VIER FRAGEN AN… Lars Hemme

In seiner Freizeit bloggt Lars Hemme über sein Leben mit 24-Stunden-Assistenz und über Themen wie Selbstbestimmtheit und Gleichberechtigung. Im Interview redet er mit uns darüber, wie er selbst Inklusion erlebt und was aus seiner Sicht jeder einzelne für ein Miteinander auf Augenhöhe tun kann.


#1: Herr Hemme, was bedeutet für Sie Inklusion im Beruf und bei der Arbeit?

Das ist eigentlich ganz einfach: Ich möchte, wie jeder Mensch, meinen Interessen und Fähigkeiten folgen und meinen Wunschberuf frei wählen können. Ich kann in meiner Situation sicherlich nicht jeden Beruf ausüben – aber das könnte eine Mensch ohne Behinderung auch nicht unbedingt, wenn ihm die notwendigen Fähigkeiten im Denken oder Tun fehlen. Trotzdem hat ja jeder individuelle Interessen und Stärken, die er in den Job einfließen lassen kann, wenn ihm denn die Chance gegeben wird, diese auch zu zeigen und zu nutzen.
Für mehr Inklusion im Berufsleben ist ein gutes Miteinander von Kolleginnen und Kollegen besonders wichtig, finde ich. Dazu gehört von allen Seiten auch, das natürliche Arbeitsklima mit all seinen „Aufs und Abs“ zu akzeptieren und einfach gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Ich denke, dass Inklusion dann funktioniert, wenn alle aufeinander zugehen und auch Kritik äußern dürfen und können. Wenn ich mich zum Beispiel nicht kollegial verhalte, dann müssen mich andere auch konstruktiv darauf hinweisen dürfen. Meine Behinderung darf ich selbst also nicht als Schutzschild sehen und einsetzen – denn das ist sie nicht.

#2: Was bremst Ihrer Meinung nach die Inklusion – bei der Arbeit, aber auch in der Gesellschaft insgesamt?

In den meisten Fällen funktioniert die Inklusion aus meiner Sicht deshalb nicht wie erhofft, weil Nicht-Behinderte immer noch zu wenige Berührungspunkte mit Menschen wie mir haben. Zugleich müssen beide Seiten eine gesunde Portion Enthusiasmus für ein gutes, gemeinsames Miteinander auf Augenhöhe mitbringen. Nur dann hat Inklusion eine Chance. Andererseits muss sich meiner Meinung nach jeder Mensch mit einer Behinderung – auch ich selbst – darüber im Klaren sein, dass sie oder er für andere Menschen immer etwas „anders“ ist. Wem das klar ist, der kann inkludiert werden. Dafür braucht es selbstverständlich Hilfen, zum Beispiel Assistenzleistungen oder technische Hilfsmittel. So ähnlich, wie etwa Flüchtlinge Sprachkurse erhalten, damit sie eine Chance haben, Teil der Gesellschaft zu werden, brauchen auch andere Personengruppen diese Unterstützung, nur eben auf andere Weise. Dabei gilt umgekehrt: Wenn ich zum Beispiel im Beruf auch nach dem ersten Kennenlernen der Teamkollegen im Arbeitsalltag weiterhin als etwas Besonderes oder Anderes betrachtet werde, kann ich nie ein gleichwertiges Mitglied im Team werden. Dann funktioniert Inklusion nicht.

#3: Mit welchen kleinen oder größeren Handlungen könnten einzelne Menschen aus Ihrer Sicht selbst zur Inklusion beitragen?

Jeder, der Inklusion verwirklichen möchte, sollte sich engagiert mit dem Thema auseinandersetzen. Nur so kann er dazu beitragen, den Prozess voranzutreiben. Das gilt nicht nur für Menschen ohne, sondern auch und gerade für Menschen mit Behinderung. Sie müssen aktiv auf die anderen Mitglieder der Gesellschaft zugehen und zeigen, dass sie ein Teil dieser sind und sein wollen. Inklusion kann nicht nur von einer Seite geleistet werden. Ich selbst zum Beispiel habe im Studium gemerkt, dass ich durch meine Teilnahme am gemeinsamen Alltag etwas wichtiges erreichen konnte: Ich wurde akzeptiert und konnte teilhaben. Das kann ich heute nach wie vor. Richard von Weizsäcker hat dazu einmal passende, schlaue Worte gesagt: „Was im Vorhinein nicht ausgegrenzt wird, muss hinterher auch nicht eingegliedert werden!“ Da ist viel Wahres dran. Dadurch, dass ich mich immer bemüht habe, mich nicht selbst auszugrenzen, haben mich auch die anderen nicht ausgegrenzt. Ich brauchte deshalb auch keine Wiedereingliederung.

