben dabei, ihre Produktivität und Effizienz zu steigern. Dabei agieren sie als neutrale Beobachter, spüren Probleme auf, suchen nach Lösungswegen und helfen, neue Strukturen zu finden. Das gleiche tun auch Unternehmensberater, die auf das Thema Inklusion spezialisiert sind, aber mit einem anderen Schwerpunkt: Sie helfen Unternehmen, Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung zu schaffen oder zu erhalten. Die Berater besuchen dazu die Betriebe und unterstützen sie zum Beispiel auch dabei, Fördergelder zu beantragen, um möglichst viele Stellen barrierefrei zu gestalten. Günter Benning ist so ein Unternehmensberater für Inklusion, und zwar bei der Handwerkskammer Dortmund.


#1: Herr Benning, welche Stimmung herrscht zur Zeit beim Thema Inklusion in den Unternehmen, die Sie besuchen?

In vielen Betrieben ist die Stimmung eher verhalten. Die Unternehmer wissen aufgrund der Vielzahl an Institutionen, die Unterstützung anbieten, oftmals gar nicht, wer für Sie zuständig ist, also ob es zum Beispiel das Inklusionsamt des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe ist oder die Deutsche Rentenversicherung Westfalen, die Bundesagentur für Arbeit oder die Job-Center, Berufsgenossenschaften oder gesetzliche Unfallversicherungen und Fachstellen. Das sind nur einige von vielen Einrichtungen, und dieser „Inklusions-Dschungel“ überfordert die Unternehmen meist sehr. Daher konzentrieren sich viele lieber auf den Ist-Zustand und auf das, was sie sowieso gut können, anstatt neue Möglichkeiten zu erschließen.

Umso wichtiger finde ich daher, die Arbeitgeber gut über die Chancen und Optionen in Sachen Inklusion zu informieren. Sie müssen vor allem wissen, an wen konkret sie sich mit welchen Ideen oder Belangen wenden müssen. Viele wünschen sich dafür eine Art kompetenten „Lotsen“ und zuverlässigen Ansprechpartner, der ihnen den richtigen Weg weist und dabei hilft, Weichen zu stellen. Hier komme ich als Unternehmensberater für Inklusion ins Spiel. Ich stehe den Menschen in diesen Unternehmen zur Seite, gemeinsam mit der Handwerkskammer Dortmund und ihren Netzwerkpartnern.

#2: Stoßen Sie auch oft auf die berüchtigten „Barrieren in den Köpfen“?

Mir ist schon oft aufgefallen, dass Menschen mit Behinderungen überwiegend nach ihren Einschränkungen beurteilt werden und nicht nach ihren Fähigkeiten. Auf diese Art von „Barriere in den Köpfen“ treffe leider immer noch häufig. Das muss und kann sich zum Beispiel durch gute Aufklärungsarbeit ändern, wir sollten in unserer Gesellschaft aber auch generell stärker auf die individuellen Fähigkeiten und Talente von Menschen schauen egal, ob mit oder ohne Behinderung. Daraus würde dann auch folgen, dass sich der Arbeitsplatz dem Menschen anpassen müsste und nicht umgekehrt. An den technischen Möglichkeiten dafür würde es uns jedenfalls heute schon längst nicht mehr mangeln.

#3: Welche positiven Erlebnisse in Verbindung mit dem Thema Inklusion hatten sie schon in Ihrem Job?

Ein Fall, an den ich mich noch genau erinnere, ist die Familie Honikel. Sie betreibt eine Tischlerei in Dortmund-Scharnhorst. Ich habe dem Betrieb dabei geholfen, einen langjährigen Mitarbeiter weiter zu beschäftigen, der durch eine Krebserkrankung schwerbehindert wurde und dem die Arbeitslosigkeit drohte, weil er seine Aufgaben nicht mehr erfüllen konnte. Das Unternehmen wollte ihn gerne behalten, brauchte dabei aber Unterstützung. Ich bin direkt zur Tischlerei gefahren und habe mir den Betrieb zunächst genau angeschaut. Bei meiner Arbeit ist es außerdem üblich, dass ich mich sehr intensiv mit allen Beteiligten auseinandersetze, um ihre Bedürfnisse und Wünsche genau zu verstehen. Nachdem ich also auch die Familie besucht und gemeinsam mit ihnen die passenden Fördermöglichkeiten für den Mitarbeiter herausgearbeitet hatte, habe ich die entsprechenden Anträge für den Betrieb beim zuständigen Integrationsfachdienst gestellt. Den fortan umgestalteten, barrierefreien Arbeitsplatz konnte der Landschaftsverband Westfalen-Lippe dann problemlos mit Mitteln fördern. So konnte die Tischlerei ihren jahrelang geschätzten Mitarbeiter weiter beschäftigen  und er rutschte nicht in die Arbeitslosigkeit ab. Das war also ein Gewinn für alle: für den Betrieb, für den Mitarbeiter, letztlich aber auch für die Gesellschaft.

