VIER FRAGEN AN… Bernhard Stüer, Inklusionsberater bei der Handwerkskammer Münster

#1: Herr Stüer, was brauchen Betriebe, damit Inklusion im Handwerk gelingt?

Meiner Erfahrung nach brauchen sie vor allem zwei Dinge: eine gute Beratung und finanzielle Unterstützung, etwa für neue Maschinen, die ein Mensch mit einer körperlichen Behinderung gut bedienen kann. Beides hängt damit zusammen, dass die meisten Handwerksbetriebe sehr klein sind. Im Schnitt haben sie zehn bis zwölf Mitarbeiter:innen. Investitionen sind für sie deshalb oft ein größerer Schritt als für Unternehmen mit höheren Umsätzen. Dazu kommt ein Zeitfaktor. In Handwerksfirmen gibt es in der Regel keine Personalabteilung, die Betriebsleitung muss diesen Bereich also „nebenbei“ mit übernehmen. Deshalb ist es wichtig, den Firmen mit einer guten Beratung so viel Aufwand wie möglich abzunehmen oder ganz zu ersparen.

#2: Wie und zu was genau beraten und unterstützen Sie Handwerksfirmen?

Meine Kollegin und ich beantworten alle Fragen zur Ausbildung, Einstellung und Weiterbeschäftigung von Menschen mit Behinderung. Wir informieren über die Rahmenbedingungen und unterstützen Betriebe dabei, Fördermittel zu beantragen. Es geht in den Beratungsgesprächen aber auch um weitere Anlaufstellen rund um das Thema Inklusion. Und wir vermitteln weiter, wenn etwa das Inklusionsamt, die Agentur für Arbeit oder der Integrationsfachdienst zuständig sind.

Die größte Hürde für uns selbst übrigens: Viele Betriebsleiter:innen wissen nach wie vor wenig über die Zusammenarbeit mit Menschen mit Behinderung. Deshalb haben sie Vorbehalte und scheuen sich davor, überhaupt Kontakt zu uns aufzunehmen. Viele beschäftigen sich erst dann mit dem Thema, wenn sie direkt damit in Berührung kommen – etwa weil jemand aus ihrer Belegschaft nach längerer Erkrankung oder einem Unfall eine Schwerbehinderung hat oder weil sich ein Mensch mit Schwerbehinderung bei ihnen bewirbt.

Wir arbeiten deshalb auch im Rahmen der Fachkräftesicherung daran, unsere Angebote bekannter zu machen. Unsere Kolleg:innen aus der Ausbildungs- und Betriebsberatung der Handwerkskammer machen Firmen auf unsere Unterstützungsmöglichkeiten aufmerksam. Das ist sehr wichtig, weil Unternehmen beispielswiese Fördergelder sehr frühzeitig beantragen müssen – nämlich noch bevor sie einen Menschen mit Behinderung neu einstellen. Deshalb sollten sie sich am besten sofort bei uns melden und beraten lassen, sobald das Thema aufkommt.

#3: Welche Fragen stellen Ihnen Betriebsinhaber:innen besonders häufig – und welche Antworten haben Sie gemeinsam mit den Unternehmen schon gefunden?

In mehr als zwei Dritteln unserer Beratungsgespräche geht es um Mitarbeiter:innen, die mit einer Schwerbehinderung in ihren Beruf zurückkehren möchten. Die Betriebsleitung muss prüfen, welche Möglichkeiten es dafür gibt: Welche Tätigkeiten kann die Person noch ausführen? Welche Hilfsmittel braucht sie dafür?
Verständlicherweise sind die Verantwortlichen in dieser Situation oft sehr unsicher. Wir schauen uns daher gemeinsam mit ihnen die Arbeitsabläufe an und überlegen, wo und wie sie eine Fachkraft weiter einsetzen könnten. Manchmal können moderne Maschinen helfen, damit jemand an seinen früheren Arbeitsplatz zurückkehren kann.
Manchmal braucht es aber auch ganz neue Lösungen. Im Idealfall können diese einen großen Mehrwert schaffen: Ein Betrieb, den wir beraten haben, setzt zum Beispiel einen erfahrenen Mitarbeiter mit Behinderung jetzt als zusätzlichen Ausbilder ein und bekommt dadurch viel besser geschulte Nachwuchskräfte. Ein anderes Unternehmen hat einen früheren LKW-Reifen-Monteur zur Servicekraft umgeschult. Er fährt nun zu den Kund:innen und prüft deren Fuhrparks, damit die Fahrer:innen für diesen Check nicht extra in die Werkstatt kommen müssen – eine tolle Dienstleistung, die die Kundenbindung stärkt.

#4: Was müsste sich ändern, damit mehr Betriebe Menschen mit Behinderung ausbilden oder einstellen?

Da gibt es verschiedene Ansatzpunkte. Ich glaube, für die Meister:innen müsste manches noch einfacher werden. Wenn ein Betrieb zum Beispiel einen gehörlosen Menschen beschäftigt, sind für manche Besprechungen oder Schulungen Gebärdensprachdolmetscher:innen nötig. Solche Angebote gibt es zwar, sie können aber oft nur mit einem langen zeitlichen Vorlauf gebucht werden, was im Betriebsalltag schwierig ist.

Angehenden Auszubildenden würde ich raten, ihre Schwerbehinderung schon vor der Einstellung offen anzusprechen. Mir ist klar, dass das eine sehr persönliche Entscheidung ist. Es kann jedoch ein Vorteil für beide Seiten sein, wenn das Thema direkt offen auf dem Tisch liegt. Die Betriebsleitung hat dann nämlich die Chance, sich rechtzeitig um eine passende Unterstützung zu bemühen. So lassen sich viele mögliche Schwierigkeiten im Alltag von vornherein verhindern – es wäre schließlich für beide Seiten schade, wenn ein Ausbildungsverhältnis wegen vermeidbarer Hürden abgebrochen werden muss.

Natürlich müssen sich auch die Betriebe bewegen. Viele suchen zum Beispiel ausschließlich nach Fachkräften, was manche Menschen mit Behinderung – je nach schulischer Vorgeschichte – von vornherein ausschließt. Dabei gibt es viele Tätigkeiten, die nach einer guten Einarbeitung auch Menschen ohne eine abgeschlossene Berufsausbildung übernehmen könnten. Es bräuchte dafür aber auch ein Umdenken bei der Arbeitsteilung. Hier müssen insbesondere die Verantwortlichen von wachsenden Betrieben dabei unterstützt werden, Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung zu ermitteln. Die Chancen für eine Einstellung sind wegen des Fachkräftemangels recht gut, wenn die Anforderungen den Fähigkeiten des Bewerbers entsprechen. Manche Betriebsinhaber:innen sind durch unsere Beratung und erste Erfahrungen dafür inzwischen auch aufgeschlossen. Aber wir brauchen hier noch viel mehr. —




Inklusion gesellschaftlich vorantreiben

Ein Blick, ein Nicken, eine Geste mit dem Arm: Das Team von GrünBau-inklusiv versteht sich auch ohne Worte. 15 der insgesamt 35 Angestellten des Inklusionsunternehmens haben eine Behinderung, die meisten von ihnen eine Hörbehinderung. Deshalb haben sich unter den Kolleg:innen schnell allgemeinverständliche Gesten eingebürgert, erzählt Michael Stober, der ehemalige Geschäftsführer: „Den Versuch, mit Zetteln zu arbeiten, haben wir schnell wieder aufgegeben.“

Gerade arbeitet ein Trupp an der Klönnestraße in Dortmund an verschiedenen Aufgaben gleichzeitig. Zwei Angestellte fahren auf Geländemähern die Rasenflächen ab, zwei weitere sind mit Freischneidern auf dem Gelände unterwegs. Oleg Bolgert, der schon seit dem Start 2013 bei GrünBau-inklusiv arbeitet, organisiert und verteilt die Aufgaben. Er hat die Erfahrung gemacht, dass eine funktionierende Kommunikation nicht vom Gehör abhängt, sondern davon, dass seine Mitarbeiter:innen aufeinander eingehen und sich Mühe geben: „Es klappt immer gut, solange beide Seiten auch ein Interesse haben, verstanden zu werden. Und das ist eigentlich immer der Fall.“ Oleg Bolgert zeigt auf sich und einen Kollegen und deutet mit einer schnellen Armbewegung an, dass sie als nächstes die Wiese hinter der Häuserzeile angehen werden.

Inklusion vorleben

Wie an jedem zweiten Freitag wird sich auch heute Nachmittag das komplette Außenteam in der Zentrale der GrünBau-inklusiv gGmbH zum Freitalk treffen. Regelmäßig kommt dann auch ein Gebärdensprachdolmetscher dazu, um zu übersetzen und ausführlichere Gespräche zwischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit und ohne Hörbehinderung zu ermöglichen. Anja Coumans, seit Januar 2022 die neue Geschäftsführerin des Unternehmens, sind diese Treffen sehr wichtig. Dass die Zusammenarbeit im Team so gut funktioniert und sich alle gut verstehen, sei schließlich kein Zufall, sondern das Ergebnis solcher Maßnahmen – und ein wichtiges Signal für die Gesellschaft.

