Wie sich die Arbeitswelt verändert

Worum geht es?

Wenn früher, auf älteren Fotografien, Menschen bei der Ausübung ihrer Berufe gezeigt wurden, waren darunter selten oder nie Menschen mit Behinderungen zu sehen – ganz einfach deswegen, weil ihnen die Arbeitswelt nicht oder nur selten offenstand. Heute dagegen arbeiten Menschen mit Handicaps in vielen Berufen und Unternehmen und haben dort ihren Platz gefunden.

Diesen Wandel in der Arbeitswelt greift die Ausstellung »Wandel – Performance und Fotografie« auf. Die Menschen mit Behinderungen, die auf den Fotos zu sehen sind, sind für die Aufnahmen in verschiedene klassische Berufsrollen aus der Gegenwart und aus vergangenen Zeiten geschlüpft. Die Requisiten und Kostüme haben sie selbst gemeinsam mit den Künstlern und ihren Begleitern ausgesucht. Die beiden Künstler zeigen mit ihrer Ausstellung, wie die Protagonisten Berufswelten für sich entdecken, aber auch, dass die heutige Arbeitswelt sich verändert hat und damit auch deren fotografische Dokumentation anders werden kann.

Wer steckt dahinter?

Die bildende Künstlerin Dagmar Lippok und der Fotograf Jens Sundheim, die das Fotoprojekt in Kooperation mit der Homborner Werkstatt der Von-Bodelschwinghschen-Stiftungen Bethel konzipiert und umgesetzt haben.

Was genau gibt es zu sehen?

Großformatige Fotografien von jungen Erwachsenen mit Behinderung, die in verschiedenen Berufsrollen inszeniert und vor teilweise historischen Kulissen abgelichtet wurden.

Wo findet die Ausstellung statt?

Im Christian Rohlfs-Saal des Jungen Museums im Osthaus Museum Hagen.

Wann kann die Ausstellung besucht werden?

Die Ausstellung startet am Freitag, 25. November 2016 und ist danach noch bis zum 29. Januar 2017 im Jungen Museum zu sehen.




Inklusion im ältesten Haus Wiedenbrücks

Kuchen verkaufen: Das macht Ann-Sophie Bathe am liebsten. „Heute haben wir Käsekuchen, Apfelkuchen, Kirsch-Krokant und Mandarine-Maracuja“, zählt sie auf. Die zierliche junge Frau mit der roten Schürze steht hier entweder hinter der Kuchentheke oder bringt den Gästen Kaffee an den Tisch. Zwischendurch verpackt sie kleine Nussecken für den Verkauf und verschließt die durchsichtigen Tütchen sorgfältig mit roten Schleifen.

Die 28-Jährige ist eine von sieben Mitarbeitern mit Behinderung im Inklusionsunternehmen Café Anker Villa in Rheda-Wiedenbrück. Sie hat starke Lernschwierigkeiten, vor allem Mathematik ist ihr immer schwergefallen. Deshalb hat sie mit Zahlen ihre Probleme, Abläufe und Daten kann sie sich ebenfalls schlecht merken. Doch ihr größtes Handicap, sagt die junge Frau, ist ihre Schüchternheit. „Ich bin manchmal sehr unsicher und ich traue mich viele Sachen nicht“, erzählt sie. „Am liebsten würde ich mich dann in mein Schneckenhaus zurückziehen.“

„So, wie ich bin“

Nach der Schule machte Ann-Sophie Bathe eine Ausbildung zur Restaurant-Fachgehilfin im Hotel Aspethera in Paderborn, das wie die Anker Villa ein Inklusionsbetrieb ist. Für den neuen Job zog die gebürtige Soesterin nach Rheda-Wiedenbrück, wo sie heute zwanzig Stunden pro Woche arbeitet. Ihre Wohnung liegt zwei Kilometer vom Café entfernt, den Weg fährt sie jeden Tag mit dem Fahrrad.