#4: Wie sieht aus Ihrer Sicht der Arbeitsmarkt der Zukunft aus, und welche Rolle wird Inklusion darin spielen?

Ich bin kein Prophet, sondern Realist. Daher kann ich leider auch noch keinen generellen Trend erkennen, dass mehr Menschen mit Behinderung eingestellt werden. Trotzdem sehe ich auch täglich, dass selbst kleine Schritte uns weiter vorwärts bringen können. Wenn mehr Arbeitgeber und Betriebe zum Beispiel schon heute genau wüssten, welche Beratungs- und Förderangebote sie nutzen könnten, wäre das aus meiner Sicht bereits ein großer Fortschritt. Außerdem würde ich mir wünschen, dass die Potenziale von Menschen mit Behinderung und ihre ebenso große Motivation, zu arbeiten, öfter erkannt werden. Wenn sie sich diese dann noch selbstbewusster und ihrer Fähigkeiten bewusst bei Betrieben bewerben würden, wäre schon einiges getan. Und, noch wichtiger: In Zukunft wäre noch viel mehr möglich.





Barrierefreiheit in Echtzeit

Kurze Sätze, Passiv, Genitiv und Konjunktiv vermeiden, viele Absätze einfügen: Das sind, grob zusammengefasst, die Regeln der Leichten Sprache. Diese Variation des Deutschen ist dazu gedacht, die komplexe Grammatik des Deutschen so stark zu vereinfachen, dass jeder Mensch den Inhalt eines Textes gut verstehen kann – also auch diejenigen, die zum Beispiel keine Muttersprachler sind oder aus anderen Gründen alltägliche Texte kaum verstehen können.

Ein tolles Konzept, das nur einen einzigen kleinen Haken hat: Leichte Sprache ist in Deutschland bisher vor allem eine Schriftsprache. Sie kann also gelesen werden, wird aber (noch) nicht in Echtzeit gesprochen. Oder doch?

Anne Leichtfuß würde hier wohl vehement protestieren, denn ihr Job ist genau das: Live und simultan in Leichter Sprache reden, also komplexe Inhalte in leicht verständliche Sätze übersetzen  zum Beispiel bei Veranstaltungen. Sie ist bundesweit bisher die einzige, die diesen Job hat, die also als Simutandolmetscherin für Leichte Sprache arbeitet. Die TAZ hat dazu im letzten Jahr einen schönen Artikel veröffentlicht, den wir als Linktipp der Woche heute noch einmal wärmstens empfehlen möchten.




Eine positive Haltung und Hilfe von Experten

Vor fast 20 Jahren ging bei der Sternberg-Dental-Labor GmbH in Gesecke im Kreis Soest eine vielversprechende Bewerbung ein: Eine Frau mit Hörbehinderung interessierte sich für eine Stelle als Zahntechnikerin. Sie schien perfekt für die Aufgabe zu sein, und die Chefin des Labors, Karin Schulz, wollte die Bewerberin sehr gerne einstellen. Sie war aber etwas unsicher, ob und wie das im Arbeitsalltag funktionieren würde und was sie würde beachten müssen.

Sie wandte sich daher an eine Beratungsstelle des LWL, die genau für solche Situationen zur Verfügung steht: den Fachdienst für Menschen mit Hörbehinderung. Die Stelle unterstützt sowohl Unternehmen, die, wie das Dental-Labor, gern einen Menschen mit einer Hörbehinderung einstellen wollen, aber auch die (angehenden) Arbeitnehmer mit Behinderung.

Die Experten helfen bei allen Fragen weiter, bauen Barrieren ab – auch solche im Kopf –, und unterstützen dabei, die Zusammenarbeit im Arbeitsalltag optimal für alle Beteiligten zu gestalten.

Wie Inklusion am Arbeitsplatz dadurch, aber auch durch die positive Haltung aller Beteiligten klappt, zeigt dieser schöne Film am Beispiel des Dental-Labors.




„Vielfalt ist ein Teil der Lösung“

Frau Léon, eine aktuelle Zahl zum Einstieg: Im Jahr 2016 waren 13,4 Prozent aller Menschen mit Schwerbehinderung in Deutschland arbeitslos, das sind mehr als doppelt so viele im Vergleich zu Menschen ohne Behinderung. Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe dafür?