Zum guten Arbeitsklima tragen auch regelmäßige Kollegen-Seminare bei: Mehrere Mitarbeiter:innen mit und ohne Behinderung verbringen gemeinsam jeweils ein Wochenende, um sich gegenseitig besser kennenzulernen. Zusätzlich bietet das Unternehmen Gesundheitswochen an und organisiert alle drei bis vier Monate ein Treffen mit dem Integrationsfachdienst, der Menschen mit Behinderungen und Inklusionsbetriebe unterstützt und berät.

Drei Mitarbeiter von Grünbau im Einsatz
Das Team kommuniziert vor allem über Gesten. Das bietet sich wegen der Ohrenschützer ohnehin an, die die Mitarbeiter gegen den Lärm tragen müssen. Foto: LWL

Gleiche Chancen für alle

Gleiche Chancen und Gleichberechtigung heißt bei GrünBau-inklusiv auch, dass alle Mitarbeiter:innen die Möglichkeit haben sollen, sich fachlich weiterzubilden. Was einfach klingt, ist in der Praxis manchmal eine große Herausforderung.
Ein Beispiel: Das Inklusionsunternehmen aus Dortmund war der erste Betrieb in Deutschland, der für Menschen mit Hörbehinderung, die sich mit Gebärdensprache verständigen, eine Ausbildung zur Baumaschinenführung angeboten hat. Der bürokratische Aufwand, den Michael Stober und die anderen Verantwortlichen im Betrieb für dieses Spezialangebot betreiben mussten, war enorm. Doch der Erfolg spornte sie an. Sie richteten für ihre Mitarbeiter:innen mit Hörbehinderung auch noch die Möglichkeit ein, einen Kettensägenschein zu machen. Zurzeit bereiten sie in Kooperation mit der Berufsgenossenschaft weitere Lehrgänge vor

Auf dem richtigen Weg

Von diesem Engagement profitieren langfristig nicht nur die Angestellten, sondern auch das Unternehmen selbst. Die Konkurrenz ist groß und der Fachkräftemangel trifft den Garten- und Landschaftsbau ebenso sehr wie andere Branchen. Die besonderen Weiterbildungsangebote sind für die GrünBau-inklusiv gGmbH ein wichtiger Baustein, um sich als attraktiver Arbeitsgeber zu positionieren.
Diese Strategie geht auf. Das Unternehmen ist in seiner zehnjährigen Geschichte gewachsen, aus 28 wurden 35 Angestellte, der Umsatz hat sich mehr als verdoppelt. Der größte Kunde sind die Dortmunder Stadtwerke, die zur Dortmunder Energie- und Wasserversorgung GmbH gehören. Außerdem hat GrünBau-inklusiv mit dem Schwerpunkt auf gärtnerischer Grünpflege bei Wohnbaugesellschaften, Firmen- und Privatkunden eine ganz eigene Nische besetzt und sich inzwischen am Markt etabliert.

Anja Coumans und ihre Kolleg:innen ruhen sich auf diesem Erfolg aber nicht aus. In Zukunft möchten sie das Unternehmen noch bekannter machen und weitere Kunden gewinnen. —




Hör-Tipp: Ein Podcast über Barrierefreiheit und Inklusion bei der „Bank Austria“

In der Bank Austria gibt es seit 2010 ein sogenanntes Disability-Management, also eine eigene Abteilung, die sich um die Bedürfnisse von Kund:innen und Mitarbeiter:innen mit Behinderung kümmert.
Disability-Manager Christian Schinko erzählt im Podcast, dass es dabei anfangs vor allem um Inklusion am Arbeitsplatz ging. Mit der Zeit hat die Bank ihre Bemühungen um Barrierefreiheit und Inklusion aber auch auf die Kund:innen ausgeweitet. Einige der Mitarbeiter:innen mit Behinderung berieten die Verantwortlichen im Konzern dazu, wie sie Gebäude und Dienstleistungen für möglichst viele Menschen barrierefrei gestalten können.
Damit alle Mitarbeiter:innen der Bank ihre Talente möglichst gut entfalten und einsetzen können, arbeitet Schinko außerdem eng mit Christoph Bures zusammen, der als Vertrauensperson die Interessen der Kolleg:innen mit Behinderung vertritt. Er ist als zweiter Gast im Podcast zu hören.

Welche inklusiven Maßnahmen die Bank umgesetzt hat und wie auch sie selbst davon profitiert, hört ihr in der „FreakCasters“-Folge.




Ein Start-up mit Tradition

Wenn es mal hektisch zugeht, zählt jedes Paar Hände. Und in der Josefs-Brauerei gehört seit der Neueröffnung ein gewisses Maß an Hektik zum Alltag. „Eigentlich gibt es uns schon seit 22 Jahren, aber im Endeffekt sind wir wie ein Start-up“, sagt Victoria Schulte-Broer, die Inklusionsbeauftragte des Unternehmens.
Für sie bedeutet das heute, dass auch ihre Hände gefragt sind. Im gelben Sommerkleid und bei Temperaturen jenseits der 30 Grad packt die 39-Jährige mit an und hievt für eine spontane Lieferung kistenweise Bier und alkoholfreie Getränke in den Firmentransporter. Der lokale Krankenhausträger hat kurzfristig angerufen und bestellt – für das junge alte Unternehmen in der Findungsphase eine wichtige Gelegenheit. „Wenn sowas kommt, müssen wir liefern“, resümiert die Teilzeit-Lageristin.

Alle Hände sind gefragt

Die Dynamik zieht sich durch die ganze Brauerei, in der sieben der 13 Beschäftigten eine Schwerbehinderung haben. Den Transporter fährt heute zum Beispiel Guido Hentze, Geschäftsführer und einer der sechs Gesellschafter des Unternehmens. Den ganzen Vormittag läuft der Paderborner in Cargoshorts und verwaschenem T-Shirt von einer Ecke des neuen Fabrikgeländes in die andere. Erst ein unangekündigter Besuch des Kreisbauamtes, dann muss er kassieren, ein Interview geben und jetzt noch ausliefern. Zwischendurch unterbricht die Titelmelodie der „Glorreichen Sieben“ das Geschehen, Hentzes Klingelton. Noch ist hier alles ein Lernprozess: „Wir sind einfach ins kalte Wasser gesprungen und sagten ‚Yeah, jetzt fangen wir an zu schwimmen.‘“

In all dem produktiven Trubel kann Victoria Schulte-Broer ein positives erstes Fazit ziehen. Das Fest zur Neueröffnung war ein gutbesuchter Erfolg, die ersten lokal gebrauten Biere sind in der Flasche, seit zwei Wochen läuft die Dosenabfüllung und am nächsten Tag steht die erste Führung an. Das Rezept für den Erfolg? Zum einen die motivierten Kollegen, die sich gerne an einem Arbeitsplatz engagieren, „an dem alle mit Respekt behandelt werden.“ Zum anderen die neuen Gesellschafter, die auch mal selbst in die Bresche springen, wenn es brennt: „Unsere Chefs sind, glaube ich, ganz gute Glücklichmacher“, sagt Schulte-Broer und grinst. Das helfe beim Neustart ungemein.

Puzzles und Zufälle

Als die Brauerei im Jahr 2000 in Olsberg eröffnete, war sie die einzige inklusive Brauerei Europas. Im Frühjahr 2020 musste das Unternehmen coronabedingt schließen und meldete finanzielle Schwierigkeiten – die Zukunft des Betriebs stand auf der Kippe. Ralf Eckel, selbst Vater eines Sohnes mit Behinderung, hörte durch Zufall von der möglichen Schließung und sah Handlungsbedarf. „Ralf kam zu uns sagte ‚Komm, wir machen eine Brauereibesichtigung‘“, erinnert sich Guido Hentze. Auf der Hinfahrt waren die befreundeten Unternehmer Andreas Spreier, Patric Danzer, Markus Kleineheismann und Christian Hafer mit dabei. Im Auto eröffnete Ralf Eckel der Gruppe das eigentliche Anliegen: Sie sollten gemeinsam dafür sorgen, dass die inklusiven Arbeitsplätze in dem Unternehmen erhalten bleiben. Schon am nächsten Morgen waren alle sechs bei dem Projekt an Bord.

In Bad Lippspringe hatten die Paderborner, die schon verschiedene Unternehmen gemeinsam geführt haben, erst kürzlich ein großes Gelände erworben. Für die in Schieflage geratene Brauerei ideal: Um das Unternehmen wirtschaftlich neu aufzustellen, bot sich hier der perfekte Platz für neue und vor allem größere Anlagen.
Aber wie zieht eine Brauerei um? Die Reise der Produktionsstrecke von Olsberg nach Bad Lippspringe wurde laut Schulte-Broer zum „größten Puzzle Deutschlands“, das vor Ort erst einmal gelöst werden wollte.

