Diese Fragen werden blinden Menschen besonders oft gestellt (Video-Tipp)

„Wie orientierst du dich in einer fremden Stadt?“
„Brauchst du im Alltag viel Hilfe?“
„Wie träumst du?“

So lauten einige der insgesamt über 70 Fragen, die Fabiana vor der Produktion ihres Videos von sehenden Menschen gestellt bekommen hat. In einem ihrer YouTube-Videos sortiert sie diese Fragen und antwortet darauf sehr offen, mit viel Humor und manchmal auch sehr sarkastisch. Denn die meisten Fragenden sind ehrlich interessiert, einige andere überschreiten für Fabiana aber Grenzen und werden sogar manchmal unhöflich.

Ein Beispiel: Die YouTuberin hat noch ein Prozent Sehkraft (damit gilt sie in Deutschland als blind) und gerät deshalb immer wieder in skurrile Situationen. So fragen sie manchmal Menschen, die sie gerade erst kennengelernt hat, ob sie weiter entfernte Gegenstände oder die Farbe ihrer Kleidung erkennen kann. Solche „Tests“ empfindet Fabiana als sehr übergriffig und erzählt in ihrem YouTube-Beitrag, wie sie damit umgeht. Außerdem gibt sie sehenden Menschen Tipps, wie und wann sie ihre Fragen zum Thema Sehbehinderung oder Blindheit am besten stellen sollten.

Hier ist das Video:

Fabiana antwortet in ihrem Video auf die Fragen von Sehenden und erklärt, welche davon sie übergriffig findet.



Mit Ohren, Nase und Gespür

Michael Wahl ist 38 Jahre alt und blind. Bis er 18 Jahre alt war, hatte er auf dem rechten Auge noch vier Prozent Sehkraft, heute ist es nur noch ein Prozent. Dieser vermeintlich kleine Unterschied bedeutete für ihn damals den Übergang von einer schweren Sehbehinderung hin zur Blindheit.

Wie er diesen Einschnitt erlebt hat und wie er sich heute in der Welt bewegt, hat Michael Wahl bis Ende Mai 2019 in der zeitlosen Kolumne „Von hier an blind“ für die Online-Ausgabe des Magazins der Süddeutschen Zeitung aufgeschrieben. In insgesamt acht Folgen berichtet der Autor von seinen Erfahrungen mit seiner Behinderung, davon, wie er andere Menschen wahrnimmt, von den Bereicherungen, die er durch seine Blindheit erfährt, aber auch von seinen Ängsten. Und er erzählt, welche Lösungen er sich immer wieder sucht, wenn er mit schwierigen Alltagssituationen konfrontiert ist.

In der fünften Folge der Kolumne, die wir für euch verlinkt haben, erklärt Michael Wahl, der als Referatsleiter im Sozial- und Gesundheitsministerium Rheinland-Pfalz arbeitet, wie seine Arbeitswelt funktioniert und welche App sein Leben revolutioniert hat.
(Spoiler: Es ist die App „Be My Eyes“, die Menschen ohne Sehbehinderung mit blinden oder stark sehbehinderten Menschen verknüpft. Das Konzept: Wenn jemand mit Sehbehinderung im Alltag auf ein Hindernis stößt und schnell mal die Hilfe eines Sehenden braucht, kann sie oder er über die App suchen, ob aus der sehenden Community gerade jemand in der Nähe ist und unterstützen kann.)




„Behinderung ist keine Verhinderung“

In Folge 4 der Serie war die Kommunikations- und Start-Up-Managerin Lina Maria Kotschedoff zu Gast. Sie ist fast blind und erzählt im Interview, wie sie im beruflichen und privaten Alltag mit dieser Behinderung umgeht – zum Beispiel, indem sie Apps wie Siri oder Whatsapp gezielt einsetzt. Für sie hat sich dadurch so etwas wie eine „Innovationsgewohnheit“ entwickelt, wie sie es nennt: Sie macht sich laufend bewusst, was sie im Alltag braucht und findet dafür immer wieder neue Lösungen.

Im Interview spricht sie unter anderem über das Ärgernis mit dem Begriff „normal“, über den Unterschied zwischen Unterstützung und Bevormundung, über Vielfalt und Inklusion in ihrem persönlichen Umfeld und über Hindernisse auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.