Ganz einfach gesprochen: Es liegt an Vorurteilen. In unserer Gesellschaft kämpfen viele Menschen mit körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderungen immer noch mit den vielfältigen Vorbehalten ihrer Mitmenschen ohne Behinderung. Es fehlt hier ein breiter „Diversity“-Ansatz, der das Anderssein als wertvoll ansieht. Auch viele Unternehmen haben immer noch nicht erkannt, wie viel Potenzial durch diese Barrieren in unseren Köpfen auf der Strecke bleibt. Ich sehe das Problem hier vor allem bei denjenigen, die auf Einheitlichkeit abzielen, anstatt sich auf die Vielfalt unserer Gesellschaft einzulassen. Unterschiedlichkeit müsste viel öfter und selbstverständlicher als ökonomischer Erfolgsfaktor gesehen werden – und nicht als Nachteil. Der Fokus auf das Negative ist jedoch leider noch weit verbreitet, und damit lässt sich aus meiner Sicht auch die hohe Arbeitslosenquote unter Menschen mit Behinderung erklären. Übrigens: das Problem beschränkt sich nicht nur auf das Thema Behinderung. Es umfasst das Anderssein im Allgemeinen, und das ist in unserer Gesellschaft nach wie vor viel zu oft mit negativen Vorurteilen behaftet.

Welchen Beitrag leistet Ihr Unternehmen für die Inklusion?

Die Lufthansa Group hat 2014 die „Charta der Vielfalt“ unterzeichnet, eine Initiative aus der Wirtschaft, die die Vielfalt in Unternehmen und Institutionen fördern soll. Außerdem haben wir schon im Jahr 2003 eine so genannte „Integrationsvereinbarung“ im Konzern abgeschlossen, um die Integration behinderter Menschen in das Arbeitsumfeld zu fördern. Das bedeutet: Die Gesellschaften der Lufthansa-Group bekennen sich über eine Betriebsvereinbarung zur beruflichen Förderung behinderter Menschen und zu einem fairen und fürsorglichen Umgang. Darin ist auch festgeschrieben, dass wir insbesondere bei Nichterfüllung der Pflichtquote unsere gesellschaftliche Verantwortung auf anderem Weg wahrnehmen müssen, und zwar, indem wir die zusätzlichen Möglichkeiten der Behindertenförderung nutzen. So vergeben wir zum Beispiel Aufträge gezielt an Werkstätten für behinderte Menschen. Und: Wenn einer unserer schwerbehinderten Mitarbeiter seine bisherige Tätigkeit nicht mehr ausüben kann und in seiner Gesellschaft keine geeignete andere Stelle vorhanden oder einzurichten ist, versuchen wir, ihn in einen anderen Teil des Konzerns zu vermitteln.

Die Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderung bei der Lufthansa Group liegt bei 4,3 Prozent. In welchen Bereichen werden Sie eingesetzt – und woran liegt es, dass Sie die gesetzlich vorgegebene Quote von fünf Prozent nicht erfüllen?

Viele Arbeitsplätze in unseren operativen Arbeitsfeldern, also zum Beispiel im Flugbetrieb, setzen eine bestimmte körperliche und psychische Leistungsfähigkeit voraus, die nicht jeder Mensch hat. Unsere Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderung ist im Geschäftsfeld Airline daher etwas niedriger, dafür erreichen andere Gesellschaften Quoten von bis zu 23 Prozent – in den Geschäftsfeldern Logistik oder Catering ist das zum Beispiel der Fall.

Wie wird Ihr Unternehmen in Zukunft mit dem Thema Inklusion und Diversity umgehen?

Wir möchten in Zukunft noch stärker alle Potenziale ausschöpfen. Wir sind der Ansicht, dass sich die Arbeitswelt in einem tief greifenden Wandel befindet und Vielfalt ein Teil der Lösung sein wird. Der demografische Wandel beispielsweise führt auch bei uns über kurz oder lang zu einem Rückgang von Nachwuchs- und Fachkräften. Für uns ist klar, dass eine Antwort auf diese Herausforderung nur in der Vielfalt der Belegschaft liegen kann. So kann man die Potenziale verschiedener Interessengruppen ausschöpfen und nicht nur allein dafür sorgen, dass Fachkräfte nachkommen. Zu dieser Vielfalt gehören natürlich auch Menschen mit Behinderung – wir setzen also auf die vielen verschiedenen Dimensionen von Diversity. Das schließt auch mit ein, dass wir als internationales Unternehmen allen Menschen unsere Dienstleistungen anbieten, unabhängig von Merkmalen wie Hautfarbe, Religion oder Herkunft. Und wir möchten selbst ebenso „divers“ sein wie unsere Kunden es sind.
Dabei reicht es insbesondere für Menschen mit Behinderung natürlich lange noch nicht aus, nur den barrierefreien Zugang zum Arbeitsplatz zu schaffen. Wir brauchen künftig nicht nur eine neue Arbeitsorganisation, die das individuelle Leistungsvermögen berücksichtigt, sondern auch ein neues Konzept für die gezielte Entwicklung und Förderung des Personals, das sich an den Stärken der Mitarbeiter orientiert – und nicht an ihren Schwächen. –