Ein Mitarbeiter sortiert Bierdosen an einer Endstation der Produktion in der Josefsbrauerei.
Die Angestellten können an jeder Station eingesetzt werden. Am beliebtesten sind aber die Endstationen, wo man das täglich Erreichte sehen und anfassen kann. Foto: LWL

Rückkehrer und Reisende

Mit von der Partie war die alte Belegschaft. Ein Großteil der Mitarbeiter:innen in Olsberg, von denen manche schon Jahre in der Brauerei gearbeitet hatten und nun andere Zukunftspläne schmiedeten, kam noch einmal zurück, um den Betrieb am Laufen zu halten. Die neuen Gesellschafter machten allen ein Übernahmeangebot. Zwar entschied sich schlussendlich nur ein Mitarbeiter mit Behinderung für den Umzug nach Bad Lippspringe, es wurde aber für alle eine Anschlussvermittlung gefunden.
Unerlässlich für den geglückten Umzug war auch die Expertise von Braumeister Wolfgang Mehringer (32). Der Bayer kennt die Branche durch seine Familie schon seit seiner Kindheit und sein ganzes Berufsleben lang. Er ist seit 2018 im Betrieb, war also schon am alten Standort tätig. Als er damals anfing, optimierte er erst einmal die Rezeptur für das Weizenbier der Josefs-Brauerei.

Große Unterschiede zur Arbeit in anderen Brauereien sieht Mehringer nicht. Nur der Umfang der automatisierten Abläufe sei hier etwas geringer, damit die inklusiven Arbeitsplätze gesichert werden können. Von der Konkurrenz unterscheide man sich eher im Prozess und im Geschmack. Die hier angewandten traditionelleren Brauweisen – etwa liegende Tanks, eine richtige Nachgärung und lange Lagerzeiten – führen sogar zu einem Sortiment, „das sich schon ein bisschen abhebt“, sagt Mehringer. Am neuen Arbeitsplatz schätzt er insbesondere die vergrößerten Produktionsmöglichkeiten: Mit bis zu 20.000 Hektoliter pro Jahr gehe deutlich mehr als noch in Olsberg.

Auch Dirk Witt hat den Umzug mitgemacht. Seit 2014 ist der 41-Jährige, der eine Lernbehinderung hat, bereits im Unternehmen tätig. Er mag die Arbeit, „sonst wäre ich ja schließlich nicht mit umgezogen“, erzählt er mit einem Lächeln. Im Traditions-Start-up muss jeder Mitarbeiter an jeder Station einsetzbar sein, und auf Witt ist da Verlass. Er übernimmt in der Brauerei gerne auch die schwierigeren Handgriffe an der Mühle oder Spezialaufgaben. Der Job macht ihm Spaß und bedeutet für ihn vor allem auch finanzielle Selbstständigkeit: „Ich wollte unabhängig sein, das habe ich geschafft.“

Traditionsbrauerei (22) sucht…

Andere wie Jörg Poppe kamen neu dazu. Ein schwerer Autounfall machte es dem gelernten Fleischer unmöglich, weiter in seinem früheren Beruf zu arbeiten. Als er hörte, dass die Brauerei an ihrem neuen Standort Personal suchte, bewarb sich der Mittfünfziger bei Schulte-Broer mit der Aussage „Ich will das unbedingt.“. Mittlerweile ist er gut in seinem neuen Job angekommen und stolz auf das Produkt. „Das Bier ist schon etwas Besonderes“, sagt er und empfiehlt mit einem Augenzwinkern zwei bis drei Flaschen, um den Unterschied auch angemessen würdigen zu können.

Um neue Beschäftigte zu gewinnen, hat das Unternehmen vor dem Umzug Werbung gemacht und alle Institutionen und Trägerschaften im Umkreis angeschrieben. Zur ersten Infoveranstaltung kamen 60 Interessierte, ein Kreis, der in einer zweiten Auswahlrunde auf 16 Bewerber reduziert wurde. Von diesen 16 wurden anschließend vier Personen zu einem Praktikum eingeladen. Das ist sind unerlässlich, damit beide Seiten ausprobieren können, ob die körperlich belastende Arbeit den Bewerbern zusagt und sie sie bewältigen können. Dirk Witt und ein Kollege übernahmen in dieser Kennenlernphase je zwei der Praktikanten und machten sie mit dem neuen Arbeitsplatz vertraut.

Mittlerweile arbeiten 13 Menschen in der Brauerei, sieben davon haben eine Schwerbehinderung. Alle Angestellten werden je nach Bedarf flexibel in der Produktion, der Lagerhaltung und der Reinigung eingesetzt, denn alle kennen sich in allen Bereichen aus. Dennoch gibt es einen klaren Favoriten unter den Arbeitsplätzen: die Kontrolle. Hier zieht jede Flasche am Band vorbei und wird inspiziert. Für diesen Berührungspunkt bekommt Schulte-Broer das beste Feedback, aus gutem Grund: „Hier sehen die Kollegen, was sie geschafft haben.“ Bier und andere Getränke herzustellen, sei eben durchaus eine emotionale Sache. Aus Sicht der Inklusionsbeauftragten ist das ein weiterer Grund für den guten Anfang des Start-ups, das aus dem Traditionsbetrieb hervorgegangen ist.

Ein gutes Produkt – und ein gutes Projekt

Bisher ist die Belegschaft, abgesehen von Victoria Schulte-Broer, noch ausschließlich männlich. Aber die Inklusionsbeauftragte hofft, dass bald noch ein paar Frauen hinzustoßen werden. In Zukunft soll die Brauerei auch inklusive Ausbildungsplätze anbieten, aber dafür muss zunächst alles laufen und das Unternehmen muss schwarze Zahlen schreiben. Eine Frage, die dabei im Raum steht, ist, wie die Kund:innen mit Inklusion umgehen. Für das Unternehmen jedenfalls seien sowohl das gute Projekt als auch das gute Produkt wichtige Säulen, sagt Gesellschafter Guido Hentze.

Kunden wie Helmut Böhmer wissen dieses doppelt gute Konzept zu schätzen. Böhmer ist Geschäftsführer des Haxterpark, eines inklusiv betriebenen Golfplatzes mit Gasthof in Paderborn. Nachdem die Brauerei in die Region kam, bemühte er sich sofort, die Biere ins eigene Sortiment aufzunehmen. Böhmers Gasthof führt mittlerweile das Märzenbier und das Dunkle Bier. Und seine glühende Empfehlung gilt sowohl dem Produkt als auch dem Prinzip des Unternehmens: „Die Produktqualität und die Einbettung in den gesellschaftlichen Rahmen gehen da wirklich einzigartig Hand in Hand.“ —




Inklusion zwischen Bistrotheke und Gemüseregal

Über der Eingangstür hängt ein großes Schild mit der Aufschrift „Der Bioladen“. Drinnen, im großen, hellen Verkaufsraum, herrscht entspannte Geschäftigkeit. In der Luft liegt der Duft der Gemüselasagne, die es als Tagesgericht im Bistro zu essen gibt.

Hinter der Bistrotheke steht Helen Jarosch und begrüßt mit ihrer herzlichen Art die Kunden, die zum Einkaufen oder zum Mittagessen kommen. Früher arbeitete die junge Frau selbstständig in der Gastronomie, musste diese Tätigkeit wegen ihrer Behinderung im Jahr 2015 aber wieder aufgeben und sich einen neuen Job suchen. Sie fing als Reinigungskraft im „Bioladen“ an, einem von drei Inklusionsbetrieben im Lebensmittelbereich der INTEGRA gGmbH des Vereins INI. Sie sah in der Stelle eine große Chance und lernte schnell und viel dazu, irgendwann stieg sie als Verkäuferin ein. Für den Betriebsleiter Henning Jahns ist Helen Jarosch inzwischen eine verlässliche Größe bei der Schichtplanung und auch sonst eine unverzichtbare Mitarbeiterin – nicht zuletzt, weil sie gerne einspringt, wenn Kolleginnen oder Kollegen krank werden.

Viele Erfolgsgeschichten

Wie Helen Jarosch haben sich viele von ihnen im Laufe der Zeit in neue Bereiche eingearbeitet und neue Aufgaben übernommen. Hinter diesen Erfolgsgeschichten steckt aber nicht nur viel Einsatz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst. Auch ihre Vorgesetzten tun eine Menge dafür, dass sich jeder im Team gut entfalten und weiterentwickeln kann. „Der Mehraufwand am Anfang zahlt sich auf lange Sicht aus – in der persönlichen Entwicklung der Mitarbeiter, aber auch unternehmerisch“, erklären Geschäftsführer Andreas Knapp und Betriebsleiter Henning Jahns. „Unsere Angestellten sind loyal, ehrlich und sehr verbunden mit dem Betrieb.“

Gerade zu Beginn investieren die Verantwortlichen erst einmal Zeit und Energie, um neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anzulernen. Viele von ihnen haben vorher in einem Praktikum ausprobiert, in welchem der INI-Inklusionsunternehmen sie gerne arbeiten wollen. Der tägliche Kundenkontakt ist schließlich nicht für jeden das Richtige, und nicht jede und jeder möchte oder kann im Bistro arbeiten wie Helen Jarosch. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollen also einen Arbeitsplatz finden, der zu ihren individuellen Fähigkeiten passt, aber auch ihre Grenzen berücksichtigt. Nur so kann die Zusammenarbeit funktionieren und – das wird häufig vergessen – zu wirtschaftlichem Erfolg führen.
Im „Bioladen“ ist das gelungen: Eine starke Steigerung des Umsatzes und ein florierendes Geschäft zeigen, dass der Betrieb mit seinem inklusiven und diversen Team auf dem richtigen Weg ist. Das Bistro ist zur Mittagszeit rappelvoll, Helen Jarosch hat hinter der Theke alle Hände voll zu tun.