„Eine vermeintliche Einschränkung kann eine Bereicherung für alle sein“

Frau Roye, die Initiative Discovering Hands ist noch vergleichsweise jung, viele Frauen kennen die Tastuntersuchung durch eine Medizinisch-Taktile Untersucherin wie Sie noch nicht. Wie läuft so ein Termin bei Ihnen ab?

Für eine gründliche Tastuntersuchung nehme ich mir – abhängig von der Größe der Brust – 30 bis 50 Minuten Zeit. Ich beginne immer mit einer Anamnese, also einem Vorgespräch mit der Patientin. Das ist sehr wichtig, um mir einen Überblick über mögliche Risikofaktoren zu verschaffen. Ich frage die Patientin beispielsweise, ob sie sich einer längeren Hormontherapie unterzogen hat, ob Familienangehörige Brustkrebs haben oder hatten oder ob sie selbst schon einmal erkrankt war.
Während sie sitzt, führe ich schon eine erste Untersuchung durch, taste die Brust ab und untersuche die Lymphbahnen in den Achseln, am Schlüsselbein und am Hals. Anschließend legt sich die Patientin hin. Ich klebe dann fünf Spezialklebestreifen auf ihren Oberkörper, die eine Art Raster bilden. Daran orientiere ich mich bei der Untersuchung und kann die Brust damit zentimetergenau, in ganzer Breite und in allen Gewebetiefen abtasten.

Wie geht es danach weiter?

Ich arbeite in meinem Beruf sehr eng mit den Gynäkologinnen und Gynäkologen der jeweiligen Praxen zusammen und dokumentiere für sie meinen Befund ganz genau. Die Ärztinnen und Ärzte besprechen das Ergebnis dann mit der Patientin.
Wenn ich eine Veränderung oder einen Knoten im Drüsengewebe ertastet habe, teile ich das der Patientin schon während der Untersuchung behutsam mit. Wichtig ist aber, dass natürlich nicht jede Veränderung sofort bedeutet, dass sie an Brustkrebs erkrankt ist. Es gibt auch viele harmlose Befunde. Um das abzuklären, übernimmt der behandelnde Arzt oder die Ärztin die weitere Diagnostik und führt zum Beispiel eine Ultraschalluntersuchung der Brust durch. Wenn die Gewebeveränderungen dann immer noch unklar sind, werden der Patientin Gewebeproben entnommen.
Übrigens sprechen wir immer automatisch von „der Patientin“ – dabei können auch Männer an Brustkrebs erkranken. Sie dürfen die spezielle Früherkennungsuntersuchung durch eine MTU ebenfalls in Anspruch nehmen, denn unter den rund 70.000 neuerkrankten Menschen in Deutschland sind zwar nur ein Prozent Männer, aber bei ihnen wird ein Tumor in der Brust oft erst sehr spät entdeckt.

Wie haben Sie sich während der Ausbildung auf Ihren Berufsalltag vorbereitet? Sie mussten diese Untersuchungen ja bestimmt auch praktisch üben.

Ja, praktischer Unterricht gehörte natürlich auch dazu. Unsere Ausbilderin hat uns in den Übungen unter anderem gezeigt, wo und wie wir die Orientierungsstreifen anbringen und wie genau wir die Untersuchung durchführen müssen. Wir Kursteilnehmerinnen haben uns dafür im Unterricht gegenseitig untersucht, außerdem hatten wir Testpatientinnen, die sich zu Lernzwecken für die Untersuchung zur Verfügung gestellt haben.
Ein ebenso wichtiger Teil der Ausbildung ist natürlich auch das medizinische Fachwissen, das im theoretischen Unterricht vermittelt wird. Ich kenne beispielsweise die Anatomie der weiblichen Brust sehr genau, genauso wie die gut- und bösartigen Erkrankungen, die in diesem Gewebe auftreten können. Die medizinische Ausbildung dauert insgesamt neun Monate, danach absolviert jede MTU ein dreimonatiges Praktikum in einer gynäkologischen Praxis oder Klinik, um erste Erfahrungen zu sammeln.

Was ist für Ihren Beruf – außer eines ausgeprägten Tastsinns – noch wichtig?

Großes Einfühlungsvermögen und die Fähigkeit, ruhig und gut mit Menschen zu kommunizieren. Viele Patientinnen sind vor der Untersuchung aufgeregt und hoffen natürlich darauf, dass ich nichts finde und Entwarnung geben kann. Manche haben richtig Angst und brechen in Tränen aus. Ihnen muss ich dann ganz besonders zur Seite stehen. Aber auch für diejenigen, die sich keine so großen Sorgen machen, ist das eine sehr intime und oft ungewohnte Situation. Als MTU muss ich eine vertrauensvolle Atmosphäre schaffen, damit jede Patientin und jeder Patient sich nicht nur fachlich, sondern auch zwischenmenschlich gut aufgehoben fühlt.

