Wirtschaftskrise bremst positive Entwicklungen der Vorjahre aus: Die Ergebnisse des Inklusionsbarometers Arbeit 2024

Die Ergebnisse des Inklusionsbarometers Arbeit beziehen sich immer auf das Vorjahr. Die aktuelle Studie wertet also die Arbeitsmarktsituation für Menschen mit Behinderung im Jahr 2023 aus. Für diesen Zeitraum sank der Wert des Barometers im Vergleich von 109,8 auf 108,3. Ein steigender Wert bedeutet eine Verbesserung, ein sinkender Wert, dass sich die Lage verschlechtert hat. Die negative Entwicklung belegen auch andere Zahlen aus der Studie: Menschen mit Behinderung waren 2023 fast doppelt so oft arbeitslos wie Menschen ohne (11 % im Vergleich zu 5,7 %).

Die Quote der langzeitarbeitslosen Menschen mit Behinderung ist immerhin leicht gesunken. Das ist allerdings eines von nur sehr wenigen positiven Ergebnissen der Studie. Die wirtschaftliche Unsicherheit hat die Situation insgesamt verschärft. Nur 39 von 100 Unternehmen, die es aufgrund ihrer Größe müssten, beschäftigten vergangenes Jahr genug Menschen mit Behinderung. Das ist der niedrigste Wert seit der ersten Studie im Jahr 2013.

Die Politik hat auf diese besorgniserregende Entwicklung bereits damit reagiert, die Ausgleichsabgabe für Unternehmen zu erhöhen, die ihrer Beschäftigungspflicht nicht nachkommen. Ab Januar 2024 müssen Firmen mit mindestens 60 Arbeitsplätzen, die gar keine Menschen mit Schwerbehinderung beschäftigen, monatlich 720 Euro pro unbesetztem Pflichtarbeitsplatz zahlen. Vorher waren es 360 Euro. Die neuen Regelungen sollen langfristig für bessere Chancen für Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt sorgen. Ob die höheren Abgaben tatsächlich wirken werden, bleibt abzuwarten.

Das Fazit: Die Wirtschaftskrise hat die positiven Entwicklungen der Vorjahre auf dem Arbeitsmarkt stark ausgebremst, es gibt nur stellenweise kleine Fortschritte. Damit Menschen mit Behinderung gleichberechtigt am Arbeitsleben teilhaben können, sind also nach wie vor alle gefragt: Unternehmen, Politik, Staat und die gesamte Gesellschaft.

→ Alle Ergebnisse des Inklusionsbarometers könnt ihr euch hier als PDF herunterladen.




Gleichberechtigt feiern: Über eine Initiative für mehr Inklusion in der Kultur

Herr Ringert, welchen persönlichen Bezug haben Sie zum Thema Kultur – und warum engagieren Sie sich hier für mehr Barrierefreiheit?

Ich bin schon in meiner Jugend gerne auf Festivals gegangen, das ist damals wie heute meine große Leidenschaft. Während der Schulzeit und später auch neben meinem Musikmanagement-Studium habe ich zeitweise auf dem Festival „Wacken Open Air“ gearbeitet, das nicht weit entfernt von meinem Heimatort stattfindet. Nach dem Studium habe ich dort als Sponsoring Manager angefangen, das heißt, ich habe die Zusammenarbeit mit Dienstleistern und Geldgebern des Festivals organisiert. 2015 hatte ich einen Verkehrsunfall, seitdem bin ich im Rollstuhl unterwegs. Ich entwickelte dadurch, dass ich selbst betroffen war, und durch den Kontakt zur Community nach und nach einen Blick für Barrieren – und zwar nicht nur für die baulichen, die ja vor allem Menschen mit körperlichen Behinderungen wie mich einschränken, sondern auch für viele andere Hindernisse. Das war der Antrieb für mich, beim Wacken Open Air die Inklusionsarbeit zu übernehmen. Seither habe ich das Thema dort stetig weiterentwickelt. Ich stand außerdem schon damals in engem Austausch und Kontakt mit der Beratungsagentur „WIR KÜMMERN UNS“, die aus der „Initiative Barrierefrei Feiern“ entstanden war. Vor drei Jahren bin ich nebenbei auch noch als Gesellschafter bei „WIR KÜMMERN UNS“ eingestiegen.

