Reisen mal anders: Der Blog von Natalie Dedreux

Natalie Dedreux möchte Journalistin werden. Die junge Frau arbeitet für das Magazin Ohrenkuss, für das nur Menschen mit Down-Syndrom schreiben, und hat ein Praktikum beim Deutschlandfunk gemacht. Sie hat auch einen eigenen Blog, auf dem sie regelmäßig Texte über politische Themen, ihren Alltag und ihre Reisen veröffentlicht. „Das Leben mit Down-Syndrom ist cool“, schreibt sie. Das möchte sie mit ihrem Blog und ihrem Instagram-Account (erst nach Login bei Instagram aufrufbar) auch Menschen ohne Down-Syndrom zeigen.

Wie viele andere Menschen auch musste Natalie Dedreux wegen der Corona-Pandemie ihre geplanten Reisen in diesem Jahr absagen. In früheren Blogbeiträgen könnt ihr aber nachlesen, was sie in den vergangenen Jahren erlebt hat. Sie erzählt von einer Safari und einem Kochkurs in Südafrika, einem Kunstprojekt in der Ukraine und einem Hängemattentest in Berlin. Unser Tipp gegen Fernweh!




Model mit Down-Syndrom

Die Modebranche gilt als hartes Pflaster. Wer als Model nicht in ein bestimmtes Schema passt, zu klein oder zu dick ist oder nicht die „richtige“ Art von Schönheit hat, wird aussortiert – und bekommt entweder keine Jobs oder kann den Beruf gar nicht erst ausüben.

Seit einigen Jahren beginnen manche Magazine und Designer in der Branche, umzudenken. Sie wollen nicht mehr nur dünne, weiße Mädchen, sondern suchen immer öfter auch Menschen und Gesichter, die etwa unterschiedlicher Herkunft sind, interessant aussehen und nicht in ein starres Ideal passen. Daraus können Karrieren für Menschen entstehen, die bisher zum Beispiel wegen einer Behinderung bisher nicht in die Branche passten – so auch die junge Australierin Madeline Stuart, die das Down-Syndrom hat. Mit 17 Jahren erzählte sie ihrer Mutter, dass sie Model werden möchte. Die organisierte ein Fotoshooting und stellte die Bilder ins Netz, wo die junge Frau schnell eine große Fangemeinde aufbaute. Auch ein südafrikanischer Modeschöpfer wurde auf sie aufmerksam und engagierte die damals 18-Jährige für einen Auftritt in New York. Damit ging Madeleine Stuarts Karriere so richtig los, die bis heute andauert.

Im Blog des Schweizerischen Tagesanzeigers könnt ihr eine kurze Version von Madeleine Stuarts Geschichte lesen – und euch dort auch einige tolle Fotos anschauen, die Ausschnitte aus Stuarts Berufsalltag bei den Fashion Weeks 2018 in New York und London zeigen. Der Reuters-Fotograf Andrew Kelly hat die junge Frau dorthin begleitet und seine Eindrücke mit der Kamera eingefangen.




Bald auf dem Markt: preisgekrönte Gebärden-Lern-App für Kinder

Anke, wie bist du auf die Idee gekommen, eine inklusive App zu entwickeln?

Durch meinen Sohn Lasse. Er hat das Down-Syndrom, ist neun Jahre alt und besucht eine Regelschule in Hamburg. Er spricht noch unverständlich, deshalb brauchen er und seine Mitschülerinnen und Mitschüler viel Geduld, um sich miteinander zu verständigen. Im Moment müssen die anderen Kinder häufig Lasses Sprachcomputer zu Hilfe nehmen, oder sein Schulbegleiter muss für ihn dolmetschen. Das ist eine große Barriere, die die anderen Kinder frustriert und Lasse oft traurig macht. Seine Sonderpädagogin hat deshalb damit angefangen, mit der ganzen Klasse Gebärden der Deutschen Gebärdensprache zu lernen.

Und um das zu unterstützen, entwickelt ihr die EiS-App?

Genau, denn mein Sohn braucht für alles, was er lernen will, mehr Wiederholungen als seine Mitschüler. Im Schul- oder Familienalltag lässt sich dieses zeitintensive Lernen nicht immer in dem Umfang unterbringen, den er benötigt. Lasse wiederholt Lerninhalte aber sehr gern für sich allein und in seinem Tempo, am liebsten mit Videos. Er schaut sie sich immer wieder an und ahmt sie nach. Ich wollte ihn beim Gebärdenlernen mit Videos unterstützen, habe aber keine adäquate kindgerechte Software gefunden.

Wie bist du an das Projekt herangegangen?