VIER FRAGEN AN… Carina Kühne

Carina Kühne hat einen Beruf, von dem viele träumen: Sie ist Schauspielerin. Ihren Durchbruch hatte sie im Jahr 2014 mit „Be my Baby“, einem Film, in dem sie eine junge Frau spielt, die wie sie selbst das Down-Syndrom hat. Seit diesem ersten großen Erfolg in Deutschland darf Carina Kühne immer wieder in neue, verschiedene Rollen schlüpfen. Wenn sie mal nicht vor der Kamera steht, engagiert sich die 32-jährige mit viel Herzblut für die Inklusion. Als Aktivistin hält sie zum Beispiel Vorträge, gibt Interviews zum Thema und bloggt über ihr Leben und das, was sie bewegt. Sie wünscht sich eine Gesellschaft, in der Menschen einander auf Augenhöhe begegnen. Im Interview hat sie uns verraten, was dem aus Ihrer Sicht noch im Weg steht und wo sie Lösungen sieht.


#1: Frau Kühne, was bedeutet für Sie Inklusion im Beruf und bei der Arbeit?

Inklusion heißt für mich in diesem Zusammenhang: Es ist selbstverständlich, dass Menschen mit und ohne Behinderung miteinander arbeiten, sich gegenseitig unterstützen und voneinander lernen können. Es wäre allerdings erst dann wirklich Inklusion, wenn die Behinderung nicht mehr beachtet würde und keiner mehr als etwas „Besonderes“ darüber sprechen würde.

#2: Was bremst Ihrer Meinung nach die Inklusion – bei der Arbeit, aber auch in der Gesellschaft insgesamt?

Die größte Bremse ist meiner Meinung nach das System in Deutschland, durch das viele Menschen mit Behinderung immer noch in Sondereinrichtungen landen. Das geht los mit dem Förderkindergarten, dann geht es weiter in der Förderschule und danach landen viele in einer Werkstatt für behinderte Menschen anstatt auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Auch im Freizeitbereich werden viele ausgesondert und finden keinen Anschluss, weil sie zum Beispiel in eigenen Wohnheimen für Menschen mit Behinderung wohnen. Da gibt es oft kaum eine Begegnung, und das führt dann dazu, dass es so viele Berührungsängste und Barrieren in unseren Köpfen gibt. In unserer Gesellschaft wird leider immer noch stark vom so genannten „Anderssein“ her gedacht. Menschen werden also vor allem danach beurteilt und in den Köpfen „sortiert“. Ich glaube außerdem, dass viele Menschen ohne Behinderung irgendwie Angst haben, dass ihre eigene Arbeit nicht mehr so viel wert ist, wenn auch Menschen mit Handicap sie leisten können oder dass diese ihnen die Jobs wegnehmen. Dazu kommt noch, dass sich viele Unternehmen davor scheuen, Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter mit Behinderung einzustellen. Dafür gibt es auch ein gesetzliches Schlupfloch: Wenn ein Arbeitgeber nicht genug Menschen mit Behinderung einstellt, leistet er stattdessen die so genannte Ausgleichsabgabe – und für viele hat sich das Thema damit erledigt. Es gibt also sehr viele Barrieren, die aus meiner Sicht nur abgebaut werden können, indem wir gemeinsam leben und nicht getrennt voneinander. Das gilt von Anfang an und in allen Bereichen.

#3: Mit welchen kleinen oder größeren Handlungen könnten einzelne Menschen aus Ihrer Sicht selbst zur Inklusion beitragen?

Indem sie aufeinander zugehen, sich auf Augenhöhe begegnen und keine Angst haben, dass sie nicht den richtigen Umgangston finden. Wenn wir uns besser kennenlernen, verstehen wir einander auch besser und können selbstverständlicher miteinander leben und arbeiten. Außerdem sollte jedem Menschen ohne Behinderung bewusster sein, dass es kein Verdienst oder eine Selbstverständlichkeit, sondern ein Geschenk ist, nicht behindert zu sein. Wenn alle mit dem Wissen durchs Leben gehen würden, dass sich das jederzeit ändern kann, würden sie vielleicht auch anders mit Menschen mit Behinderung umgehen, als das aktuell viele noch tun.

#4: Wenn Sie Ihren Traum-Arbeitsplatz frei entwerfen könnten: Wie sähe dieser aus?

