„Vielfalt ist ein Teil der Lösung“

Frau Léon, eine aktuelle Zahl zum Einstieg: Im Jahr 2016 waren 13,4 Prozent aller Menschen mit Schwerbehinderung in Deutschland arbeitslos, das sind mehr als doppelt so viele im Vergleich zu Menschen ohne Behinderung. Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe dafür?

Ganz einfach gesprochen: Es liegt an Vorurteilen. In unserer Gesellschaft kämpfen viele Menschen mit körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderungen immer noch mit den vielfältigen Vorbehalten ihrer Mitmenschen ohne Behinderung. Es fehlt hier ein breiter „Diversity“-Ansatz, der das Anderssein als wertvoll ansieht. Auch viele Unternehmen haben immer noch nicht erkannt, wie viel Potenzial durch diese Barrieren in unseren Köpfen auf der Strecke bleibt. Ich sehe das Problem hier vor allem bei denjenigen, die auf Einheitlichkeit abzielen, anstatt sich auf die Vielfalt unserer Gesellschaft einzulassen. Unterschiedlichkeit müsste viel öfter und selbstverständlicher als ökonomischer Erfolgsfaktor gesehen werden – und nicht als Nachteil. Der Fokus auf das Negative ist jedoch leider noch weit verbreitet, und damit lässt sich aus meiner Sicht auch die hohe Arbeitslosenquote unter Menschen mit Behinderung erklären. Übrigens: das Problem beschränkt sich nicht nur auf das Thema Behinderung. Es umfasst das Anderssein im Allgemeinen, und das ist in unserer Gesellschaft nach wie vor viel zu oft mit negativen Vorurteilen behaftet.

Welchen Beitrag leistet Ihr Unternehmen für die Inklusion?

Die Lufthansa Group hat 2014 die „Charta der Vielfalt“ unterzeichnet, eine Initiative aus der Wirtschaft, die die Vielfalt in Unternehmen und Institutionen fördern soll. Außerdem haben wir schon im Jahr 2003 eine so genannte „Integrationsvereinbarung“ im Konzern abgeschlossen, um die Integration behinderter Menschen in das Arbeitsumfeld zu fördern. Das bedeutet: Die Gesellschaften der Lufthansa-Group bekennen sich über eine Betriebsvereinbarung zur beruflichen Förderung behinderter Menschen und zu einem fairen und fürsorglichen Umgang. Darin ist auch festgeschrieben, dass wir insbesondere bei Nichterfüllung der Pflichtquote unsere gesellschaftliche Verantwortung auf anderem Weg wahrnehmen müssen, und zwar, indem wir die zusätzlichen Möglichkeiten der Behindertenförderung nutzen. So vergeben wir zum Beispiel Aufträge gezielt an Werkstätten für behinderte Menschen. Und: Wenn einer unserer schwerbehinderten Mitarbeiter seine bisherige Tätigkeit nicht mehr ausüben kann und in seiner Gesellschaft keine geeignete andere Stelle vorhanden oder einzurichten ist, versuchen wir, ihn in einen anderen Teil des Konzerns zu vermitteln.

Die Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderung bei der Lufthansa Group liegt bei 4,3 Prozent. In welchen Bereichen werden Sie eingesetzt – und woran liegt es, dass Sie die gesetzlich vorgegebene Quote von fünf Prozent nicht erfüllen?

Viele Arbeitsplätze in unseren operativen Arbeitsfeldern, also zum Beispiel im Flugbetrieb, setzen eine bestimmte körperliche und psychische Leistungsfähigkeit voraus, die nicht jeder Mensch hat. Unsere Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderung ist im Geschäftsfeld Airline daher etwas niedriger, dafür erreichen andere Gesellschaften Quoten von bis zu 23 Prozent – in den Geschäftsfeldern Logistik oder Catering ist das zum Beispiel der Fall.

Wie wird Ihr Unternehmen in Zukunft mit dem Thema Inklusion und Diversity umgehen?

