Von Menschen und ihre Geschichten

VIER FRAGEN AN… Laura Gehlhaar

Laura Gehlhaar ist im Netz und auch sonst bekannt geworden – und zwar dafür, dass sie sehr unverblümt und ehrlich über ihr Leben mit Behinderung spricht und schreibt. Die 33-Jährige bloggt und hat jetzt auch ein Buch geschrieben. Sie engagiert sich so gegen die vielen Unsicherheiten, Vorurteile und Ausgrenzungen, mit denen sie und viele andere Menschen mit Behinderung sich täglich auseinandersetzen müssen.

Die Autorin Laura Gehlhaar in ihrem Rollstuhl. Sie schaut in die Kamera.

#1: Was müsste Ihrer Meinung nach passieren, damit die Inklusion im Beruf und bei der Arbeit besser wird?

Um ein nachhaltigeres inklusives Arbeitsleben für alle zu schaffen, müssen sich zuerst dringend die schulischen Strukturen ändern. Es muss gesetzlich und finanziell so funktionieren, dass behinderte Kinder wie alle anderen ein Recht auf Bildung haben Bildung, wie sie im regulären Schulsystem vermittelt wird. Erst dadurch werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Kinder und Jugendliche mit Behinderung später Berufsausbildungen machen oder ein Studium absolvieren können. Dann steigen die Chancen, überhaupt auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Es gilt also, für alle die gleichen Möglichkeiten und Zugänge zu Bildung und Arbeit zu schaffen.

#2: Was bremst Ihrer Meinung nach die Inklusion – bei der Arbeit, aber auch in der Gesellschaft insgesamt?

Die Politik benutzt meiner Meinung nach zu oft die Ausrede, dass für die Umsetzung der Inklusion zu wenig Geld da sei. Das ist mir etwas zu einfach. Wir leben in einem der wohlhabendsten Länder der Welt, da sollte es also keine finanziellen Ausreden dafür geben, dass verfassungmäßige Rechte der Menschen, die hier leben, nicht eingehalten werden. Aus meiner Sicht ist das alles mehr eine Frage des „Wollens“ auf der politischen Ebene  was sich gerade für mich, als Frau mit einer Behinderung, sehr erniedrigend anfühlt. Ich möchte mein Leben nicht vom guten Willen anderer abhängig machen und nicht auch noch große Dankbarkeit schulden müssen für etwas, was für Menschen ohne Behinderung seit Jahr und Tag eine Selbstverständlichkeit ist. Dabei geht es manchmal um ganz einfache Dinge: Wenn ich gerne Russisch lernen und dafür einen Sprachkurs machen möchte, aber vor dem Schulgebäude eine Stufe ist, die mir den Zugang zu diesem Kurs ohne Hilfe schlichtweg unmöglich macht, dann finde ich, dass mir als Rollstuhlfahrerin eine Rampe zusteht und zwar ohne, dass ich mir diese Barrierefreiheit erst langwierig rechtlich erkämpfen oder erbetteln muss.

#3: Wie könnten aus Ihrer Sicht andere Menschen im Alltag mit kleinen oder größeren Handlungen zur Inklusion beitragen?

Durch Hinsehen und indem sie sich selbst und den eigenen Standpunkt öfter mal reflektieren. Es ist nunmal leider so, dass ich aufgrund meiner Behinderung zu einer Minderheit gehöre, die im Alltag zugleich am allerhäufigsten diskriminiert wird. Ich fühle mich daher nicht nur systematisch von vielem ausgeschlossen, ich bin es auch, und zwar ganz faktisch: Aus Gebäuden, die nicht barrierefrei sind, oder aus dem Arbeitsleben, weil es dort zu wenige Einstiegsmöglichkeiten und tragende Strukturen für Menschen mit Behinderungen gibt. Ich bin aber niemand, der sich mit gesenktem Haupt umdreht und darüber jammert. Ich mache auf meine Art und sehr vehement auf solche Verhältnisse aufmerksam und konfrontiere andere damit, auch wenn das manchmal vor allem für die anderen weh tut. Es muss meiner Meinung nach aber unbedingt so sein, dass vor allem Nichtbehinderten bewusster wird, dass meine Behinderung nicht nur mir alleine gehört, das also nicht allein ,,mein Problem“ ist. Es geht jede und jeden etwas an, die oder der mich aus dem regulären Leben ausschließt, denn damit verursacht mein Umfeld diese Diskriminierung ganz direkt mit. Dann bin ich nicht behindert, sondern ich werde behindert.

#4: Wie sähe Ihr Traum-Arbeitsplatz aus, wenn Sie ihn frei entwerfen dürften?

Ich würde auf jeden Fall erst um 11:00 Uhr anfangen zu arbeiten! (lacht) Nein, im Ernst: Ich bin selbstständig und habe damit sowieso schon die tolle Möglichkeit, mir meine eigenen Rahmenbedingungen zu setzen. Das ist für mich sehr gut. Ich teile mir meine Arbeitszeiten also selbst ein und bestimme auch über mein Pensum, so weit es geht. Und: Manchmal fange ich wirklich nicht vor 11:00 Uhr an. Das kann sich nicht jeder einfach so aussuchen. —

Zum Weiterlesen:

Alle, die gern mehr über Laura Gehlhaar erfahren möchten, möchten wir auf ihr kürzlich erschienenes Buch „Kann man da noch was machen? Geschichten aus dem Alltag einer Rollstuhlfahrerin“ hinweisen. Das Taschenbuch ist im Heyne-Verlag erschienen, hat 256 Seiten und kostet 9,99 Euro.

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