Linktipp: Warum zu Nachhaltigkeit auch Inklusion gehört

Nachhaltigkeit wird oft nur im Kontext von Klima- und Umweltschutz verstanden. Ebenso dazu gehört jedoch, dass für Vielfalt in den Führungsetagen und unter den Mitarbeiter:innen gesorgt und damit soziale Ungleichheit verhindert wird.

Viele Unternehmen sind bereits auf dem richtigen Weg: „Um Vielfalt zu fördern, nehmen immer mehr Unternehmen an Programmen und Aktionen teil und bekennen sich öffentlichkeitswirksam zu einer Haltung, die Vielfalt fördert. Die dabei unterzeichneten Statements sind eine Selbstverpflichtung auf dieses Ziel hinzuarbeiten“, schreibt die Inklusions-Kampagne JOBinklusive diesen Monat in einem Online-Artikel zum Thema. Und nennt zugleich einen wichtigen Kritikpunkt: „Die Dimension von Inklusion und Behinderung fällt dabei oft hinten runter, obwohl sie im Bereich Arbeit seit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention vor elf Jahren nicht mehr nur eine nette Sache ist, sondern ein Menschenrecht.“

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Auf Sperrmülltour im Kreis Lippe

Der Entsorgungsbetrieb hat 48 Mitarbeiter, viele von ihnen haben eine Behinderung oder waren lange arbeitslos. „Der Job war für mich ein echter Glücksgriff“, freut sich Frank Garz, der sich zuvor vier Jahre lang mit Zeitarbeit durchgeschlagen hat. Eine feste Stelle war auch für Björn Richter zuvor nicht drin, er sortierte und verkaufte früher Bücher. Der 43-Jährige ist ebenfalls froh, dass es heute anders ist: Er und seine Kollegen sind fest und unbefristet bei der AGA angestellt.

Frank Garz steuert den weißen Siebeneinhalb-Tonner, mit dem die kleine Truppe bei ihren Fahrten einen strammen Plan schafft. Zehn verschiedene Orte sind es durchschnittlich pro Tour, die angefahren werden müssen. „Wir entlasten uns bei der Arbeit gegenseitig und passen aufeinander auf“, sagt Garz und blickt zu seinem Kollegen Klaus-Dieter Weiß, der auf dem Beifahrersitz Platz genommen hat und zustimmend nickt. Der 52-Jährige hat eine angeborene Sprachstörung, Konzentrationsschwierigkeiten und ein stark eingeschränktes Arbeitstempo, er darf nur leichte bis mittelschwere Arbeiten erledigen. Für das Team ist das kein Problem: Jeder hilft einfach dort, wo der andere Schwierigkeiten hat.

Zusätzlich werden die Routen von der AGA bewusst so geplant, dass die Mitarbeiter nach einer körperlichen Belastung längere Ruhepausen einlegen können. Ein Prinzip, das auch Björn Richter schätzt, der ebenfalls eine Behinderung hat. Er kann nicht gut sehen und muss sich wegen seiner Diabetes-Erkrankung regelmäßig Spritzen setzen. Mit dem Job ist das aber gut zu vereinbaren. Und: „Die anderen haben immer eine Auge darauf, dass ich mich nicht übernehme.“ Der 43-Jährige sitzt zwischen seinen beiden Kollegen in der Fahrerkabine des Lasters, einem von sechs Fahrzeugen, die im Kreis Lippe fünf Tage die Woche unterwegs sind. Mit dem Fuhrpark werden pro Jahr 162.000 Kilometer zurückgelegt, immer im Team aus einem Fahrer und zwei Beifahrern.

Drei AGA-Mitarbeiter vor einem weißen LKW, der vor einem großen Gebäude steht
Björn Richter, Klaus-Dieter Weiß und Frank Garz (von links) sind für die AGA im Kreis Lippe unterwegs. Foto: Thorsten Arendt.

Die AGA ist eines der ältesten Integrationsunternehmen in Westfalen-Lippe. Es begleitet seit der Gründung im Jahr 1987 Jugendliche und Erwachsene dabei, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. ‚Integration durch Arbeit‘ ist das Motto der Firma, die vorwiegend Menschen mit Behinderungen, psychischen Problemen oder nach einer Langzeitarbeitslosigkeit beschäftigt. „Bei anderen Firmen bekommen diese Menschen oft keine Chance, obwohl sie gute Arbeit leisten“, erklärt Jens Fillies, einer der Geschäftsführer. Auch sein Kollege Ulrich Schlotthauer weiß: „Es geht nicht so sehr um die Kraft des einzelnen Mitarbeiters, sondern um das ‚Gewusst wie‘“. Damit kennen sich beide Chefs gut aus. Sie sind Experten in der Entsorgungsbranche, wissen, wie die Teams organisiert, worauf dabei geachtet und welche Fähigkeiten vermittelt werden müssen: „Dann können drei Leute mit Sackkarren und einer Ladebordwand auch schon mal ganze Möbelberge versetzen.“