Wir möchten in Zukunft noch stärker alle Potenziale ausschöpfen. Wir sind der Ansicht, dass sich die Arbeitswelt in einem tief greifenden Wandel befindet und Vielfalt ein Teil der Lösung sein wird. Der demografische Wandel beispielsweise führt auch bei uns über kurz oder lang zu einem Rückgang von Nachwuchs- und Fachkräften. Für uns ist klar, dass eine Antwort auf diese Herausforderung nur in der Vielfalt der Belegschaft liegen kann. So kann man die Potenziale verschiedener Interessengruppen ausschöpfen und nicht nur allein dafür sorgen, dass Fachkräfte nachkommen. Zu dieser Vielfalt gehören natürlich auch Menschen mit Behinderung – wir setzen also auf die vielen verschiedenen Dimensionen von Diversity. Das schließt auch mit ein, dass wir als internationales Unternehmen allen Menschen unsere Dienstleistungen anbieten, unabhängig von Merkmalen wie Hautfarbe, Religion oder Herkunft. Und wir möchten selbst ebenso „divers“ sein wie unsere Kunden es sind.
Dabei reicht es insbesondere für Menschen mit Behinderung natürlich lange noch nicht aus, nur den barrierefreien Zugang zum Arbeitsplatz zu schaffen. Wir brauchen künftig nicht nur eine neue Arbeitsorganisation, die das individuelle Leistungsvermögen berücksichtigt, sondern auch ein neues Konzept für die gezielte Entwicklung und Förderung des Personals, das sich an den Stärken der Mitarbeiter orientiert – und nicht an ihren Schwächen. –




Erfolg ab dem ersten Essen

„Wir hatten bei der Gründung zunächst mit 500 Mittagsmenüs pro Tag geplant“, sagt Inhaber und Geschäftsführer Jürgen Groth. „Wir haben schnell gemerkt, dass die Nachfrage größer ist, und auf 800 erhöht – inzwischen kochen wir täglich 2000 Mahlzeiten.“

Die Groth Catering GmbH & Co. KG versorgt schon seit 1986 Schulen und Kindergärten mit Mittagsmenüs, belegten Brötchen und anderen Snacks. Im Jahr 2009 steckte Jürgen Groth sich ein neues Ziel: Er wollte selbst die Mahlzeiten für die 20 Schulmensen zubereiten, die Groth Catering gepachtet hatte und für die bis dahin ein Fremdunternehmen das Essen geliefert hatte.

Dass bei Groth Catering Menschen mit und ohne Behinderung zusammenarbeiten sollten, stand für Jürgen Groth von Anfang an fest. „Es muss möglich sein, Männer und Frauen mit Handicaps auf diese Weise nachhaltig zu beschäftigen“, war und ist der Geschäftsführer überzeugt, der aus dem Aachener Raum stammt und im Grundschulalter mit seiner Familie nach Bad Sassendorf zog. Bei der Gründung unterstützte der LWL ihn und seine Frau Birgit, die mit ihm in der Verwaltung der beiden Betriebe arbeitet. Und auch der befreundete Leiter eines integrativen Kindergartens stand dem Ehepaar mit Ratschlägen aus der Praxis zur Seite.

Jürgen Groth in der Küche von Groth Catering
Inhaber und Geschäftsführer Jürgen Groth ist zufrieden mit seiner inklusiven Küche.

Fünf Mitarbeiter mit Behinderung haben heute einen festen Job in der Küche von Groth Catering. Einer von ihnen ist Rolf Adämmer. Der 45-Jährige hat gerade einige Pakete Butterkekse in eine Alu-Schale geleert und fängt an, die Plätzchen zu zerbröseln. „Die sind für den Nachtisch morgen“, erklärt er. „Es gibt Joghurt mit Keksen.“ Wer ihn bei der Arbeit beobachtet, kommt nicht gleich darauf, dass er eine Lernschwäche hat – im Gegenteil, findet auch sein Chef Jürgen Groth: „Rolf Adämmer gehört zu unseren Leistungsträgern. Er spornt auch die anderen an.“ Ebenso außergewöhnlich wie die Zusammensetzung des Teams ist bei Groth Catering die Liste der Lieferanten. Einen großen Teil des Fleisches bringt ein Metzger, der in Lippetal-Schoneberg eine eigene Rinderherde hält. Auch die Kartoffeln stammen aus der Region, ein Teil ist darüber hinaus auch noch bio-zertifiziert – genau wie Reis und Nudeln, die ein Kölner Bio-Großhändler liefert.
Neben der Qualität muss für Groth aber auch die CO2-Bilanz stimmen: „Im Frühjahr steigen wir zum Beispiel komplett auf heimische Kartoffeln aus der konventionellen Landwirtschaft um“, erklärt der Unternehmer. „Deutsche Bio-Kartoffeln sind erst wieder ab Juni auf dem Markt.“ Und was – wie Kakao und Kaffee – doch aus fernen Ländern importiert werden muss, trägt das Fairtrade-Siegel. „Gutes muss nicht unbedingt teurer sein. Leider können wir uns wegen der höheren Bio-Preise ’nur‘ Nudeln, Kartoffeln und Reis in Bio-Qualität leisten. Wichtig ist der Wille, Bio- und Fairtradeprodukte im Unternehmen einzusetzen, dann funktioniert es auch“, ist Groth überzeugt.

