Lesetipp: „LiES“ – oder: Geschichten in Einfacher Sprache

Menschen, die nicht gut Texte in Alltagssprache lesen können, weil sie zum Beispiel (noch) nicht so gut Deutsch sprechen oder weil sie eine Lernbehinderung haben, brauchen Bücher in Einfacher Sprache. Die gibt es zwar schon länger auf dem Markt – bisher sind das aber vor allem Kinderbücher oder stark gekürzte Übersetzungen von bekannten Romanen (zum Beispiel „Tschick“ von Wolfgang Herrndorf) oder Theaterstücken (wie Shakespeares „Romeo und Julia“).

Der Geschichtenband „LiES” ist etwas ganz Neues. Für dieses Buch haben insgesamt 13 bekannte Schriftstellerinnen und Schriftsteller ganz neue Texte in Einfacher Sprache geschrieben – darunter Judith Hermann, Arno Geiger und Nora Bossong.

Zuerst haben sie dafür gemeinsam einige Regeln festgelegt. Zum Beispiel sollten möglichst viele Verben und möglichst keine Zeitsprünge in den Geschichten vorkommen. Für die Autorinnen und Autoren war es sehr ungewohnt, so zu schreiben, erklärt Hauke Hückstädt, der Herausgeber des Buches, in diesem „Spiegel“-Interview. Er erzählt darin auch, warum das LiES-Buch für andere Leserinnen und Leser ebenfalls eine interessante Lektüre sein kann – also für all diejenigen, die sonst keine Texte in Einfacher Sprache lesen würden.




Nachlese zum Weltfrauentag: Berühmte und engagierte Frauen mit Behinderung

„Die Neue Norm“ ist ein Projekt des Vereins Sozialhelden. Das Redaktionsteam schreibt in dem Online-Magazin über gesellschaftspolitische Fragen und führt Interviews mit Menschen mit Behinderung. Einmal im Monat erscheint ein Podcast, den die Journalistinnen und Journalisten Judyta Smykowski, Jonas Karpa und Raul Krauthausen zusammen mit dem Bayerischen Rundfunk produzieren.

Zum Internationalen Frauentag stellten die Redakteurinnen und Redakteure des Magazins in Kurzporträts zehn berühmte sowie weniger bekannte Frauen mit Behinderung vor zum Beispiel engagierte Aktivistinnen und Juristinnen, Schauspielerinnen und Journalistinnen. Zu jeder von ihnen haben die Autorinnen und Autoren in den Kurzporträts interessante Artikel, Webseiten oder Youtube-Videos verlinkt.




Selbstbestimmt leben mit persönlicher Assistenz

Duschen, anziehen, die Haare zurechtmachen: All das kann Andrea Sahlmen wegen einer angeborenen Muskelerkrankung nicht allein tun. Rund um die Uhr sind deshalb persönliche Assistenten für sie da, die sie pflegen, für sie kochen und in ihrer Freizeit Ausflüge mit ihr unternehmen. Seit sie bei der Bielefelder Tageszeitung „Neue Westfälische“ arbeitet, begleiten und unterstützen die Assistenten sie auch in der Redaktion.

Für die Zeitung Neue Westfälische hat die Journalistin schon 2017 in diesem sehr zeitlosen Artikel aufgeschrieben, was es bedeutet, als junger Mensch gepflegt zu werden, und wie sie ihr Leben mit der Assistenz selbstbestimmt gestaltet.

Unser Fundstück der Woche!