Andreas Knapp in der Obst- und Gemüseabteilung des Bioladens Lippstadt.
Für Andreas Knapp ist Inklusion selbstverständlich. Der Geschäftsführer der INTEGRA gGmbH beschäftigt 85 Menschen mit Behinderung.

Regionale Zusammenarbeit und nachhaltige Konzepte

Auch in vielen Zuliefererbetrieben des Unternehmens arbeiten Menschen mit und ohne Behinderung zusammen. Die drei INTEGRA-Lebensmittelgeschäfte bekommen ihre Waren von einem inklusiven Bauernhof, der ebenfalls zum Verein INI gehört, der JOSEFS-Brauerei, dem Kiebitzhof und der BioManufaktur Schloss Hamborn.

Die INTEGRA gGmbH setzt neben der engen Vernetzung mit anderen Betrieben in der Region auch auf das Thema Nachhaltigkeit und entwickelt daraus wirtschaftliche Konzepte. So waren die Läden des Unternehmens vor einigen Jahren die ersten, die das Mineralwasser des sozial engagierten Herstellers „Viva con Agua“ aus Lippstadt in ihr Sortiment aufnahmen. Inzwischen führen auch andere Lebensmittelhändler und Gastronomie-Unternehmen die Marke. Zurzeit wird daran gearbeitet, möglichst plastikfrei zu werden, zum Beispiel durch „Unverpackt-Lösungen“ wie ein Gläserpfandsystem für Oliven, Nudeln und Reis.

Für die Zukunft haben Andreas Knapp und seine Kollegen noch viele weitere Ideen, die in diese Richtung gehen. „Das Beispiel ‚Viva von agua‘ hat uns gezeigt, dass sich die gesellschaftliche Vorreiterrolle als Inklusionsbetrieb auch auf andere Bereiche übertragen lässt“, sagt der Geschäftsführer. „Offen zu sein für alle und alles – das kann auch heißen, neue Wege als Erster zu sehen und wirtschaftlich zu erschließen.“ —




Spitzenreiter bei der Ausbildung

Bevor die zwei Geschäftsführerinnen des Lippischen Kombi-Service gGmbH (LKS) Zeit für ein Interview haben, steuern sie erst einmal die Essenstheke an. Sie konnten den ganzen Tag noch nichts essen – und hier wisse man schließlich, dass es schmeckt. „Pop&Corn“, der Catering-Service des Unternehmens, sei zwar schon vorher am Berufskolleg in Lemgo aktiv gewesen. Die vor wenigen Wochen in Betrieb genommene Küche biete aber ganz neue Möglichkeiten.

Seit 16 Jahren ist Monika Zimmermann beim LKS. Ende nächsten Jahres übergibt sie die Geschäftsführung komplett an Simone Luther, die bereits sieben Jahre im gemeinnützigen Unternehmen tätig ist. Ob sich nach dem Wechsel etwas ändert? „Na ja, sie ist jünger als ich“, sagt Zimmermann, beide lachen. Luther will den etablierten Kurs beibehalten. Und dazu gibt es Anlass.
Wie gut das Essen hier ist, spricht sich schnell herum; fast schon zu schnell. Zum ersten Mal in der 35-jährigen Unternehmenshistorie kann der LKS nicht alle Anfragen bedienen. Das Interesse an den Verpflegungsdiensten aus Detmold ist groß. Inklusion sei selbstverständlich auch ein Faktor bei den Anfragen, erklärt Zimmermann, und bei manchen Schulen auch ein Auswahlkriterium. Aber nach ein bis zwei Jahren stehe das gar nicht mehr so im Mittelpunkt – was auf den Teller kommt, bleibe präsenter.
„Primär kommen die Anfragen, weil andere Schulen sagen: Wir sind sehr zufrieden mit unserem Caterer“, resümiert die langjährige Geschäftsführerin. Ein Empfehlungsmarketing, das sich bewährt hat: Mittlerweile kocht und catert der LKS an 48 Standorten im Umkreis.

Simone Luther und Monika Zimmermann nebeneinander vor der Kantine.
Das Führungsduo: Die LKS-Geschäftsführerinnen Simone Luther (l.) und Monika Zimmermann. Foto: LWL

50 Auszubildende

Der LKS ist in der ganzen Region tätig und beschäftigt rund 250 Mitarbeiter:innen, von denen rund die Hälfte eine Schwerbehinderung hat. Die Dienstleistungen des Unternehmens reichen von einer Wäscherei über Datensicherung bis zum Catering.
Ein Schwerpunkt des Unternehmens liegt in der inklusiven, theoriereduzierten Ausbildung, die zusätzlich zur Vollausbildung angeboten wird. Um die 50 Auszubildende sind so im Betrieb verteilt beschäftigt – das ist der Spitzenwert in der Region Westfalen-Lippe.
Jugendliche mit einer Lernbehinderung können zum Beispiel die theoriereduzierte Ausbildung „Fachpraktiker:in Küche“ absolvieren. Ihre Ausbilder:innen wie Frank Schlepper, Leiter der Küche im Berufskolleg, nehmen in der Praxis Rücksicht auf die individuellen Bedürfnisse der Auszubildenden.

Nach einer pandemiebedingten Pause erreichen die Zahlen wieder das Niveau der Vorjahre. „Dieses Jahr waren es fast so viele wie noch nie“, sagt Simone Luther. 24 Neuzugänge befinden sich momentan in der Ausbildung oder einer Einstiegsqualifizierung. Die einjährige Einstiegsqualifizierung zur Ausbildung ist mit die wichtigste, aber auch die schwierigste Zeit. „Das ist nochmal das kleine Einmaleins“, erklärt Luther – eine Phase, in der man vieles neu anlernen müsse. Zimmermann sieht darin aber auch eine Stärke des Konzeptes: Was Vorgesetzte in einer „normalen“ Ausbildung bereits anmahnen müssten – etwa ein unangekündigtes Fehlen – können sie hier auffangen und persönlich klären. Dadurch bekommen junge Menschen die Chance, sich im neuen Beruf und Umfeld einzuleben.

Ein gutes Teamklima ist die Grundlage

„Die Blase LKS“, wie eine Mitarbeiterin diesen eigenen Mikrokosmos einmal etwas verschmitzt beschrieb, setzt auf Zwischenmenschliches. Man kenne eigentlich jede:n Mitarbeiter:in, erklärt Zimmermann, was zusammen mit einem guten Teamklima dazu führe, dass wenige aus dem Raster fallen. Gerade Problemen wie häufigen Krankheitsfällen und fehlender Arbeitskontinuität kann so vorgebeugt werden.
Auch am Arbeitsplatz helfen sich alle gegenseitig, pflichtet Frank Schlepper bei. Die Stärken und Schwächen der unterschiedlichen Mitarbeiter:innen ergänzen sich, man unterstützt einander – mit gutem Ergebnis.
Der großgewachsene Küchenchef kehrte nach zwei Jahren in einem anderen Unternehmen zum LKS zurück, die Arbeit und die Menschen lägen ihm hier einfach mehr. An der Ebenbürtigkeit aller Mitarbeiter:innen zeigt sich für ihn das Besondere des Unternehmens – und am Erfolg des inklusiven Konzepts: „Dass wir hier Sachen schaffen, die auch andere, nicht-inklusive Caterer mit ihrem Personal machen – das ist für mich die größte Bestätigung.“

Erfolgsgeschichten

Für den Küchenleiter liegt der Schlüssel zum Erfolg in der gegenseitigen Offenheit. Wer unvoreingenommen an die Sache herangehe, werde das Arbeiten mit und Ausbilden von Menschen mit Behinderung nicht bereuen. Sein Fazit aus vielen Jahren im Job: „Keine Vorurteile haben, einfach machen, loslegen und gucken, wohin die Reise geht. Damit habe ich nie schlechte Erfahrungen gemacht.“

Und die gemeinsame Reise gestaltet sich – für alle Beteiligten – als Gewinn. Elli Jurk, eigentlich Auszubildende in einer anderen LKS-Küche in Lemgo, hilft gerade am neuen Standort aus. „Ich bin immer die Erste“, berichtet die 20-Jährige, die mit einer Cerebralparese lebt. Sie hilft, den Küchenalltag vorzubereiten, startet die Öfen, backt die Brezeln – eine unerlässliche Stütze für die neue Küche. Sind die Schüler:innen zufrieden, ist die Auszubildende es auch: „Wenn man die Kinder sieht, wenn die anstehen zum Essen, dass die glücklich sind und sich freuen“ – diese Freude ist auch für sie das Highlight des Arbeitstages.
Mittlerweile ist sie im letzten Ausbildungsjahr und fühlt sich sehr wohl. Das Team sei nett und hilfsbereit und jede:r habe Gelegenheit, sich kreativ in der Küche und Essensplanung einzubringen. Außerdem nähmen die Vorgesetzten sich Zeit für alle Mitarbeiter:innen. Das sei für das Gelingen der Ausbildung unerlässlich, deren guter Verlauf Elli auch für die Zukunft positiv stimmt: „Dann bin ich ausgelernt und habe schon Erfahrungen gesammelt.“

Die Auszubildende Elli Jurk mit Kochuniform in der LKS-Küche.
Die Auszubildende Elli Jurk arbeitet in der Küche in Lemgo tatkräftig mit. Foto: LWL

Noel, ebenfalls 20 und heute zur Aushilfe in Lemgo, schlägt ähnliche Töne an. Der Auszubildende mit Konzentrationsstörung wollte sich schon früher in der Gastronomie bewerben – über eine berufsvorbereitende Maßnahme bei einem Bildungsträger fand er schließlich den Weg zum Lippischen Kombi-Service. Die Arbeit macht ihm Spaß, „denn hier kann ich mich kreativ ausleben.“ Er kocht für sein Leben gern, ein besonderes Faible habe er fürs Würzen und für vegetarische Gerichte. In der Ausbildung sieht er einen wichtigen Baustein für seine Zukunft. „Ich will mich selbstständig machen“, offenbart er grinsend – „vielleicht auch mit einem Restaurant“.