Was mögen Sie besonders an Ihrer Arbeit?

Ich gehe gern mit Menschen um und freue mich, wenn ich ihnen helfen kann. In diesem Beruf kann ich die Arbeit von Ärztinnen und Ärzten sinnvoll ergänzen, indem ich meinen ausgeprägten Tastsinn einsetze. Das ist schon toll, weil ich so einen wichtigen Beitrag zur Krebsprävention leisten kann. Die Mediziner schätzen das sehr, und auch von den Patientinnen und Patienten bekomme ich viele positive Rückmeldungen. Ich freue mich einfach, die Dankbarkeit dafür mitzuerleben, dass es meinen Beruf gibt und ich damit etwas Gutes leisten kann.

Hat sich durch Ihre Arbeit als MTU ihre Einstellung dazu verändert, blind zu sein?

Ich finde, dass jeder Mensch auf seine Stärken setzen sollte. Eine vermeintliche Einschränkung wie meine Sehbehinderung kann eine Bereicherung für alle sein. Mein Beruf ist ein ganz besonders schönes Beispiel dafür und hat mich so immer mehr in meiner Haltung bestärkt. Ich pflege mit meinen Kolleginnen und Kollegen, egal, ob sehend oder blind, einen lockeren und tollen Umgang auf Augenhöhe. So sollte es ja eigentlich auch in allen Bereichen des Lebens sein: Man sollte eine Einschränkung gar nicht erst zu einer Behinderung machen oder werden lassen.




Individuelle Beratung für Menschen mit Behinderung im Beruf

Alltagshilfen, Rollstühle, Pflegehilfsmittel, Apps zur Kommunikation und unendlich vieles mehr – darum geht es vier Tage lang bei der REHACARE, einer großen internationalen Fachmesse zu den Themen Rehabilitation, Prävention, Inklusion und Pflege. Die Messe hat eine über 40-jährige Tradition und sendet damit immer wieder wichtige Impulse für Märkte, Wissenschaft und Politik. Der Schwerpunkt liegt dieses Jahr auf der Frage, wie Menschen mit einer Behinderung, einer chronischen Krankheit oder mit einer Pflegebedürftigkeit im Alter dabei unterstützt werden können, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Experten, Profis und Entscheider sind bei der REHACARE übrigens ebenso willkommen wie Menschen mit Behinderung und deren Angehörige!

Auch die Inklusionsämter des LVR (Landschaftsverband Rheinland) und LWL (Landschaftsverband Westfalen-Lippe) sind wieder mit einem gemeinsamen Messestand dabei. Im Themenpark „Menschen mit Behinderung und Beruf“ beraten sie individuell und ganztätig zu den Themen Übergang von der Schule in den Beruf, Kündigungsschutz, begleitende Hilfen im Arbeitsleben und Eingliederungshilfe. Zusätzlich können die Messebesucher viele Informationsmaterialien und Broschüren mitnehmen.

Blick auf den großen, hellen Eingangsbereich der Messe mit einem "WIllkommen"-Banner.
Foto: Messe Düsseldorf/ctillmann

Und: Dieses Jahr gibt es auch noch zwei Live-Stationen, an denen die beiden Landschaftsverbände in Kooperation mit dem Berufsförderungswerk Düren (BFW) zeigen, wie der Berufsalltag für Menschen mit Sehbehinderung funktioniert. An der ersten Station bereitet ein Koch mit Sehbehinderung vor Publikum leckere Speisen zu, die anschließend von den Gästen verkostet werden dürfen. Er benutzt dabei spezielle Utensilien und zeigt so, wie Kochen auch mit einer Sehbehinderung sicher und gekonnt funktionieren kann. Interessierte Besucher können sich das Küchenwerkzeug, das er dafür benutzt – beispielsweise Lupen, Schneidebretter und Messer – auch aus der Nähe anschauen.
An der zweiten Station bekommen die Besucherinnen und Besucher einen kleinen Einblick in die Erfahrung von Menschen mit Sehbehinderung: Sie können sich hier mit der Unterstützung von Reha-Trainerinnen und -Trainern durch einen Selbsterfahrungsparcours bewegen.