Da ich ja Schauspielerin bin, wünsche ich mir natürlich viele inklusive Rollen. Die Medien haben in unserer Gesellschaft einen sehr großen Einfluss, das bedeutet umgekehrt: Wenn in Berichten und Filmen öfter Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam gezeigt werden, dann wird Inklusion irgendwann auch in der Gesellschaft selbstverständlich. Was ich mir noch wünschen würde: Dass auch im Berufsleben niemand wegen seiner Behinderung ausgegrenzt wird. Ich selbst konzentriere mich immer lieber auf die Stärken der Menschen als auf ihre Defizite – und das sollten andere Menschen, Arbeitgeber und Kollegen auch öfter tun.





„Bei Siemens sind Leistung und Behinderung kein Widerspruch“

Siemens ist eines der zehn größten Unternehmen in Deutschland. Der Konzern erfüllt die gesetzliche Quote, nach der Firmen ab 20 Mitarbeitern mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze mit Menschen besetzen müssen, die eine Behinderung haben. Was sonst noch mit dem Thema „Diversity“ verbunden ist und was die Inklusion in der Firmenpolitik von Siemens für eine Rolle spielt, wollten wir von Nicole Herrfurth wissen, die bei Siemens für „Leadership Development, Diversity and Inclusion“ verantwortlich ist (übersetzt: „Führungskräfte-Entwicklung, Vielfalt und Inklusion“).


Frau Herrfurth, eine aktuelle Zahl zum Einstieg: Im Jahr 2016 waren 13,4 Prozent aller Menschen mit Schwerbehinderung in Deutschland arbeitslos, das sind mehr als doppelt so viele im Vergleich zu Menschen ohne Behinderung. Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe dafür?

Eines der Probleme ist, dass viele Menschen mit Behinderung im erwerbsfähigen Alter oftmals keinen allgemeinen Schulabschluss haben. Die Ursache dafür liegt wiederum im Bildungssystem: Solange Inklusion in der Schule und bei der Ausbildung nicht die Normalität ist, wird es auch auf dem Arbeitsmarkt Probleme geben. Menschen mit und ohne Behinderungen werden heute noch immer getrennt voneinander unterrichtet. Es gibt also nicht einen großen, gemeinsamen Lernraum, sondern viele Einzelsysteme wie Sonderschulen, Förderschulen und Werkstätten. Das führt leider dazu, dass Menschen, die dort unterrichtet werden oder arbeiten, bereits in jungen Jahren und auch später von bestimmten Bildungs- oder Berufswegen ausgeschlossen werden. Dadurch kommt es zu Ausgrenzung – und das Risiko, arbeitslos zu werden oder zu bleiben, steigt. Das Schulsystem muss sich also noch intensiver mit dem Thema Vielfalt beschäftigen und dieses Prinzip so früh wie möglich fördern.
Ein weiteres Problem sehen wir darin, dass es an barrierefreien Lösungen mangelt. Das ist sowohl firmenpolitisch als auch infrastrukturell ein Thema, und es betrifft die „reale Welt“ genauso wie die Barrieren, die es noch immer in den Köpfen gibt.

Welchen Beitrag leistet Ihr Unternehmen im Bereich Inklusion?

Wir achten zuallererst darauf, die gesetzlichen Regelungen zu befolgen, zum Beispiel bei Themen wie Sonderurlaub und Kündigungsschutz. Außerdem liegt uns natürlich die barrierefreie und flexible Gestaltung unserer Arbeitsplätze am Herzen. Wir versuchen, diese Umgebungen den Menschen anzupassen und nicht umgekehrt. Bei Siemens gibt es zudem ein Gleitzeitsystem, mit dem unsere Mitarbeiter ihre Arbeitszeiten relativ frei gestalten können. Das gleiche gilt für den Arbeitsort: Das „Home Office“ ist bei uns nicht nur ein Lippenbekenntnis, sondern gehört mittlerweile zum Alltag, für Menschen mit oder ohne Behinderung. Auch das Thema Mobilität ist für uns ein Teil der Inklusion. Wir bieten unseren Mitarbeitern mit Schwerbehinderung daher nicht nur Behindertenparkplätze, sondern ermöglichen es ihnen bei Geschäftsreisen auch, in der ersten Klasse Bahn zu fahren beziehungsweise mit der Business Class zu fliegen. Wir wollen damit sicherstellen, dass unsere Mitarbeiter so unbeschwert und komfortabel wie möglich arbeiten können. Und wir legen Wert auf verschiedene betriebliche Maßnahmen, wie eine konstante Weiterbildung, bezahlte Freistellungen und eine gute gesundheitliche Versorgung, die wir unter anderem über unsere Betriebskrankenkasse anbieten.

Wie hoch ist bei Siemens die Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderung und in welchen Bereichen werden sie eingesetzt?