#4: Wenn Sie Ihren Traum-Arbeitsplatz frei entwerfen könnten: Wie sähe dieser aus?

Inklusion bedeutet nicht, dass mir per se eine Sonderbehandlung zusteht. Daher sollte ich mir meinen Arbeitsplatz auch nur bis zu dem Punkt frei auswählen können, wie andere das auch tun dürfen. Ich glaube, dass niemand wirklich die völlige Freiheit hat, sich den Ort und die Umstände des Arbeitens ideal zu gestalten. Mir ist wichtig, dass ich auch hier gleichberechtigt mit anderen bin – und das heißt, dass ich genauso wie alle anderen mit den typischen Widrigkeiten des Lebens umgehen und mich damit arrangieren muss.
Aber: Als Mensch mit Behinderung habe ich Möglichkeiten, Nachteile auszugleichen, und das ist ebenfalls wichtig. Was in diesem Zusammenhang bedeutet, dass ich mich bemühen kann, meine Interessen und Fähigkeiten so zu platzieren und zu fördern, dass sich die Chance auf meinen Traum-Arbeitsplatz auftut. Ich habe das mittlerweile sogar geschafft. Ich arbeite jetzt schon länger an der Universität Paderborn und kann meine Neigungen und Fähigkeiten optimal in den Job einfließen lassen. Ich habe meinen Traum-Arbeitsplatz also sozusagen einfach selbst entworfen. Manchmal ist hier und da technische Unterstützung oder die Hilfe von anderen nötig, ich muss mir zum Beispiel ab und zu eine Akte aus dem Regal angeben oder eine Tür öffnen lassen. Die Kernaufgaben meines Berufs erledige ich aber selbstständig: Ich setze das mir gegebene Talent der Sprache ein und berate Menschen, die Anregungen und Hilfe beim Studium mit einer Behinderung brauchen.

Tja, und wenn ich mir doch etwas wünschen würde: An meinem Traum-Arbeitsplatz würden mir alle technischen und menschlichen Unterstützungen zur Verfügung stehen, die mir die Arbeit in meinem Beruf erleichtern würden – zum Beispiel elektrische Türen oder eine persönliche Assistenz. Das ist leider noch nicht selbstverständlich, wie ich selbst erlebt habe und wie es auch von anderen Menschen mit Behinderung in Deutschland immer wieder zu lesen ist. Der Grund dafür sind oft drastische finanzielle Einschnitte, gerade im öffentlichen Sektor. Das legt der Inklusion aus meiner Sicht unnötige Steine in den Weg – aber das ist noch einmal ein ganz anderes Thema. –




Was sind Inklusionsunternehmen?

Was genau sind Inklusionsunternehmen?

Inklusionsunternehmen sind gewöhnliche Betriebe, in denen Menschen mit und ohne Behinderung zusammenarbeiten. Im Schnitt beschäftigen diese Firmen zwischen 25 und 50 Prozent Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit unterschiedlich schweren Handicaps. Sie haben deshalb aber keinen Sonderstatus, sondern müssen sich wie jedes andere Unternehmen auf dem freien Markt behaupten. In Westfalen-Lippe gibt es zur Zeit rund 160 Inklusionsbetriebe und -abteilungen, in denen etwa 2000 Menschen mit Behinderung beschäftigt sind. Die Firmen und Betriebe tragen damit zu einem inklusiven Arbeitsleben bei, weil sie Menschen mit Handicap dauerhafte und sozialversicherungspflichtige Stellen auf dem ersten Arbeitsmarkt bieten.

Welche Rolle spielt das LWL-Inklusionsamt in diesem Zusammenhang?

Der Landschaftsverband-Westfalen Lippe erfüllt als gemeinnütziger Träger viele soziale Aufgaben in der Region. Wir sind, als eine Einrichtung innerhalb dieses Trägers, sozusagen die „ausführende Hand“ in einem bestimmten Bereich. So sind wir zum Beispiel erster Ansprechpartner in der Region rund um das Thema Inklusionsunternehmen. Wir beraten Arbeitgeber unter anderem zu allen Fragen, die entstehen können, wenn Arbeitsplätze für Menschen mit und ohne Behinderung eingerichtet werden sollen, aber auch zu den Planungsschritten, den rechtlichen Grundlagen und den Fördermöglichkeiten. Außerdem analysieren wir die eigenen Ideen des Unternehmens und geben entsprechendes Feedback.