Nach den vielen Jahren als inklusiver Ausbilder überwiegen für Küchenchef Schlepper klar die positiven Seiten. Wer sich auf die Jugendlichen einlasse, finde sich später in einem Team wieder, das von starkem gegenseitigen Vertrauen geprägt sei – und das motiviere. Es komme oft vor, dass junge Menschen sich nach der theoriereduzierten Ausbildung zum Beikoch auch an die Vollausbildung wagen. Frank Schlepper begleitet sie dann mehrere Jahre lang. Diesen Weg ein Stück mitzugehen und am Ende zur bestandenen Prüfung zu gratulieren: „Das sind die größten Erfolge.“

Hürden und Chancen

Insgesamt läuft die Arbeit gut, aber sie wird nicht einfacher, denn mittlerweile muss der LKS immer mehr auffangen. Jugendliche, die auf dem traditionellen Arbeitsmarkt durch die Raster fallen, bekommen beim LKS die Chancen und Betreuung, die ihnen anderswo nicht zuteilwurden. Das mehrt sich aktuell, gerade bei Menschen mit psychischen Erkrankungen.
Zunehmend werden außerdem Jugendliche mit Migrations- oder Fluchthintergrund an das Unternehmen vermittelt. Bei manchen von ihnen tritt im Verlauf der Ausbildung noch eine psychische Erkrankung zutage, die vorher schlicht nicht erfasst wurde. Für Monika Zimmermann besteht also immer noch Handlungs- und Aufklärungsbedarf. „Viele wissen immer noch nicht, was Inklusion überhaupt ist“, sagt sie. Und zu wenige seien bereit, sich dafür einzusetzen, ergänzt Simone Luther: „Wirklich mitmachen und mithelfen, wenn es ans Eingemachte geht, wollen die wenigsten.“
Da fühle man sich gelegentlich schon allein gelassen oder überfordert. „Lieber LKS, rettet das Ganze, macht was draus“, fasst Monika Zimmermann schulterzuckend zusammen, was oft an sie herangetragen wird. Einer kurzen Pause folgt ein stolzes Lächeln: „Aber manchmal machen wir ja auch was draus.“ Der LKS müsse viel für die Betreuung der einzelnen Azubis leisten – aber es stecke auch in jedem Jugendlichen Potenzial, für das sich der Einsatz lohne. —




Wie Inklusion zum Alltag wird

Wann und wie kam es dazu, dass Ihre Unternehmen Inklusionsabteilungen gegründet haben?

Heidi Emmerich: Die Inklusionsabteilung bei Habig und Krips ist 2013 entstanden. Wir hatten bis dahin einige Aufgaben extern vergeben. Um Kosten zu sparen, haben wir sie dann stattdessen in neuen Geschäftszweigen mit eigenen Mitarbeitern selbst übernommen. Wir haben mit dem Immobilienservice angefangen, also mit der Garten-, Rasen- und Außenpflege an unseren Standorten. Dazu kam dann noch ein großes Geschäft mit Verpackungsarbeiten für einen großen Kunden. 

Martin Kapovits: Wir kamen 2012 bei unserer gemeinsamen Doppelkopfrunde mit Jochen Twelker auf die Idee.

Jochen Twelker: Auch wenn da eigentlich nicht über die Arbeit gesprochen wird.

Kapovits: Wir hatten damals viele Handlingstätigkeiten an andere Unternehmen vergeben. Da wir aber mit der Qualität und dem Aufwand oft nicht zufrieden waren, hatten wir überlegt, ob wir diese Tätigkeiten nicht ins Haus holen könnten. Dafür brauchten wir Mitarbeiter. Und durch den Kontakt zu Jochen Twelker hatten wir die Möglichkeit, es mit einem inklusiven Team zu versuchen.

Emmerich: Der Anstoß war auf jeden Fall auch der soziale Aspekt: Wir wollen Inklusion auch im eigenen Unternehmen leben. Und wir haben im Laufe der Jahre gemerkt, dass das wunderbar funktioniert.

Kapovits: Das ist eine Win-Win Situation: Wir wissen, dass unsere Arbeit gut erledigt wird, und ein Mensch mit Behinderung hat am ersten Arbeitsmarkt eine gute Chance.

Gab es anfangs Schwierigkeiten bei der inklusiven Zusammenarbeit? Und haben Sie Tipps, wie man diese am besten bewältigt?

Emmerich: Manche Kolleginnen und Kollegen ohne Behinderung hatten anfangs Bedenken, die sich aber sehr schnell aufgelöst haben. Wenn es einmal Schwierigkeiten gibt, können wir das offen kommunizieren und lösen. Das ist zur Normalität geworden. Und ich glaube, das wirkt über die Arbeit hinaus: Es ist gut für die ganze Gesellschaft, wenn man Inklusion lebt und Hemmungen abbaut.

Kapovits: Wir hatten eigentlich gar keine Startschwierigkeiten – wobei unsere Mitarbeiter:innen auch einfach echte Glücksgriffe waren. Jeder hat natürlich so seine Eigenarten, aber damit gehen alle gut um. Es gibt eigentlich überhaupt keine Reibungspunkte.

Emmerich: Wir haben gelernt, offener zu werden. Probleme anzusprechen und zu versuchen, sie in der Gruppe gleich zu klären – das haben wir früher nicht unbedingt gemacht. Das ist vielleicht ein bisschen wie in einer Gesprächstherapie (lacht), aber so kann wirklich jede:r sagen, was sie oder ihn stört. Vielleicht sind es nur Kleinigkeiten, aber es ist gut, sofort darüber zu sprechen.

Twelker: Alle Betriebe sollten diese Offenheit mitbringen. Denn diese Gedanken machen sich erstmal alle: „Ich stelle einen Beschäftigten mit Behinderung ein, was nun?“ Aber wenn man es mal ausprobiert hat, merkt man, dass es klappt. Wahrscheinlich hat sich auch deswegen hier eine solche Dichte an inklusiven Betrieben entwickelt. Die haben damit jetzt arbeiten gelernt und wollen es nicht mehr missen.

Wie gestalten Sie die Arbeitstage Ihrer Beschäftigten, um auch auf deren Bedürfnisse eingehen zu können?

Emmerich: Wir haben ganz klare Strukturen geschaffen. Viele unserer Inklusionsmitarbeiter arbeiten in einer Abteilung, da gibt es ganz feste Regelungen. Feste Arbeitszeiten, keine Überstunden, feste Pausen, sodass sich gerade die Menschen mit einer psychischen Erkrankung auf ihren Arbeitstag und ihre Woche einstellen können.

Kapovits: Wir haben einen anderen Weg gewählt: Wir bieten äußerst flexible Arbeitszeiten an, angepasst an die einzelnen Arbeitnehmer. Es gibt keinen starren Arbeitszeitbeginn. Das heißt nicht, dass jede und jeder kommen kann, wann sie oder er will, aber es ist flexibel.

Twelker: Das Gute daran ist, dass man hier an ziemlich enger Stelle eine Menge an Möglichkeiten hat. Es hilft den Menschen sehr, langsam in den neuen Job ‚hineinzurutschen‘. Gerade in den Praktika und Probebeschäftigungen haben wir Anpassungsphasen, in denen wir die Beschäftigten an die Arbeit heranführen und vieles ausprobieren können.

Emmerich: Dabei braucht es auch immer wieder Vermittlung zwischen den Unternehmen und den Beschäftigten.

Twelker: Genau, das ist mein Job. Ich habe früher in der Psychiatrie gearbeitet, dadurch habe ich einen anderen Blick dafür als die Verantwortlichen in den Unternehmen. Ich schaue, wohin die Beschäftigten vom Typ und von den Fähigkeiten her am ehesten passen. In der Regel fangen sie hier bei Habig und Krips in festen Strukturen an, und dann sehen wir weiter. Wenn nötig, können wir sie in einem anderen inklusiven Unternehmen unterbringen. Da sind wir durch unser Netzwerk flexibel – und das ist auch gut so.

Herr Twelker, wie genau unterstützen Sie als Jobcoach neue Inklusionsunternehmen oder Betriebe, die sich für die inklusive Arbeit interessieren?

