„Wer sich nicht divers aufstellt, findet keine guten Leute mehr“

Viele Firmen werben inzwischen damit, dass sie sich vielfältig aufstellen und mit diversen Teams arbeiten möchten. Einige von ihnen haben so genannte Diversitätsbeauftragte angestellt, die sich um dieses Thema kümmern und die Führungskräfte dazu beraten sollen.

Das Problem aus der Sicht von Laura Gehlhaar, die seit mehr als zehn Jahren mit Rollstuhl lebt: Oft sind die Menschen an den Spitzen der Firmen – ebenso wie die Beauftragten für das Thema Vielfalt – weiße Männer ohne Behinderung.

Die 37-Jährige kritisiert in dem SZ-Interview aber nicht nur, was alles schiefläuft. Sie gibt auch Anregungen, wie Inklusion in Unternehmen und in der Gesellschaft besser gelingen kann. Genau darüber haben wir mit ihr vor gut drei Jahren übrigens auch schon für unseren eigenen Blog gesprochen.




Mit den Fingern lesen: 7 Fragen und Antworten zur Brailleschrift

#1: Was ist Brailleschrift?

Braille ist eine taktile (also tastbare) Punktschrift. Die
Schriftzeichen sind aus kleinen, erhabenen Punkten zusammengesetzt, die von der
Rückseite aus in das Papier gedrückt sind. Blinde und Menschen mit Sehbehinderung
können diese Punkt-Buchstaben mit den Fingern ertasten und so Texte oder ganze
Bücher lesen.


#2: Hat die Brailleschrift die gleichen Buchstaben wie
das moderne lateinische Alphabet?

Ja, für jeden Buchstaben des Alphabets gibt es in der Brailleschrift eine Punktkombination. Das Raster, nach dem die Punkte angeordnet sind, wird oft mit einem senkrecht stehenden Eierkarton verglichen: Es gibt zwei Spalten und drei Reihen. Also können höchstens zwei Punkte nebeneinander und drei übereinander stehen. Pro Braillezeichen werden in diesem Raster nur an bestimmten Stellen Punkte platziert. Je nach Kombination ergeben sich daraus verschiedene Buchstaben, Umlaute und Satzzeichen.


#3: Gibt es die Blindenschrift auch in anderen Sprachen?

Alle Sprachen, für die es Schriftzeichen gibt, können auch in
Brailleschrift dargestellt werden. Sie wird von blinden Menschen auf der ganzen
Welt benutzt – zum Beispiel gibt es ganz eigene Punktkombinationen für das
russische Alphabet, für chinesische Schriftzeichen und für die Umlaute oder
andere Sonderzeichen der verschiedenen europäischen Sprachen. Sie alle werden immer
in dem einfachen Sechs-Punkte-Raster dargestellt, das Louis Braille entwickelt
hat.


#4: Wo gibt es Bücher in Brailleschrift zu kaufen oder zu leihen?

In Deutschland bieten mehrere große Bibliotheken verschiedene Bücher und Noten in deutscher Blindenschrift, aber auch Hörbücher oder Hörfilme zum Leihen oder Kaufen an. Drei Beispiele sind das Deutsche Zentrum für barrierefreies Lesen (dzb lesen), der Verein „Norddeutsche Hörbücherei“ und das Bundesweite Kompetenzzentrum für Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung (blista). Sie alle verschicken Leihbücher auch an blinde Leserinnen und Leser, die weiter weg wohnen. Übrigens befördert die Deutsche Post Briefe und Päckchen mit Literatur in Brailleschrift bis zu einem Gewicht von sieben Kilogramm kostenlos.


#5: Sind Bücher in Brailleschrift größer als Bücher in
gedruckter Schrift?

Ja, weil Braillezeichen viel höher und breiter sind als „Schwarzschrift“, wie gedruckte Buchstaben von Braille-Nutzerinnen und -Nutzern genannt werden. Punktschriftzeichen müssen deshalb in größerem Abstand zueinander stehen. Für ein Buch in Brailleschrift wird auch dickeres Papier benötigt, damit die Punkte erhaben genug und damit gut zu ertasten sind. Bücher in Blindenschrift sind also deutlich größer und schwerer als Bücher, in denen die gleichen Texte in Schwarzschrift abgebildet sind. Ein Beispiel: Das erste Buch der Harry-Potter-Reihe in Brailleschrift umfasst vier dicke Bände. Wie ein Braille-Buch entsteht, könnt ihr übrigens bei der Schweizerischen Bibliothek für Blinde, Seh- und Lesebehinderte nachlesen.