Das Projekt „enterability“ unterstützt Gründerinnen, Gründer und Selbstständige mit Behinderung

Herr Radermacher, was ist enterability?

enterability ist ein Projekt der gemeinnützigen GmbH Social Impact, die unter anderem soziale Start-ups und Innovationen fördert. Wir von enterability beraten und unterstützen Menschen mit Schwerbehinderung, die in Berlin leben und sich selbstständig machen möchten oder schon länger selbstständig arbeiten. Das Besondere an uns ist, dass wir uns ganz auf das Thema Gründung mit Schwerbehinderung spezialisiert und wirklich alle Informationen dazu gesammelt haben. Vorher gab es kein vergleichbares Angebot in Berlin – bis jetzt gibt es in ganz Deutschland keins. Die Nachfrage war riesig, deshalb hatten wir von Anfang an lange Wartelisten. Eine Kollegin und ich haben enterability 2004 als Modellprojekt aufgebaut. Im Laufe der Jahre sind wir stark gewachsen. Heute arbeiten wir im Auftrag des Integrationsamts Berlin mit insgesamt sieben Beraterinnen und Beratern auf fünf Vollzeitstellen und sind der offizielle „Integrationsfachdienst Selbstständigkeit“. Deshalb ist unser Angebot auch komplett kostenlos.

Was bieten Sie an?

Unser Schwerpunkt sind individuelle Beratungsgespräche, in denen wir mit den Gründerinnen und Gründern über einen längeren Zeitraum intensiv über ihre Geschäftsidee und über ihre persönliche Situation sprechen. Zu Beginn bieten wir Infoveranstaltungen an, auf denen wir unser Projekt vorstellen, Fragen zu Fördermöglichkeiten beantworten und erklären, wie man einen Businessplan schreibt. Später im Prozess kommen Seminare hinzu, zum Beispiel zu den Themen Marketing, Buchhaltung, Steuern und Recht, aber auch zu Zeitmanagement und Selbstfürsorge. Gerade die letzten beiden werden oft vergessen, dabei sind sie für Menschen mit Behinderung noch wichtiger als für Gründerinnen und Gründer ohne Behinderung.

Welche Vorteile hat eine Selbstständigkeit für Menschen mit Behinderung?

Ein großer Vorteil ist, dass sie sich ihre Arbeitszeiten und Pausen selbst so einteilen können, dass sie am besten und effektivsten arbeiten können. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt haben sie diese Freiheit oft nicht. Für viele Menschen mit Behinderung ist die Gründung deshalb die einzige Möglichkeit, wieder zu arbeiten. Wir unterstützen sie dabei.

Ist die Behinderung der Person in den Beratungsgesprächen auch sonst ein Thema?

Ja, weil das ein wichtiger Teil der persönlichen Situation ist. Der Arbeitsalltag kann in der Selbstständigkeit auch nur dann langfristig gut funktionieren, wenn er gut zum Menschen passt. Wenn jemand zum Beispiel eine Hörbehinderung hat, kommuniziert sie oder er anders mit den Kunden als ein Selbstständiger ohne Behinderung – darüber müssen wir sprechen und überlegen, was das bedeutet. Eine Gehbehinderung bringt oft mit sich, dass die Mobilität und Flexibilität etwas anders sind. Wenn jemand wegen seiner Behinderung Schmerzen hat, hat das ebenfalls Auswirkungen. Sie oder er muss vielleicht mehr Pausen einplanen oder nimmt womöglich Medikamente, die zu einer bestimmten Tageszeit müde machen. All das besprechen wir ganz offen und helfen unseren Klientinnen und Klienten dabei, die eigenen Voraussetzungen realistisch einzuschätzen. Anschließend spielen wir durch, was das im Einzelnen für den Arbeitsalltag der Person bedeutet, damit die Selbstständigkeit langfristig gut laufen kann – wie sie ihre Arbeit also behinderungsgerecht gestalten kann.

Raten Sie manchmal auch von einer Gründung ab?

Ja, zum Beispiel, wenn wir glauben, dass eine Geschäftsidee nicht funktionieren kann. Einige merken in der Beratung auch, dass eine Selbstständigkeit für sie nicht das Richtige ist. Ein Hauptgrund dafür ist, dass sie als Freiberuflerinnen oder Unternehmer mit einem gewissen finanziellen Risiko leben müssen. Das Einkommen ist nicht so regelmäßig und verlässlich wie bei einer Festanstellung. Wenn man selbstständig arbeitet, muss man sich außerdem auch um Marketing, die Buchhaltung oder das Thema Steuerrecht kümmern. Viele können den Umfang dieser Zusatzaufgaben oft erst im Laufe der Zeit richtig überblicken.

