Frau Sallam, welche Informationen und Inhalte sollte eine gute Audiodeskription vermitteln?
Das ist sehr unterschiedlich. Eine gute Audiodeskription richtet sich nach dem jeweiligen Film, und jeder Film braucht etwas anderes. Wie viele Dialoge gibt es, welche Informationen stecken schon in diesen Gesprächen? Wie viele Handlungen oder Bilder müssen zwischen den Dialogen beschrieben werden? Und was ist überhaupt das Spannende und Besondere an einem Film? Über solche Fragen müssen wir Filmbeschreiber:innen nachdenken. Grundsätzlich ist es wichtig, den Hörer:innen eine gute Orientierung zu geben, etwa, indem wir Personen und Orte einheitlich benennen. Wenn die Handlung in einer Villa spielt, sollte diese nicht plötzlich „Haus“ heißen. Es geht aber nicht nur um reine Informationen, sondern zum Beispiel auch um Humor. Wir müssen Pointen und Witze so vorbereiten, dass sie auch beim Hören zu verstehen sind und die Zuhörer:innen zum Lachen bringen – am besten genau im richtigen Moment, zusammen mit den Sehenden.
All das müssen Sie in kurzen Beschreibungen unterbringen, die zwischen die Dialoge der Figuren im Film passen?
Ja, das ist oft eine Herausforderung. Wir beschreiben in jeder Szene das Markanteste und Wichtigste, so konkret wie möglich und in möglichst knappen Worten. Manchmal müssen wir lange suchen, bis wir den passenden Begriff finden. Und wir überlegen immer wieder, was wir wirklich in die Audiodeskription aufnehmen müssen, weil wir sie ja auch nicht überfrachten wollen. Wenn an der Stimme zu hören ist, dass eine Person aufgeregt ist, müssen wir ihr nervöses Gesicht nicht beschreiben.
Übrigens sollte die Audiodeskription nicht nur Platz für die Dialoge lassen. Auch Geräusche brauchen Raum und sind sehr wichtig für die Handlung oder die Stimmung eines Films. Wenn es sehr viele Geräusche gibt, ist es natürlich manchmal nötig, zeitgleich eine Beschreibung darüberzulegen. Aber das sollte nicht ständig passieren. Zugleich muss die Audiodeskription manche Geräusche erklären. Wenn ein Pferd wiehert, ist in der Szene vielleicht eine Weide zu sehen. Und wenn ein Klirren zu hören ist, weil ein Glas vom Tisch gefallen ist, gehört das auch in die Beschreibung. Ein Hörfilm sollte ein Genuss sein. Dazu muss die Beschreibung gute Bilder erzeugen und von professionellen Sprecher:innen im Tonstudio eingesprochen werden.
Wie erarbeiten Sie eine Audiodeskription in Ihrem Team?
Die sehenden Filmbeschreiber:innen machen den Anfang. Sie schauen sich den Film an und machen sich Notizen, wenn sie etwas besonders wichtig finden oder beispielsweise eine Person schwierig zu beschreiben ist. Dann erstellen sie einen Entwurf für eine Audiodeskription und sprechen sie probeweise ein. Anschließend kommen meine sehbehinderte Kollegin oder ich dazu und gehen diese erste Fassung mit der Autorin oder dem Autor durch. Das ist eine sehr intensive Arbeitsphase, die rund einen Tag dauert. Wir hören ganz genau hin und besprechen gemeinsam, wo wir nacharbeiten müssen.
Andere Produktionsfirmen gehen andersherum vor. In unserem Beruf gibt es inzwischen immer mehr junge Kolleg:innen, die blind sind und mit der Unterstützung einer Arbeitsassistenz arbeiten. Sie erstellen dann direkt die Audiodeskription. Die angehenden sehenden Autor:innen arbeiten in diesen Teams dagegen erst einmal als Assistent:innen, um von den blinden Autor:innen zu lernen. Auch diese Arbeitsweise finde ich ein spannendes Modell.
Auf welche Dinge achten Sie, wenn Sie den Entwurf einer Audiodeskription zum ersten Mal anhören?