#6: Wie lesen und arbeiten blinde Menschen ohne Papier –
also am Computer oder mit dem Smartphone?

Am Computer wird meist eine Braillezeile verwendet, auch
Brailledisplay genannt. Das flexible Gerät übersetzt mit einer speziellen
Software den Text auf dem Bildschirm in Punktschrift. Dem jeweiligen
Punkteraster entsprechend springen auf der Braillezeile kleine Stifte nach oben.
So können Blinde Texte lesen und im Internet surfen. Manche Menschen lassen
sich den Text, der gerade auf dem Bildschirm zu sehen ist, auch gleichzeitig über
eine sogenannte Screenreader-Software vorlesen. Damit funktioniert übrigens
auch das Lesen auch auf dem Smartphone.


#7: Wie entstehen selbst geschriebene Brailletexte?

Wenn ein Text vom Computer auf Papier übertragen werden
soll, kann dafür ein Brailledrucker verwendet werden, der einfach mit einem
Kabel angeschlossen wird. Eine Software übersetzt den getippten Text in
Braillezeichen, der Drucker prägt die Punkte ins Papier. Darüber hinaus gibt es
auch mechanische und elektrische Braille-Schreibmaschinen. Sie sehen so ähnlich
aus wie die Apparate, mit denen früher Texte in Schwarzschrift auf Papier
getippt wurden. Eine Braille-Schreibmaschine hat allerdings nur sieben Tasten: Je
eine für die insgesamt sechs Punkte, mit denen Buchstaben verschlüsselt werden
können, und eine Leertaste.





„Masking“ überflüssig machen: Wie ein barrierefreies Arbeitsumfeld für Menschen mit Autismus aussehen kann

Blickkontakt herstellen, lächeln, die Augenbrauen kurz anheben: Diese Gesichtsausdrücke verwenden viele nicht-autistische Menschen ganz selbstverständlich, wenn sie ihrem Gegenüber signalisieren möchten, dass sie ein Gespräch beginnen wollen. Menschen im Autismus-Spektrum können diese nonverbalen Zeichen intuitiv aber nicht deuten und setzen sie selbst auch nicht ein. Um nicht aufzufallen, ahmen deshalb viele autistische Menschen die Mimik oder Gesten nach, die sie bei ihren Mitmenschen beobachtet haben. Diese Anpassung wird „Masking“ (übersetzt: „Maskierung“) genannt.

In diesem Beitrag des Online-Magazins zett.de erzählen Menschen mit Autismus von ihren Erfahrungen damit, sich auf diese Weise besser in ihr Umfeld einzufügen. Sie erklären, wann und warum sie Masking einsetzen und wie es ihnen damit geht. Und sie machen Vorschläge, wie nicht-autistische Freunde und Kollegen sie unterstützen können, damit das Masking vielleicht eines Tages aus dem Privat- und Berufsleben autistischer Menschen verschwindet.




Sport für alle: Interview mit der Sportlotsin Linda Bull

Frau Bull, was genau macht eine Sportlotsin?