Ein Praktikum, dann ein unbefristeter Vertrag

In der Lippetaler Küche ist Rolf Adämmer inzwischen fast mit dem Zerkleinern der Butterkekse fertig. „Heute Morgen habe ich schon den Salat für das Mittagessen vorbereitet“, erzählt er und zeigt auf einen Speiseplan an der Wand. „Alles, was orange angestrichen ist, muss ich machen.“ Er klickt Deckel auf die beiden Schalen mit Keksbröseln, trägt sie hinaus ins Trockenlager und kommt mit sechs Eimern Naturjoghurt zurück. „In einem Eimer sind zehn Kilo Joghurt, die sind für 100 Personen. Das wird also Nachtisch für 600 Personen“, rechnet er vor, während er den Joghurt in ein badewannengroßes Alu-Gefäß kippt, Zucker dazu schüttet und alles mit einem riesigen Schneebesen umrührt. Er ist begeistert von seiner Arbeit, erläutert gerne die Abläufe und Hygienevorschriften in der Küche. Der Groth-Catering-Mitarbeiter der ersten Stunde war vorher in einer Werkstatt für behinderte Menschen beschäftigt, in der er acht Jahre lang Gartenarbeiten erledigte. Nach einem Praktikum in Groths neuem Unternehmen – einen Monat nach der Gründung – konnte Adämmer bleiben, mit einem unbefristeten Vertrag.

Was ihm am meisten Spaß macht? „Alles“, sagt Adämmer strahlend und beschreibt mit seinem Arm einen Halbkreis durch die ganze Küche. „Ich mag die Abwechslung, ich muss hier nicht wie in der Werkstatt immer nur das Gleiche machen.“ Und schon wuselt er wieder los, um zu zeigen, wo er vormittags die fertig portionierten Menüs für die Schulen in Soest, Münster, Hamm und anderen Städten in Kisten verstaut und für die Fahrer bereitstellt.

Neue Räume, neue Ausstattung, neue Ziele

Solche Arbeitsabläufe werden Adämmer und seine Kollegen im Laufe der kommenden Monate allmählich umstellen, denn Jürgen Groth möchte im Jahr 2017 die Zahl der Mittagsmenüs auf 3000 erhöhen. Um diese Dimensionen zu erreichen, wurde bereits im August 2016 eine neue Küche gebaut und eingerichtet. Durch diese Erweiterung hat sich die Arbeitsfläche für Köche und Küchenhilfen mit 780 Quadratmetern fast verachtfacht. Die neuen Räume werden aber nicht nur größer, sondern bieten auch die nötige Ausstattung, um auf das sogenannte Cook & Chill-Verfahren umzusteigen. Kochen und Kühlen, das ist der neue Trend in der Mensa-Verpflegung: „ Nach dem Kochen wird das Essen durch den Einsatz von Schnellkühlern, den sogenannten Chillern, innerhalb von 90 Minuten auf eine Temperatur von drei Grad gekühlt“, fasst Groth das Prinzip zusammen. So lässt sich das Zubereitete bis zu vier Tage lang frisch halten; erwärmt wird es erst kurz vor dem Verzehr.

