Studieren mit Behinderung: Ergebnisse der best2-Studie

Beim Wort „Behinderung“ denken viele an einen Menschen, der mit Rollstuhl unterwegs ist. Oft sind Behinderungen aber gar nicht zu sehen, zum Beispiel, wenn sie psychisch oder geistig sind. Eine Behinderung sagt ohnehin erst einmal nichts über die Fähigkeiten eines Menschen aus.

An Unis ist das ein ähnlich schwieriges Thema wie auf dem Arbeitsmarkt. Rund 11 Prozent aller Studierenden an Deutschlands Hochschulen haben eine Behinderung, doch laut einer Selbsteinschätzung der Befragten in der best2-Studie („best“ steht für „beeinträchtigt studieren“) können Außenstehende nur bei 4 Prozent dieser Studierenden deren Behinderung auf Anhieb wahrnehmen. Das ist nur eines der vielen interessanten Ergebnisse, die das Deutsche Studentenwerk, das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung und das Institut für Höhere Studien Wien in ihrer Befragung herausgefunden haben.

Viele psychische und chronische Erkrankungen

Das hängt damit zusammen, dass mehr als die Hälfte der Studierenden mit Behinderung (53 Prozent) eine psychische Erkrankung haben. 20 Prozent haben chronisch-somatische Erkrankungen wie beispielsweise Rheuma, Multiple Sklerose oder Epilepsie, die ebenfalls nicht unbedingt sichtbar sind, aber im Studium beeinträchtigen. 10 Prozent haben eine körperliche Behinderung, zu denen neben motorischen Handicaps auch Seh- oder Hörbehinderungen zählen. 4 Prozent leben mit so genannten Teilleistungsstörungen – dazu gehört etwa die Legasthenie, eine Behinderung, bei der Lesen und Rechtschreiben nur stark verzögert erlernt werden können. 6 Prozent der Studierenden nannten andere Behinderungen, 7 Prozent haben mehrere Handicaps.

Barrieren mildern mit Nachteilsausgleichen

Unabhängig von der Art des Handicaps gaben neun von zehn Befragten an, dass ihre Behinderung sie im Studium stark beeinträchtigt. Das hängt nicht zuletzt mit einer hohen Prüfungsdichte und mit den Anwesenheits- und Zeitvorgaben an den Unis zusammen.
Um diese erschwerenden Rahmenbedingungen abzufedern, können Studierende so genannte Nachteilsausgleiche (siehe Kasten in Anspruch nehmen. Damit können die Umstände für sie im Studium individuell so angepasst werden, dass jede und jeder Studierende mit Behinderung die geforderten Lernziele erreichen kann – die Prüfungsleistungen werden deshalb aber nicht anders bewertet. Inhaltlich gelten also die gleichen Anforderungen wie für Studierende ohne Behinderung.

Angst vor Ablehnung

Die best2-Studie fand heraus, dass drei Viertel der befragten Studierenden diese Möglichkeit zwar hilfreich finden, sie aber nur vergleichsweise selten nutzen. So haben nur knapp 30 Prozent der Befragten in ihrer Studienlaufbahn wenigstens einmal einen Nachteilsausgleich beantragt.
Einige verzichten nicht bewusst auf diese Option, sondern kennen ihre Rechte nicht. Andere haben Hemmungen, die Ausgleiche zu beantragen, oder wollen keine „Sonderbehandlung“. Hier liegt ein besonderer Knackpunkt der Studie: Sie zeigt, dass viele Studierende Angst davor haben, wegen ihrer Behinderung abgelehnt oder stigmatisiert zu werden. Außerdem haben einige auch schon negative Erfahrungen damit gemacht, ihre Behinderung offenzulegen.

Appell an die Hochschulen: mehr informieren

All das erschwert die Kommunikation mit Lehrenden, Kommilitoninnen und Kommilitonen und der Verwaltung. Nach Einschätzung des Präsidenten des Deutschen Studentenwerks, Prof. Dr. Rolf-Dieter Postlep, zeigt best2 vor allem eines: wie dringend die Hochschulen die Studierenden bereits zu Beginn des Studiums zielgerichtet informieren müssten. Deshalb gehört das Thema Nachteilsausgleich aus seiner Sicht in jede Erstsemester-Veranstaltung.

Beratungsangebote und private Unterstützung

Eben weil es noch so viele Barrieren gibt, ist vielen Studierenden die Unterstützung ihrer Familie während des Studiums besonders wichtig. Auch Ärztinnen und Ärzte, Therapeutinnen und Therapeuten und Kommilitoninnen und Kommilitonen spielen hier eine entscheidende Rolle. Eine weitere wichtige Voraussetzung ist auch, dass die Studierenden vor allem zu Beginn des Studiums bedarfsgerecht unterstützt werden.

Positiv: Angebote sind besser bekannt

Zum Schluss gibt es noch ein paar gute Nachrichten: Studierende mit Behinderung wissen heute besser über die Beratungsangebote an den Hochschulen Bescheid als zum Zeitpunkt der ersten Befragung im Jahr 2011. Außerdem werden diese Möglichkeiten nachweislich häufiger genutzt. Und: Vier von fünf beeinträchtigten Studierenden sagen, dass sie ihren Studiengang wieder wählen würden – trotz aller Barrieren.




Studieren mit Behinderung

Inklusion wird in der öffentlichen Debatte oft nur auf das Thema Schule reduziert. Dabei umfasst sie viel mehr, zum Beispiel die Zeit direkt nach dem Abschluss: Junge Absolventinnen und Absolventen mit Behinderung müssen sich genauso wie ihre Mitschülerinnen und Mitschüler ohne Handicap überlegen, wie es nach der Schule weitergehen soll. Für diejenigen, die gern studieren möchten, wird es dann oft kompliziert.

Der Grund ist, dass die Barrierefreiheit an vielen Hochschulen immer noch zu wünschen übrig lässt. Und damit sind nicht nur Behindertenparkplätze, Rampen und Aufzüge gemeint, sondern auch die Voraussetzungen für das Lernen in Vorlesungen und Seminaren. Mit technischen Hilfsmitteln ist dabei heute zum Glück schon viel mehr möglich als früher. Viele Unis müssen aber trotzdem noch viel für die Barrierefreiheit in ihren Hörsälen tun und sich insgesamt besser auf Menschen mit Behinderungen einrichten, zum Beispiel auf Studierende mit einer Seh- oder Hörbehinderung oder mit Rollstuhl.

Hürden gibt es also weiterhin viele. Das wissen auch die Studentenwerke und haben deshalb eine eigene Informations- und Beratungsstelle Studium und Behinderung (IBS) eingerichtet, an die sich junge Menschen wenden können, die Infos und Hilfe bei der Entscheidung möchten. Die Stelle wird übrigens auch in diesem guten Artikel zum Thema in der Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung erwähnt.

Darüber hinaus gibt es auch verschiedene Vereine, die junge Menschen bei der Organisation rund um die Studienwahl unterstützen. Die Stiftung MyHandicap hat dazu Informationen zusammengestellt. Sie empfiehlt zum Beispiel, sich frühzeitig um einen geeigneten Studienplatz zu kümmern und auch über Alternativen nachzudenken.