Ich prüfe, ob inhaltlich alles verständlich ist, ob alle Geräusche erklärt werden und ob vielleicht doch noch zu viele Dinge beschrieben werden, die sich schon aus den Dialogen ergeben. Manchmal stelle ich Rückfragen dazu, wie bestimmte Orte oder Räume aussehen. Dabei kann es um Details wie zum Beispiel Fotos gehen, die an den Wänden hängen und auf die später im Film noch einmal Bezug genommen wird. Umgekehrt schlage ich manchmal vor, Details zu streichen, weil sie nicht so wichtig sind und den Hörfilm eher überladen. Je ausführlicher eine Audiodeskription ist, desto anstrengender ist das Zuhören, weil man ja gleichzeitig auch die Dialoge verfolgen und auf Geräusche achten muss. Mein Tipp an sehende Filmbeschreiber:innen ist deshalb, sich den Hörfilm am Ende noch einmal mit geschlossenen Augen anzuhören. Und sie sollten immer daran denken, dass ihre Texte dem Film dienen müssen. Es geht nicht um die Texte an sich. Das ist manchmal schwierig für Autor:innen.
Welche Fähigkeiten und Eigenschaften sollten angehende Filmbeschreiber:innen haben – sehend oder blind?
Für unseren Beruf braucht es ein sehr gutes Gefühl für Sprache und viel Liebe zum Medium Film. Außerdem ist genaues Hören sehr wichtig. Filmbeschreiber:innen sollten immer wieder trainieren, gut hinzuhören.
Wie sind Sie selbst zu Ihrem Beruf gekommen?
Ich habe Germanistik und Philosophie studiert und danach erst einmal beim NDR gearbeitet, wo ich Hörspiele lektoriert habe. Ich hatte schon immer eine Sehbehinderung, konnte früher aber noch sehen. Damals bin ich gerne ins Kino gegangen, zusammen mit einer nicht sehbehinderten Person, die mir vieles auf der Leinwand beschrieben hat. Als die ersten Hörfilme kamen, war ich total begeistert. Ich habe bei der „Deutsche Hörfilm gGmbH“ eine Ausbildung zur Filmbeschreiberin absolviert, inzwischen arbeite ich seit fast 24 Jahren für das Unternehmen. Ich schreibe aber nicht nur Beschreibungstexte für Filme, sondern auch für andere Kulturangebote. Zurzeit erarbeite ich in einem Pilotprojekt die Audiodeskription für Cartoons. Vor kurzem habe ich mit der Berliner „Schaubühne“ zusammengearbeitet und unter anderem die Audiodeskriptionen für die Stücke „Die Affaire Rue de Lorcine“, „Richard III“ und „Nachtland“ mitentwickelt. Immer mehr Theater lassen sich auf so etwas ein, das finde ich eine sehr schöne Entwicklung.
Sie werden also auch von neuen Auftraggeber:innen angefragt. Geht es Ihrer Branche demnach insgesamt gut?
Ja und nein. Wir müssen leider immer häufiger darum kämpfen, dass blinde Autor:innen an Filmproduktionen mitarbeiten oder diese abnehmen dürfen. Viele neue Produktionsfirmen möchten günstig sein und schnell Texte liefern, deshalb schreiben dort Autor:innen ohne Sehbehinderung die Audiodeskriptionen allein. Das sehe ich kritisch. Damit ein Hörfilm richtig gut wird, ist es wichtig, gründlich zu analysieren und die Texte auch im Team zu diskutieren. Sehende Menschen erfassen beispielsweise in Action-Szenen sehr viele Handlungen und Details gleichzeitig, innerhalb von Sekunden. Wenn all das mit Worten beschrieben wird, geht das natürlich nur linear, also nacheinander. Nur blinde oder sehbehinderte Menschen können wirklich beurteilen, wie gut so etwas in der Audiodeskription umgesetzt ist. Sehende Kolleg:innen sollten die inklusive Zusammenarbeit deshalb einfordern. —