Wie viele der Menschen, die Sie beraten, machen sich selbstständig?

Etwa ein Drittel. Wir haben inzwischen rund 1.500 Menschen mit Behinderung begleitet, etwa 500 davon arbeiten heute hauptberuflich selbstständig. Einige andere haben ihre Geschäftsidee nebenberuflich verwirklicht oder während der Beratung eine Fortbildung angefangen, die sie in ganz andere Jobs geführt hat. Für uns ist das sehr erfreulich, denn wir wollen ja genau das erreichen: Dass die Menschen mit unserer Unterstützung und Beratung für sich persönlich die richtige Entscheidung treffen und ihren Weg machen.

Sind bestimmte Berufe bei Gründerinnen und Gründern mit Behinderung besonders beliebt?

Nein, die Bandbreite ist sehr groß. Ich würde aber sagen, dass sich die meisten hier eher „berlintypische“ Jobs aussuchen. Sie ergreifen zum Beispiel oft kreative Berufe, entscheiden sich für die Kommunikationsbranche oder machen sich in der Gesundheitsberatung selbstständig. Die meisten sind übrigens klassische „Einzelkämpfer“, wir haben bisher also kaum Gruppen begleitet, die gemeinsam gegründet haben. Und es gibt auch nur wenige Selbstständige mit Behinderung, die später Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einstellen.

Sie sprechen mit Ihren Klientinnen und Klienten auch viel über finanzielle Unterstützungsangebote für Selbstständige. Welche Zuschüsse gibt es für Menschen mit Behinderung?

Da gibt es sehr viele Möglichkeiten. Sie können zum Beispiel bei der Agentur für Arbeit einen Gründungszuschuss beantragen, der in der Startphase die Kosten für den Lebensunterhalt deckt. Wenn ein Büro eingerichtet oder Maschinen gekauft werden müssen, kann ein Gründungsdarlehen eine gute Möglichkeit sein. Diese Starthilfe wird von staatlichen Banken oder Förderbanken angeboten. Darüber hinaus können Gründerinnen und Gründer mit Behinderung beim zuständigen Integrations- oder Inklusionsamt Zuschüsse beantragen, wenn sie für ihre Arbeit technische Ausstattung anschaffen müssen – zum Beispiel Braillezeilen, große Bildschirme oder bestimmte Software für die Arbeit am Computer mit einer Sehbehinderung. Rollstuhlfahrerinnen und -fahrer wiederum müssen eventuell ihr Auto umbauen lassen. Auch das fällt unter technische Ausstattung. Es gibt auch Zuschüsse für eine Arbeitsassistenz, also für einen Gebärdensprachdolmetscher beispielsweise oder eine Begleiterin, die blinde Selbstständige auf beruflichen Reisen unterstützt, wo sie oft unbekannte Wege laufen müssen. In solchen Fällen wird genau geprüft, bei welchen Arbeitsschritten und wie viele Stunden pro Woche jemand Unterstützung benötigt.

Sie beraten auch Selbstständige mit Behinderung, die schon länger freiberuflich arbeiten. Mit welchen Fragen kommen sie zu Ihnen?

Bei diesen Gesprächen geht es oft um sehr konkrete Probleme, die zum Beispiel im Marketing, bei den Finanzen oder im Zusammenhang mit einer behinderungsbedingten Förderung aufgetreten sind. Manche kommen auch zu uns, weil sich ihre Gesundheit durch die Behinderung verschlechtert hat, sie deshalb weniger arbeiten können oder nicht mehr so mobil sind. Wir unterstützen dann mit einer gezielten Einzelberatung dabei, das Geschäftsmodell anzupassen. Und wenn jemand überhaupt nicht mehr arbeiten kann, helfen wir, das Unternehmen abzuwickeln. In solchen Fällen ist es wichtig, an alles zu denken und gut zu ordnen, damit es nicht zu einer Insolvenz kommt. Das kommt zum Glück aber nur ganz selten vor – und manchmal finden wir selbst dann noch eine Möglichkeit, an die vorher noch nicht gedacht wurde.