Bei Siemens in Deutschland sind derzeit 6.200 Menschen mit Behinderungen, teilweise mit schweren Handicaps, beschäftigt. Das entspricht einer Quote von etwa 5,2 Prozent. Viele der Mitarbeiter sind auf unsere Standorte in Erlangen, Nürnberg und Berlin verteilt, sie werden je nach Fähigkeiten und Interessen in allen Abteilungen eingesetzt und arbeiten in ganz unterschiedlichen Funktionen und Abteilungen. Außerdem kooperieren wir viel mit Werkstätten für Menschen mit Behinderung: Siemens hat allein im vergangenen Geschäftsjahr Aufträge in Höhe von rund 14 Millionen Euro an solche Einrichtungen vergeben.

Wie wird Ihr Unternehmen in Zukunft mit dem Thema Inklusion und Vielfalt umgehen?

Bei uns stehen Leistung und Behinderung schon jetzt nicht im Widerspruch zueinander. Im Gegenteil: Wir sehen täglich, dass es oft gerade die Mitarbeiter mit Behinderungen oder anderen Einschränkungen sind, die die „Extrameile“ gehen. Durch ihre Ausdauer, Beharrlichkeit und Motivation bringen sie sich voll und ganz ins Unternehmen ein und meistern dabei auch viele Hürden. Wir sehen diese Mitarbeiter daher nicht in erster Linie als Menschen mit Behinderung, sondern als Menschen mit besonderen Fähigkeiten. Von diesen Eigenschaften könnten sich Menschen ohne Behinderung oftmals eine Scheibe abschneiden. Im letzten Dezember haben wir dazu passend einen „Ability Day“ in der Siemens-Zentrale in München veranstaltet. Der Tag stand unter dem Motto „Sport“ und sollte dazu aufrufen, die Fähigkeiten jedes Einzelnen wert zu schätzen. Diesen besonderen Tag würden gerne dauerhaft etablieren und gegebenenfalls zusammen mit anderen Unternehmen gestalten, um möglichst viele Menschen von dieser Botschaft zu überzeugen.
Vielfalt sollte aus unserer Sicht kein isoliertes Sonderthema bleiben, sondern ganzheitlich in allen Prozessen eines Unternehmens verwurzelt werden. Wir selbst haben deshalb unter anderem die Charta der Vielfalt unterschrieben und wollen diese Idee damit weiter nach vorne bringen.

Wer oder was sind aus Ihrer Sicht die größten „Inklusions-Bremsen“ unserer Gesellschaft?

Es gibt leider viele dieser „Bremsen“, wir glauben aber, dass die größten Hürden die Barrieren im Kopf sind. Wir nennen diese Hürden „Unconscious Bias“, also Vorverurteilungen und Denkmuster, die bei vielen Menschen vorhanden sind und sich im Unterbewusstsein abspielen. Wenn zum Beispiel jemand im Rollstuhl in den Raum kommt, sehen viele erst einmal nur die Behinderung, nicht die Persönlichkeit, die Fähigkeiten und die Qualifikationen des Menschen. Das geht zum Teil so weit, dass viele unbewusst davon ausgehen, dass ein Mensch mit Behinderung nicht wirklich arbeiten kann, nicht so belastbar ist oder auch weniger Fähigkeiten hat. Auch bei der Suche nach neuen Mitarbeitern spielt das immer noch eine große Rolle, denn das Kompetenzprofil wird von Recruiting-Mitarbeitern viel schneller außer Acht gelassen, wenn ein Bewerber eine Behinderung hat. Diese unbewussten Prozesse, die sich überall in unserer Gesellschaft zeigen, müssen wir im Kern auflösen.
Bei Siemens konzentrieren wir uns daher auf das Individuum und dessen Fähigkeiten. Diesen Ansatz wollen wir auch in Zukunft weiterhin verfolgen und stärker nach außen kommunizieren – daraus entstand auch unsere Idee zum „Ability Day“.




VIER FRAGEN AN… Lars Hemme

In seiner Freizeit bloggt Lars Hemme über sein Leben mit 24-Stunden-Assistenz und über Themen wie Selbstbestimmtheit und Gleichberechtigung. Im Interview redet er mit uns darüber, wie er selbst Inklusion erlebt und was aus seiner Sicht jeder einzelne für ein Miteinander auf Augenhöhe tun kann.


#1: Herr Hemme, was bedeutet für Sie Inklusion im Beruf und bei der Arbeit?

