„Wir müssen mehr tun als die Konkurrenz, um einen Kunden zu überzeugen“

Selbst in der neuen, 3000 Quadratmeter großen Halle wird es inzwischen manchmal eng. „Wir haben für einen Auftrag sogar vorübergehend eine zusätzliche Halle angemietet“, sagt Andreas Neitzel. „Dort haben wir auch samstags Überstunden gemacht, um alles zu schaffen.“

Der Erfolg des Unternehmens lässt sich aber nicht nur am Auftragsvolumen ablesen, sondern auch an der Art der Aufträge. „Früher haben wir die Fahrzeug-Komponenten bearbeitet und diese dann an unseren Hauptkunden, einen Automobil-Zulieferer, zurückgesandt“, erläutert der Geschäftsführer des Unternehmens. „Inzwischen beliefern wir im Auftrag unseres Kunden direkt einzelne Automobilwerke und übernehmen auch die Dokumentation und Verwaltung unseres Materials.“ Das ist ein großer Vertrauensbeweis – umso mehr, weil Teuto InServ ein Integrationsbetrieb ist. Zwei Drittel der Mitarbeiter haben eine Behinderung. „Gerade in der Automobilindustrie gilt das oft als Makel. Wir müssen mehr tun als die Konkurrenz, um einen Kunden zu überzeugen“, sagt Andreas Neitzel. Für die Mitarbeiter gilt deshalb eine Null-Fehler-Pflicht: Jedes Bauteil muss die Werkshalle exakt so verlassen, wie der Kunde es in Auftrag gegeben hat. Besondere Sorgfalt ist auch beim Verpacken der Fahrzeug-Komponenten gefragt. Gerade ist eine Charge Querlenker für alternative Antriebe fertig geworden, die in den nächsten Tagen nach China verschifft werden soll.

Zwei Mitarbeiter von Teuto InServ an einer Maschine
Rund zwei Drittel der Teuto-InServ-Mitarbeiter haben eine Behinderung. Dafür wurden extra einige Arbeitsplätze barrierefrei umgestaltet. Foto: Thorsten Arendt.

Kornelius Kliewer, einer der Mitarbeiter mit Behinderung, nimmt sorgsam ein Bauteil nach dem anderen aus einer Gitterbox und klebt ein Versandetikett mit einem Barcode auf. So lässt sich später auf der ganzen Welt zurückverfolgen, wann die Teile hergestellt und wie viele verschickt wurden. Anschließend bekommt jeder Querlenker eine Hülle aus Hartplastik. Um die gesamte Charge wird eine Folie gewickelt, eine Kartonage schützt vor Stößen – fertig. Kliewers Arbeitsplatz ist genau auf ihn ausgerichtet und angepasst – deswegen kann er seinen Job gut erledigen. „Ich arbeite schon seit 15 Jahren hier“, sagt er stolz. „Ich war von Anfang an dabei.“ Der 53-Jährige spricht leicht stockend, macht immer wieder längere Pausen zwischen den Wörtern. Bevor er die Stelle bei Teuto InServ bekam, war er lange arbeitslos und ist jetzt umso motivierter bei der Sache. „Das ist bei uns eigentlich die Regel: Wer einmal bei uns ist, der bleibt“, sagt der Geschäftsführer. Auch Nachwuchssorgen kenne sein Betrieb nicht, es gibt immer viele Bewerber. „Wir sind schließlich eine Super-Truppe und bieten ein interessantes Aufgabengebiet.“

Unternehmen entstand aus einer Werkstatt für behinderte Menschen

Teuto InServ entstand 2001 aus einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung, von dort nahm die Firma 2001 auch den ersten Auftrag mit: So genannte Seitenaufprallträger – Metallstreben, die schräg in Autotüren angebracht sind und bei einem Zusammenstoß die Insassen schützen sollen – mussten mit Muttern versehen werden. „Diesen Auftrag konnte die Werkstatt aus Platzgründen und auch logistisch nicht leisten“, erklärt Andreas Neitzel. Also schlug der Chef des Werkstatt-Betreibers Werkhaus vor, ein Integrationsunternehmen zu gründen. Genau die richtige Entscheidung, davon ist er überzeugt: „Sonst hätte die Werkstatt einen Kunden verloren.“

Andreas Neitzel steht in einer Halle vor aufgestapelten Rahmen für einen großen Geländewagen
Geschäftsführer Andreas Neitzel hat Teuto InServ mit aufgebaut. Foto: Thorsten Arendt

Der junge Integrationsbetrieb bekam schnell weitere Aufträge, stockte jedes Jahr sein Personal weiter auf. Unter den Angestellten mit Behinderung sind heute sieben gehörlose Mitarbeiter. Anfangs sei die Zusammenarbeit zwischen ihnen und ihren hörenden Kollegen noch etwas schwierig gewesen, blickt Neitzel zurück. Inzwischen klappt das aber reibungslos: Fertigungsleiter Eduard Wiebe hat sich die Gebärdensprache selbst beigebracht und beherrscht sie inzwischen perfekt. Auch einige der anderen Kollegen verstehen sie schon ganz gut.

1400 Schweißpunkte kontrollieren – pro Monat

Für einige Aufgaben, die Teuto InServ für den Automobil-Zulieferer übernimmt, hat sich das fehlende Hörvermögen sogar schon als Vorteil erwiesen. Denn die anderen Sinnesorgane sind umso ausgeprägter, die gehörlosen Mitarbeiter können optische Kontrollen viel sorgfältiger durchführen als ihre hörenden Kollegen. Auch das jüngste Projekt haben Neitzel und Wiebe deshalb an zwei gehörlosen Mitarbeitern übertragen. Am Rahmen eines Pick-up-Geländewagens müssen Schweißpunkte kontrolliert werden – und zwar insgesamt 1400 pro Monat. Jede Woche bekommt Teuto InServ einen fabrikneuen Rahmen, an dem die Angestellten Eugen Sket und Victor Derksen jeweils 350 Punkte bestimmen und anzeichnen. An jedem Punkt schneiden sie ein kleines Stück heraus, das der Zulieferer zur Kontrolle bekommt – taucht ein Fehler auf, wird eine ganze Charge Rahmen zurückgerufen. „Das ist ein sehr aufwändiges Verfahren und dient der Sicherheit der künftigen Fahrer“, sagt Andreas Neitzel. „Wir tragen bei diesem Auftrag also eine Menge Verantwortung.“ 




„Kuschelkurs geht nicht, wenn man im Wettbewerb bestehen muss“

Sie hat es geschafft: Für Adelheid Hoffbauer steht die Rente an. Nur kann sich im Integrationsunternehmen »Die Brücke« in Bad Lippspringe niemand ein Arbeiten ohne sie so recht vorstellen. Sie ist nicht nur Selfmade-Unternehmerin, sondern auch die Mitgründerin der Wäscherei in Ostwestfalen. Der Betrieb expandiert und ist voriges Jahr in eine neue Produktionshalle am bisherigen Standort gezogen. Momentan arbeiten hier 33 Menschen, davon 16 mit einer Behinderung. Und es gibt noch ehrgeizigere Pläne: Die Geschäftsleitung strebt eine Verdoppelung der Kapazitäten und der Beschäftigten innerhalb von drei Jahren an. 60 Menschen sollen hier künftig insgesamt arbeiten. Adelheid Hoffbauer will dann allerdings schon in Rente sein. „Definitiv“, sagt sie und nickt ihrer Schwiegertochter Christiane Hoffbauer zu, die neben ihr sitzt. Die junge Diplom-Pädagogin ist für die psychosoziale Betreuung im Unternehmen verantwortlich und wird einmal die Geschäftsführung der Wäscherei übernehmen. Und noch ein weiteres Familienmitglied arbeitet in diesem Betrieb: Adelheid Hoffbauers Tochter, die Ende 1996 zugleich einer der Hauptgründe war, »Die Brücke« überhaupt aus der Taufe zu heben.