Was steckt hinter der „Initiative Barrierefrei Feiern“ und wie ist sie entstanden?

Die Initiative vereint Menschen mit ganz unterschiedlichen Behinderungen, die alle ihre ganz eigenen Erfahrungen und Bedürfnisse mitbringen. Sie geben diese an die Veranstaltenden oder Clubbetreiber:innen weiter, die daraus wiederum konkrete Maßnahmen ableiten können. Wir setzen unsere Teams immer aus Menschen mit mehreren Perspektiven zusammen, zum Beispiel aus einer rollstuhlfahrenden und einer blinden Person. Der Grund dafür ist, dass ich als Rollstuhlfahrer mir nicht anmaße, über die Bedürfnisse von Blinden entscheiden zu können – und andersherum ist es genauso.
Entstanden ist die Initiative dank der heutigen Geschäftsführerin der Beratungsagentur „WIR KÜMMERN UNS“, Elnaz Amiraslani. Bevor es die Agentur und die Initiative gab, hat sie als Tourmanagerin für eine Band mit einer blinden Sängerin gearbeitet und dabei schnell gemerkt, mit welchen Barrieren und Benachteiligungen Menschen mit Behinderungen im Kulturleben konfrontiert sind. Daraufhin hat sie die Initiative als gemeinnütziges Kollektiv gegründet, später kam dann die Beratungsagentur hinzu. Ich bin Teil von beidem und unterstütze die „Initiative Barrierefrei Feiern“ mit meinem Fachwissen, das ich durch das Organisieren von Großveranstaltungen und durch meine privaten Erfahrungen erworben habe.

Mit welchen Angeboten hilft die Initiative beispielsweise Clubbetreiber:innen dabei, ihre Veranstaltungen barrierefreier zu gestalten?

Wir bieten Workshops zu Inklusion und Barrierefreiheit in der Popkultur an. Dazu gehören auch Maßnahmen, die für das Thema als solches sensibilisieren sollen. Es können aber auch Sprechstunden bei uns gebucht werden. Im Idealfall arbeiten die Veranstaltenden ganzheitlich mit uns zusammen, das heißt, wir begleiten gemeinsam mit ihnen den gesamten Prozess etwa eines Festivals. Das beinhaltet neben den Workshops auch Strategiepapiere, Handbücher, einen Bereich „Häufig gestellte Fragen“ für die Website und eine Überprüfung der Barrierefreiheit derselben. Die „Häufig gestellten Fragen“ sind dazu da, im Vorfeld Anfragen abzufangen, weil diese sich oft gleichen. Zum Beispiel fragen viele nach Infos zu den Tickets, zur Anreise oder zu den Regelungen für Begleitpersonen. Weitere Teile des Prozesses sind außerdem Ortsbegehungen, mobile Dienstleistungen auf den Veranstaltungen selbst, Community-Management, eine inklusive Programmgestaltung sowie Akquise, etwa von Gebärdensprachdolmetschenden, und deren Koordination.

Welche Projekte hat die Initiative schon erfolgreich begleitet und was ist noch geplant?