Das ist eigentlich ganz einfach: Ich möchte, wie jeder Mensch, meinen Interessen und Fähigkeiten folgen und meinen Wunschberuf frei wählen können. Ich kann in meiner Situation sicherlich nicht jeden Beruf ausüben – aber das könnte eine Mensch ohne Behinderung auch nicht unbedingt, wenn ihm die notwendigen Fähigkeiten im Denken oder Tun fehlen. Trotzdem hat ja jeder individuelle Interessen und Stärken, die er in den Job einfließen lassen kann, wenn ihm denn die Chance gegeben wird, diese auch zu zeigen und zu nutzen.
Für mehr Inklusion im Berufsleben ist ein gutes Miteinander von Kolleginnen und Kollegen besonders wichtig, finde ich. Dazu gehört von allen Seiten auch, das natürliche Arbeitsklima mit all seinen „Aufs und Abs“ zu akzeptieren und einfach gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Ich denke, dass Inklusion dann funktioniert, wenn alle aufeinander zugehen und auch Kritik äußern dürfen und können. Wenn ich mich zum Beispiel nicht kollegial verhalte, dann müssen mich andere auch konstruktiv darauf hinweisen dürfen. Meine Behinderung darf ich selbst also nicht als Schutzschild sehen und einsetzen – denn das ist sie nicht.

#2: Was bremst Ihrer Meinung nach die Inklusion – bei der Arbeit, aber auch in der Gesellschaft insgesamt?

In den meisten Fällen funktioniert die Inklusion aus meiner Sicht deshalb nicht wie erhofft, weil Nicht-Behinderte immer noch zu wenige Berührungspunkte mit Menschen wie mir haben. Zugleich müssen beide Seiten eine gesunde Portion Enthusiasmus für ein gutes, gemeinsames Miteinander auf Augenhöhe mitbringen. Nur dann hat Inklusion eine Chance. Andererseits muss sich meiner Meinung nach jeder Mensch mit einer Behinderung – auch ich selbst – darüber im Klaren sein, dass sie oder er für andere Menschen immer etwas „anders“ ist. Wem das klar ist, der kann inkludiert werden. Dafür braucht es selbstverständlich Hilfen, zum Beispiel Assistenzleistungen oder technische Hilfsmittel. So ähnlich, wie etwa Flüchtlinge Sprachkurse erhalten, damit sie eine Chance haben, Teil der Gesellschaft zu werden, brauchen auch andere Personengruppen diese Unterstützung, nur eben auf andere Weise. Dabei gilt umgekehrt: Wenn ich zum Beispiel im Beruf auch nach dem ersten Kennenlernen der Teamkollegen im Arbeitsalltag weiterhin als etwas Besonderes oder Anderes betrachtet werde, kann ich nie ein gleichwertiges Mitglied im Team werden. Dann funktioniert Inklusion nicht.

#3: Mit welchen kleinen oder größeren Handlungen könnten einzelne Menschen aus Ihrer Sicht selbst zur Inklusion beitragen?

Jeder, der Inklusion verwirklichen möchte, sollte sich engagiert mit dem Thema auseinandersetzen. Nur so kann er dazu beitragen, den Prozess voranzutreiben. Das gilt nicht nur für Menschen ohne, sondern auch und gerade für Menschen mit Behinderung. Sie müssen aktiv auf die anderen Mitglieder der Gesellschaft zugehen und zeigen, dass sie ein Teil dieser sind und sein wollen. Inklusion kann nicht nur von einer Seite geleistet werden. Ich selbst zum Beispiel habe im Studium gemerkt, dass ich durch meine Teilnahme am gemeinsamen Alltag etwas wichtiges erreichen konnte: Ich wurde akzeptiert und konnte teilhaben. Das kann ich heute nach wie vor. Richard von Weizsäcker hat dazu einmal passende, schlaue Worte gesagt: „Was im Vorhinein nicht ausgegrenzt wird, muss hinterher auch nicht eingegliedert werden!“ Da ist viel Wahres dran. Dadurch, dass ich mich immer bemüht habe, mich nicht selbst auszugrenzen, haben mich auch die anderen nicht ausgegrenzt. Ich brauchte deshalb auch keine Wiedereingliederung.

#4: Wenn Sie Ihren Traum-Arbeitsplatz frei entwerfen könnten: Wie sähe dieser aus?