Die Gründung war ein großer Schritt

„Meine Tochter hat eine Lernbehinderung. Das Unternehmen sollte ihr und anderen Menschen mit Behinderungen einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz bieten“, sagt Adelheid Hoffbauer. »Die Brücke« gehört damit zu den Vorläufern der heutigen Integrationsunternehmen in Westfalen- Lippe.

Adelheid und Christiane Hoffbauer in der Wäscherei
Generationswechsel in der Familie: Adelheid Hoffbauer (li.) mit ihrer Schwiegertochter Christiane Hoffbauer. Foto: Thorsten Arendt

Selbst einen Betrieb zu gründen war für die Unternehmerin ein großer Schritt  aber ein nötiger, wie sie sich erinnert. Ihre Tochter hatte über drei Jahre lang einen Hauswirtschafts-Lehrgang für Jugendliche mit schweren Lernbehinderungen beim Kolping-Berufsförderungszentrum in Paderborn besucht. Das Pilotprojekt nach der Förderschule qualifizierte damals zwölf Menschen für den allgemeinen Arbeitsmarkt. Nur gab es für sie dort keine Arbeit, stellten die Eltern fest. „Die lernen unheimlich viel im Berufsförderungszentrum, und es macht traurig, wenn dann nach drei Jahren nichts mehr ist.“ Und so kamen die Hoffbauers auf eine Idee: Sie entschlossen sich, eine Wäscherei aufzumachen. Adelheid Hoffbauers früh verstorbener Mann Dirk war Mehrheitsgesellschafter einer Firma für Leinwände in Kinos, das alte Rohrlager stand seinerzeit leer. Die Familie richtete es her und machte daraus die Keimzelle der heutigen »Brücke«: „Innerhalb eines halben Jahres haben wir das alles hier umgebaut.“ Der Paderborner Kolping-Diözesanverband wurde Teilhaber und zeigte den Hoffbauers den Kontakt zum LWL auf, der das Projekt förderte und unterstützte. „Das war Pionierarbeit“, sagt Adelheid Hoffbauer und erinnert sich, wie sie sich vor 18 Jahren mit dem LWL, dem Arbeitsamt und dem Kolpingbildungswerk an einen Tisch setzte. „Ich hatte furchtbare Angst davor, dass der Betrieb scheitert. Wir sind ein großes Risiko eingegangen.“ Sie wäre damals auch nicht allein auf die Idee gekommen, sagt sie. Aber ihr Mann machte ihr Mut. Nach seinem Tod übernahm die gelernte Grund- und Hauptschullehrerin das Zepter. „Heute würde ich mir das auch allein zutrauen“, sagt sie. Die meiste Unterstützung kam vom LWL. „Und alle, die heute vom Landschaftsverband aus involviert sind, waren damals auch schon da“, sagt sie und freut sich über diese Kontinuität in der Betreuung.

Beratung in allen Angelegenheiten

Als kürzlich der Neubau für die Wäscherei anstand, der ebenfalls vom LWL mit gefördert wurde, stellte Adelheid Hoffbauer fest, dass sich die Zeiten geändert haben. Aber zum Positiven: Die betriebswirtschaftliche Beratung der Handwerkskammer Münster zum Beispiel gab es damals noch nicht, alle Aufgaben in diesem Bereich erledigte die Finanzbuchhaltung ihres Mannes. „Wir schauten bei Neuanstellungen schon immer genau darauf: Was kannst du?“, blickt Adelheid Hoffbauer zurück. „Bei uns kommt es aber eben überhaupt nicht darauf an, was man alles nicht kann.“ Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden gemäß ihrer Kompetenzen eingesetzt. „Das mussten wir erst lernen, ebenso wie das betriebswirtschaftliche Denken.“ Denn, so sagt die heute erfahrene Chefin: „Kuschelkurs geht nicht, wenn man im Wettbewerb bestehen muss.“ Christiane Hoffbauer ergänzt aber auch: „Die Arbeit muss machbar sein und die Menschen müssen das Gefühl haben, dass sie ihren Lebensunterhalt hier selbstständig verdienen können.“

Christiane Hoffbauer bedient eine große Waschmaschine in der Wäscherei Die Brücke
Christiane Hoffbauer bedient die großen Waschmaschinen. Foto: Thorsten Arendt

»Die Brücke« bietet heute moderne und helle Arbeitsplätze – hauptsächlich für Frauen. Derzeit arbeiten nur zwei Männer in der Wäscherei, auch wenn der Betrieb ursprünglich mit vier jungen Männern startete. „Denen war das hier zu sauber“, sagt Adelheid Hoffbauer und lacht laut zusammen mit ihrer Schwiegertochter. „Wir hätten aber gerne noch einen Wäscher zum Befüllen der Maschinen. Das ist für Frauen sehr anstrengend.“ Der Anspruch an die Qualität und Ordnung ist hoch – das geht bis in die Details. „Kreuz und quer gepackte Frotteetücher? Das akzeptieren unsere Kunden nicht“, sagt Adelheid Hoffbauer und schüttelt den Kopf.