Wir werden mit unserem Team oft dafür gebucht, eine Veranstaltung vor Ort zu begleiten. Die Königsdisziplin sind dabei unsere „Services für Gäste mit Behinderung“, die wir beispielsweise bei Großveranstaltungen wie Konzerten von „Die Ärzte“ anbieten, bei denen mehr als 200 Gäste mit Behinderung im Publikum sind. Dazu gehört etwa ein Treffpunkt beim Konzert, den alle aufsuchen und dort Infos bekommen können, aber beispielsweise auch die Begleitung von blinden Menschen, damit sie sich auf dem Gelände gut zurechtfinden.
Wir werden dieses Jahr außerdem erstmals das Lollapalooza-Festival in Berlin im Vorfeld und vor Ort begleiten. Dort werden ca. 60.000 Besucher:innen erwartet, darunter sicherlich auch viele junge Menschen mit Behinderung. Die Arbeit vor Ort macht großen Spaß, weil wir dort mit der Community in den direkten Austausch gehen dürfen.

Welche Ziele möchten Sie in den nächsten Jahren erreichen?

Unser wahrscheinlich sehr optimistisches, aber konkretes Ziel ist es, dass alle Menschen gleichberechtigt gemeinsam feiern können – und zwar ohne, dass dabei einzelne Personengruppen sozial oder infrastrukturell benachteiligt werden und deswegen besondere Vorkehrungen treffen müssen. Das ist nur durch barrierefreie Kulturangebote möglich, von denen es aktuell noch viel zu wenige gibt, obwohl die UN-Behindertenrechtskonvention genau das vorschreibt. Bis dieses Ziel erreicht ist, setzen wir uns als Kollektiv dafür ein, Veranstaltende, Club-Betreibende und die Kulturpolitik bestmöglich für das Thema zu sensibilisieren – und so viele Veranstaltungen wie nur möglich dabei zu unterstützen, Barrieren abzubauen.

Wer kann bei der Initiative „Barrierefrei Feiern“ mitmachen?

Grundsätzlich sind bei uns alle willkommen, die sehr kulturaffin sind und sich wegen einer körperlichen, sensorischen oder psychischen Beeinträchtigung als Mensch mit Behinderung identifizieren. Bestenfalls hat die Person schon erste Berufserfahrungen mit Kunst, Kultur und Veranstaltungen gesammelt, und ganz besonders freuen wir uns über Künstler:innen mit Behinderung in unseren Reihen. Es ist natürlich auch nicht verkehrt, wenn jemand gut und klar kommunizieren kann und ein Grundverständnis für die politischen Dimensionen von Behindertenrechten und Inklusion mitbringt. Denn tatsächlich haben viele unserer Mitstreiter:innen ihren Aktivismus erst entwickelt, seit sie bei uns mitmachen.




Virtuelle Schere für mehr Inklusion: Wie „Mixed Reality“ angehende Friseur:innen in der Ausbildung unterstützt

Haare schneiden, ohne eine Schere in die Hand zu nehmen: Was wie Zauberei klingt, gehört im Berufsbildungswerk Hamburg zum Alltag in der Berufsausbildung angehender Friseur:innen. Dank einer so genannten Mixed-Reality-Brille verschmelzen hier virtuelle und reale Welt miteinander: Die Brille ermöglicht es, Haarschnitte zu üben und komplexe Techniken sichtbar zu machen, bevor sie an echten Haaren angewendet werden. Das hilft den jungen Menschen mit und ohne Behinderung dabei, das Handwerk ohne Druck und Risiko zu erlernen, und stärkt ihr Selbstvertrauen.

Hinter dem Ansatz steht das vom Bund geförderte Projekt EdAL MR 4.0. Die Abkürzung bedeutet „Entwicklung und Erprobung digitalisierter Arbeitshilfen und Lerneinheiten auf Mixed Reality Basis in der beruflichen Reha-Ausbildung zur Vorbereitung auf den Arbeitsmarkt 4.0”. Das Projekt zielt also darauf ab, Menschen mit Behinderung oder Förderbedarfen durch digitale Werkzeuge und Lernkonzepte dabei zu unterstützen, ihre Ausbildung erfolgreich zu absolvieren – oder beispielsweise von einer Werkstatt für behinderte Menschen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu wechseln.

Der NDR hat das Berufsbildungswerk Hamburg und die Azubis besucht und sich das innovative Ausbildungskonzept aus der Nähe angeschaut. Hier lest ihr die ganze Reportage.