Meine Aufgabe ist es, Vereine mit Sportlerinnen und Sportlern mit Behinderung zusammenzubringen. Ich weise ihnen sozusagen den Weg zueinander – daher auch die Bezeichnung „Sportlotsin“. Außerdem motiviere ich Menschen mit Behinderung, die noch unsicher sind, ob sie überhaupt Sport treiben können. Manche sehen nämlich nur die Profisportlerinnen und -sportler im Fernsehen und denken: ‚So schnell kann ich nicht laufen, das ist nichts für mich‘. Ich zeige ihnen, dass Sport auch ganz leicht sein und Spaß machen kann.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Ich verknüpfe Menschen mit Behinderung, die Sport machen möchten, oder ihre Betreuerinnen oder Betreuer mit einem passenden Verein. Sie rufen mich an und wir sprechen darüber, was sie sich wünschen – und ich überlege, was gut passen könnte. Häufig melden sich auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Stiftung, die für eine Wohngruppe ein Angebot suchen. Und wenn es im jeweiligen Stadtteil noch keine inklusive Sportgruppe gibt, versuche ich, gemeinsam mit einem Verein vor Ort etwas Neues auf die Beine zu stellen.
Manchmal besuche ich auch Menschen in ihren Wohngruppen, die geistige und schwere körperliche Behinderungen haben und deshalb nicht so einfach an einem externen Sportkurs teilnehmen können. Ich zeige ihnen und ihren Betreuerinnen und Betreuern einige Übungen und Spiele, die sie auch zu Hause in ihrem Wohnbereich machen können und für die sie nur ein paar Alltagsgegenstände brauchen. Manchmal reichen schon kleine Wattebäusche und Luftballons, die über den Tisch gepustet oder geworfen werden, oder eine Papierkugel, die über einen Stift gerollt wird. Oder wir spielen Kommando Pimperle. Jede Bewegung ist gut für den Körper und für das Selbstbewusstsein.

Was bieten Sie sonst noch an?

Es gibt bei uns zum Beispiel Freizeitsportgruppen für Einsteiger. Dort probieren wir jede Woche verschiedene Sportarten aus, spielen Fußball und Basketball und balancieren über Sportgeräte. Wenn sich dabei herausstellt, dass jemand besonders viel Spaß am Fußball oder an einer anderen Sportart hat, versuchen wir anschließend, eine passende Mannschaft zu finden. Wenn er oder sie viel Talent hat und es sich zutraut, kann das natürlich auch ein fortgeschrittenes Team sein.
Darüber hinaus unterstützen wir Menschen mit Behinderung auch dabei, Wege zu finden, wie Mitgliedsbeiträge für Vereine oder Sportgruppen finanziert werden können. Wenn sie etwa in einer Einrichtung leben und Sozialleistungen beziehen, sind 20 oder 30 Euro im Monat oft kaum zu stemmen. Viele haben aber zum Beispiel einen Anspruch auf Reha-Sport, über den sich die Kosten oft auffangen lassen. Außerdem fördert der Hamburger Sportbund inklusive Kurse. Darauf weisen wir Vereine hin, wenn sie neue Angebote für Menschen mit Behinderung schaffen.

Eine Gruppe Menschen mit verschiedenen Behinderungen beim Sport in einer Turnhalle.
Foto: Aktion Mensch/Dominik Buschardt

Entstehen aus Freizeitangeboten manchmal auch inklusive Mannschaften in den Vereinen?

Ja, das entwickelt sich durchaus so. Das ist aber nicht unser Hauptziel. Inklusion bedeutet für uns, dass wir es jeder und jedem ermöglichen, ganz zwanglos Sport zu treiben, ganz egal, ob das in einer festen Gruppe oder Mannschaft geschieht. Manchmal fühlt sich jemand mit Behinderung in einem Team sogar eher unsicher, in dem auch Menschen ohne Behinderung spielen. Dann ist es besser, wenn sie oder er erst einmal zusammen mit der Wohngruppe oder mit Freunden trainieren und dabei einfach Spaß haben kann.

An wen genau richtet sich Ihr Angebot?

Wir unterstützen grundsätzlich alle, die Sport treiben möchten und bei uns anfragen. Unsere Hauptzielgruppe sind im Alltag aber Erwachsene mit geistiger Behinderung, weil sie am häufigsten in den Arbeits- und Wohngruppen der Stiftung leben und arbeiten.

Worauf kommt es in Ihrem Beruf an?

Ich muss immer sehr lokal denken und planen. Je nach Behinderung können manche Menschen nicht so ohne Weiteres zum Training in einen anderen Stadtteil fahren. Damit ich sie gut beraten und etwas Passendes anbieten kann, ist Netzwerkarbeit also sehr wichtig. Viele Vereine kommen aber inzwischen schon von selbst auf mich zu und fragen, wie sie neue Angebote für Menschen mit Behinderung schaffen könnten. Das freut mich und mein Team natürlich sehr. Ich gebe dann Tipps und stelle den Kontakt zu unseren Einrichtungen her, die in der Nähe liegen und für die es vielleicht noch keine lokale Sportgruppe gibt.