Twelker: Ein neuer Inklusionsbetrieb braucht am Anfang Menschen, die die Szene kennen – sozusagen Pfadfinder, die den Weg zeigen können. Neue Betriebe sind in der Regel noch nicht so vernetzt. Sie brauchen deshalb jemanden, der diese Verknüpfungen aufbaut und zu Beginn hilft, sei es im Rahmen einer psychosozialen Begleitung oder durch ähnliche Maßnahmen. Allein funktioniert es nicht.

Kapovits: Das stimmt. Ohne Herrn Twelker hätten wir vermutlich keine Inklusionsabteilung.

An Sie alle: Wie gewinnen Sie neue Mitarbeiter:innen?

Twelker: Wir haben hier über die Jahre gute Kontakte zum Jobcenter und zur Arbeitsagentur aufgebaut – und einen ebenso guten Ruf. Denn inzwischen kommen Behörden auch mit Anfragen auf uns zu und schlagen uns potenzielle Mitarbeiter:innen vor. Offen und flexibel eben, so wie es sein soll.

Kapovits: Ich muss tatsächlich nicht mehr beim Jobcenter anrufen, sondern die Mitarbeiter:innen dort melden sich bei uns. Das funktioniert. Und die Tendenz geht zur Arbeitszeitverlängerung, sowohl bei uns als auch bei Habig und Krips. Wir vereinbaren mit neuen Kolleg:innen ein Praktikum, eine Probebeschäftigung und einen befristeten Vertrag für ein Jahr. Nach einem Jahr können wir eigentlich immer sagen, ob es passt oder nicht. Und wenn wir dann verlängern, bieten wir in der Regel einen unbefristeten Arbeitsvertrag an.

Emmerich: Auch unsere Firma schließt in der Regel erst einmal befristete Verträge ab. Ich freue mich über jeden, der entfristet wird, und auch über jeden, der wieder in Vollzeit arbeiten kann. Das sind oft Menschen, die eine lange Krankheitsphase hinter sich haben. Wenn sie dann wieder einen Beruf ausüben können, finde ich das großartig.

Twelker: Für viele ist das auch ein wichtiger Schritt, um nach einer Krankheitsphase wieder unabhängiger und selbstständiger zu werden.

Was würden Sie sich für die Zukunft wünschen oder empfehlen?

Emmerich: Ich finde regionale Gesprächskreise sinnvoll, in denen man sich mit Interessierten und Betroffenen treffen, austauschen und eben auch vernetzen kann. Das könnte auch vielen neuen Betrieben den Einstieg in die inklusive Arbeit erleichtern.

Zum Abschluss: Was bedeutet für Sie Inklusion?

Emmerich: Eine bunte Welt.

Kapovits: Ein gutes und faires Miteinander.

Twelker: Vielfalt. Viele, viele Menschen – viele, viele Möglichkeiten.





Wie eine große Familie

Es duftet nach Tomatensauce und gebratenem Hackfleisch. In der Auslage der knallig-roten Theke dampfen gefüllte Paprika. Die Cafeteria „Köstlich“  der Integrationsküche Nordkirchen rüstet sich für den großen Ansturm. Jetzt, um kurz nach halb zwölf, ist es noch ruhig, aber das wird sich in der nächsten Stunde ändern. Torsten Wißmann und einige seiner Kollegen nutzen die Zeit und essen das, was sie in den Stunden zuvor selbst gekocht haben. Der 41-Jährige, der aus der Werkstatt für Menschen mit Behinderungen (WfbM) des Caritasverbandes in Nordkirchen zur Integrationsküche wechselte, gehört zu den Mitarbeiter:innen mit Behinderung und arbeitet seit Mai 2016 auf einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz.

Wenn Torsten Wißmann morgens seinen Dienst antritt, weiß er genau, was zu tun ist. Lebensmittel heranschaffen, Gemüse oder Fleisch anbraten, in großen Töpfen umrühren, später auch spülen oder mit einem der Elektro-Fahrzeuge Essen auf dem weitläufigen Gelände der Kinderheilstätte Nordkirchen, zu der die Integrationsküche gehört, ausfahren. Für ihn ist die Arbeit keine Last, ganz im Gegenteil: „Ich koche sehr gerne, deswegen finde ich meinen Job auch so gut.“ Die Kolleginnen und Kollegen sind für ihn, so sagt er, „wie eine große Familie.“

Niemand wird überfordert

So etwas hört Thomas Pliquett gerne. Er ist Kaufmännischer Direktor der zum Gesamtkomplex gehörenden Trägerschaft Vestische Caritas Kliniken Kinderheilstätte und Geschäftsführer der Integrationsküche Nordkirchen GmbH. „Wir schauen genau hin, wie belastbar der einzelne Mitarbeiter ist“, sagt Pliquett. Niemand soll überfordert werden.

Seit Anfang 2016 gibt es die Integrationsküche Nordkirchen. „Früher hatten die Einrichtungen ihre eigenen kleinen Küchen, das war alles nicht mehr kostendeckend. Man braucht heute gut 1500 Essen täglich, um wirtschaftlich zu sein. Wir hatten hier in Nordkirchen nur 500“, so Pliquett. Man habe vor der Entscheidung gestanden: „Bauen wir eine neue Großküche, die leistungsfähiger ist als die bisherigen zusammen, oder lassen wir es?“

Auf Expansionskurs

Die neue Küche wurde gebaut, auch weil sich neben der Muttergesellschaft Institutionen wie das NRW-Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales, das LWL-Inklusionsamt Arbeit, die Stiftung Wohlfahrtspflege NRW und die Aktion Mensch finanziell engagierten. Während der Planungsphase wurde Thomas Pliquett durch die Betriebswirtschaftliche Beratungsstelle für Inklusionsbetriebe bei der Handwerkskammer Münster unterstützt. Pliquett und seine Kollegen schauten sich andere Großküchen an, recherchierten die technischen Notwendigkeiten, kalkulierten das Investitionsvolumen – und machten sich dann an die Kundenakquise. Klar war, dass die neue Integrationsküche die Kinderheilstätte versorgen sollte, aber auch weitere Einrichtungen in Nordkirchen wie die Gesamtschule, Kindergärten oder die Werkstätten des Caritasverbandes für den Kreis Coesfeld in Nordkirchen.

Der Start 2016 mit 850 Essen war gut, aber noch ausbaufähig. 2019 kamen weitere Werkstätten aus dem Caritas-Verbund in Lüdinghausen und Lünen sowie die Vestische Kinder- und Jugendklinik in Datteln, die zum Trägerverbund gehört, hinzu. „Heute sind wir bei 1600 Essen täglich“, sagt Thomas Pliquett. „Das ist dann auch die Grenze für einen Ein-Schicht-Betrieb.“ Schließlich müssten sich alle Mitarbeiter:innen zurechtfinden. Auch deren Zahl ist gestiegen. Waren es vor kurzem noch 25, sind es jetzt 41, 16 von ihnen haben eine Behinderung. In der Integrationsküche arbeiten Menschen mit geistiger, psychischer und körperlicher Behinderung Seite an Seite mit Menschen ohne. Die Verantwortlichen schauen bei der Planung vor allem auf die individuelle Qualifikation, deshalb sind die jeweiligen Teams auch sehr gemischt.

Betriebswirtschaftlich organisiert

Natürlich steht die Integrationsküche Nordkirchen in einem harten Wettbewerb. Sie ist streng betriebswirtschaftlich organisiert; vom Betriebsleiter über die Produktionsleiterin, die Köche und Wirtschafterinnen bis zu den Küchenhilfen und Fahrern. Auch Diätassistentinnen sind hier beschäftigt. Und selbstverständlich bietet die moderne Großküche auch regionale, vegetarische und vegane Essensalternativen an.

Mit drei Transportern liefern Torsten Wißmanns Kollegen täglich die Mahlzeiten aus, gut verpackt in Thermoporten. „Der Preis bei uns ist etwas höher als bei den Branchenriesen, ­aber dafür ist das Essen auch regionaler“, sagt Thomas Pliquett. Und es schmecke einfach. „Wir wollen zufriedene Kunden haben, gute Qualität ist da entscheidend. Ein Mittagessen für 3,50 Euro können wir deshalb nicht bieten“, so Pliquett.

Menschliches Maß

Auch einer Expansion um jeden Preis erteilt der Kaufmännische Direktor eine Absage. „Wir wollen in unserem Kerngebiet bleiben. Ein 25-Kilometer-Radius ist in Ordnung, mehr aber nicht“, sagt Pliquett. Und fügt hinzu: „Wir sind und bleiben die regionale Großküche für Nordkirchen und Umgebung.“ Überhaupt hat in der Integrationsküche alles ein menschliches Maß. Eine Sozialpädagogin steht den Beschäftigten mit Behinderungen bei Bedarf als Ansprechpartnerin zur Verfügung, Probleme werden möglichst sofort geklärt. Auch der Krankenstand der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Behinderungen ist nicht höher als bei der übrigen Belegschaft.