„Mit dem Cook-&-Chill-Verfahren wird die Arbeit in der Küche rationeller: Die gleiche Anzahl an Mitarbeitern kann mehr Mahlzeiten zubereiten, weil wir in Schichten und vorbereitend kochen können“, erklärt der Unternehmer den künftigen Arbeitsalltag. Für Groth war das nicht die einzige Motivation, in die Kältetechnik für das neue Verfahren zu investieren. Ausschlaggebend waren auch die immer zahlreicheren Anfragen von Schulen, die sich ausdrücklich eine Mensa-Verpflegung mit Cook and Chill wünschten. „Mit diesem Verfahren lassen sich die Pausenzeiten individuell festlegen“, sagt Groth. „Das Essen muss ja gleich nach dem Kochen warm in den Schulen ankommen, daher dürfen zwischen dem Ende der Kochzeit und der Essensausgabe höchstens drei Stunden liegen“, erklärt er. Wenn ein paar Klassen später zu Mittag essen als die anderen, wird das ohne diese Methode schwierig. Die Investition lohnt sich auf jeden Fall schon jetzt: Die ersten Aufträge für die Zeit nach dem Umzug in die neue Küche hat Groth Catering schon in der Tasche. –




„Bei Siemens sind Leistung und Behinderung kein Widerspruch“

Siemens ist eines der zehn größten Unternehmen in Deutschland. Der Konzern erfüllt die gesetzliche Quote, nach der Firmen ab 20 Mitarbeitern mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze mit Menschen besetzen müssen, die eine Behinderung haben. Was sonst noch mit dem Thema „Diversity“ verbunden ist und was die Inklusion in der Firmenpolitik von Siemens für eine Rolle spielt, wollten wir von Nicole Herrfurth wissen, die bei Siemens für „Leadership Development, Diversity and Inclusion“ verantwortlich ist (übersetzt: „Führungskräfte-Entwicklung, Vielfalt und Inklusion“).


Frau Herrfurth, eine aktuelle Zahl zum Einstieg: Im Jahr 2016 waren 13,4 Prozent aller Menschen mit Schwerbehinderung in Deutschland arbeitslos, das sind mehr als doppelt so viele im Vergleich zu Menschen ohne Behinderung. Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe dafür?

Eines der Probleme ist, dass viele Menschen mit Behinderung im erwerbsfähigen Alter oftmals keinen allgemeinen Schulabschluss haben. Die Ursache dafür liegt wiederum im Bildungssystem: Solange Inklusion in der Schule und bei der Ausbildung nicht die Normalität ist, wird es auch auf dem Arbeitsmarkt Probleme geben. Menschen mit und ohne Behinderungen werden heute noch immer getrennt voneinander unterrichtet. Es gibt also nicht einen großen, gemeinsamen Lernraum, sondern viele Einzelsysteme wie Sonderschulen, Förderschulen und Werkstätten. Das führt leider dazu, dass Menschen, die dort unterrichtet werden oder arbeiten, bereits in jungen Jahren und auch später von bestimmten Bildungs- oder Berufswegen ausgeschlossen werden. Dadurch kommt es zu Ausgrenzung – und das Risiko, arbeitslos zu werden oder zu bleiben, steigt. Das Schulsystem muss sich also noch intensiver mit dem Thema Vielfalt beschäftigen und dieses Prinzip so früh wie möglich fördern.
Ein weiteres Problem sehen wir darin, dass es an barrierefreien Lösungen mangelt. Das ist sowohl firmenpolitisch als auch infrastrukturell ein Thema, und es betrifft die „reale Welt“ genauso wie die Barrieren, die es noch immer in den Köpfen gibt.

Welchen Beitrag leistet Ihr Unternehmen im Bereich Inklusion?

Wir achten zuallererst darauf, die gesetzlichen Regelungen zu befolgen, zum Beispiel bei Themen wie Sonderurlaub und Kündigungsschutz. Außerdem liegt uns natürlich die barrierefreie und flexible Gestaltung unserer Arbeitsplätze am Herzen. Wir versuchen, diese Umgebungen den Menschen anzupassen und nicht umgekehrt. Bei Siemens gibt es zudem ein Gleitzeitsystem, mit dem unsere Mitarbeiter ihre Arbeitszeiten relativ frei gestalten können. Das gleiche gilt für den Arbeitsort: Das „Home Office“ ist bei uns nicht nur ein Lippenbekenntnis, sondern gehört mittlerweile zum Alltag, für Menschen mit oder ohne Behinderung. Auch das Thema Mobilität ist für uns ein Teil der Inklusion. Wir bieten unseren Mitarbeitern mit Schwerbehinderung daher nicht nur Behindertenparkplätze, sondern ermöglichen es ihnen bei Geschäftsreisen auch, in der ersten Klasse Bahn zu fahren beziehungsweise mit der Business Class zu fliegen. Wir wollen damit sicherstellen, dass unsere Mitarbeiter so unbeschwert und komfortabel wie möglich arbeiten können. Und wir legen Wert auf verschiedene betriebliche Maßnahmen, wie eine konstante Weiterbildung, bezahlte Freistellungen und eine gute gesundheitliche Versorgung, die wir unter anderem über unsere Betriebskrankenkasse anbieten.