Worauf müssen Vereine achten, die Sport für Menschen mit Behinderung anbieten möchten?

Die Trainerinnen und Trainer sollten gut mit Menschen umgehen können und einfühlsam sein. Eine pädagogische Ausbildung brauchen sie nicht. Kleine Gruppen mit bis zu zehn Leuten sind zu empfehlen, wobei die Gruppengröße natürlich auch vom jeweiligen Angebot abhängt. Wenn Menschen mit körperlichen Behinderungen in den Sportgruppen sind, müssen der Sportraum und die Umkleiden natürlich barrierefrei zugänglich sein. Zu all dem beraten wir die Vereine aber sehr gern.






Reisen mal anders: Der Blog von Natalie Dedreux

Natalie Dedreux möchte Journalistin werden. Die junge Frau arbeitet für das Magazin Ohrenkuss, für das nur Menschen mit Down-Syndrom schreiben, und hat ein Praktikum beim Deutschlandfunk gemacht. Sie hat auch einen eigenen Blog, auf dem sie regelmäßig Texte über politische Themen, ihren Alltag und ihre Reisen veröffentlicht. „Das Leben mit Down-Syndrom ist cool“, schreibt sie. Das möchte sie mit ihrem Blog und ihrem Instagram-Account (erst nach Login bei Instagram aufrufbar) auch Menschen ohne Down-Syndrom zeigen.

Wie viele andere Menschen auch musste Natalie Dedreux wegen der Corona-Pandemie ihre geplanten Reisen in diesem Jahr absagen. In früheren Blogbeiträgen könnt ihr aber nachlesen, was sie in den vergangenen Jahren erlebt hat. Sie erzählt von einer Safari und einem Kochkurs in Südafrika, einem Kunstprojekt in der Ukraine und einem Hängemattentest in Berlin. Unser Tipp gegen Fernweh!




Stand-up im Rollstuhl: der Comedian Tan Çaglar (Radiobeitrag)

Tan Çaglar konnte über seine Behinderung lange Zeit weder lachen noch Witze machen. Er hat eine angeborene Erkrankung des Rückenmarks, die sich seit seiner Kindheit langsam verschlechtert hat. Bis er 22 Jahre alt war, konnte er laufen und spielte gerne Fußball. Als das nicht mehr ging, traf ihn das sehr hart. Er entwickelte eine Depression.
Der Journalist Wolf Eismann widmet dem Comedian in der ARD-Audiothek ein 25-minütiges Audio-Feature. In Interview-Einspielern erzählt Tan Çaglar von seinem Leben, warum er mit Ende 30 Comedian geworden ist, wie er seine Depression überwunden hat und was er über Inklusion denkt.

Zwischen den Interview-Ausschnitten und Moderationen werden außerdem immer wieder Auszüge aus Tan Çaglars erstem Bühnenprogramm „Rollt bei mir“ eingespielt – inzwischen ist er mit seinem zweiten Programm „Geht nicht? Gibt’s nicht!“ auf Tournee.




8 Fragen und Antworten zur Leichten Sprache

#1: Was ist die Leichte Sprache?

Die Leichte Sprache ist eine leicht verständliche Sprache, die geschrieben und auch gesprochen werden kann. Sie ist vor allem für Menschen mit Lernschwierigkeiten gedacht (früher: „Menschen mit geistiger Behinderung“), die Texte in der (schwierigeren) Alltagssprache nicht oder nicht gut lesen und verstehen können.


#2: Gibt es feste Regeln für die Leichte Sprache?

Ja, es ist genau festgelegt, wie Texte in Leichter Sprache geschrieben werden sollen. Die wichtigsten Regeln sind: Sätze sollen kurz sein und keine Fach- oder Fremdwörter enthalten. Zusammengesetzte Wörter werden getrennt geschrieben und mit einem Bindestrich oder einem Punkt verbunden, zum Beispiel „Bundes-Regierung“ oder „Bundes·regierung“. Außerdem sollten möglichst viele Fotos und Bilder verwendet werden, die beim Verstehen helfen.