„Ich sehe mich als gleichwertig mit meinen Kollegen, wir unterstützen uns gegenseitig“

Herr Weinmann, viele Menschen können sich nicht vorstellen, wie Sie mit einer so starken Sehbehinderung im Berufsalltag zurechtkommen. Wie machen Sie das genau?

Da ich nicht blind bin, kann ich mir mit meiner Restsehkraft in vielen Situationen gut allein weiterhelfen. Und wenn es doch mal schwieriger wird, kann ich ganz auf die Unterstützung meiner sehr hilfsbereiten Kollegen zählen. Die stehen mir immer zur Seite, damit habe ich bisher also wirklich keine negativen Erfahrungen gemacht. Als Hilfsmittel nutze ich Taschenlupen und für die Arbeit am Computer stellt mir mein Arbeitgeber einen speziellen PC mit einem Lupenprogramm zur Verfügung. Das geht also alles ziemlich gut.

Es heißt, dass blinde oder fast blinde Menschen – also auch Sie – einen besonders ausgeprägten Tastsinn haben. Stimmt das oder ist das ein Klischee?

Ich glaube nicht, dass das ein Klischee ist. Wenn eine Sinneswahrnehmung ausfällt, kann der Körper dieses Defizit ja bekanntlich mit anderen Funktionen kompensieren. Nehmen Sie das Beispiel der Blindenschrift: Wenn ein Sehender versucht, die einzelnen Punkte der Schrift zu ertasten, ist das für ihn sehr schwer und dauert sehr lange. Schaut man dagegen einem blinden Menschen beim Lesen der Schrift zu, kann man nur staunen, mit welcher Geschwindigkeit er einen Text bewältigt und versteht. Das ist bei mir nicht anders, Tasten ist auf jeden Fall meine Stärke.

Setzen Sie das auch in Ihrem Beruf ein?

Ja, natürlich! Als Physiotherapeut muss ich ja mit den Händen und Fingern Veränderungen im Gewebe erspüren. Da sehe ich mich durch meinen ausgeprägteren Tastsinn im Vorteil gegenüber Kollegen, die keine Sehbehinderung haben. Das haben die mir auch schon oft bestätigt.

Sie konkurrieren also mit Ihren Kollegen ohne Sehbehinderung?

Nein, in meinem Beruf im Krankenhaus nicht direkt. Ich sehe mich als gleichwertig mit meinen Kollegen, wir unterstützen uns gegenseitig. Wo ich besser tasten kann, können sie besser sehen und damit andere Anforderungen des Berufs einfacher bewältigen – und mich wiederum dabei unterstützen. Das ist ein sehr harmonisches Miteinander.

Ihre Sehbehinderung bringt in Ihrem Beruf also sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich. Wie äußert sich das im Alltag?

Zum Beispiel an meinem Einsatzgebiet im Krankenhaus. Das ist aktuell auf eine Station reduziert, weil mir in anderen Gebäudeteilen die Orientierung schwerfällt und diese dort erst noch trainieren muss. Ein großer Vorteil ist wiederum, dass mir wegen meiner Behinderung finanzielle Förderungen des für meinen Wohnort zuständigen Inklusionsamtes zustehen. Dadurch konnte ich schon einige Fortbildungen besuchen, die sonst viel Geld kosten und eher schwer zu finanzieren sind. Diese Möglichkeit haben viele Kollegen so nicht.

Auf der RehaCare-Messe im Jahr 2010 haben Sie unter anderem eine Massage-Station aufgestellt und den vorbeilaufenden Besucherinnen und Besuchern Nackenmassagen angeboten. Abgesehen davon, dass Sie damit eine Kostprobe Ihrer beruflichen Fähigkeiten gegeben haben: Welche Botschaft wollten Sie mit dieser Aktion vermitteln?

Ich wollte allen Besuchern der Messe zeigen, dass ein Mensch mit Behinderung ein genauso leistungsfähiger Mitarbeiter oder Kollege sein kann wie jemand ohne Handicap, wenn nur die Voraussetzungen stimmen. Und ich wollte anderen Menschen mit Behinderung Mut machen, ihren beruflichen Weg zu gehen und sich nicht von ihrer Behinderung davon abhalten zu lassen. Dafür habe ich auch gutes Feedback bekommen. Neben der Massagestation habe ich auf einer der Messe-Bühnen zusammen mit den Besucherinnen und Besuchern ein kleines Übungsprogramm für den Rücken durchgeführt – auch das kam sehr gut bei den Teilnehmern an. Viele hätten mir das vorher nicht zugetraut.