Wie werden Inklusionsunternehmen gefördert – und mit welchen Mitteln?

Der LWL hat unter anderem die Aufgabe, bereits bestehende Arbeitsplätze in Inklusionsunternehmen zu erhalten, indem er die Firmen mit Mitteln aus der so genannten „Ausgleichsabgabe“ unterstützt. Diesen Betrag müssen alle Unternehmen in Deutschland zahlen, die mehr als 20 Personen in ihrem Betrieb beschäftigen,  aber weniger als fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Schwerbehinderung besetzt haben. Darüber hinaus ist auch das Land Nordrhein-Westfalen eine wichtige Anlaufstelle für Fördermittel. Über das Programm „Integration unternehmen!“ kann es Zuschüsse zu Investitionskosten bewilligen, damit weitere Arbeitsplätze in Inklusionsunternehmen entstehen können. Der Bund stellt ebenfalls finanzielle Mittel bereit, die von den Unternehmen beantragt werden können, und zwar aus dem Programm „Inklusionsinitiative II – AlleImBetrieb“. Deutschland stellt seinen Ländern mit diesem Programm insgesamt 150 Millionen Euro zur Verfügung, um die Inklusion in diesen Betrieben weiter voranzutreiben und neue Stellen zu schaffen. Des Weiteren beteiligen sich die Arbeitsagenturen und die Jobcenter mit Eingliederungszuschüssen. In den kommenden Jahren rechnen wir deshalb damit, dass es rund 300 bis 400 neue Arbeitsplätze in den Inklusionsunternehmen geben wird.

Gibt es noch weitere Möglichkeiten, Unterstützung zu bekommen?

Jeder interessierte Arbeitgeber kann als Starthilfe einen Investitionskostenzuschuss beantragen, der das Unternehmen finanziell entlastet, wenn dort ein neuer Arbeitsplatz für einen Menschen mit Schwerbehinderung eingerichtet werden soll. In den Inklusionsunternehmen kann dieser Zuschuss bis zu 80 Prozent der entstehenden Kosten (maximal 20.000 Euro) für jeden neu geschaffenen Arbeitsplatz betragen. Daneben gibt es auch die sogenannte Einzelfallhilfe, bei der die Förderung eines behindertengerechten Arbeitsplatzes individuell festgelegt wird. Um eventuelle Minderleistungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Handicap auszugleichen, können die Unternehmen außerdem Lohnkostenzuschüsse beantragen. Diese liegen bei maximal 30 Prozent des Arbeitnehmerbruttolohns. Und: Für den besonderen Betreuungsaufwand am Arbeitsplatz stehen den Unternehmen jeden Monat 210 Euro pro Mitarbeiterin oder Mitarbeiter mit Behinderung zu.

Wie wird der Kontakt zwischen den Firmen und potentiellen Interessentinnen oder Interessenten für einen Arbeitsplatz im jeweiligen Betrieb hergestellt?

Eine unserer Zielgruppen unter den potentiellen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sind Menschen mit Behinderung, die aus einer Werkstatt auf den Ersten Arbeitsmarkt wechseln wollen und können. Im Kontakt zu diesen möglichen Bewerberinnen und Bewerber stehen vor allem die so genannten Inklusionsfachdienste, die an das LWL-Inklusionsamt angegliedert sind, ebenfalls vom LWL finanziert werden und eng mit den Inklusionsunternehmen zusammenarbeiten. Aber auch die Agenturen für Arbeit und die Jobcenter helfen dabei, passende Arbeitskräfte mit Behinderung zu vermitteln.

Ist es wichtig, dass die Unternehmerinnen und Unternehmer schon vorher mit Menschen mit Behinderung zusammengearbeitet haben?

Das schadet nicht, ist aber keine Bedingung. Viel entscheidender ist, dass die Arbeitgeber bereit sind, sich wirklich auf diesen Prozess einzulassen. Einen Menschen mit Schwerbehinderung in den eigenen Betrieb zu integrieren, kann mit vielen Herausforderungen verbunden sein – damit sollten sich die Arbeitgeber schon vorher auseinandergesetzt haben. Aber: Wenn im Vorfeld gut geplant und dieser Plan auch strukturiert umgesetzt wird, haben wir bisher immer nur den Fall beobachtet, dass die Umstellung auf das Modell „Inklusionsbetrieb“ eine echte Bereicherung für die Unternehmer ist. Bei den bisherigen Betrieben wirkte sich das neue Konzept sehr positiv auf das Betriebsklima aus, die Arbeitsergebnisse waren stets gut und die übrigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren sehr loyal und motiviert bei der Sache.