#3: Sind Leichte Sprache und Einfache Sprache dasselbe?

Nein, die beiden Sprachformen sind unterschiedlich anspruchsvoll. Die Leichte Sprache entspricht dem Level A1 des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen – also ungefähr einem Anfängerkurs für Menschen ohne Deutschkenntnisse. Die Einfache Sprache liegt zwischen der Leichten Sprache und der Alltagssprache, sie entspricht ungefähr dem Level A2/B1 (Anfänger mit Vorkenntnissen/Fortgeschrittene). Sie ist für Menschen gedacht, die aus verschiedenen Gründen mit dem Lesen und Schreiben Probleme haben.


#4: Welche Texte gibt es in Leichter Sprache?

Viele öffentliche Einrichtungen und Institutionen, zum Beispiel die Deutsche Bundesregierung, veröffentlichen Informationen in Leichter Sprache auf ihren Internetseiten oder in Broschüren. Es gibt aber auch viele Bücher mit Geschichten, die in die Leichte oder die Einfache Sprache übertragen wurden, zum Beispiel hier oder hier.


#5: Gibt es auch andere Sprachen in vereinfachter Form, zum Beispiel Leichtes Englisch?

Ja, viele europäische Sprachen gibt es auch in einer vereinfachten Form. Leichtes Englisch heißt zum Beispiel „Easy to read“ (Übersetzung: „Leicht zu lesen“) und wird in den USA und in Großbritannien verwendet. Auch in Frankreich, den Niederlanden, Skandinavien und vielen weiteren Ländern ist die Leichte Sprache schon lange anerkannt.


#6: Wie entstehen Texte in Leichter Sprache?

Ähnlich wie für Fremdsprachen gibt es auch für die Leichte Sprache Übersetzerinnen und Übersetzer. Sie werden von Institutionen, Organisationen oder Verlagen beauftragt. Bevor sie anfangen, einen Text in die Leichte Sprache zu übertragen, fassen sie den Inhalt grob zusammen. Dabei achten sie vor allem darauf, welche Informationen für Menschen mit Lernschwierigkeiten besonders wichtig sind und was wegfallen kann, damit der Text in Leichter Sprache nicht zu lang wird. Für ein gutes Ergebnis besprechen die Übersetzerinnen und Übersetzer die wichtigen Inhalte am besten mit Prüferinnen und Prüfern für Leichte Sprache (siehe #7).


#7: Woher wissen die Übersetzerinnen und Übersetzer, wann Menschen mit Lernschwierigkeiten einen Text gut verstehen können?

Wenn ein Text in die Leichte Sprache übertragen wurde, lesen ihn anschließend Prüferinnen und Prüfer mit Lernschwierigkeiten. Sie kontrollieren, wie gut die Übersetzung ist. Verstehen sie einen Satz oder den ganzen Text nicht, müssen die Übersetzerinnen und Übersetzer ihn noch einmal überarbeiten.


#8: Gibt es auch Kritik am Konzept der Leichten Sprache?

Ja, einige Politiker und Journalistinnen haben zum Beispiel kritisiert, dass bei der Übertragung in die Leichte Sprache Inhalte weggelassen oder zu stark vereinfacht erklärt werden. Oft kennen sich Kritikerinnen und Kritiker aber gar nicht richtig mit der Leichten Sprache aus: Sie wissen nicht, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten genau diese Vereinfachungen brauchen, um einen Text überhaupt zu verstehen.





Kurzfilm-Tipp: „Unbehindert arbeiten. Wie Menschen mit Behinderung ihre Berufsziele erreichen“

Sreco Dolanc hat den Beruf, in dem er schon immer arbeiten wollte. Der gehörlose Mann besuchte in seinem Herkunftsland Slowenien eine Schule für pharmazeutische Technik und ist heute in einer Apotheke in Wien angestellt. Im Film „Unbehindert arbeiten“ (Youtube-Link) erzählt er von seinem Weg und den Schwierigkeiten und Vorurteilen, die ihm dabei begegnet sind. Auch seine Chefin Karin Simonitsch kommt zu Wort und erklärt, warum Inklusion nicht nur gesellschaftlich wichtig ist, sondern auch ein Gewinn für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sein kann.
Der Regisseur Stefan Bohun und der Filmemacher Gregor Centner haben noch zwei weitere Menschen getroffen und interviewt – neben Sreco Dolanc auch Anna Haunlieb, eine Platzanweiserin im Wiener Konzerthaus, oder den gelernten Koch Patrick Idinger, der heute als Friseurmeister einen eigenen Betrieb leitet.