Ich habe meine Idee 2017 beim Hackathon „Die Zukunft der Bildung“ vorgestellt. Das war ein Wettbewerb der Wochenzeitung „DIE ZEIT“, der sich um Bildung im Zeitalter der Digitalisierung drehte. Dort habe ich mein Team kennengelernt: Luisa Heinrich, Marcus Willner, Ron Drongowski und Saskia Heim.
Luisa kümmert sich als Grundschullehrerin – mit viel Erfahrung in Inklusionsklassen und mit Kindern mit Migrationshintergrund – gemeinsam mit mir um das Inhaltliche und Pädagogische. Marcus ist Entwickler und Geschäftsführer der tapLab GmbH, er kennt sich mit Softwareentwicklung aus. Ron leitet die Backend-Entwicklung bei ZEIT ONLINE. Die beiden kümmern sich um die Programmierung der App. Saskia leitet das Team Bildungsmarketing im ZEIT-Verlag und übernimmt zusammen mit mir die Aufgabe, die App bekannt zu machen und zu vertreiben. Es war ein echter Glücksfall für mich, so ein tolles Team zu finden. Gemeinsam haben wir den Hackathon gewonnen. Damit hatten wir ein Startkapital.

Anke Schöttler hebt den Finger im Gespräch mit einer Kollegin, die nicht im Bild zu sehen ist.
Anke Schöttler im Bootcamp zur Digital Imagination Challenge 2018. Die EiS-App war unter den fünf Finalisten und hat den Wettbewerb gewonnen.
Foto: Andi Weiland/gesellschaftsbilder.de

Wie funktioniert die App und wie ist sie aufgebaut?

Wir haben eine Basis-Version entwickelt, die rund 200 Begriffe enthält. Jeder diese Begriffe ist in vier Varianten in der App hinterlegt: als geschriebenes Wort, als METACOMSymbol, als Audio-Datei und als Gebärden-Video. So haben die Kinder unterschiedliche Zugänge und können zum Lernen die Variante wählen, mit der sie am besten kommunizieren können. Zugleich ist die App sehr einfach und klar strukturiert. Auch Kinder mit kognitiven Einschränkungen können sie leicht bedienen und nutzen. Überhaupt kann jeder mit dem Programm einen Grundwortschatz an Gebärden lernen, egal ob sie oder er besser lesen, schreiben, hören oder sprechen kann.

Und wie habt ihr die Begriffe ausgewählt, die in der Basis-Version enthalten sind?

Wir haben uns an der Arbeit von Prof. Dr. Jens Boenisch und Dr. Stefanie Sachse orientiert. Die beiden Wissenschaftler von der Uni Köln haben herausgefunden, dass Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung in 80 Prozent ihrer Unterhaltungen nur rund 200 Wörter verwenden. Wir haben uns also auf genau diese Begriffe konzentriert. Das sind zum Beispiel Worte wie „ich“, „du“, „wollen“, „können“ oder „nicht“. Die komplexe Grammatik der Deutschen Gebärdensprache können wir dabei allerdings nicht abbilden, die sollte man sowieso von Muttersprachlerinnen und Muttersprachlern lernen. Einige Landesverbände des Deutschen Gehörlosen-Bunds und viele Volkshochschulen bieten dazu entsprechende Kurse an.

Die App richtet sich also speziell an Kinder?

Ja, sie ist als Alltagshilfe für Kinder gedacht, die unterstützt kommunizieren, also eine Ergänzung zur Lautsprache brauchen. Wir möchten aber auch Kinder unterstützen, die Deutsch als Zweitsprache lernen, Sprachentwicklungsverzögerungen haben oder sich einfach noch nicht trauen, zu sprechen. Auch ihre Familien und Freunde können so einen Grundwortschatz an Gebärden erlernen. Und natürlich Erzieherinnen, Assistenten und alle anderen, die diese Kinder beim Lernen begleiten.

Wie erreicht ihr diese junge Zielgruppe?

Wir wenden uns mit unserem Angebot vor allem an Kitas und Schulen. In Hamburg haben wir schon ein gutes Netzwerk aufgebaut, stehen in Kontakt zu Kitaträgern und auch zur Schulbehörde. Von Hamburg aus wollen wir dann bundesweit wachsen. Im Mai werde ich die EiS-App beim Sonderpädagogischen Kongress in Weimar vorstellen, und das Lehrerinstitut in Hamburg hat uns kürzlich zu einer Tagung zur Unterstützten Kommunikation eingeladen.

Können Eltern die App schon für ihre Kinder herunterladen?