„Alle Fußbälle müssen rund sein“

Texte in Leichter Sprache bestehen aus kurzen Sätzen, in denen keine Fremdwörter vorkommen. Sie sind vor allem für Menschen mit Lernschwierigkeiten gedacht und für Menschen, die (noch) nicht so gut Deutsch sprechen.
Die Leichte Sprache kann aber auch für alle anderen Leserinnen und Leser nützlich sein, glaubt der Journalist Holger Fröhlich. Für seine Kolumne im Magazin brand eins sucht er deshalb jeden Monat einen komplizierten Text aus und überträgt ihn in Leichte Sprache. Ein schönes Beispiel ist die Übersetzung einiger „Fußball-Regeln 2017/18“ der FIFA. Der Verband hat darin unter anderem die Vorschriften für den Torjubel beschrieben:

Welcher Rasen erlaubt ist und was passiert, wenn ein Spieler einen Schuh verloren hat: Das lest ihr in unserem Fundstück der Woche!




Welche Aufgaben hat eine Fachstelle „Behinderte Menschen im Beruf“?

Herr Simon, Frau Sundermeier, in Nordrhein-Westfalen gibt es insgesamt 53 Fachstellen „Behinderte Menschen im Beruf“. An wen richtet sich das Beratungsangebot dieser Einrichtungen?

Olaf Simon (OS): Die Fachleute dort beraten vor allem Menschen mit Schwerbehinderung und ihre Arbeitgeber, aber auch Schwerbehindertenvertretungen, Betriebs- und Personalräte und Menschen, die sich in Unternehmen um die Inklusion und das Betriebliche Eingliederungsmanagement kümmern. Wir unterstützen zum Beispiel Angestellte und Arbeitgeberinnen dabei, Arbeitsplätze behinderungsgerecht auszustatten oder Abläufe so zu organisieren, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Behinderung ihren Job gut machen können.

Linda Sundermeier (LS): Unser Ziel ist es, Arbeitsplätze zu erhalten und Schwierigkeiten oder Konflikte so früh wie möglich zu lösen. Dafür besuchen wir Menschen mit Behinderung auch im Unternehmen, schauen uns die Arbeitsplätze an und geben Tipps. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die einen Menschen mit Behinderung beschäftigen und Unterstützung brauchen, können sich jederzeit an uns wenden. Unsere Beratung ist immer kostenlos.

Stehen Betrieben finanzielle Zuschüsse zu, wenn sie einen Arbeitsplatz für eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter mit Behinderung umgestalten möchten?

LS: Ja, wenn die oder der Angestellte mindestens 15 Stunden pro Woche im Unternehmen arbeitet, können die Fachstellen individuell angepasste Hilfsmittel fördern. Das kann zum Beispiel ein Telefonverstärker für einen Menschen mit Hörbehinderung sein oder eine Kühlweste für jemanden, der an Multipler Sklerose erkrankt ist. Darüber hinaus können Unternehmen auch weitere Zuschüsse vom Staat beantragen, wenn sie einen Arbeitsplatz oder die Zugänge zum Gebäude barrierefrei umbauen.

OS: Das Geld dafür stammt übrigens aus der Ausgleichsabgabe. Das ist ein Betrag, den alle Betriebe zahlen müssen, die nicht wie gesetzlich vorgeschrieben mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Behinderung vergeben haben. Diese Regelung gilt bei Betrieben mit mindestens 20 Angestellten. In Nordrhein-Westfalen wird die Ausgleichsabgabe vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe und vom Landschaftsverband Rheinland verwaltet und von den Fachstellen ausgezahlt. Manchmal sind auch die Deutsche Rentenversicherung oder die Agentur für Arbeit zuständig, die Geld aus weiteren Töpfen auszahlen können. Mit diesen Kostenträgern tauschen wir uns regelmäßig aus. Außerdem stehen wir in engem Kontakt mit anderen Einrichtungen wie dem Präventionsfachdienst Sucht und Psyche, dem LWL-Inklusionsamt Arbeit und den Integrationsfachdiensten.