Aus diesen drei Begegnungen ist dieser schöne, 20-minütige Film entstanden:

Der Kurzfilm „Unbehindert arbeiten“ von Stefan Bohun und Gregor Centner erzählt von drei Menschen, die ihren beruflichen Weg gefunden haben.



Podcast-Tipp: „Kleinwüchsige schenken Kurze aus“

Wer in den vergangenen Jahren gerne Festivals besucht hat, kennt vielleicht die „MiniBar“: An einer 80 Zentimeter hohen Theke servieren die drei kleinwüchsigen Männer Peter Brownbill, Peter Gatzweiler und Frank Ramirez Schnäpse – also „Kurze“. Unter ihrem Künstlernamen „TimeBandits“ bieten sie außerdem für Veranstaltungen eine „MiniSecurity“ und Comedy-Auftritte an.
Die Idee der Bar finden viele lustig und gut aber nicht alle. Der Bundesverband Kleinwüchsige Menschen und ihre Familien (BKMF) kritisiert, das Geschäftsmodell der „TimeBandits“ bediene ein veraltetes Bild von Menschen mit Behinderung und diskrimiere andere Kleinwüchsige.

Die Autorin Anke van de Weyer hat die drei Künstler und Michel Arriens vom BKMF dazu interviewt. Daraus ist eine tolle Audio-Reportage für den Deutschlandfunknova-Podcast „Einhundert“ entstanden über berufliche Selbstbestimmung, Provokation, Diskriminierung, den schmalen Grat dazwischen und die damit verbundenen Grundsatzfragen. Unser Fundstück der Woche!




Vom privaten Nähprojekt zum inklusiven Modelabel

Sandra und Christian Brunner, was ist das Besondere an Ihrem Label „einzigNaht“?

Sandra Brunner (SB): Wir verkaufen handgemachte, maßgeschneiderte Kleidung für Kinder mit körperlichen Behinderungen oder chronischen Erkrankungen. Manche dieser Babys und Kinder können Bodys oder Pullis von der Stange nämlich nicht tragen, weil sie besondere Körpermaße haben, ein stabilisierendes Hilfsmittel wie eine Orthese brauchen oder über eine Magensonde ernährt werden. Für viele Eltern ist es eine sehr große zusätzliche Herausforderung, passende Kleidungsstücke für ihre Kinder zu finden. Das möchten wir ändern.

Christian Brunner (CB): Wir nähen deshalb Kleidung, die ganz individuell an die Bedürfnisse des einzelnen Kindes angepasst und dabei so gestaltet wird, dass Schläuche oder andere Hilfsmittel nicht zu sehen sind. Wir möchten die Funktion eines Kleidungsstücks nämlich auch immer mit einem schönen Design verbinden, denn auch für Kinder stiftet die Kleidung Identität. Die klassische Reha-Kleidung sieht oft sehr funktional und medizinisch aus. Das strahlt nicht sonderlich viel Lebensfreude aus. Für unsere einzigNaht-Kleidung haben wir daher ganz bewusst fröhliche und kindgerechte Stoffe ausgesucht.

Wie kam Ihnen die Idee zu Ihrem Start-up?

SB: Das Projekt ist eigentlich aus der Not heraus entstanden. Wir brauchten selbst individuelle Kleidung für unsere heute vierjährige Tochter Laura. Sie hat das seltene Williams-Beuren-Syndrom und ist dadurch so zierlich, dass wir nichts Passendes für sie finden konnten. Alles schlackerte an ihr herum und Laura hat sich sehr unwohl gefühlt. Vor gut drei Jahren habe ich mir eine Nähmaschine gekauft und angefangen, selbst Bodys, Hosen und Pullis für sie zu nähen. Die Stücke sprangen auch anderen Eltern ins Auge, wir wurden oft darauf angesprochen. Eine Mutter hat mich dann darum gebeten, Klamotten für ihre Tochter anzupassen, die eine Magensonde hat. So hat alles angefangen.