Torsten Wißmann ist ebenfalls nur sehr selten krank. Es gefällt ihm in Nordkirchen. Woanders zu arbeiten, kann er sich nicht vorstellen. Nur sein Lieblingsessen vermisst er manchmal, denn das gibt es in der Integrationsküche nicht so häufig: „Sauerbraten und Königsberger Klopse.“ —




Inklusion ist Teamarbeit

Es kann manchmal recht einfach sein. Die Geschichte von Teamwork Höxter zum Beispiel begann mit einem Gespräch während einer Autofahrt. Die Geschäftsleitung und ein Mitarbeiter der Lebenshilfe Brakel sprachen über die beruflichen Chancen ihrer Klient:innen und Schüler:innen: Man habe tolle Leute, aber wenig Möglichkeiten, diese auf den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln. Und auch intern finde sich selten etwas Passendes. Es wird kurz still im Auto, dann fasst das Team der Lebenshilfe den Vorsatz: „Das ändern wir jetzt.“

Aus diesem Gedanken entstand 2020 die Teamwork Höxter gGmbH. Geschäftsführer des neuen Unternehmens wurde Antonius Schulte, der bis dahin für die Lebenshilfe gearbeitet hatte und bei der entscheidenden Autofahrt mit dabei war. Die Idee hatte ihn schon vorher länger begleitet. 2002 war er nach zwei abgeschlossenen Handwerksausbildungen als Zivildienstleistender zur Lebenshilfe gekommen. Im Anschluss arbeitete er jahrelang als Lehrer im Berufsbildungsbereich der von der Lebenshilfe getragenen Förderschulen. „Gestrandet und dann nicht gegangen“, sagt der 44-Jährige heute lächelnd. Schon während der Lehrtätigkeit im Bereich geistige Entwicklung ärgerte er sich darüber, dass es in der Region nur begrenzte Anschlussmöglichkeiten für seine Schüler:innen gab.

Natürlich bestehe immer die Möglichkeit, in eine Werkstatt für behinderte Menschen zu wechseln. „Das ist für viele auch eine richtige und gute Option“, sagt Schulte. Es gebe jedoch in jedem Jahrgang eine Handvoll Schüler:innen, die mit der Arbeit in der Werkstatt unterfordert, mit dem Schritt in die freie Marktwirtschaft aber überfordert wären. Das war die Lücke, die das inklusive Unternehmen Teamwork Höxter füllen sollte.

Geschäftsführer Antonius Schulte möchte mit Teamwork Höxter eine wichtige Lücke für die Klient:innen und Schüler:innen der Lebenshilfe füllen. Foto: LWL

Von der guten Idee zur guten Praxis

Zwar brauchte die Umsetzung ihre Zeit, aber die ersten Gespräche mit Einrichtungen wie dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe liefen unkompliziert; der Ansatz fiel auf fruchtbaren Boden. Neben dem bürokratischen Aufwand beschäftige Schulte vor allem die Frage: Wie lässt sich die gute Idee in eine ebenso gute Praxis übersetzen? Die Aufgaben, das Arbeitsmodell und die Anforderungen der späteren Mitarbeiter:innen sollten schließlich zusammenpassen.

Aus diesem Grund plante Schulte für Teamwork Höxter von Anfang an mit einem Tandem-Modell: In vier Teams arbeiten je eine Fachkraft und ein:e Mitarbeiter:in mit einer geistigen Behinderung in verschiedenen Hausmeistertätigkeiten in der Umgebung rund um Höxter. Beide Teammitglieder profitieren von der Zusammenarbeit: Die Hausmeister:innen schaffen Außeneinsätze kaum allein, ihre Kolleg:innen mit Behinderung bekommen bei Bedarf Unterstützung. Dieses Konzept lieferte letztlich auch die Inspiration für den Namen „Teamwork“. Das sei schließlich die Arbeitsweise, die am besten zur Vision des Projekts passe, sagt Schulte: „Das ist Inklusion in Reinform.“

Wichtig für einen gelungenen Start des Unternehmens und die erfolgreiche Umsetzung des Konzepts war es, die richtigen Fachkräfte mit der nötigen Sozialkompetenz zu finden. „Die müssen das auch wollen“, resümiert Schulte. Ein Glücksfall: Das Unternehmen konnte direkt mit zwei Hausmeistern der Lebenshilfe starten, die schon mit der Zielgruppe vertraut und von dem neuen Konzept überzeugt waren. Unterstützt werden die Teams vom sozialen Dienst der Lebenshilfe. So haben die Mitarbeiter:innen die Möglichkeit, regelmäßig Feedback zu geben und zu erhalten und sich über die Arbeitswoche auszutauschen. Das sorgt für ein gutes Arbeitsklima, sichert beständig gute Leistungen und schafft so die Rahmenbedingungen für ein erfolgreiches inklusives Arbeiten. 

Die Aufgabenvielfalt war ein großer Anreiz

Benedikt Prohn war einer der beiden Hausmeister, die von der Lebenshilfe zu Teamwork Höxter wechselten. „Wir waren sofort dafür zu haben“, erzählt der 36-Jährige begeistert. Junge Menschen bekämen eine Chance, und auch für ihn habe das Tandem-Konzept klare Vorteile: „Zu zweit kann man vieles besser machen.“

Teamwork Höxter wird häufig von der Lebenshilfe beauftragt, eine Synergie, die den Start des Unternehmens durch sichere Aufträgen begünstigte. Prohn und sein Tandem-Partner David Schreiber (22) sind heute in einer der Wohnstätten tätig. Das Gebäude wird saniert, es gibt also viel zu tun: Die Wände müssen verputzt und gestrichen, Anschlüsse installiert und Elektronik montiert werden. Die ständig wechselnden Aufgaben bringen auch immer neue Anlernphasen mit sich – durchaus eine Herausforderung für die Fach- und die Hilfskraft.

David Schreiber arbeitete in einer der Werkstätten der Lebenshilfe, bevor er 2021 zu Teamwork Höxter wechselte. Für ihn war gerade die Aufgabenvielfalt im neuen Unternehmen der Hauptgrund für diesen Schritt. Dass die Tätigkeiten und Einsatzorte von Tag zu Tag unterschiedlich sein können, liege ihm mehr als der geregelte Ablauf in der Werkstatt, sagt Schreiber – eine Bestätigung der Gründungsidee von Teamwork Höxter. Das gute Arbeitsklima im Tandem hilft dabei, sich die neuen Tätigkeiten zu erschließen: „Wir haben unseren Spaß, wir haben unsere Streitereien, aber wir kriegen alles hin“, sagt er und grinst zu Benedikt Prohn hinüber. Er sieht seine Zukunft auch weiterhin im Betrieb und ist rundum zufrieden: „Es ist schon Bombe. An jedem Tag, wenn ich aufstehe, freue ich mich aufs Neue.“

Bewusst für die Veränderung entschieden

Thomas Schwarz steht vor der alten Stadtmauer in Höxter. Im Duo mit seinem Kollegen Patrick Nordhold (28) bringt er heute die Grünflächen am anliegenden Parkplatz auf Vordermann. Schwarz stieß erst nach der Gründung zum Team. Der 53-Jährige wechselte von einem großen Agrarhändler zu Teamwork Höxter, als das Unternehmen eine Fachkraft an der Schnittstelle von Landschaftsbau und Elektrotechnik suchte.

Patrick Nordhold war wie David Schreiber früher in einer Werkstatt beschäftigt. Er interessierte sich für die neuen Aufgaben bei Teamwork Höxter, traute sie sich zu und wollte diesen Schritt unbedingt gehen – auch gegen den Wunsch seiner Familie, die die Sicherheit der Werkstatt schätzte: „Ich habe das für mich selbst entschieden. Ich wollte mal auf eigenen Füßen stehen.“ Dass Antonius Schulte früher sein Lehrer war, half ihm, den Sprung zu wagen. Nach einem Praktikum zum Eingewöhnen kam er im September 2021 zusammen mit Thomas Schwarz ins Unternehmen.

Der Tapetenwechsel bekomme ihm gut, die Arbeitsweise passe besser zu ihm, sagt Nordhold: „Ich fühle mich einfach freier.“ Auch er schätzt die vielfältigen Arbeitsfelder im Freien, vor allem aber die Strukturen innerhalb des Unternehmens. Wenn eine Aufgabe mal länger dauert oder Fragen offenbleiben, helfen die Kolleg:innen – aber eben auch nur dann, wenn wirklich Hilfe gebraucht wird. „Ich krieg das hin und die kommen damit klar“, sagt Patrick Nordhold. Nach einem Jahr ist er mit seiner Arbeit und seiner Entscheidung zufrieden, trotz der großen Umstellung, die diese mit sich gebracht hat. Er fühlt sich bestätigt: „Ich würde es nochmal machen“, stellt er fest. Dann geht er zurück an die Arbeit.