„Es reicht nicht, nur zu sensibilisieren – wir brauchen gesetzliche Verpflichtungen“

Herr Brückner, es heißt, Kulturorte in Deutschland seien oft wenig inklusiv. Was haben Sie persönlich erlebt, was das besonders verdeutlicht?

Es klingt banal, aber es ist eine Tatsache, dass viele Menschen mit Behinderung im Jahr 2024 immer noch nicht in der Lage sind, an Kulturorten auf die Toilette zu gehen. Wenn ein so simples Grundbedürfnis nicht erfüllt ist, ist es kaum verwunderlich, dass Menschen mit Behinderung sich oft dagegen entscheiden, an Veranstaltungen teilzunehmen und Teil von Kultur zu sein. Aus meiner Perspektive als Künstler ist es ganz ähnlich: Über 90 Prozent der Bühnen, auf denen ich bisher gespielt habe und spiele, sind nicht barrierefrei. Das bedeutet, dass ich mit meinem Rollstuhl nicht eigenständig auf die Bühne gelangen kann und darauf angewiesen bin, getragen oder geschoben zu werden. Das erschwert das Künstlerdasein enorm, und auf dieser Ebene ist es sogar noch deutlich komplizierter, als es bereits für Gäste mit Behinderung ist.

Woran liegt es, dass das in Deutschland oft so schlecht funktioniert?

Weil das Thema oft nicht ganzheitlich gedacht wird. Wenn es darum geht, auf die unterschiedlichen Formen von Behinderung Rücksicht zu nehmen, hapert es oft noch gewaltig. Zunächst einmal müssten aber sowohl Gäste als auch als Künstler:innen mit Behinderung die Möglichkeit haben, sich vor Ort frei bewegen und agieren können – inklusive der Backstage-Bereiche. Auch in den Teams der Veranstalter:innen müssten selbstverständlicher auch Menschen mit Behinderung mit dabei sein. Das alles ist aber oft noch nicht der Fall. Aber erst, wenn Barrierefreiheit selbstverständlich geworden ist, also der bloße Zugang auf allen Ebenen, das Miteinander und der Austausch zwischen Künstler:innen, Teams und Besucher:innen mit und ohne Behinderung selbstverständlich funktionieren – dann nähern wir uns Inklusion.

Wie ließe sich das – vielleicht auch mit einfachen Mitteln – ändern?

Ein großes Problem ist, dass wir in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern keine rechtlich bindenden Regelungen für Barrierefreiheit haben. Es gibt zwar Gesetze, die viel Gutes beinhalten, aber sie sind meistens nicht verbindlich. Es wird also häufig nicht sanktioniert, wenn etwas nicht umgesetzt wird. Privatwirtschaftliche Unternehmen können sogar noch viel weniger dazu gezwungen werden, etwas zu tun. So müssen wir oft auf Freiwilligkeit hoffen, und die ist nicht allzu häufig vorhanden. Es fehlt meist an Verständnis und Sensibilität für die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung. Diese Zielgruppe wird oft nicht gesehen, nicht mitgedacht und außerdem häufig unterschätzt.

Spielen auch die Kosten eine Rolle?

Das wird oft gesagt, stimmt pauschal aber nicht. Viele Dinge könnten ohne großen finanziellen Aufwand verändert werden, etwa durch eine barrierefreie Kommunikation. Das ist aus meiner Sicht auch eines der größten Arbeitsfelder. Um beispielsweise Social-Media-Kanäle für blinde und sehbehinderte Menschen so zu gestalten, dass sie technisch zugänglich sind, braucht es nicht viel. Hier fehlen meist nur Bildbeschreibungen und Alternativtexte. Das konsequent zu ergänzen, ist also eine sehr kostengünstige Maßnahme. Ein ebenfalls einfacher, aber wichtiger Schritt wäre auch, den aktuellen Zustand der Barrierefreiheit eines Ortes auf der Website transparent darzustellen. Das würde schon so vielen Menschen mit Behinderung helfen, weil sie sich dann nicht ohne Vorwissen in eine unsichere oder sogar traumatisierende Situation begeben müssten, sondern sich vorab informieren und dann frei entscheiden könnten, ob sie sich auf das Event einlassen möchten oder nicht. Das kostet wenig Geld, erfordert aber etwas Zeit und das Mitdenken der Bedürfnisse von Besucher:innen mit Behinderung.