Inklusion bedeutet nicht, dass mir per se eine Sonderbehandlung zusteht. Daher sollte ich mir meinen Arbeitsplatz auch nur bis zu dem Punkt frei auswählen können, wie andere das auch tun dürfen. Ich glaube, dass niemand wirklich die völlige Freiheit hat, sich den Ort und die Umstände des Arbeitens ideal zu gestalten. Mir ist wichtig, dass ich auch hier gleichberechtigt mit anderen bin – und das heißt, dass ich genauso wie alle anderen mit den typischen Widrigkeiten des Lebens umgehen und mich damit arrangieren muss.
Aber: Als Mensch mit Behinderung habe ich Möglichkeiten, Nachteile auszugleichen, und das ist ebenfalls wichtig. Was in diesem Zusammenhang bedeutet, dass ich mich bemühen kann, meine Interessen und Fähigkeiten so zu platzieren und zu fördern, dass sich die Chance auf meinen Traum-Arbeitsplatz auftut. Ich habe das mittlerweile sogar geschafft. Ich arbeite jetzt schon länger an der Universität Paderborn und kann meine Neigungen und Fähigkeiten optimal in den Job einfließen lassen. Ich habe meinen Traum-Arbeitsplatz also sozusagen einfach selbst entworfen. Manchmal ist hier und da technische Unterstützung oder die Hilfe von anderen nötig, ich muss mir zum Beispiel ab und zu eine Akte aus dem Regal angeben oder eine Tür öffnen lassen. Die Kernaufgaben meines Berufs erledige ich aber selbstständig: Ich setze das mir gegebene Talent der Sprache ein und berate Menschen, die Anregungen und Hilfe beim Studium mit einer Behinderung brauchen.

Tja, und wenn ich mir doch etwas wünschen würde: An meinem Traum-Arbeitsplatz würden mir alle technischen und menschlichen Unterstützungen zur Verfügung stehen, die mir die Arbeit in meinem Beruf erleichtern würden – zum Beispiel elektrische Türen oder eine persönliche Assistenz. Das ist leider noch nicht selbstverständlich, wie ich selbst erlebt habe und wie es auch von anderen Menschen mit Behinderung in Deutschland immer wieder zu lesen ist. Der Grund dafür sind oft drastische finanzielle Einschnitte, gerade im öffentlichen Sektor. Das legt der Inklusion aus meiner Sicht unnötige Steine in den Weg – aber das ist noch einmal ein ganz anderes Thema. –




VIER FRAGEN AN… Volker Westermann

#1: Herr Westermann, was bedeutet Inklusion im Beruf und bei der Arbeit für Sie?

Gerade im Arbeitsleben ist das eine sehr spannende Sache, weil hier neben Persönlichkeit ja auch Leistung gefragt ist. Damit diese erbracht werden kann, sollten sich alle gegenseitig aufeinander einstellen, also auf die unterschiedlichen Bedürfnisse, Kenntnisse und auch Einschränkungen des jeweiligen Gegenübers, um so im Arbeitsleben gemeinsam stark zu sein.

#2: Was bremst Ihrer Meinung nach die Inklusion – bei der Arbeit, aber auch in der Gesellschaft insgesamt?

Häufig fehlt eine kollegiale Bereitschaft, füreinander da zu sein. Das ist auch unter Mitabeitern ohne Behinderung(en) so. Heutzutage liegt der Schlüssel zum Erfolg für viele nur noch im Alleingang. Das endet oft in Überlastungsgefühlen und Frust. Genau hier kann Inklusion ein Türöffner sein. Man kann sie als Chance begreifen, auch mal nach links und rechts zu schauen, bevor Arbeitsabläufe stur und in Eigenregie erledigt werden. Dabei würden viele entdecken, dass es dank der vielen unterschiedlichen Fähigkeiten von Menschen gemeinsam oftmals einfacher wird.

#3: Mit welchen kleinen oder größeren Handlungen könnten einzelne Menschen aus Ihrer Sicht selbst zur Inklusion beitragen?

Egoismus und Verbohrtheit sind für mich die größten „Inklusionskiller“. In unserer Gesellschaft ist es leider schwierig geworden, aufeinander zuzugehen, für Menschen mit ebenso wie für Menschen ohne Behinderung. Ich persönlich habe große Freude am Miteinander, sowohl im Job als auch im Privatleben. Das bevorzuge ich auch in meinem Beruf als Koch. Gerade dort erlebe ich oft, dass es in der Küche zusammen immer besser klappt und auch schmeckt. Dabei spielt nämlich weniger unser geschärfter Verstand eine Rolle als vielmehr ein herzlicher Umgang miteinander und die Freude daran, Dinge gemeinsam anzupacken.

#4: Wenn Sie Ihren Traum-Arbeitsplatz frei entwerfen könnten: Wie sähe der aus?

Die Grundlage für einen idealen Arbeitsplatz ist für mich die oder der Vorgesetzte. Sie oder er sollte es verstehen, auf die Stärken und Schwächen seiner Mitarbeiter einzugehen. Ein guter Chef versteht sich aus meiner Sicht selbst als Teil des Teams und geht auf die Bedürfnisse seiner Belegschaft ein. Durch Verständnis und den Kontakt auf Augenhöhe kann sich dann ein kollegiales Miteinander entwickeln und so kann sich jeder Einzelne entfalten.