CB: Auch über Facebook haben wir viel Lob und Anfragen von Familien bekommen, die ähnliche Probleme hatten wie wir. Dadurch haben wir erst gemerkt, wie groß der Bedarf an individueller Kleidung für Kinder offenbar ist. Ich habe verschiedene Statistiken recherchiert: Schätzungen zufolge gibt es allein in Deutschland etwa 250.000 Kinder, die wegen einer Behinderung oder chronischen Erkrankung Maßanfertigungen brauchen – genau wie unsere Tochter. Also haben wir im Sommer 2018 einzigNaht gegründet.

Ist das Ihr erstes Unternehmen?

CB: Ja, deshalb hatten wir in einigen Punkten kaum Erfahrung mit der Gründung eines Startups. Wir haben uns Schritt für Schritt in viele Details eingearbeitet, gerade am Anfang war die Lernkurve sehr steil (lacht). Wir haben aber von Erfahrungen aus unseren früheren Manager-Jobs profitiert: Ich komme aus dem Marketing und Sandra hat in der Textilbranche gearbeitet.

SB: Sechs Monate nach der Gründung wurden unsere Mühen belohnt: Wir haben 2019 den Hamburger „Gründergeist“-Award gewonnen. Das hat unser Start-up sehr vorangebracht. Neben dem Preisgeld von 5.000 Euro haben wir vor allem von der Beratung profitiert, die wir bekommen haben. Mit unseren Coaches haben wir zum Beispiel besprochen, welche Rechtsform zu uns passt und wie wir das Unternehmen finanzieren können. Die Beraterinnen und Berater haben uns aber natürlich immer nur Empfehlungen gegeben. Danach mussten wir selbst mutig sein, Entscheidungen fällen und handeln. Das ist der Hauptunterschied zum Angestelltendasein.

Wie haben Sie den Start des Labels finanziert?

CB: Wir haben einen privaten Kredit im mittleren fünfstelligen Bereich aufgenommen sowie eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, bei der 12.000 Euro zusammengekommen sind. Durch das Crowdfunding haben wir die ersten vier Kollektionen finanziert. Wir haben einige Grundmodelle entworfen, die später individuell für jedes Kind angepasst werden. Das Modegeschäft ist ja sehr schnelllebig und es gibt oft neue Designs, deshalb haben wir die Stoffe, die wir derzeit verarbeiten, gleich in größeren Mengen angeschafft.

SB: Das war eine große Investition, weil wir mit fair produzierten Bio-Stoffen arbeiten, die natürlich etwas teurer sind. Parallel haben wir einen größeren Betrag ins Marketing gesteckt und uns bei der grafischen Umsetzung – zum Beispiel unseres Logos und der Website – Unterstützung geholt. Außerdem haben wir 5.000 Euro in eine Software investiert, mit der ich Schnittmuster erstellen kann. Vorher habe ich sie mit Bleistift auf Papier entworfen. Am Computer geht das viel schneller.

Für so ein Schnittmuster brauchen Sie ja die genauen Maße des Kindes. Wie nehmen Sie die? Müssen die Familien einen Termin bei Ihnen vereinbaren?

SB: Nein, die Familien können selbst ganz in Ruhe zuhause messen. Das ist für alle angenehmer, denn pflegende Eltern haben wenig Zeit und Kinder lassen sich nicht gerne von fremden Personen vermessen. Als Vorlage und Anleitung zum Maßnehmen dient unser Vermessungsmännchen „Friis“, das auf unserer Website abgebildet ist. Die Maße können die Eltern anschließend in ein Formular eintragen und mir schicken. Dazu schreiben sie mir zumeist noch weitere Infos, zum Beispiel wie alt ihr Kind ist und welche besonderen funktionalen Anforderungen die Kleidung erfüllen soll.
Wenn ich diese Infos habe, telefonieren wir zu den Details. Wie bewegt sich das Kind, kann es schon krabbeln? Mag es lieber lockere Abschlüsse oder sind Bündchen besser? An welchen Stellen sollte sich das Kleidungsstück schnell öffnen und schließen lassen, damit die Pflege einfacher wird? Wir klären also viele praktische Fragen. Die Gespräche sind dabei oft sehr emotional, es fließen auch nicht selten Tränen, weil die Eltern sich das erste Mal verstanden fühlen. Wer selbst kein Kind mit Behinderung hat, kann sich einfach nicht vorstellen, welche Herausforderungen das im Alltag mit sich bringt.