Balanceakte und gute Vorsätze

Schon als Lehrer war es für Antonius Schulte wichtig, eine gute Balance zwischen Fördern und Fordern zu finden. Nun setzt er das auch bei Teamwork Höxter um. Man müsse bereit sein, zu sagen: „Das Ergebnis wollen wir haben, jetzt schauen wir, wie das klappt.“

Die Ergebnisse sprechen für sich. Mittlerweile hat sich das Unternehmen in der Region einen guten Ruf erarbeitet, den es immer wieder mit guter Arbeit bestätigt. Und diese Qualität hat ihren Preis: „Wir zeichnen uns nicht dadurch aus, besonders günstig zu sein“, sagt der Geschäftsführer. An die Leistungen der ersten Jahre kann und will Schulte anknüpfen. Nächstes Jahr soll das Unternehmen zwei weitere Teams einstellen und nach Möglichkeit auch weitere Arbeitsbereiche erschließen. Bei den Zukunftsplänen zeigt sich Schulte so flexibel wie bei der Unternehmensgründung: „Auf Neues gehen wir offen zu.“ —

Warum das inklusive Konzept bei Teamwork Höxter für das gesamte Team ein Erfolgsmodell ist, erklären Geschäftsführer Antonius Schulte, Hausmeister Benedikt Prohn und Mitarbeiter David Schreiber im Film aus ihrer Sicht.



„Ich möchte, dass mehr Menschen mit Behinderung in Filmen zu sehen sind“

Herr Janßen, Sie waren früher Verwaltungsleiter der Berlinale. Wie kamen Sie dazu, sich für Inklusion in der Filmbranche zu engagieren?

Mein Patenkind Max hat eine Behinderung. Vor einigen Jahren wurde er durch Zufall für eine Rolle in einem Fernsehfilm entdeckt, er hat mit Matthias Brandt und Corinna Harfouch in dem Thriller „Tod einer Schülerin“ gespielt. Danach sagte er: „Wenn das Arbeit ist, will ich Schauspieler werden.“ Ich habe versucht, ihn bei der Suche nach neuen Rollen zu unterstützen, aber es war sehr schwierig, eben weil die Branche noch kaum inklusiv ist. Das möchte ich ändern, damit mehr Menschen mit Behinderung in Filmen und Serien zu sehen sind. Außerdem hatte ich nach zehn Jahren bei der Berlinale Lust, etwas Neues zu machen. Also habe ich „Rollenfang“ gegründet. Meine Erfahrungen und Verbindungen zur Filmszene helfen mir natürlich. Einige Zeit nach der Gründung ist noch das Theater dazugekommen, weil manche Darsteller:innen lieber auf der Bühne spielen möchten.

Was genau bieten Sie Schauspieler:innen mit Behinderung an?

Ich vermittle sie an professionelle Theatergruppen, Film- oder Serienprojekte und handle Verträge für sie aus, ähnlich wie eine Agentur. Anders als andere Agenturen biete ich aber eine Art „Rundum-Sorglos-Paket“ an. Ich buche zum Beispiel Fotograf:innen, die professionelle Bilder für die Bewerbungen machen und mit den Darsteller:innen auch sogenannte Showreels aufnehmen. Das sind kleine Videos, die als Arbeitsproben an die Produktionsfirmen gehen. Außerdem vernetze ich die Schauspieler:innen untereinander und mit anderen Menschen aus der Branche. Und ich betreibe viel Lobbyarbeit, etwa bei Festivals und Verbänden.

Diversität, also Vielfalt, ist seit einigen Jahren ein wichtiges Schlagwort. Ist das auch in der Filmbranche spürbar?

Ja, es hat sich einiges getan. Die Förderanstalt „Moin“ aus Hamburg hat eine „Diversity Checklist“ entwickelt und veröffentlicht, einen Fragenkatalog, den alle Antragsteller:innen ausfüllen müssen. Darin wird unter anderem gefragt, ob Menschen mit Behinderung im Projekt mitarbeiten oder im geplanten Film vorkommen. Andere Fördereinrichtungen werden da sicher nachziehen, da ist also etwas in Bewegung geraten. Das spüren wir auch an unserer eigenen Arbeit bei „Rollenfang“: Viele große Produktionsfirmen hatten lange kaum Interesse an uns, jetzt arbeiten wir mit der UFA Film & TV Produktion GmbH an einem gemeinsamen Projekt. Wir bekommen auch von anderen Firmen Anfragen, weil sie Schauspieler:innen mit Behinderung engagieren möchten – allerdings in der Regel nur dann, wenn im Drehbuch explizit eine Behinderung vorgesehen ist. Eines unserer Ziele für die Zukunft ist, dass die Behinderung irgendwann gar keine Rolle mehr spielt.

Was müsste sich dafür noch verändern?

Die meisten Produzent:innen haben selten oder noch nie mit Menschen mit Behinderung zusammengearbeitet. Das ist ganz ähnlich wie in anderen Branchen auch: Wegen der fehlenden Erfahrung machen sich die Verantwortlichen Sorgen, ob das funktionieren kann. Ob zum Beispiel eine Schauspielerin mit Behinderung lange Drehtage durchhält oder ein Schauspieler mit geistiger Beeinträchtigung deutlich genug spricht.

Wie überzeugen Sie die Produktionsfirmen davon, dennoch Schauspieler:innen mit Behinderung zu engagieren?

In der Regel nehme ich erst einmal Kontakt zu den Caster:innen der Projekte auf, treffe mich mit ihnen, stelle ihnen Leute vor und schicke später Filmmaterial. Dieser persönliche Kontakt ist ganz wichtig. Manchmal kommt das auch bei Veranstaltungen zustande. Wir haben im Frühjahr 2022 ein Kurzfilmfestival organisiert, eine Gala in einem Theater in Berlin, zu der alle „Rollenfang“-Schauspielerinnen und 150 Gäste gekommen sind. Wir haben viele Gespräche geführt und Kurzfilme von und mit unseren Darsteller:innen vorgeführt, um die Qualität ihrer Arbeit zu zeigen. Daraus sind fünf oder sechs Engagements entstanden.
Ganz allein kann ich diese wichtige Netzwerkarbeit aber nicht machen.

Und wo holen Sie sich Unterstützung?

Etliche Filmschaffende und Theaterleute ohne Behinderung haben schon unsere Charta für Inklusion im Film unterzeichnet und setzen für die Ziele von Rollenfang ein. Auch bekannte Schauspieler:innen ohne Behinderung treten als Botschafter:innen für unser Anliegen ein. Sie öffnen Türen, indem sie Kolleg:innen mit Behinderung für Rollen in ihren Produktionen vorschlagen. So sind schon einige tolle Filmprojekte zustande gekommen. Es müssen übrigens ja nicht immer Hauptrollen sein, wir freuen uns auch über interessante Nebenrollen. Darüber hinaus unterstützen einige Schauspieler:innen unsere Darsteller:innen auf Wunsch auch als Coaches und arbeiten bei Dreharbeiten in Tandems mit ihnen zusammen.

Wie genau funktioniert das am Filmset?

Die Coaches sind Ansprechperson für die Produzent:innen und Vertrauensperson für unsere Schauspielerin oder unseren Schauspieler. Sie teilen ihre Erfahrung und helfen auch ganz praktisch, in den langen Wartezeiten an den Drehtagen nochmal den Text für die nächste Szene durchzugehen.

In welchen Filmen und Serien sind denn die Schauspieler:innen zu sehen, die „Rollenfang“ schon vermitteln konnte?

Das ist inzwischen ein sehr breites Spektrum. Wir haben Serien wie „In aller Freundschaft“, „Rote Rosen“ oder „Die Bergretter“ im Portfolio, Fernsehreihen wie „Praxis mit Meerblick“ oder „Polizeiruf 110“, aber auch Kinofilme wie „24 Wochen“ und Florian Henckel von Donnersmarcks „Werk ohne Autor“.

Für Rollen in solchen Produktionen brauchen die Darsteller:innen wahrscheinlich eine gute Ausbildung. Wie einfach oder schwierig ist der Einstieg in diesen Beruf für Menschen mit Behinderung?

Leider ist er meistens schon die erste Hürde. Schauspielschulen sind zwar offiziell für alle offen, tatsächlich bekommen Menschen mit Behinderung aber fast nie einen Platz. Die meisten Schauspieler:innen mit Behinderung haben in inklusiven Theatergruppen erste Erfahrungen gesammelt oder wurden in einer Einrichtung für behinderte Menschen gecastet. Wir bieten deshalb bei „Rollenfang“ auch Weiterbildungen an, etwa einwöchige Kameraworkshops, in denen wir inklusiv besetzte Kurzfilme produzieren. Unsere Coaches bereiten unsere Schauspieler:innen bei Bedarf auch ganz direkt auf neue Rollen oder schwierige Szenen vor, in denen es etwa besonders wichtig ist, zwischen der Rolle und dem realen Leben zu unterscheiden.

Wie finanzieren Sie die Arbeit von „Rollenfang“?

Hauptsächlich wird die Arbeit von Rollenfang durch eine Projektförderung der Aktion Mensch finanziert, außerdem unterstützen uns einige private Stiftungen. Für einen Kurzfilm konnten wir den RBB als Koproduzenten gewinnen, und auch das Medienboard Berlin Brandenburg hat zwei unserer Projekte mitfinanziert.

Was haben Sie sich für die nächsten Jahre vorgenommen?

Unser neuestes Projekt „Rollenfang-Labor“, eine Art Denkfabrik, in der Künstler:innen mit und ohne Behinderung gemeinsam arbeiten. Hier wollen wir inklusiv neue Sichtweisen und Filmstoffe und gleichzeitig Arbeitsmöglickeiten für Regisseur:innen, Drehbuchautor:innen und Musiker:innen mit Behinderung entwickeln, also für alle Gewerke, die hinter der Kamera agieren.