Guter Ruf in der Region

Das Unternehmen erfüllt eine wichtige Aufgabe, die zugleich dem gesamten Gebiet dient. „Die AGA ist politisch gewollt und wird von einem breiten gesellschaftlichen Konsens in der Region getragen“, bestätigt Dr. Axel Lehmann, der Landrat des Kreises Lippe. Seit zwanzig Jahren sorgt das Unternehmen nicht nur dafür, dass Sperrmüll abgefahren wird, sondern übernimmt auch die Verwertung und Entsorgung im hauseigenen Recyclinghof. Bis zu 35 Tonnen weiterverwendbare Wertstoffe kommen hier jeden Tag zusammen, die meist mit vielen Leuten aufwändig in Handarbeit zerlegt und sortiert werden.

Die AGA ist damit auch ein Beschäftigungsprojekt, sagt Jens Fillies. Zugleich arbeitet es ökologisch, weil sehr viele Schadstoffe sauber entsorgt werden können. Unter dem Strich rechnet sich das Unternehmen sogar besser für die Menschen in der Region, weil es so nachhaltig ist. Der Kreis Lippe arbeitet eng mit dem zertifizierten Entsorgungsfachbetrieb zusammen. Vor zwei Jahren wurden die Verträge verlängert, die die Aufgabenverteilung zwischen den Entsorgungsbetrieben regeln. Der AGA sichert diese Vereinbarung bis 2024 zu, dass sie die Sperrmüll-Abfuhr und -Verwertung für den Kreis übernehmen darf.

Landrat Dr. Axel Lehmann und AGA-Geschäftsführer Jens Fillies vor einem weißen LKW mit AGA-Aufschrift
Landrat Dr. Axel Lehmann (links) und Geschäftsführer Jens Fillies arbeiten eng zusammen. Foto: Thorsten Arendt

Der Leiter des Recyclinghofs Roy Schnormeier beobachtet vor allem, dass seine Teams durch die Arbeit Tugenden wie Pünktlichkeit, Fleiß und Teamarbeit an sich wiederentdecken – und ergänzt, dass Angestellte wie Frank Garz hier auch das Führen und Delegieren lernen. Viele seiner Leute seien wirklich fit für den ersten Arbeitsmarkt, unterstreicht der Betriebsleiter. Er selbst wechselte aus der freien Wirtschaft in das Integrationsunternehmen. Die Handicaps der Mitarbeiter waren für ihn nie ein Problem – im Gegenteil: „Für mich ist das neu, das ein Unternehmen auf diese Weise soziales Engagement mit Wirtschaftlichkeit verbindet. Das ist für mich eine sehr faszinierende Erfahrung.“




Arbeiten auf dem Bauernhof

Christian Hofmann überquert eine Weide, auf der schwarzgescheckte Milchkühe grasen, und stapft weiter zum Hühnergehege. Er schaltet den Elektrozaun ab, der Legehennen und Rinder voneinander trennt, und steigt darüber. „Na, ihr Süßen“, sagt er zu den braunen Hennen, die ihn erwartungsvoll gackernd umringen.

Hofmann klappt den Deckel der Futtertonne auf und streut Getreide auf die Wiese. Während die Vögel die Körner aufpicken, sammelt der Landwirtschaftshelfer die frisch gelegten Eier ein. „Die bringe ich gleich in die Scheune“, erklärt er. „Dort verpacke ich sie nach Größen sortiert für unseren Hofladen.“

Von zufrieden gackernden Hühnern und besonderen Kartoffelsorten

Seit Anfang 2014 arbeitet der heute 31-Jährige auf dem Hofgut Schloss Hamborn. Das Inklusionsunternehmen im ostwestfälischen Borchen beschäftigt in Landwirtschaft, Bäckerei, Käserei, Fleischerei und der Vermarktung 62 Männer und Frauen, 20 von ihnen haben, wie Christian Hofmann, eine Behinderung. Für ihn ging damit ein Traum in Erfüllung, denn für den jungen Mann stand schon lange fest, dass er einmal auf einem Bauernhof arbeiten wollte: „Nach der Schule habe ich fünf Jahre lang auf einem Biolandhof mitgeholfen und dann eine Ausbildung auf einem Demeterhof gemacht. Das ist genau das Richtige für mich.“