Angenommen, ein Unternehmen möchte bei Ihnen einen Zuschuss für einen behinderungsgerechten Arbeitsplatz beantragen. Wie funktioniert das genau?

LS: Zuerst vereinbaren wir einen Beratungstermin und schauen uns den Arbeitsplatz direkt im Betrieb an, um den es geht. Bei Bedarf werden wir dabei von Kolleginnen oder Kollegen unterstützt, die entweder aus den Fachdiensten für Menschen mit Seh- oder Hörbehinderung oder vom Technischen Beratungsdienst des LWL-Inklusionsamtes Arbeit dazukommen. Vor Kurzem hat beispielsweise jemand Kontakt mit mir aufgenommen, der infolge eines Hirntumors eine Sehbehinderung entwickelt hatte. Nach der medizinischen Therapie ging es ihm zwar wieder besser, er konnte aber trotzdem nicht gleich an seinen Arbeitsplatz in einem Büro zurückkehren. Eine Kollegin vom Fachdienst für Menschen mit Sehbehinderung und ich haben ihm und seinem Arbeitgeber daher empfohlen, einige Hilfsmittel anzuschaffen: einen Monitorschwenkarm, mit dem der Mitarbeiter seinen Computerbildschirm flexibel bewegen und näher zu sich heranziehen kann, eine Tastatur mit hohem Kontrast und sehr großen Buchstaben und eine Software, die ihm den Mauszeiger auf dem Bildschirm besser anzeigt. Für all diese Hilfsmittel kann der Arbeitgeber bei uns nun Zuschüsse beantragen.

Werden die Kosten für solche Hilfsmittel komplett übernommen?

LS: In diesem Fall ja, weil sie als Nachteilsausgleiche für einen Mitarbeiter mit Behinderung dienen. Meistens müssen die Unternehmen aber einen Eigenanteil zahlen, etwa dann, wenn ein Hilfsmittel auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Betrieb zugutekommt, die keine Behinderung haben. Ein Beispiel: Ein Industriebetrieb möchte für einen Lagerarbeiter mit einer Rückenerkrankung einen elektrischen Hubwagen anschaffen. Der Mitarbeiter ist auf diesen Hubwagen zwar angewiesen, die Anschaffung ist aber auch grundsätzlich vorteilhaft für das gesamte Unternehmen, weil auch alle anderen Kollegen nicht mehr so häufig schwere Lasten heben müssen. Der Arbeitgeber müsste in diesem Fall einen Teil der Kosten selbst übernehmen. Wie hoch der Zuschuss seitens der Fachstellen ausfällt, hängt außerdem davon ab, wie viele Menschen mit Behinderung das Unternehmen beschäftigt, ob es also die gesetzlich vorgeschriebene Quote von fünf Prozent erfüllt.

Können Sie auch dann weiterhelfen, wenn eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter mit Behinderung einen Konflikt innerhalb des Teams oder mit dem Arbeitgeber hat?

OS: Wir beraten auch bei solchen Schwierigkeiten, ja. In diesen Fällen suchen wir erst einmal das Gespräch und bemühen uns, zwischen den Parteien zu vermitteln. Bei Bedarf werden wir dabei vom Integrationsfachdienst unterstützt.

Was passiert, wenn sich ein Konflikt nicht lösen lässt und der Arbeitgeber einem Menschen mit Behinderung kündigen möchte?