Wie hoch ist bei Siemens die Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderung und in welchen Bereichen werden sie eingesetzt?

Bei Siemens in Deutschland sind derzeit 6.200 Menschen mit Behinderungen, teilweise mit schweren Handicaps, beschäftigt. Das entspricht einer Quote von etwa 5,2 Prozent. Viele der Mitarbeiter sind auf unsere Standorte in Erlangen, Nürnberg und Berlin verteilt, sie werden je nach Fähigkeiten und Interessen in allen Abteilungen eingesetzt und arbeiten in ganz unterschiedlichen Funktionen und Abteilungen. Außerdem kooperieren wir viel mit Werkstätten für Menschen mit Behinderung: Siemens hat allein im vergangenen Geschäftsjahr Aufträge in Höhe von rund 14 Millionen Euro an solche Einrichtungen vergeben.

Wie wird Ihr Unternehmen in Zukunft mit dem Thema Inklusion und Vielfalt umgehen?

Bei uns stehen Leistung und Behinderung schon jetzt nicht im Widerspruch zueinander. Im Gegenteil: Wir sehen täglich, dass es oft gerade die Mitarbeiter mit Behinderungen oder anderen Einschränkungen sind, die die „Extrameile“ gehen. Durch ihre Ausdauer, Beharrlichkeit und Motivation bringen sie sich voll und ganz ins Unternehmen ein und meistern dabei auch viele Hürden. Wir sehen diese Mitarbeiter daher nicht in erster Linie als Menschen mit Behinderung, sondern als Menschen mit besonderen Fähigkeiten. Von diesen Eigenschaften könnten sich Menschen ohne Behinderung oftmals eine Scheibe abschneiden. Im letzten Dezember haben wir dazu passend einen „Ability Day“ in der Siemens-Zentrale in München veranstaltet. Der Tag stand unter dem Motto „Sport“ und sollte dazu aufrufen, die Fähigkeiten jedes Einzelnen wert zu schätzen. Diesen besonderen Tag würden gerne dauerhaft etablieren und gegebenenfalls zusammen mit anderen Unternehmen gestalten, um möglichst viele Menschen von dieser Botschaft zu überzeugen.
Vielfalt sollte aus unserer Sicht kein isoliertes Sonderthema bleiben, sondern ganzheitlich in allen Prozessen eines Unternehmens verwurzelt werden. Wir selbst haben deshalb unter anderem die Charta der Vielfalt unterschrieben und wollen diese Idee damit weiter nach vorne bringen.

Wer oder was sind aus Ihrer Sicht die größten „Inklusions-Bremsen“ unserer Gesellschaft?

Es gibt leider viele dieser „Bremsen“, wir glauben aber, dass die größten Hürden die Barrieren im Kopf sind. Wir nennen diese Hürden „Unconscious Bias“, also Vorverurteilungen und Denkmuster, die bei vielen Menschen vorhanden sind und sich im Unterbewusstsein abspielen. Wenn zum Beispiel jemand im Rollstuhl in den Raum kommt, sehen viele erst einmal nur die Behinderung, nicht die Persönlichkeit, die Fähigkeiten und die Qualifikationen des Menschen. Das geht zum Teil so weit, dass viele unbewusst davon ausgehen, dass ein Mensch mit Behinderung nicht wirklich arbeiten kann, nicht so belastbar ist oder auch weniger Fähigkeiten hat. Auch bei der Suche nach neuen Mitarbeitern spielt das immer noch eine große Rolle, denn das Kompetenzprofil wird von Recruiting-Mitarbeitern viel schneller außer Acht gelassen, wenn ein Bewerber eine Behinderung hat. Diese unbewussten Prozesse, die sich überall in unserer Gesellschaft zeigen, müssen wir im Kern auflösen.
Bei Siemens konzentrieren wir uns daher auf das Individuum und dessen Fähigkeiten. Diesen Ansatz wollen wir auch in Zukunft weiterhin verfolgen und stärker nach außen kommunizieren – daraus entstand auch unsere Idee zum „Ability Day“.