Seine größte Leidenschaft ist der Ackerbau. „Ich mag den Kontakt zur Erde und den Pflanzen“, sagt Hofmann. „Am liebsten habe ich Kartoffeln. Ich habe sogar schon Sorten mit ausgesucht, die festkochende Allians zum Beispiel und Gunda, eine mehligkochende Sorte.“ Weil er so in seiner Arbeit aufgeht, lebt der Geselle auch auf dem Hofgut und teilt sich mit ein paar Kollegen das dafür vorgesehene Wohnhaus. „Das ist bei uns nur ein Angebot, keine Pflicht“, sagt Gerd Bögeholz, Geschäftsführer der Hofgut-gGmbH, die seit 2013 als Inklusionsunternehmen geführt wird. „Die meisten unserer Mitarbeiter wohnen außerhalb.“

Das Hofgut ist Teil eines anthroposophischen Konzepts

Das Hofgut selbst gibt es schon seit dem Jahr 1931, es ist der älteste Demeterhof in Nordrhein-Westfalen. „Eines unserer Ziele ist es, hier einen in sich geschlossenen Nährstoffkreislauf zu betreiben“, erläutert Bögeholz das Konzept des Hofs. „Dazu gehört zum Beispiel, dass unsere Mastschweine aussortierte Kartoffeln, aber auch Getreide und Kraftfutter aus eigenem Anbau fressen. Außerdem bekommen sie die Molke, die in unserer Käserei abfällt.“ Das Demeter-Prinzip geht auf eine Weltanschauung zurück, die Rudolf Steiner begründete und die sich „Anthroposophie“ nennt.

Das Hofgut ist Teil einer ganzen Anlage in Borchen, in deren Einrichtungen dieses Konzept verfolgt wird: Auf dem Gelände des Anthroposophischen Zentrums Schloss Hamborn gibt es neben dem Bauernhof noch eine Reha-Klinik, ein Altenwohnheim, einen Waldorfkindergarten, einen stationären Jugendhilfebereich mit Berufsförderung und eine Waldorfschule mit Förderschulbereich. Ein Inklusionsbetrieb wie das Hofgut passt gut ins Konzept, findet Gerd Bögeholz: „Wir wollten eine berufliche Perspektive für die Schüler aus unserem Jugendbereich und auch anderer Förderschulen schaffen.“
Die Produkte wie Käse, Gemüse, Brot und Fleisch landen in den Küchen von Reha-Klinik und Kindergarten. „Wir verkaufen unsere Produkte auch in Paderborn auf dem Markt oder in unserem Online-Shop ‚Biomanufaktur‘“, erklärt der Inhaber Gerd Bögeholz. „Dort können die Kunden einzelne oder Abo-Bestellungen aufgeben, und wir beliefern über den Shop auch Bio-Supermärkte.“

Den mit Abstand größten Anteil am Verkauf hat aber der Hofladen ‚Natura‘, der unmittelbar neben Reha-Klinik und Schule liegt. Hier gibt es die Produkte des Hofgutes an der Fleisch-, Wurst- und Brötchentheke, aber auch in den Obst-, Gemüse- und Käseregalen zu kaufen. Kosmetikartikel, Tee, Kaffee und Bio-Weine ergänzen das Angebot, so dass die Kunden ihren kompletten Einkauf im Hofladen erledigen können.

Mercedes Hermann steht hier regelmäßig hinter der Ladentheke. Sie kennt das Geschäft noch aus der Zeit, als sie die Förderschule von Schloss Hamborn besuchte. „Ich habe hier als Schülerin ein längeres Praktikum gemacht“, sagt die 24-Jährige. Nach ihrer Schulzeit bekam sie eine Ausbildungsstelle, die auf ihre Behinderung angepasst war, und wurde anschließend übernommen. „Der Laden ist viel angenehmer als große Supermärkte“, findet die Verkaufshelferin. „Auch die Kunden sind viel offener und wollen mehr Beratung. So kommen wir viel mit ihnen in Kontakt, das ist schön.“

Vor zwei Jahren wurde das Geschäft umgebaut und modernisiert, die Verkäufe stiegen dadurch an. „Wir konnten den Umsatz durch diese Maßnahmen verdoppeln“, berichtet Gerd Bögeholz. 250 bis 300 Kunden kommen heute täglich in den Hofladen, neben den Bewohnern von Schloss Hamborn sind darunter auch viele Eltern. „Sie kaufen hier ein, wenn sie ihre Kinder zur Schule oder in den Kindergarten bringen“, erklärt der 47-Jährige. „Aber es gibt ebenso Kunden, die extra wegen des Ladens zu uns rausfahren, weil sie sich gesund ernähren und regional einkaufen wollen.“