Kunden setzen auf Kontinuität

So, wie fast alle Mitarbeiter der ersten Stunde auch heute noch in der »Brücke« arbeiten, sind auch die Kunden aus den Großraum Paderborn der Wäscherei treu geblieben. Bildungshäuser waren die ersten Kunden, die ihre Wäsche in Bad Lippspringe waschen und bügeln ließen. Heute türmen sich die Pakete und Wannen sortiert in der neuen Regalwand hinter dem Laden, der von 7:30 Uhr bis 18 Uhr geöffnet ist. Hotels, Restaurants und Senioreneinrichtungen gehören ebenso zum Kundenstamm wie private Bad Lippspringer. Auch das Bistum Paderborn vertraut dem »Brücke«-Team: „Wir machen die ganze Domwäsche für das Bistum“, sagt Adelheid Hoffbauer. „Und natürlich wollen alle pünktlich ihre Wäsche haben. Da geht es hier manchmal ganz schön rund.“




„Mit der Gewohnheit fielen alle Schranken“

Bei Knut Schuster war es der Vater, der ihm klarmachte, dass Menschen mit Behinderungen ebenso große Chancen wie nichtbehinderte Menschen haben sollten schon deshalb, weil sein Papa an einer offenen Tuberkulose litt und eine Wirbelsäulenverkrümmung sowie eine dementsprechende Körperhaltung hatte. „Wenn die anderen Kinder mir mal sagten, dass er sich aber komisch bewegen würde, habe ich immer nur geantwortet, dass er genauso ein Vater wie alle anderen ist“, erinnert sich der 41-Jährige, der in Hagen-Hohenlimburg die Geschäfte der Springtec Group, Schrimpf und Schöneberg führt. Deshalb, so sagt er heute, ist es für ihn auch selbstverständlich, dass in seinem Unternehmen, das Federn aus Stahldraht und andere Stanz- und Biegeteile für die Auto-, Luftfahrt-, Elektrotechnik- und Sanitärindustrie herstellt, Menschen mit Behinderung arbeiten. Sascha Thiele ist einer dieser 16 Mitarbeiter, die in der Integrationsabteilung des Unternehmens einen festen Arbeitsplatz gefunden haben.

In der Halle, in der der 32-Jährige tätig ist, spucken Dutzende Maschinen im Sekundentakt Federn aus, dreifach, fünffach, zehnfach gedreht, abgewinkelt, gestanzt, zwischen einigen Millimetern und mehreren Zentimetern groß. Thiele stellt sie mit geübtem Griff in ausgebohrte Löcher eines runden Stahltellers, der sich unaufhörlich dreht. In der Maschine fährt ein Schleifteller über die Federn und nivelliert sie, so dass sie an beiden Seiten eben werden. Penibel achtet er darauf, dass alle Löcher besetzt sind und die Federn gerade stehen.

Murat Demir und Sascha Thiele in der Werkstatt der Springtec Group
Murat Demir (li.) erklärt Sascha Thiele einen Arbeitsschritt. Foto: Thorsten Arendt

Sascha Thiele besuchte zuvor die Sonderschule und wechselte danach in das Integrationsunternehmen „Pro Integration“, das ebenfalls in Hagen-Hohenlimburg angesiedelt ist. Dort absolvierte er eine Ausbildung zum Gärtner, wechselte danach allerdings mehrfach den Arbeitgeber: „Das hat oft nicht gepasst“, sagt Thiele, der „langsamer lernt als andere“, wie er selbst sagt. Er scheint lange für jede Antwort überlegen zu müssen und wirkt etwas schüchtern. Bei Springtec gilt Sascha Thiele aber als „zuverlässig und sehr akkurat“. Einen Führerschein hat er auch, den hatte er schon im ersten Job gemacht. Heute ist er gut ins Unternehmen integriert, „und zwar komplett“, wie Knut Schuster stolz erzählt. Die Männer und Frauen mit psychischen oder körperlichen Behinderungen, die hier arbeiten, sind ein selbstverständlicher Teil der 70-köpfigen Belegschaft am Standort geworden. „Am Anfang haben sich die Kollegen zwar erst einmal gegenseitig beäugt“, erinnert sich Schuster an die Gründung der Integrationsabteilung im Jahr 2009 zurück, die vom LWL-Inklusionsamt Arbeit und durch das NRW-Landesprogramm „Integration unternehmen!“ investiv gefördert wurde. „Mit der Gewohnheit fielen dann aber alle Schranken“, erzählt er. „Heute haben sich Fahrgemeinschaften gebildet, ein Mitarbeiter mit Lkw-Führerschein hilft einem behinderten Kollegen beim Umzug und die Mitarbeiter mit und ohne Behinderung verbringen die Mittagspause gemeinsam.“

Ein gelungener Start

Den Kontakt zu Springtec stellte eine Betreuerin für Sascha Thiele her, die ihn schon während seiner Lehre begleitet hatte. „Sie hat mir von der Arbeit hier erzählt und ist mit mir zum Vorstellungsgespräch gegangen“, sagt der 32-Jährige und nickt bekräftigend. Ja, er ist auch heute noch immer zufrieden bei Springtec. „Der Job hier gefällt mir gut“, sagt er, mehr Geld verdiene er auch und er fühle sich sehr wohl im Team und mit seinen Chefs. Ein gelungener Start ins Berufsleben und in die Firma der aber auch viel Arbeit bedeutete, das macht Knut Schuster ebenfalls klar. Für die 16 Kollegen mit Behinderung ist in der Verwaltung unter anderem Monika Gloerfeld zuständig. Sie kennt das Team sehr gut und weiß, worauf sie achten muss. „Manchen tut es zum Beispiel sehr gut, wenn ich sie alle paar Tage anspreche und nach ihrem Wohlbefinden frage“, berichtet die ausgebildete Industriekauffrau. „Ich bin daher öfter als für die Verwaltung sonst üblich in der Produktion unterwegs und unterhalte mich mit den Kollegen. So schaffen wir eine angenehme Atmosphäre.“ Auch Sascha Thiele führt die 59-Jährige gerne als gutes Beispiel an: „Da zeigt sich, wie viel es ausmacht, wenn ein Mitarbeiter an der richtigen Stelle eingesetzt wird und ihm seine Arbeit zusagt.“ Monika Gloerfeld freut sich ebenfalls, wenn Arbeit und Mensch gut zueinander passen. „Bei unseren behinderten Teamkollegen ist der Krankenstand zwar leicht höher als bei den nichtbehinderten, weil viele Kollegen nun mal eine angeschlagene Gesundheit haben“, sagt sie. „Das ist für uns aber alles völlig im Rahmen.“

Sascha Thiele selbst hat in zwei Jahren kein einziges Mal bei der Arbeit gefehlt. Allen Kollegen mit Behinderung bedeute ihr Job sehr viel, ergänzt sein Chef. „Wenn die Leute erst einmal bei uns anfangen, dann bleiben sie auch“, sagt Knut Schuster, der potentielle neue Mitarbeiter ein drei- bis vierwöchiges Praktikum in seiner Firma absolvieren lässt, bevor sie fest eingestellt werden. „Beide Seiten müssen erst einmal sehen, ob sie zueinander passen. Wir sind ein Wirtschaftsunternehmen, das im harten Wettbewerb steht. Da können wir es uns nicht erlauben, dass unsere Mitarbeiter ständig wechseln.“
Die Entscheidung für die Integrationsabteilung bei Springtec sei auch aus unternehmerischen Gründen gefallen: „Die Alternative wären Arbeitsplätze im Ausland gewesen, die aber wohl nicht die Qualität hervorgebracht hätten, die wir benötigen.“ Dass sie eine Integrationsabteilung gegründet haben, bereuen Schuster und sein Mitgeschäftsführer Jürgen Hammermeister nicht. Ein Grund für das Gelingen ist auch, dass das Unternehmen seit mehr als 15 Jahren mit den Iserlohner Werkstätten für Menschen mit Behinderung zusammenarbeitet. Im Jahr 2003 richtete die Springtec-Group dann in den eigenen Hallen Außenarbeitsplätze der Werkstatt ein, aus denen die Integrationsabteilung gewachsen ist auch mit Hilfe des vom LWL bezahlten Integrationsfachdienstes Hagen. Die Inklusion in der Springtec-Group geht sogar noch weiter als das. „Wir lassen unsere Mitarbeiter mit und ohne Behinderung in den Abteilungen an den gleichen Maschinen rotieren“, sagt Schuster. „Auf diese Weise wächst das Team noch besser zusammen.“