OS: Für Menschen mit Schwerbehinderung gilt ein besonderer Kündigungsschutz. Das LWL-Inklusionsamt Arbeit muss einer solchen Kündigung nämlich erst einmal zustimmen. Wenn ein Unternehmen eine entsprechende Entlassung beantragt, schauen wir uns den Fall im Auftrag des Inklusionsamts sehr genau an. Wir sprechen mit der Mitarbeiterin oder dem Mitarbeiter, den Vorgesetzten und der Schwerbehindertenvertretung. Bei Bedarf holen wir auch externe Gutachten ein. Wir gehen jeden Fall neutral an, unser Ziel ist aber natürlich, dass alle Beteiligten sich gut einigen und das Arbeitsverhältnis idealerweise bestehen bleibt.

Unterstützen Sie auch Menschen mit Behinderung auf ihrem Berufsweg, die selbstständig arbeiten oder sich selbstständig machen möchten?

LS: Natürlich, Selbstständigen stehen dieselben Zuschüsse für Hilfsmittel zu wie Angestellten oder Beamten. Außerdem können angehende Gründerinnen und Gründer mit einer Behinderung ein Darlehen oder einen Zinszuschuss für ihr Unternehmen beantragen. Wir helfen zum Beispiel, wenn sich jemand als Steuerberater selbstständig machen und sein Büro einrichten möchte. Solche Darlehen gibt es übrigens auch für bereits aktive Selbstständige, die im laufenden Betrieb in ihr Unternehmen investieren wollen.


Über unsere Interviewpartner:innen





„einzigNaht“: Maßgeschneiderte Kleidung für Kinder mit Behinderung

Mal eben kurz in die Stadt fahren und einen neuen Strampler oder Pullover für die Kleinen kaufen: Für die Eltern von Kindern mit einer körperlichen Behinderung oder einer chronischen Erkrankung ist das meist nicht möglich.
Babys oder Kleinkinder, die zum Beispiel eine Magensonde oder einen Nierenkatheder haben, können Kleidung von der Stange oft gar nicht nicht tragen. Schlauch oder Sonde hängen aus diesen Klamotten lose heraus – oder die Kleidungsstücke passen schlicht nicht.

Sandra und Christian Brunner haben sich deshalb mit ihrem Label „einzigNaht“ auf die Bedürfnisse von Kindern mit Behinderungen und Erkrankungen spezialisiert. Sie nähen maßgeschneiderte Bodys, Hosen und Shirts aus bunten, kindgerechten Stoffen. Die Kleidungsstücke werden an die Körpermaße und -proportionen jedes einzelnen Kindes individuell angepasst. Außerdem lassen sie genug Platz und haben bei Bedarf kleine Öffnungen für Sonden oder andere Hilfsmittel.

Im Interview mit dem Magazin StartupValley erzählen die beiden, wie sie auf die Idee zu ihrem Startup kamen, welche Herausforderungen sie seit der Gründung gemeistert haben – und wie sie „einzigNaht“ zu einem inklusiven Unternehmen weiterentwickeln möchten.
Ein tolles Projekt und deshalb unser Fundstück der Woche.




„Inklusion andersherum – Wenn der Lehrer blind ist“

Dass Christof Müller nach seinem Studium eine Stelle als Lehrer an einer Regelschule antrat, war für ihn damals nicht selbstverständlich, denn er ist blind. Der Radiosender SWR2 hat den Pädagogen einen Tag lang bei der Arbeit begleitet und diese Eindrücke in der Reportage „Inklusion andersherum – Wenn der Lehrer blind ist“ im Podcast-Format aufbereitet.

Christof Müller erklärt in dem gut 20-minütigen Beitrag zum Beispiel, wie er Arbeitsblätter für seine Klassen vorbereitet, schriftliche Klausuren korrigiert und seinen Unterricht organisiert. Auch seine Schülerinnen und Schüler kommen zu Wort und erzählen, wie sie den Unterricht mit ihrem blinden Lehrer erleben.

Unser Fundstück der Woche!