Nein, noch nicht, wir sind nämlich gerade erst mit der Testphase fertig. Dafür haben wir ausführlich mit den unterschiedlichsten Expertinnen und Experten zusammengearbeitet, zum Beispiel mit Kindern, Eltern, Sonderpädagogen, Therapeutinnen, Schulbegleitern und Fachleuten für Unterstützte Kommunikation. Sie haben die App durchgetestet. Das Feedback war toll: Sie haben bestätigt, dass die EiS-App eine echte Alltagshilfe sein kann. Dieser erste Prototyp, mit dem die Tester gearbeitet haben, ist eine Web-App. Jetzt entwickeln Marcus und Ron die Versionen für iOS und Android. Wir wollen die Basis-Version der EiS-App Ende des ersten Quartals 2019 in die App-Stores und damit auf den Markt bringen.

Wird die App etwas kosten?

Ja, denn wir wollen sie ja langfristig anbieten und weiterentwickeln. Im Moment arbeiten wir komplett ehrenamtlich und finanzieren die gesamte Entwicklungsarbeit über die Preisgelder, die wir bisher gewonnen haben. Das ist auf Dauer kein tragfähiges Modell.

Einer der Wettbewerbe, die ihr gewonnen habt, war die Digital Imagination Challenge 2018. Welche Impulse habt ihr aus dem Innovations-Wettbewerb mitgenommen?

Sehr viele! Zunächst einmal hat uns das positive Feedback der anderen Finalisten, der Coaches und der Jury gezeigt, dass unser Engagement eine große gesellschaftliche Wirkung haben kann. Es geht bei der EiS-App ja nicht nur um die Situationen im Alltag, in denen die Software Kindern dabei hilft, sich zu verständigen. Wir sensibilisieren Kinder mit und ohne Behinderung auch für eine inklusive Gesellschaft. Sie lernen mit Hilfe der App, wie vielfältig Kommunikation sein kann – und mit dieser Erkenntnis können sie auch die Erwachsenen „anstecken“.
Das achtwöchige Support-Programm der Challenge wiederum hat uns praktisch sehr weitergebracht. Wir haben damit unser Projekt besser strukturiert und unsere Business-Beraterin hatte auch viele gute Ideen und Anregungen für uns. Wie kalkulieren wir zum Beispiel den finanziellen Aufwand, der nötig ist, um die App nachhaltig zu betreiben? Welche Investoren könnten wir gewinnen? Welche Fördertöpfe sind für uns interessant? Das hat uns sehr inspiriert und motiviert, weiterzumachen.

Wie wollt ihr die Basis-Version der App in Zukunft erweitern?

Da haben wir schon sehr viele Ideen. Wir möchten ein Memory, ein Quiz oder andere Spiele einbauen, mit denen Kinder die gelernten Begriffe spielerisch einüben und festigen können. Die Nutzerinnen und Nutzer sollen in der App später auch einen eigenen Wortschatz anlegen und eigene Videos integrieren können. Wir denken außerdem darüber nach, eine Augensteuerung für die App zu entwickeln, damit auch motorisch eingeschränkte Kinder sie nutzen können. Und das Programm soll Screenreader-fähig werden, damit Menschen mit Sehbehinderung sich die Inhalte von einer entsprechenden Software vorlesen lassen können. Sie können damit zwar keine Gebärden lernen, weil man die Handbewegungen tatsächlich sehen muss, um sie nachzuahmen. Aber die App kann trotzdem die Kommunikation zwischen blinden Kindern und Kindern mit Sprachschwierigkeiten erleichtern, weil die Wörter ja auch als Audio-Datei hinterlegt sind. So finden dann wirklich alle eine Möglichkeit, sich miteinander zu verständigen.






Die Millionenidee

Schwarze, weiße oder graue Socken? Langweilig, fand John Cronin. Der junge Mann hatte sich schon sich als Kind gerne über besonders farbenfrohe Kleidung ausgedrückt. Diese Leidenschaft wollte der 21-Jährige mit anderen Menschen teilen und gründete gemeinsam mit seinem Vater Mark das Start-up John’s Crazy Socks. Auf der Website verkaufen die beiden seit Ende 2016 die von John entworfenen knallig-bunten Produkte. Inzwischen arbeiten sie zusammen mit 15 Mitarbeitern, zehn davon haben wie der junge Chef eine Behinderung. Und der Erfolg ist riesig: Im ersten Jahr verkaufte die Firma mehr als 42.000 Paare und nahm mehr als 1,7 Millionen Dollar ein. Unser Linktipp der Woche!