Inklusionsunternehmen: Ein Erfolgsmodell für alle Beteiligten

Der Veranstalter der Messe ist der Landschaftsverband Westfalen-Lippe, kurz LWL. Der Direktor des Verbandes, Matthias Löb, und der LWL-Sozialdezernent Matthias Münning erklären im Interview, was es mit dem erfolgreichen Konzept „Inklusionsunternehmen“ auf sich hat.


Herr Löb, Herr Münning: Warum ist die LWL-Messe aus Ihrer Sicht so erfolgreich?

Matthias Löb: Eine erfolgreiche Messe kann man daran erkennen, dass sie nicht nach ein oder zwei Anläufen sang- und klanglos in der Versenkung verschwindet. Unsere Messe ist ein lebendiges Forum und ein spannender Marktplatz. Bei der dritten Veranstaltung im Jahr 2014 kamen schon rund 5.100 Besucherinnen und Besucher. Die Messe zeigt einerseits die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Betriebe und demonstriert anderseits deren Beschäftigungsleistungen.

Matthias Münning: Alle Aussteller – und viele sind seit dem ersten Mal dabei – legen sich für den Erfolg der Messe ungemein ins Zeug. Die vierte Auflage wird wieder viele Besucher anlocken, die mit diesem Thema bisher wenig vertraut sind. Neue Kunden werden so auf die Aussteller aufmerksam, potenzielle Firmengründer werden motiviert und junge Menschen mit Behinderung erhalten Anregungen für ihre Berufsorientierung und Jobsuche.

Wie haben sich die Inklusionsunternehmen in den vergangenen Jahren entwickelt?

Matthias Löb: Sehr gut. Seit dem Jahr 2008 stieg die Zahl der Inklusionsbetriebe und -abteilungen in Westfalen- Lippe von 57 auf 160. Im selben Zeitraum hat sich die Anzahl der neu geschaffenen Arbeitsplätze für Menschen in dieser besonderen Zielgruppe ebenfalls verdreifacht: Sie ist von 594 auf rund 1.900 angestiegen.

Matthias Münning: Was wir zudem herausheben können: Wir fördern inzwischen 50 Inklusionsabteilungen bei gewerblichen Unternehmen. Damit liegen wir im bundesweiten Vergleich wie bei der Zahl der Firmen insgesamt an der Spitze. Besonders erfreulich ist, dass die Unternehmen oft mehr Arbeitsplätze schaffen, als wir ursprünglich zu Beginn der Förderung mit ihnen vereinbart haben. Außerdem ist der Insolvenzanteil bei den Inklusionsunternehmen gering: Zwischen 2010 und 2014 sind gerade einmal acht Betriebe insolvent gegangen. Das ist prozentual deutlich weniger als bei Firmengründungen allgemein.

Überleben die Inklusionsunternehmen denn nur in besonderen Nischen? 

Matthias Münning: Nein, eben nicht. Es sind ganz normale Betriebe, die sich auf dem freien Markt behaupten müssen. Sie wirtschaften nicht in Schutzräumen, ihre Arbeitswelten sind also mitten drin im Leben. Sie arbeiten zum Beispiel im Garten- und Landschaftsbau, der Gebäudereinigung, als Hausmeisterdienste, Wäschereien, Metzgereien, Käsereien, in der Zweiradherstellung, als Näh- und Polsterdienstleister und in der industriellen Fertigung für die Automobilindustrie. Der Erfolg der Integrationsunternehmen ist groß.

Dennoch mussten Sie zwischenzeitlich die Förderung neuer Projekte begrenzen, weil die Haushaltslage bei den Ausgleichsabgabemitteln des LWL-Inklusionsamts schwierig ist. Wie geht es weiter?

Matthias Löb: Das so genannte „Fördermoratorium“ aus dem Jahr 2014 ist zumindest vorübergehend aufgehoben. Mit dem Förderprogramm „Inklusionsinitiative II – AlleImBetrieb“ stellt der Bund den Ländern 150 Millionen Euro zur Verfügung, um neue Arbeitsplätze in Inklusionsunternehmen zu fördern. Aus unserem Anteil daran für Westfalen-Lippe und zusammen mit der Unterstützung des Landes NRW können wir in den kommenden Jahren 300 bis 400 neue Arbeitsplätze fördern. Ich bin mir sicher, dass uns das gut gelingen wird. Wir werden der Bundespolitik beweisen, dass das Geld bei uns gut angelegt ist und viele wertvolle Arbeitsplätze entstehen.

Matthias Münning: Wir reden Inklusion in der Arbeitswelt nicht nur herbei, das ist deutlich zu sehen. Das Engagement unseres Inklusionsamts führt zu Arbeitsverträgen auf dem Ersten Arbeitsmarkt und füllt Lohntüten mit regulärer Bezahlung. Mittel- und langfristig brauchen wir aber eine Lösung, um die dauerhaften Nachteilsausgleiche finanzieren zu können.

Wie beurteilen Sie die Chancen dafür?

Matthias Löb: Das lebhaft diskutierte neue Bundesteilhabegesetz schafft den unseligen Begriff „Inklusionsprojekt“ ab, wie die Firmen früher hießen. Ein „Projekt“, kann als zeitlich begrenzt verstanden werden, was aber nicht in unserem Sinne und dem der Unternehmen sowie der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit und ohne Behinderung sein kann.

Matthias Münning: Stattdessen werden die Unternehmen nun „Inklusionsbetriebe“ genannt. Das kann als Aufwertung verstanden werden, und darin drückt sich auch eine Anerkennung dafür aus, dass die Firmen eine hohe Anzahl an Arbeitsplätzen geschaffen haben. Ich hoffe sehr, dass es nicht nur bei einer sprachlichen Renovierung bleibt. Unter Verantwortung des Bundes müssen wir mit allen Leistungsträgern verlässliche Lösungen finden, um die laufenden Leistungen für die Unternehmen auch für die Zukunft gewährleisten zu können.

Wer hat am Erfolgsmodell „Inklusionsbetrieb“ welchen Anteil?