Sie sind jetzt im September auf einer weiteren Veranstaltung mit dabei, der Fachmesse ZukunftPersonal dabei. Was dürfen die Besucherinnen und Besucher dieses Mal von Ihnen erwarten – und was erhoffen Sie selbst sich von der Messe?

Ich habe dort wieder meinen Stand mit der Massagestation, da muss ich den Vorgaben folgen. So komme ich aber auch am allerbesten mit Besucherinnen und Besuchern ins Gespräch. Das ist einer der Hauptgründe, warum ich das mache: Ich möchte mit den Leuten über das Thema Inklusion und Menschen mit Behinderung reden und dabei aus der Sicht eines Betroffenen sprechen – auch, um Vorurteile auszuräumen.






Wie werden Menschen mit Sehbehinderung in NRW an ihrem Arbeitsplatz unterstützt?

In Nordrhein-Westfalen sind vor allem der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) und der Landschaftsverband Rheinland (LVR) dafür zuständig, die Leistungen für Menschen mit Behinderungen zu bündeln und zu organisieren. Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Sehbehinderung sind die so genannten Integrationsfachdienste im gesamten Bundesland gute erste Anlaufstellen, ebenso wie die Hilfsmittelberatungsstellen der beiden Berufsbildungswerke in Soest und in Düren. In Westfalen-Lippe gibt es darüber hinaus eine Einrichtung, deren Experten speziell blinde und sehbehinderte Berufstätige beraten und sie dabei unterstützen, entsprechende Leistungen am Arbeitsplatz zu beantragen: Den Fachdienst für Menschen mit Sehbehinderung beim LWL-Inklusionsamt Arbeit. Wir stellen das Angebot in diesem Artikel vor.

(Tipp für Leser aus dem Rheinland: Am Ende des Textes haben wir einige Informationen zu den Anlaufstellen für Menschen mit Sehbehinderungen aus dieser Region zusammengestellt.)


Welche Aufgaben hat der Fachdienst für Menschen mit Sehbehinderung, der an das LWL-Inklusionsamt Arbeit in Westfalen-Lippe angedockt ist? 

Beim Fachdienst arbeiten interne und externe Experten zusammen. Ihre Aufgabe ist es, berufstätige Menschen mit Sehbehinderungen aus Westfalen-Lippe an ihren Arbeitsplätzen zu unterstützen, damit diese so eigenständig wie möglich arbeiten können. Wenn auf eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter in einem Betrieb zum Beispiel neue Aufgaben zukommen, kann der Fachdienst zusammen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei den Integrationsfachdiensten dabei helfen, diese so zu gestalten, dass das gewünschte Ziel auch mit einer Seheinschränkung erreicht werden kann. Wenn jemand einen Job ganz neu beginnt, helfen die Experten außerdem dabei, den Arbeitsplatz von vornherein barrierefrei zu gestalten. Sie betreuen jeden Fall ganz individuell, informieren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer etwa über neue Hilfsmittel, beraten sie oder geben Schulungen. Im Zuge der NRW-weiten Initiative „Schule trifft Arbeitswelt“ (STAR) helfen sie auch Schülerinnen und Schülern kurz vor dem Abschluss dabei, ein Praktikum zu finden und sich für einen Beruf zu entscheiden. Das STAR-Angebot gilt übrigens auch für junge Menschen im Rheinland. Allerdings gibt es dort keinen eigenen Fachdienst für Menschen mit Sehbehinderung.

Wer hat Anspruch auf die Leistungen der Fachdienste – und wie wird festgestellt, welchen Unterstützungsbedarf eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer mit Sehbehinderung hat?

In Westfalen-Lippe können sich grundsätzlich alle (angehenden) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einer nachweislichen Sehbehinderung direkt an den Fachdienst wenden, um Unterstützung zu beantragen. Bevor es mit konkreten Maßnahmen losgeht, wird erst einmal das Sehvermögen der Person geprüft, die die Hilfe beantragen möchte. Anschließend wird die aktuelle Arbeitssituation genau begutachtet und dokumentiert. Auf dieser Grundlage ermitteln die Experten dann, welche Hilfsmittel nötig sind, damit die Arbeit ohne Barrieren erledigt werden kann.