In jedem Kleidungsstück stecken also nicht nur viele Emotionen, sondern auch eine Menge Vorbereitung und Arbeit. Wie wirkt sich das auf die Preise aus? Können sich alle Familien Ihre Produkte leisten?

SB: Individuell gefertigte Einzelstücke sind natürlich teurer als Kleidung von der Stange. Es ist aber schwierig, diese Preise pauschal zu benennen, weil jedes Kind und jeder Auftrag anders sind. Im Schnitt kostet ein Set aus Hose, Body und Pullover etwa 180 Euro. Die Mehrkosten im Vergleich zu Standardkleidung relativieren sich aber schnell, weil unsere Stoffe sehr hochwertig und zugleich nachhaltig sind. Ich verarbeite ein pflegeleichtes Gemisch aus Wolle und Seide, das einfach ausgelüftet werden kann und an dem Flüssigkeiten fast vollständig abperlen. Die Stücke halten also lange, weil die Qualität sehr gut ist, und die Eltern müssen sie viel seltener waschen. Deshalb braucht ein Kind im Vergleich zu gewöhnlicher Kleidung nur etwa ein Drittel so viele Kleidungsstücke.

CB: Wir wissen, dass diese Kosten für viele Familien trotzdem kaum zu stemmen sind. Deshalb haben wir gerade den Verein „einzigArtige Inklusion“ gegründet, um ihnen durch Spenden dennoch individuelle Kleidung für ihre Kinder zu ermöglichen. Dieser Verein hat eine sehr schöne Entstehungsgeschichte: Wir wurden schon oft von Menschen angesprochen, die unser Projekt toll finden und als „Näh-Paten“ die Kosten für einzelne Kleidungsstücke übernommen haben. Über „einzigArtige Inklusion“ wird das sowohl für die Spenderinnen und Spender als auch für uns noch einfacher.
Diese Form der Unterstützung ist für uns allerdings nur ein erster Schritt. Als nächstes werden wir mit Gesetzlichen Krankenkassen sprechen, um mit unserer Kleidung in ihre Hilfsmittelkataloge aufgenommen zu werden. Wenn wir damit Erfolg haben, können Kinder mit Behinderung ihre Kleidung auf Rezept erhalten.

Welche Pläne haben Sie für die Zukunft von einzigNaht?

SB: Wir möchten noch in diesem Jahr einen Online-Shop aufbauen, in dem Eltern, Großeltern und Verwandte die benötigten Maße eingeben und Kleidungsstücke direkt bestellen können. Individuelle, persönliche Bestellungen nehmen wir natürlich auch weiterhin an. Außerdem möchten wir Musterstücke in Physiotherapie-Praxen oder Krankenhäusern auslegen, damit die Kundinnen und Kunden sich unsere Kleidung aus der Nähe anschauen und anfassen können. In einigen Krankenhäusern liegen bereits unsere Flyer, das wollen wir ausweiten.

CB: Langfristig möchten wir in Hamburg ein inklusives Näh-Atelier aufbauen, in dem wir Menschen mit Behinderung anstellen. Wir sind bereits mit mehreren Interessenten im Gespräch. Je nach ihren individuellen Fähigkeiten und Wünschen können sie demnächst Kleidungsstücke nähen, im Marketing oder Social-Media-Management mitarbeiten oder mit speziellen Grafikprogrammen Schnittmuster entwerfen. Ihre Berufserfahrungen oder Vorbildung sind dabei nicht so wichtig – für uns zählt, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hinter unserem Konzept stehen.


Über unsere Interviewpartner:innen