Die Stelle war ein Glücksfall, findet die 28-Jährige: „Meine Kollegen nehmen mich so an, wie ich bin. Und wenn mal was schiefgeht, geht es eben schief.“ Vor allem, wenn es im Café voll wird, meldet sich die Unsicherheit – dann braucht Ann-Sophie Bathe auch mal eine Pause. „Die Kollegen hier respektieren das aber und helfen, solche Stresssituationen zu überbrücken“, sagt ihre Chefin Wiltrud Schnitker, die zugleich feststellt, dass sich ihre neue Mitarbeiterin mit der Zeit sehr entwickelt hat: „Sie wird immer mutiger und selbständiger.“

Inklusionsbetrieb seit 2009

Der Weg zum Inklusionsunternehmen war für die 53-Jährige nicht von Anfang vorgezeichnet. Vor 19 Jahren eröffnete sie das Café in der Anker Villa, dem ältesten Gebäude in der Stadt, gemeinsam mit ihrem Mann, der 2008 schwer erkrankte und zwei Jahre später starb. „Die Arbeit war allein einfach nicht mehr zu schaffen“, sagt Wiltrud Schnitker. Sie hatte damals Glück im Unglück: Die Evangelische Stiftung Ummeln in Bielefeld, die sich seit den siebziger Jahren in der Behindertenhilfe engagiert, übernahm das Gebäude und das Café. 2009 fiel die Entscheidung, den Betrieb als Inklusionsunternehmen neu zu gründen – mit Wiltrud Schnitker als Leiterin.

Ann-Sophie Bathe geht schnell mit einem Tablett durchs Café.
Auch hektische Situationen meistert Ann-Sophie Bathe gut. Foto: LWL/Arendt

Den Grund für diese Übernahme erklärt Lisa Kübler, die seit Anfang 2010 für die Stiftung als Projektmanagerin des Cafés arbeitet, so: „Neben unseren Werkstätten wollten wir für Menschen mit Behinderung auch Arbeitsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.“ Ein Traumjob für die 32-Jährige, die nach ihrer Ausbildung zur Erzieherin ein Sozialmanagement-Studium absolviert hat. „Es macht Spaß, zu sehen, wie zufrieden Ann-Sophie und die Kollegen hier sind“, erzählt sie. Kübler stellte beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe, beim Land Nordrhein-Westfalen, bei der Aktion Mensch und der Stiftung Wohlfahrtspflege die Förderanträge für den Umbau der Anker Villa. Jetzt kümmert sie sich um die Personalplanung und kommt zwei bis drei Mal im Monat zu Teamgesprächen nach Rheda-Wiedenbrück.

Die Skepsis legte sich schnell

Seit der Neueröffnung laufen die Geschäfte gut. „Wir haben umgebaut“, sagt Wiltrud Schnitker. „Nur das Holzparkett ist geblieben, das komplette Innenleben ist neu.“ Schwere dunkle Holzbalken, Sitzpolster in warmen Rot-, Orange- und Gelbtönen und ein riesiger Stoff-Kronleuchter, der über drei Etagen reicht, schaffen eine gemütliche Atmosphäre.

Die Flex-Treppe, die seit dem Umbau vom großen weißen Holztor am Eingang bis ins Innere führt, hilft Rollstuhlfahrern beim Zugang zum Café: Auf Knopfdruck klappen die Treppenstufen hoch und verwandeln sich in ein ebenes Podest, das als Aufzug genutzt werden kann. Zu Anfang war der Erfolg noch nicht absehbar, denn die Rheda-Wiedenbrücker begegneten dem Inklusionsprojekt eher skeptisch. „Was macht ihr da eigentlich?“, fragten sie, wie sich Lisa Kübler erinnert. „Es gingen Gerüchte um, dass das Café ausschließlich für Menschen mit Behinderung gedacht sei.“ Es dauerte eine Weile, bis die Nachbarn mit dem neuen Konzept warm wurden. Ähnlich erging es Wiltrud Schnitker und ihren nicht-behinderten Mitarbeitern. Nur wenige im Team hatten Erfahrung darin, mit Menschen mit Behinderung zu arbeiten. „Wir hatten schon Berührungsängste“, erzählt die Chefin sehr offen, die von der Evangelischen Stiftung Ummeln mit Fachtagen und kontinuierlicher Beratung unterstützt wird. Inzwischen ist die Belegschaft aber sehr gut zusammengewachsen. „Ich bin angenehm überrascht, auch von mir selbst, wie viel Geduld ich habe“, sagt sie und lacht. Auch Ann-Sophie Bathe lächelt: „Wir sind ein super Team.“