Inwiefern können die Arbeitnehmer ebenso wie die Arbeitgeber mit entscheiden, was wie umgesetzt wird – wie stark sind diese beiden also in die Umgestaltung eines Arbeitsplatzes und in eventuelle Fördermaßnahmen involviert?

Sämtliche Lösungen werden immer gemeinsam mit dem Menschen mit der Sehbehinderung entwickelt, der die Hilfe beantragt hat. Damit sie oder er selbstständig arbeiten kann, muss einerseits eine gewisse Bereitschaft da sein, etwas zu verändern, zugleich muss sie oder er sich mit den Neuerungen natürlich auch wohlfühlen. Die Expertinnen und Experten des Fachdienstes beim LVR-Inklusionsamt und den Integrationsfachdiensten nehmen sich daher viel Zeit, um die Personen, die sie unterstützen, sowie deren Bedürfnisse und deren Fähigkeiten genau kennenzulernen. Erst dann kann ein Arbeitsplatz passend individuell umgestaltet werden. Es werden nie einfach nach standardisierten Vorgaben zum Beispiel technische Hilfsmittel empfohlen. Jeder Fall wird einzeln betrachtet – mit dem Ziel, eine optimale Lösung für alle Beteiligten zu finden, also auch für die Arbeitgeber.

Wie lange dauert die Umgestaltung oder Anpassung eines Arbeitsplatzes ab dem Erstkontakt?

Das kann von Fall zu Fall stark variieren. Wenn es ganz besonders eilig ist, zum Beispiel, weil sich die Sehfähigkeit eines Menschen plötzlich verschlechtert hat, bemühen sich die Experten natürlich sehr, möglichst unbürokratisch und schnell zu agieren. Dazu gibt es einen Hilfsmittelpool bei den beiden Berufsbildungswerken in Soest (Westfalen-Lippe) und Düren (Rheinland), aus dem in solchen Fällen geschöpft werden darf, so dass technische Hilfen auch mal sehr kurzfristig zur Verfügung gestellt werden können. Normalerweise werden solche Hilfen aber langfristig geplant und beantragt, so dass der gesamte Prozess inklusive des Antrags, der Feststellung des Bedarfs, dem Umbau des Arbeitsplatzes und den nötigen Schulungen mehrere Wochen dauern kann.

Was sind typische Hilfsmittel, mit denen die Voraussetzungen am Arbeitsplatz besonders schnell und einfach verbessert werden können?

Das sind vor allem technische Geräte wie größere Monitore, Monitor-Schwenkarme, Kamera-Lesegeräte, Großschrift-Programme, Braillezeilen, spezielle Leuchten und optische Hilfen, aber auch Tablets mit Lupenfunktion. Wichtig ist nichtsdestotrotz eine intensive und ganzheitliche Schulung zum fachgerechten Umgang mit diesen Geräten. Dabei helfen die so genannten Hilfsmittelspezialisten bei den beiden Berufsbildungswerken. Sie üben mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ausgiebig ein, wie ein Hilfsmittel benutzt werden muss – und daraus entsteht dann meist schnell eine viel größere Barriere- und Bewegungsfreiheit am Arbeitsplatz.

Wohin können sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einer Sehbehinderung aus dem Rheinland wenden, für die der Fachdienst in Westfalen-Lippe nicht zuständig ist?

Die ersten Anlaufstellen im Rheinland sind, wie in Westfalen-Lippe auch, die örtlichen Integrationsfachdienste. Die Ansprechpartner dort beraten und helfen auch bei Fragen zu Kosten, Zuschüssen oder Schulungen weiter. Bei Bedarf stellen sie den Kontakt zu technischen Experten her, die für die behinderungsgerechte Arbeitsplatz-Gestaltung sorgen. Zu diesem Thema berät im Rheinland in erster Linie der technische Beratungsdienst des dortigen LVR-Inklusionsamtes, und zwar sowohl Unternehmen als auch schwerbehinderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das Ganze ist kostenlos. Auch die Hilfsmittelberatungsstelle beim Berufsförderungswerk Düren im Rheinland ist ein guter Ansprechpartner für eine Erstberatung. Wer möchte, kann sich aber auch von spezialisierten Optikerinnen oder Orthoptisten in vielen Augenarztpraxen in der Region beraten lassen. Tipp: In der Broschüre „Sehbehinderung im Beruf“ hat der LVR seine Unterstützungsangebote für betroffene Menschen und Arbeitgeber kompakt zusammengefasst.