Matthias Münning: Als Sozialdezernent bei einem der größten Hilfezahler für Menschen mit Behinderungen macht es mir sehr viel Spaß, zu sehen, wie sich in diesem Konzept Unternehmergeist und Marktorientierung mit sozialem Engagement und Inklusion verbinden. Unsere Leistungen führen nicht zu Passivität, sondern sie aktivieren und entlasten letztlich die öffentliche Hand.

Matthias Löb: Eines muss klar sein: Wir als LWL schaffen damit selbst keine Arbeitsplätze, sondern wir können nur für verlässliche Rahmenbedingungen sorgen. Ich habe großen Respekt vor den Gründern, Eignern und Verantwortlichen der Inklusionsbetriebe. Sie gehen oftmals hohe wirtschaftliche Risiken ein und tragen ohne Bestandsgarantie alleine die unternehmerische Verantwortung. Das machen sie sehr gut – und dabei wollen wir sie weiter unterstützen.




Erfolg ab dem ersten Essen

„Wir hatten bei der Gründung zunächst mit 500 Mittagsmenüs pro Tag geplant“, sagt Inhaber und Geschäftsführer Jürgen Groth. „Wir haben schnell gemerkt, dass die Nachfrage größer ist, und auf 800 erhöht – inzwischen kochen wir täglich 2000 Mahlzeiten.“

Die Groth Catering GmbH & Co. KG versorgt schon seit 1986 Schulen und Kindergärten mit Mittagsmenüs, belegten Brötchen und anderen Snacks. Im Jahr 2009 steckte Jürgen Groth sich ein neues Ziel: Er wollte selbst die Mahlzeiten für die 20 Schulmensen zubereiten, die Groth Catering gepachtet hatte und für die bis dahin ein Fremdunternehmen das Essen geliefert hatte.

Dass bei Groth Catering Menschen mit und ohne Behinderung zusammenarbeiten sollten, stand für Jürgen Groth von Anfang an fest. „Es muss möglich sein, Männer und Frauen mit Handicaps auf diese Weise nachhaltig zu beschäftigen“, war und ist der Geschäftsführer überzeugt, der aus dem Aachener Raum stammt und im Grundschulalter mit seiner Familie nach Bad Sassendorf zog. Bei der Gründung unterstützte der LWL ihn und seine Frau Birgit, die mit ihm in der Verwaltung der beiden Betriebe arbeitet. Und auch der befreundete Leiter eines integrativen Kindergartens stand dem Ehepaar mit Ratschlägen aus der Praxis zur Seite.

Jürgen Groth in der Küche von Groth Catering
Inhaber und Geschäftsführer Jürgen Groth ist zufrieden mit seiner inklusiven Küche.

Fünf Mitarbeiter mit Behinderung haben heute einen festen Job in der Küche von Groth Catering. Einer von ihnen ist Rolf Adämmer. Der 45-Jährige hat gerade einige Pakete Butterkekse in eine Alu-Schale geleert und fängt an, die Plätzchen zu zerbröseln. „Die sind für den Nachtisch morgen“, erklärt er. „Es gibt Joghurt mit Keksen.“ Wer ihn bei der Arbeit beobachtet, kommt nicht gleich darauf, dass er eine Lernschwäche hat – im Gegenteil, findet auch sein Chef Jürgen Groth: „Rolf Adämmer gehört zu unseren Leistungsträgern. Er spornt auch die anderen an.“ Ebenso außergewöhnlich wie die Zusammensetzung des Teams ist bei Groth Catering die Liste der Lieferanten. Einen großen Teil des Fleisches bringt ein Metzger, der in Lippetal-Schoneberg eine eigene Rinderherde hält. Auch die Kartoffeln stammen aus der Region, ein Teil ist darüber hinaus auch noch bio-zertifiziert – genau wie Reis und Nudeln, die ein Kölner Bio-Großhändler liefert.
Neben der Qualität muss für Groth aber auch die CO2-Bilanz stimmen: „Im Frühjahr steigen wir zum Beispiel komplett auf heimische Kartoffeln aus der konventionellen Landwirtschaft um“, erklärt der Unternehmer. „Deutsche Bio-Kartoffeln sind erst wieder ab Juni auf dem Markt.“ Und was – wie Kakao und Kaffee – doch aus fernen Ländern importiert werden muss, trägt das Fairtrade-Siegel. „Gutes muss nicht unbedingt teurer sein. Leider können wir uns wegen der höheren Bio-Preise ’nur‘ Nudeln, Kartoffeln und Reis in Bio-Qualität leisten. Wichtig ist der Wille, Bio- und Fairtradeprodukte im Unternehmen einzusetzen, dann funktioniert es auch“, ist Groth überzeugt.

Ein Praktikum, dann ein unbefristeter Vertrag

In der Lippetaler Küche ist Rolf Adämmer inzwischen fast mit dem Zerkleinern der Butterkekse fertig. „Heute Morgen habe ich schon den Salat für das Mittagessen vorbereitet“, erzählt er und zeigt auf einen Speiseplan an der Wand. „Alles, was orange angestrichen ist, muss ich machen.“ Er klickt Deckel auf die beiden Schalen mit Keksbröseln, trägt sie hinaus ins Trockenlager und kommt mit sechs Eimern Naturjoghurt zurück. „In einem Eimer sind zehn Kilo Joghurt, die sind für 100 Personen. Das wird also Nachtisch für 600 Personen“, rechnet er vor, während er den Joghurt in ein badewannengroßes Alu-Gefäß kippt, Zucker dazu schüttet und alles mit einem riesigen Schneebesen umrührt. Er ist begeistert von seiner Arbeit, erläutert gerne die Abläufe und Hygienevorschriften in der Küche. Der Groth-Catering-Mitarbeiter der ersten Stunde war vorher in einer Werkstatt für behinderte Menschen beschäftigt, in der er acht Jahre lang Gartenarbeiten erledigte. Nach einem Praktikum in Groths neuem Unternehmen – einen Monat nach der Gründung – konnte Adämmer bleiben, mit einem unbefristeten Vertrag.

Was ihm am meisten Spaß macht? „Alles“, sagt Adämmer strahlend und beschreibt mit seinem Arm einen Halbkreis durch die ganze Küche. „Ich mag die Abwechslung, ich muss hier nicht wie in der Werkstatt immer nur das Gleiche machen.“ Und schon wuselt er wieder los, um zu zeigen, wo er vormittags die fertig portionierten Menüs für die Schulen in Soest, Münster, Hamm und anderen Städten in Kisten verstaut und für die Fahrer bereitstellt.