VIER FRAGEN AN… Carina Kühne

Carina Kühne hat einen Beruf, von dem viele träumen: Sie ist Schauspielerin. Ihren Durchbruch hatte sie im Jahr 2014 mit „Be my Baby“, einem Film, in dem sie eine junge Frau spielt, die wie sie selbst das Down-Syndrom hat. Seit diesem ersten großen Erfolg in Deutschland darf Carina Kühne immer wieder in neue, verschiedene Rollen schlüpfen. Wenn sie mal nicht vor der Kamera steht, engagiert sich die 32-jährige mit viel Herzblut für die Inklusion. Als Aktivistin hält sie zum Beispiel Vorträge, gibt Interviews zum Thema und bloggt über ihr Leben und das, was sie bewegt. Sie wünscht sich eine Gesellschaft, in der Menschen einander auf Augenhöhe begegnen. Im Interview hat sie uns verraten, was dem aus Ihrer Sicht noch im Weg steht und wo sie Lösungen sieht.


#1: Frau Kühne, was bedeutet für Sie Inklusion im Beruf und bei der Arbeit?

Inklusion heißt für mich in diesem Zusammenhang: Es ist selbstverständlich, dass Menschen mit und ohne Behinderung miteinander arbeiten, sich gegenseitig unterstützen und voneinander lernen können. Es wäre allerdings erst dann wirklich Inklusion, wenn die Behinderung nicht mehr beachtet würde und keiner mehr als etwas „Besonderes“ darüber sprechen würde.

#2: Was bremst Ihrer Meinung nach die Inklusion – bei der Arbeit, aber auch in der Gesellschaft insgesamt?

Die größte Bremse ist meiner Meinung nach das System in Deutschland, durch das viele Menschen mit Behinderung immer noch in Sondereinrichtungen landen. Das geht los mit dem Förderkindergarten, dann geht es weiter in der Förderschule und danach landen viele in einer Werkstatt für behinderte Menschen anstatt auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Auch im Freizeitbereich werden viele ausgesondert und finden keinen Anschluss, weil sie zum Beispiel in eigenen Wohnheimen für Menschen mit Behinderung wohnen. Da gibt es oft kaum eine Begegnung, und das führt dann dazu, dass es so viele Berührungsängste und Barrieren in unseren Köpfen gibt. In unserer Gesellschaft wird leider immer noch stark vom so genannten „Anderssein“ her gedacht. Menschen werden also vor allem danach beurteilt und in den Köpfen „sortiert“. Ich glaube außerdem, dass viele Menschen ohne Behinderung irgendwie Angst haben, dass ihre eigene Arbeit nicht mehr so viel wert ist, wenn auch Menschen mit Handicap sie leisten können oder dass diese ihnen die Jobs wegnehmen. Dazu kommt noch, dass sich viele Unternehmen davor scheuen, Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter mit Behinderung einzustellen. Dafür gibt es auch ein gesetzliches Schlupfloch: Wenn ein Arbeitgeber nicht genug Menschen mit Behinderung einstellt, leistet er stattdessen die so genannte Ausgleichsabgabe – und für viele hat sich das Thema damit erledigt. Es gibt also sehr viele Barrieren, die aus meiner Sicht nur abgebaut werden können, indem wir gemeinsam leben und nicht getrennt voneinander. Das gilt von Anfang an und in allen Bereichen.

#3: Mit welchen kleinen oder größeren Handlungen könnten einzelne Menschen aus Ihrer Sicht selbst zur Inklusion beitragen?

Indem sie aufeinander zugehen, sich auf Augenhöhe begegnen und keine Angst haben, dass sie nicht den richtigen Umgangston finden. Wenn wir uns besser kennenlernen, verstehen wir einander auch besser und können selbstverständlicher miteinander leben und arbeiten. Außerdem sollte jedem Menschen ohne Behinderung bewusster sein, dass es kein Verdienst oder eine Selbstverständlichkeit, sondern ein Geschenk ist, nicht behindert zu sein. Wenn alle mit dem Wissen durchs Leben gehen würden, dass sich das jederzeit ändern kann, würden sie vielleicht auch anders mit Menschen mit Behinderung umgehen, als das aktuell viele noch tun.

#4: Wenn Sie Ihren Traum-Arbeitsplatz frei entwerfen könnten: Wie sähe dieser aus?

Da ich ja Schauspielerin bin, wünsche ich mir natürlich viele inklusive Rollen. Die Medien haben in unserer Gesellschaft einen sehr großen Einfluss, das bedeutet umgekehrt: Wenn in Berichten und Filmen öfter Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam gezeigt werden, dann wird Inklusion irgendwann auch in der Gesellschaft selbstverständlich. Was ich mir noch wünschen würde: Dass auch im Berufsleben niemand wegen seiner Behinderung ausgegrenzt wird. Ich selbst konzentriere mich immer lieber auf die Stärken der Menschen als auf ihre Defizite – und das sollten andere Menschen, Arbeitgeber und Kollegen auch öfter tun.