Zahl des Jahres: 1,27 Millionen

Seit 2013 untersucht die Aktion Mensch für ihr Inklusionsbarometer Arbeit jedes Jahr zusammen mit dem Handelsblatt Research Institute, wie sich die berufliche Inklusion auf dem deutschen Arbeitsmarkt entwickelt.

Mit den aktuellen Ergebnissen setzt sich nun der positive Trend der letzten Jahre fort: Die Zahl der Menschen mit Behinderung, die eine Stelle auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt haben, steigt stetig an (2015: 1,15 Mio., 2016: 1,18 Mio., 2017: 1,23 Mio., 2018: 1,25 Mio.). Wie die Aktion Mensch diese Zahlen genau ermittelt, haben wir hier erklärt.

Auch die Arbeitslosenquote sinkt

Eine weitere schöne Nachricht: Die Arbeitslosenquote ist erneut gesunken und liegt jetzt bei 11,2 Prozent (2018: 11,7 Prozent, 2017: 12,4 Prozent).
Der Wert des so genannten Lagebarometers ist deshalb auch von 107,2 auf 107,7 Punkte gestiegen. Mit dieser Zahl beschreibt die Aktion Mensch in der Studie, wie sich die berufliche Inklusion insgesamt entwickelt: Sinkt der Wert unter 100, bedeutet das eine Verschlechterung; Werte über 100 Punkten zeigen eine Verbesserung an.

Die Ergebnisse des Inklusionsbarometers Arbeit als Grafik mit Text.
Die Ergebnisse des Inklusionsbarometers 2019 in der Übersicht. Illustration: Aktion Mensch

„Trotzdem Handlungsbedarf“

Die Inklusion auf dem Arbeitsmarkt ist also weiter im Aufschwung. Dennoch gibt es noch eine Menge zu tun, sagt die Aktion Mensch. Die Arbeitslosenquote von Menschen mit Behinderung ist beispielsweise nach wie vor mehr als doppelt so hoch wie bei Menschen ohne Behinderung (11,2 Prozent im Vergleich zu 5,2 Prozent). Außerdem waren Menschen mit Behinderung im Jahr 2019 im Schnitt 359 Tage (2018: 366 Tage) auf Jobsuche – das sind 100 Tage mehr als Menschen ohne Behinderung.




Vier Fragen an… Gregor Doepke, kommmitmensch-Kampagne

#1: Herr Doepke, wen möchten Sie mit Ihrer Kampagne ansprechen – und was möchten Sie erreichen?

„kommmitmensch“ richtet sich an Betriebe und öffentliche Einrichtungen. Unser Ziel ist es, dort für sichere Arbeitsplätze der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu sorgen und ihnen dabei zu helfen, gesund zu bleiben. Damit das gelingt, müssen alle im Unternehmen dieses Thema im Kopf haben: Wie können wir schwere oder sogar tödliche Arbeitsunfälle vermeiden? Wie können wir aus Fehlern lernen und was können wir tun, damit sie gar nicht erst passieren? Leben auch die Vorgesetzten im Unternehmen vor, dass ihnen Sicherheit und Gesundheit wichtig sind? Unsere Kampagne besteht nicht nur aus einzelnen Aktionen, sondern soll einen echten Kulturwandel in möglichst vielen Betrieben anstoßen.

#2: Wie unterstützen Sie Betriebe und Organisationen bei diesem „Kulturwandel“?