Neue Räume, neue Ausstattung, neue Ziele

Solche Arbeitsabläufe werden Adämmer und seine Kollegen im Laufe der kommenden Monate allmählich umstellen, denn Jürgen Groth möchte im Jahr 2017 die Zahl der Mittagsmenüs auf 3000 erhöhen. Um diese Dimensionen zu erreichen, wurde bereits im August 2016 eine neue Küche gebaut und eingerichtet. Durch diese Erweiterung hat sich die Arbeitsfläche für Köche und Küchenhilfen mit 780 Quadratmetern fast verachtfacht. Die neuen Räume werden aber nicht nur größer, sondern bieten auch die nötige Ausstattung, um auf das sogenannte Cook & Chill-Verfahren umzusteigen. Kochen und Kühlen, das ist der neue Trend in der Mensa-Verpflegung: „ Nach dem Kochen wird das Essen durch den Einsatz von Schnellkühlern, den sogenannten Chillern, innerhalb von 90 Minuten auf eine Temperatur von drei Grad gekühlt“, fasst Groth das Prinzip zusammen. So lässt sich das Zubereitete bis zu vier Tage lang frisch halten; erwärmt wird es erst kurz vor dem Verzehr.

„Mit dem Cook-&-Chill-Verfahren wird die Arbeit in der Küche rationeller: Die gleiche Anzahl an Mitarbeitern kann mehr Mahlzeiten zubereiten, weil wir in Schichten und vorbereitend kochen können“, erklärt der Unternehmer den künftigen Arbeitsalltag. Für Groth war das nicht die einzige Motivation, in die Kältetechnik für das neue Verfahren zu investieren. Ausschlaggebend waren auch die immer zahlreicheren Anfragen von Schulen, die sich ausdrücklich eine Mensa-Verpflegung mit Cook and Chill wünschten. „Mit diesem Verfahren lassen sich die Pausenzeiten individuell festlegen“, sagt Groth. „Das Essen muss ja gleich nach dem Kochen warm in den Schulen ankommen, daher dürfen zwischen dem Ende der Kochzeit und der Essensausgabe höchstens drei Stunden liegen“, erklärt er. Wenn ein paar Klassen später zu Mittag essen als die anderen, wird das ohne diese Methode schwierig. Die Investition lohnt sich auf jeden Fall schon jetzt: Die ersten Aufträge für die Zeit nach dem Umzug in die neue Küche hat Groth Catering schon in der Tasche. –




Ein Tag rund um die Inklusion im Beruf

Wo würden eigentlich Schülerinnen und Schüler, die eine Behinderung haben, nach ihrem Abschluss gerne arbeiten, und wie wünschen sie sich die künftige Arbeitswelt? Was genau ist „Social Franchising“ und was hat es mit Inklusion zu tun? Wie können Unternehmer in ihrer Firma eine Integrationsabteilung gründen und welche Fördermöglichkeiten gibt es dafür? Wie wird aus einer Geschäftsidee für ein neues Integrationsunternehmen oder eine Integrationsabteilung ein tragfähiges Geschäftsmodell? Was muss bei der Führung von Mitarbeitern beachtet werden? Und wenn ein Unternehmen mal größere Probleme am Markt hat: Wie kann Sanierungsmanagement dabei helfen, eine Krise abzuwenden und so Arbeitsplätze zu erhalten?

Auf all diese und noch mehr Fragen wird es am 1. März bei der LWL-Messe der Integrationsunternehmen Antworten geben. Die Veranstaltung findet im Messe- und Congresszentrum in der Halle Münsterland statt und ist für alle Besucher offen und kostenlos – genauso wie die insgesamt 26 Workshops, Seminare und Vorträge, die ihr an diesem Tag zwischen 9 und 16 Uhr auf der Messebühne und in drei Seminarräumen besuchen könnt. Die Veranstaltungen werden von verschiedenen Experten aus dem Themenfeld moderiert und gestaltet. Ihr könnt euch außerdem an den vielen Ständen der Integrationsunternehmen und der anderen Aussteller in der Halle informieren, euch an Mitmachaktionen beteiligen oder das kulinarische Angebot der gastronomischen Integrationsunternehmen genießen.

Die Messe bietet für alle Interessierten auch eine tolle Gelegenheit, sich mit Verantwortlichen aus Unternehmen und anderen Organisationen zu unterhalten und auszutauschen, die zur Messe kommen. Darunter sind zum Beispiel auch die Aktion Mensch e. V., das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes NRW, die Jobberatung der Industrie- und Handelskammer Nordwestfalen (IHK) und der Handwerkskammer Münster (HWK), das Jobcenter und die Wirtschaftsförderung der Stadt Münster und die Agentur für Arbeit Ahlen-Münster.

Übrigens: Wer einen Gebärdensprach- oder Schriftdolmetscher bei den Workshops auf der LWL-Messe braucht: Jede Veranstaltung wird übersetzt! Außerdem ist die Messe ebenerdig und barrierefrei zugänglich. –


Eindrücke der letzten LWL-Messe im Jahr 2014

Fotos: Thorsten Arendt




5 Dinge, die ihr noch nicht über Budapest wusstet

#1: Der Zauberwürfel

Viele kennen ihn, viele lieben ihn, manche hassen ihn: Den bunten Zauberwürfel „Rubik’s cube“, den man bis zur Verzweiflung in alle Richtungen verdrehen kann und ihn doch nie wieder so hinkriegt, wie er am Anfang aussah. Dieses Spielzeug ist die Erfindung eines Bauingenieurs namens Ernő Rubik – und der stammt aus Budapest.

#2: Die Synagoge

In der ungarischen Hauptstadt steht weltweit die zweitgrößte Synagoge der Welt. Nur in New York gibt es ein noch größeres Gebäude.

#3: Der Bauch-Brauch

In manchen Städten wirft man Münzen in Brunnen, in anderen reibt man die Vorderseite von Metallstatuen, um nicht dick zu werden. Zum Beispiel in Budapest, wo vor der Basilica von San Esteban ein korpulenter Polizist aus Bronze steht, mit dem ein kurioser „Bauch-Brauch“ verbunden ist: Wer den rundlichen Vorbau des metallenen Gesetzeshüters reibt, soll dadurch selbst sein Leben lang vor Übergewicht geschützt sein.

#4: Die Behindertenpolitik

Auch in Ungarn gilt die Pflicht für Unternehmen ab einer bestimmten Größe, mindestens fünf Prozent Menschen mit Behinderung zu beschäftigen. Die Behindertenpolitik in Ungarn insgesamt wird von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) auch auf einem guten Weg gesehen: Die Leistungen für Menschen mit Behinderung seien hier zwar noch nicht auf dem hohen Niveau der nordischen Länder, aber gut zugänglich und großzügig.

#5: Inklusionsunternehmen

Inklusionsunternehmen heißen in Ungarn zwar nicht offiziell so, es gibt aber Firmen, die sich diesem Modell annähern und die gleichen Ziele verfolgen – zum Beispiel die gemeinnützige GmbH Napra Forgó (zu Deutsch: „Sonnenblume“), eine Nonprofit-Zeitarbeitsfirma. Sie wurde schon vor 16 Jahren gegründet und liegt ganz knapp außerhalb der Hauptstadt. Ihr Ziel: Menschen mit Behinderung in den allgemeinen Arbeitsmarkt integrieren.