Haben Sie weitere Tipps für Veranstalter:innen, wie sie die Barrierefreiheit auf und vor der Bühne verbessern können?

Ein häufiger Fehler ist es, Barrierefreiheit darauf zu reduzieren, dass der Ort „nur“ rollstuhlgerecht sein muss. Dabei sind die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung so vielfältig wie die Behinderungen selbst. Entsprechend müssen die Maßnahmen auch unterschiedlich sein. Neben nicht vorhandenen Rampen gibt es viele weitere Hürden, insbesondere in der Kommunikation. Bei Websites sind beispielsweise Texte in schwer verständlicher Sprache ein Problem, weil das Menschen mit anderen Lern- und Lesemöglichkeiten ausschließt. Hier würden kürzere Sätze und der Verzicht auf englische Begriffe oder Fachsprache sehr helfen.

Was können Veranstalter:innen tun, die sich nicht gut mit den Belangen von Menschen mit Behinderungen auskennen?

Sie sollten aufhören, selbst zu beurteilen, was gut und richtig ist. Stattdessen sollten sie den Dialog mit Menschen mit Behinderung suchen, um deren Expertise einzubeziehen. Diese Menschen müssen gar nicht unbedingt professionell organisiert sein, wie es zum Beispiel unsere Beratungsagentur „WIR KÜMMERN UNS“ ist. Oft gibt es auch im Freundes- oder Familienkreis Personen mit Behinderung, die wertvolle Tipps geben können. Das ist der erste und der wichtigste Schritt: Ins Gespräch gehen mit Menschen mit Behinderung, nach dem Motto „Nichts über uns ohne uns“.

Welche Akteur:innen sehen Sie besonders in der Verantwortung, damit es mit der Inklusion in der Kultur vorangeht?

Deutschland hat sich im Jahr 2009 mit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet, mehr für Menschen mit Behinderung zu tun. Dazu gehört auch der Zugang zur Kultur und die Möglichkeit für Menschen mit Behinderung, ihr künstlerisches Potenzial zu entfalten. Das Problem ist aber auch hier, dass diese Verpflichtungen nicht sanktioniert werden, wenn sie nicht erfüllt werden. Außerdem liegt der Fokus ausschließlich auf dem öffentlichen Sektor, während der private Bereich außen vor bleibt. Hier muss ein grundlegendes Umdenken stattfinden, und das auf allen Ebenen. Von der Bundesregierung in Berlin bis runter zu den einzelnen Städten und Gemeinden brauchen wir mehr politische Solidarität mit Menschen mit Behinderung. Dabei reicht es nicht aus, nur für das Thema zu sensibilisieren. Es braucht dringend gesetzliche Verpflichtungen und auch Sanktionen, um wirklich Fortschritte zu erzielen.

Was würden Sie selbst an der Förderung von Veranstaltungen zugunsten von mehr Inklusion verändern, wenn Sie könnten?