Oft beginnt damit ein längerer Prozess, den die Mehrzahl der Beteiligten aber als spannend empfinden und für den sie gerne bereit sind, sich zu engagieren. Ein Beispiel: Wir stellen auf unserer Website eine Toolbox bereit, also eine Art „Werkzeugkasten“ zum Mitmachen. Darin sind etwa ein Arbeitsposter und Fragekarten für den „kommmitmensch-Dialog“ enthalten. Die Fragekarten werden gern genutzt und sind dazu gedacht, im Team eines Betriebs oder innerhalb einer Gruppe von Vertreterinnen und Vertretern der Abteilungen ein Gespräch anzuregen: Wo wünscht sich wer welche Veränderungen? Welche Verbesserungsmöglichkeiten sehen die Beteiligten – und wo genau?
Mit den Karten und unseren anderen kostenfreien Tools können Betriebe herausfinden, welchen Stellenwert Sicherheit und Gesundheit in ihrer Unternehmenskultur aktuell schon haben.
Dabei kann manchmal herauskommen, dass die Verantwortlichen erst dann reagieren, wenn schon ein Unfall passiert ist – das wäre im Sinne der Prävention zu spät, dann sollten im Betrieb möglichst schnell entsprechende Veränderungen angestoßen werden. Vielleicht kümmern sich aber auch schon jetzt alle Verantwortlichen im Betrieb gemeinsam darum, dass es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern richtig gut geht und sie sich wohl fühlen. Das wäre der Optimalzustand. Dafür muss ein Unternehmen zwar einiges investieren, aber es gewinnt dabei auch: gesunde und zufriedene Mitarbeiter nämlich. Und die schaffen erwiesenermaßen mehr und leisten bessere Arbeit.

#3: Welche Rolle spielt das Thema Barrierefreiheit am Arbeitsplatz bei Ihrer Kampagne?

Die Schwerpunkte von „kommmitmensch“ sind zwar Gesundheit und Sicherheit, diese Themen hängen aber sehr eng mit Barrierefreiheit zusammen. Menschen mit einer Behinderung oder einer chronischen Erkrankung brauchen als „Grundausstattung“ ohnehin erst einmal eine barrierefreie Arbeitsumgebung, damit sie ihren Job überhaupt machen können und erfolgreich sind. Ein gemeinsames Arbeiten auf Augenhöhe trägt zu einem guten Betriebsklima bei – und das ist sehr wichtig, um gesund zu bleiben.
Das gleiche gilt übrigens auch für Veranstaltungen wie etwa Messen oder Seminare. Auch die müssen barrierefrei gestaltet sein, damit wirklich jeder teilnehmen und sich einbringen kann. Viele Organisatorinnen und Organisatoren haben bei der Planung vor allem die Gäste ihrer Veranstaltungen im Blick. Wir raten dazu, unbedingt auch an die Menschen zu denken, die auf der Bühne eine Aufgabe übernehmen: Gibt es Headsets für die Vortragenden, die kein Mikrofon festhalten können? Stehen höhenverstellbare Stehpulte und nicht zu steile Rampen für Menschen mit Rollstuhl bereit? Solche und viele andere Tipps haben wir in einer Broschüre zusammengetragen, die kostenlos bei uns heruntergeladen werden kann.

#4: Ihrer Erfahrung nach: Haben Veranstalterinnen und Veranstaltern das Thema Barrierefreiheit schon gut im Kopf – oder sehen Sie noch Verbesserungsbedarf?

Viele haben das Thema ganz gut im Blick, es gibt aber immer noch einiges zu tun. Die Branchenstudie „Meeting- und Event-Barometer“ zum Beispiel hat untersucht, wie barrierefrei Kongresse, Messen und Freizeitveranstaltungen – zum Beispiel Konzerte – gestaltet sind.
Das Ergebnis: Nur 35 Prozent der Organisatorinnen und Organisatoren, die für die Studie befragt wurden, schätzen ihr Angebot als vollkommen barrierefrei ein. Dabei muss man aber eines bedenken: Viele haben beim Stichwort ‚Barrierefreiheit‘ vor allem bauliche Begebenheiten im Kopf, die aber erst einmal nur für Menschen wichtig sind, die mit dem Rollstuhl oder einer Gehhilfe unterwegs sind. Menschen mit Hör- oder Sehbehinderung werden dabei oft vergessen, genauso wie Menschen mit geistiger Behinderung. Wir möchten auch hier mit unserer Broschüre ein wenig Aufklärungsarbeit leisten und einen Überblick geben, welche Barrieren bei Events entstehen und wie Veranstalterinnen und Veranstalter sie beseitigen können.