Vom belegten Brötchen bis zur Autowäsche

Langeweile kennt Alexander Schneider in seinem Job im Hahme Frische Markt nicht. „Ich bekomme immer wieder neue Aufgaben. Das ist interessant und die Zeit geht schnell vorbei“, sagt der 47-Jährige mit fröhlicher Stimme. Meist hat er an der Waschanlage zu tun, die an den kleinen Supermarkt im Stemweder Ortsteil Haldem angeschlossen ist. Dort reinigt er die Wagen der Kunden und hält die Arbeitsgeräte in Schuss. Zwischendurch hilft er im Laden mit, sortiert Waren in die Regale ein oder wischt den Boden.
Bevor er im Mai 2015 die Stelle im Frische Markt bekam, jobbte er in verschiedenen Berufen, unter anderem in der Metallbranche. Einen neuen Arbeitsplatz zu finden, war für den Osnabrücker nicht einfach, denn er humpelt mit dem rechten Fuß und muss zwischendurch immer wieder Pausen einlegen.

In seinem neuen Job ist das kein Problem. 22 der insgesamt 48 Mitarbeiter haben eine Beeinträchtigung. Die Marktleiterin Olga Bartel hat bei jedem einzelnen im Blick, was er leisten kann. „Manche Kollegen können trotz einer Sehschwäche auch an der Kasse arbeiten. Bei anderen klappt das nicht“, erklärt die 36-Jährige: „Die helfen dann beim Räumen oder schmieren Brötchen.“

Das Ziel: Jobs auf dem ersten Arbeitsmarkt

Der Supermarkt ist Teil des Integrationsunternehmens Servicehaus Stemwede gGmbH, dessen Mitarbeiter mit und ohne Behinderung den Kunden neben dem Service im Laden auch Malerarbeiten, Hauswirtschafts- und Hausmeisterservice sowie Gartenpflege anbieten. Geschäftsführer Lothar Pannen und der Verein Lebensperspektiven e. V. haben das Servicehaus Anfang 2008 gegründet. Das Ziel war vor allem, Beschäftigungsmöglichkeiten für die Bewohner des Stemweder Heilpädagogischen Kinderhauses auf dem ersten Arbeitsmarkt zu schaffen. In dieser Einrichtung betreuen Lothar Pannen und seine Mitarbeiter bis zu 140 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene; die meisten von ihnen haben psychische, geistige oder körperliche Behinderungen.
„Die Frage damals war: Wie können wir es schaffen, den jungen Menschen mit all ihren Problemen, aber auch Ressourcen eine Perspektive zu ermöglichen?“, beschreibt Pannen die große Aufgabe. „Wir können sie ja schlecht ohne Aussicht auf einen Arbeitsplatz zurück in ihre Heimatstädte ziehen lassen.“

Zwei Mitarbeiter reinigen die Scheiben und Felgen eines Autos vor
Zwei Mitarbeiter reinigen die Scheiben und Felgen eines Autos vor. Foto: Thorsten Arendt

Das Servicehaus ist nicht nur für die Mitarbeiter eine tolle Sache. Wer in dem vergleichsweise strukturschwachen Haldem wohnt, kann jetzt wieder vor Ort einkaufen. Der Supermarkt hat zum Beispiel Obst und Gemüse, Käse und Wurst, Nudeln, Tiefkühlpizza und Hygieneartikel vorrätig. Wegen der angeschlossenen Tankstelle hat dieser Teil des Unternehmens auch abends und sogar sonntags geöffnet. Das schätzen die Kunden besonders. „Gerade am Wochenende ist hier viel los“, sagt Olga Bartel. „Wenn alle anderen Geschäfte geschlossen sind, gibt es bei uns frische Brötchen und Grillfleisch.“

Immer mehr Kunden

Die Marktleiterin war von Anfang an dabei, sie hat den Supermarkt 2008 mit aufgebaut. „An unser Konzept mussten sich die Kunden anfangs noch gewöhnen“, sagt sie. Diese sollten zwar eigentlich so wenig wie möglich davon merken, dass sie in einem Integrationsbetrieb einkaufen. „Aber manchmal geht es eben an der Kasse doch etwas langsamer, wenn dort zum Beispiel ein Kollege mit Sehschwäche eingesetzt ist und viele Einkäufer da sind.“ Um solche Spitzen abzufangen, springt die Chefin auch mal selbst an der zweiten Kasse ein.

Wenn trotzdem einmal Kunden unzufrieden sind, spricht Olga Bartel sie direkt an und erklärt, warum es gerade länger dauert. Damit hat sie Erfolg. „Bisher ist es uns gelungen, jeden unserer Kunden zu halten. Es kommen sogar immer mehr. Auch nach fast neun Jahren steigern wir uns noch.“




Viele Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung

Am 1. März findet in Münster eine Veranstaltung statt, die in Deutschland einzigartig ist: Die LWL-Messe der Integrationsunternehmen. Diese Art von Unternehmen ist etwas Besonderes, weil 25 bis 50 Prozent der Menschen, die dort arbeiten, eine Behinderung haben – gesetzlich vorgeschrieben sind für alle Firmen in Deutschland, die mehr als 20 Mitarbeiter haben, mindestens fünf Prozent. Integrationsunternehmen bieten also viele feste Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, müssen sich zugleich aber ebenso in der freien Wirtschaft behaupten wie andere Betriebe auch.

In der Region Westfalen, in der die Messe stattfinden wird, gibt es mittlerweile rund 160 solcher Firmen – in ganz Deutschland sind es 850. Ein großer Teil der westfälisch-lippischen Integrationsunternehmen stellt sich auf der Messe im März vor und drumherum wird es Aktionen, Seminare und Workshops geben. Sie sind für alle Besucher interessant, aber vor allem für junge Menschen mit Behinderung, die kurz vor dem Schulabschluss stehen, und für Gründerinnen und Gründer neuer Integrationsunternehmen oder -abteilungen.

Auf der Messe wird außerdem eine Wanderausstellung zu sehen sein, die Menschen mit Behinderung bei ihrer Arbeit in Integrationsunternehmen zeigt. Die Ausstellung war im Januar schon in Berlin in der NRW-Landesvertretung zu sehen und zieht im März weiter zur Messe. Bei einem großen „Get-Together“ rund um das Event tauschten sich Gründer und Geschäftsführerinnen von Integrationsunternehmen mit Verantwortlichen aus der Bundes- und Landespolitik aus. Zum Beispiel waren dabei: Fritz Baur, der Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsfirmen, Thomas Tenambergen vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, der LWL-Direktor Matthias Löb, der NRW-Landtagsabgeordnete Günter Garbrecht und Roland Matzdorf vom Landesministerium NRW für Arbeit, Integration und Soziales.

Bei der Veranstaltung lobte Verena Bentele, die Bundesbeauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderung, die Integrationsunternehmen als „eine wunderbare Möglichkeit, das Arbeitsleben kennenzulernen, sich selbst kennenzulernen, andere Menschen kennenzulernen, Erfolge zu feiern und neue Situationen zu meistern.“ Der LWL-Chef Matthias Löb ergänzte, dass die Zahl dieser Unternehmen in Westfalen-Lippe seit dem Jahr 2008 von 57 auf 158 gestiegen ist. Er sagte außerdem, dass „sich die Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung, die auf diese Weise neu entstanden sind, im gleichen Zeitraum auf 2000 verdreifacht“ haben: „Damit liegen wir im bundesweiten Vergleich an der Spitze.“ In ganz Deutschland sind zusammengenommen etwa 10.000 solcher neuen Arbeitsplätze entstanden. –




Integration über Jahrzehnte

Als Sandra und Alexander Schwenk im Jahr 1995 die Wäscherei Kreft im Dortmunder Vorort Kirchhörde von den Vorbesitzern abkauften, wollten sie zunächst nur eine berufliche Existenz für sich selbst aufbauen. „Ich war als Außendienstmitarbeiter für die Firma meines Vaters unterwegs, der die Wäscherei als Kunden hatte“, erinnert sich Alexander Schwenk. „Als der Eigentümer relativ jung verstarb, fragte dessen Frau meinen Vater um Rat. Es gab dort ein besonderes Vertrauensverhältnis.“
Die Firma stand zum Verkauf – und Alexander Schwenk entschied sich nach längerem Überlegen, den Schritt zu wagen. Ehefrau Sandra, die als Arzthelferin einen guten Job hatte, stieg mit ein. Die beiden bauten den Betrieb stetig aus, heute hat sich die Anzahl der gereinigten Wäschestücke versiebenfacht. Zum Angebot zählen die klassische Hemdenwäsche für Privatkunden, aber auch Großaufträge für Unternehmen sowie spezielle Angebote, wie chemische, Teppich- oder Lederreinigung, und ein Änderungs- und Abholservice.

Engagement von Anfang an

Von der Idee eines Integrationsunternehmens waren sie damals noch weit entfernt – und es sollte bis zum Jahr 2010 dauern, bis die Wäscherei Kreft offiziell eine Integrationsabteilung eröffnen würde. Die Arbeit mit Menschen mit Behinderungen dagegen startete schon fast zu Beginn der Firmenübernahme. „Bei uns hat sich eine gehörlose Frau vorgestellt, deren Lebensgefährte mit Gebärden gedolmetscht hat. Wir waren so begeistert von ihr, dass wir es ausprobieren wollten“, sagt Alexander Schwenk. Der Versuch klappte, die junge Mitarbeiterin zeigte viel Engagement und bewies sich im Betrieb.
Keine alltägliche Erfahrung für die Gründer: „Es war schon damals nicht einfach, überhaupt gute Leute für diese Arbeit zu finden“, sagt Sandra Schwenk. Die Bezahlung in der Branche ist nicht sehr gut, der Alltag ist geprägt durch Schnelligkeit und immer wiederkehrende Tätigkeiten. In vielen Wäschereien arbeiten Frauen in Teilzeit. Das ist in dem eher wohlhabenden Dortmunder Stadtteil, in dem die Wäscherei Kreft ihren Hauptbetrieb hat, eher selten der Fall. „Für Mitarbeiterinnen aus anderen Stadtteilen würde sich die Anfahrt deshalb kaum lohnen.“

Zuverlässige und präzise Arbeit

Die Schwenks setzten schon immer auf Vollzeitstellen – und haben mittlerweile eine ganz besondere Beschäftigtenstruktur. „Wir haben ältere Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen mit Behinderungen in der Belegschaft.“ Eine Gruppe, die auf dem ersten Arbeitsmarkt sonst schwierig zu vermitteln ist. „Bei uns kommt es aber vor allem darauf an, dass die Beschäftigten zuverlässig und präzise arbeiten – und das zeigen unsere Kräfte jeden Tag.“ Eine Mitarbeiterin etwa sortiert gerade im großen Hauptraum die Wäsche eines Privathaushalts nach Farben und Stoffen, um die Waschtemperaturen festzulegen. Eine andere entnimmt mit geübtem Griff die exakt gefalteten und mit Namen bestickten Hemden der Köche eines noblen Restaurants. Eine dritte befestigt mit immer wieder denselben Handbewegungen Oberhemden am Bügelautomaten.
Damit das Unternehmen auch weiterhin betriebswirtschaftlich funktionieren konnte, haben die Schwenks im Jahr 2010 eine Integrationsabteilung gegründet. Das LWL-Inklusionsamt Arbeit finanzierte unter anderem Rollcontainer, einen Trocken- und Bügelautomaten und eine Laderampe. Ohne diese Arbeitserleichterungen wären manche Handgriffe für die Menschen mit Behinderung nicht zu leisten. Darüber hinaus erhält der Betrieb Einstellungsprämien sowie den Minderleistungsausgleich und Zahlungen für den erhöhten Betreuungsaufwand. Der vom LWL finanzierte Integrationsfachdienst half bei der Einarbeitung.

Um vor Überraschungen auf beiden Seiten gefeit zu sein, arbeiten sämtliche neuen Kolleginnen und Kollegen zunächst auf Probe: „Für zwei bis drei Monate“, sagt Sandra Schwenk, „wenn es dann funktioniert, stellen wir sie ein. Zunächst befristet auf ein Jahr, anschließend unbefristet.“ Die Befürchtung, Beschäftigte mit einer Behinderung im schlechtesten Fall nicht kündigen zu können, entkräftet Alexander Schwenk sofort. „Wir haben leider mit unserer ersten Mitarbeiterin mit Behinderung die schlechte Erfahrung gemacht, dass sie im Team nicht zurechtkam“, sagt der Chef. „Die Probleme haben wir sehr ernst genommen, uns auch Beratung vom Integrationsfachdienst geholt – aber am Ende mussten wir ihr kündigen, das Inklusionsamt hat die Zustimmung erteilt. Das war sehr schade, aber für den Betrieb und auch für sie war es das Beste.“

Um die Ecke denken

Um für alle Beteiligten das Optimale herauszuholen, müsse er manchmal auch um die Ecke denken, sagt Alexander Schwenk. Bei seinen Fahrern zum Beispiel: Mit Transportern bringen sie die Wäsche zu größeren Kunden wie der Catering-Firma von Borussia Dortmund. Schnell kommen einige hundert Kilogramm pro Tour zusammen. „Wir haben einen Kollegen, der nicht schwer tragen kann. Ihm gebe ich deshalb einen weiteren Mann mit, der die körperliche Arbeit übernimmt, aber selbst wegen einer Lernbehinderung keinen Führerschein hat.“ Aus zwei Kollegen mit Handicaps wird so ein leistungsstarker Mitarbeiter. „Das funktioniert aber nur, wenn beide Arbeitsplätze bezuschusst werden“, sagt Schwenk. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Zwei Menschen hätten ohne diese Idee wenig Chancen auf einen versicherungspflichtigen Arbeitsplatz. Bei der Wäscherei Kreft haben beide eine Stelle bekommen.