In unserem Kollektiv haben wir Licht- und Veranstaltungstechniker:innen, deren berufliche Möglichkeiten stark eingeschränkt sind, weil es viel zu wenige barrierefreie Arbeitsplätze in den Bühnen- und Backstage-Bereichen gibt. Genauso ist es oft für die Künstler:innen. Und die Bereiche für Gäste betrifft das Thema ja sowieso. Deswegen es unbedingt erforderlich, inklusive Maßnahmen zu fördern. Gleichzeitig müssen diese Maßnahmen gesetzlich verpflichtend sein, auch für schon bestehende Kulturorte – aber es ist wichtig, sie dabei zu unterstützen, sie mit den Anforderungen also nicht alleine zu lassen. Neue Veranstaltungsorte wiederum müssen von Beginn an verpflichtet werden, barrierefrei zu planen und zu bauen. Barrierefreiheit muss so selbstverständlich und unabdingbar wie Brandschutz- oder Evakuierungsauflagen sein. Darüber hinaus darf Kulturförderung im Allgemeinen nur dann gewährt werden, wenn Barrierefreiheit vor, auf und hinter der Bühne mitgedacht wird. Und das bedeutet eben auch, Künstler:innen mit Behinderung zu einem selbstverständlichen Teil von Veranstaltungen und des Bühnenprogramms werden zu lassen. —




Die REHACARE-Messe 2024: Selbstbestimmt leben

Die Paralympics sind gerade vorbei, auf der REHACARE 2024 geht es im Sport-Center (Halle 7a) munter weiter: Hier stellt unter anderem der Behinderten- und Rehabilitationssportverband Nordrhein-Westfalen (BRSNW) die vielfältigen Möglichkeiten des inklusiven Sports vor. Von Sport-Hilfsmitteln für Menschen mit Behinderung über neue Sportarten oder Freizeit- und Sportangebote in Vereinen ist alles vertreten. Die Besucher:innen können sich unterschiedliche Angebote von Tischtennis und Para-Ski anschauen und – unter der Leitung des BRSNW – selbst ausprobieren.

Forschung und Hilfsmittel für mehr berufliche Teilhabe

Auch die berufliche Teilhabe spielt auf der Messe dieses Jahr wieder eine große Rolle. In der neu hinzugekommenen Halle 1 zeigen verschiedene Aussteller:innen wieder praktische Hilfsmittel, die den Arbeitsalltag für Menschen mit Behinderungen erleichtern sollen – oder es ihnen ermöglichen, überhaupt erst wieder am Arbeitsleben teilzunehmen.
Das Forschungsprojekt „Smarte Inklusion“ der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaft und weiteren Projektpartnern etwa zielt genau darauf ab. Es soll Menschen mit Hirnschädigungen dabei unterstützen, wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, indem es sie mit digitalen Hilfsmitteln wie Apps auf dem Smartphone oder einer Smartwatch gezielt unterstützt.

Vielfältige Beratungsangebote für Unternehmen und Arbeitnehmer:innen

Darüber hinaus gibt es wieder eine Menge Beratungsangebote rund um das Thema „Arbeit und Inklusion“. Die Deutsche Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) stellt auf der Messe beispielsweise ihre Jobvermittlungsstelle „DGUV job“ vor. Damit unterstützt sie gezielt Menschen, die nach einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit wieder ins Arbeitsleben zurückkehren möchten. Hier können Führungskräfte direkt Kontakte knüpfen und sich über Maßnahmen zur Eingliederung informieren. Außerdem gibt es Simulationen von Rollstuhl-Sportarten, die die Gäste selbst ausprobieren können​.

Die Inklusionsämter der beiden Landschaftsverbände (LWL und LVR) sind auf der Messe ebenfalls wieder mit dabei und bringen Expert:innen von der Eingliederungshilfe und den Integrationsfachdiensten (IFD) mit. Sie alle beraten am Messestand ausführlich zu folgenden Themen:

  • Wie können Beschäftigte mit Schwerbehinderung am Arbeitsplatz und deren Arbeitgeber:innen unterstützt werden? Welche Fördermöglichkeiten gibt es?
  • Alles rund um das Thema Kündigungsschutz
  • Teilhabe für Kinder, Jugendliche und Erwachsene
  • Übergang von der Schule ins Arbeitsleben ( → Programm „KAoA-STAR“, Abkürzung für „Kein Abschluss ohne Anschluss – Schule trifft Arbeitswelt“)
  • Eingliederungshilfe und Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM)
  • Wechsel von der Werkstatt für behinderte Menschen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt

Tipp für alle Schwerbehindertenvertretungen und Inklusionsbeauftragten aus Westfalen-Lippe:

Das LWL-Inklusionsamts Arbeit schenkt dieser Gruppe freien Eintritt zur Messe. Dafür einfach auf dieser Seite (dritter Themen-Abschnitt) per E-Mail einen Gutscheincode anfordern




Lese-Tipp: Warum es heikel sein kann, wenn Hörende Musik für Gehörlose dolmetschen

Laura Maaß stand bei vielen Konzerten etwa von Seeed und Peter Maffay auf der Bühne und gebärdete. Dabei ging es ihr nie nur um die Liedtexte, sondern auch um den Rhythmus, die Melodie, die Instrumente und die Stimmung der Songs, die sie mit dem ganzen Körper sichtbar machen wollte. Sie entwickelte dafür eine ganz eigene Technik, für die sie in der Kulturszene bald bekannt war. Mit anderen hörenden und gehörlosen Musikdolmetscher:innen gründete sie sogar ein Kollektiv, das für die Live-Übersetzungen durchs Land tourte. Bis die Gehörlosen-Aktionsgruppe #DeafPerformanceNow bei einem der von Laura Maaß gedolmetschten Konzerte auftauchte und ihren Unmut kundtat: Sie fanden es falsch, dass eine Hörende Musik für Gehörlose übersetzt.
Nach dem Protest, der sich online weiter fortsetzte, zog sich das Kollektiv um Laura Maaß zurück. 2020 löste sie es ganz auf.

Doch was genau steckte hinter dem Protest? Die #DeafPerformanceNow-Gruppe ist inzwischen ebenfalls nicht mehr aktiv, konnte für den Artikel also nicht mehr befragt werden. Die FLUTER-Autor:innen sprachen deshalb mit Elisabeth Kaufmann, der Vizepräsidentin des Deutschen Gehörlosen-Bunds. Sie erklärt die Gründe für den Unmut der Protestgruppe, den sie durchaus nachvollziehbar findet. Einer davon: Viele Gehörlose verstehen hörende Musikdolmetscher:innen gar nicht, weil der Übersetzung ein völlig anderes Erleben zugrunde liegt – nämlich das von Hörenden. Und noch weitere Aspekte findet Kaufmann an dieser Art der kulturellen Vermittlung schwierig.




Hör-Tipp: Wie Freiwilligen-Teams aus Menschen mit und ohne Behinderung bei der Fußball-EM 2024 mithelfen

Insgesamt sind während der EM rund 16.000 freiwillige Helfer:innen im Einsatz, ungefähr 1.600 an jedem der zehn Austragungsorte. Darunter sind auch einige inklusive Zweierteams, in denen je ein Mensch mit einer geistigen, körperlichen oder Lern-Behinderung mit einem Menschen ohne Behinderung zusammenarbeitet. Diese Tandems gibt es im ganzen Land. Die Stadt Köln sticht aber besonders hervor: Sie hat 50 dieser Zweier-Teams im Einsatz und damit mit Abstand die meisten in Deutschland.

Deutschlandfunk Nova stellt die Volunteer-Tandems in diesem knapp sechsminütigen Hör-Beitrag vor und erklärt, wie sie funktionieren und welche Aufgaben die Teams bei der EM erfüllen.
(Tipp: Um den Beitrag abzuspielen, diesem Link folgen und dann oben, direkt unterhalb des Beitragstitels, den grün-weißen „Play“-Button anklicken.)




Tipps für mehr Barrierefreiheit und Inklusion, Teil 3: Die „Teilhabe 4.0“-Toolbox

Das Portal „Teilhabe 4.0“ ist eine Sammlung aus Werkzeugen, Checklisten, Leitfäden und Informationen und richtet sich nach eigenen Angaben an Mitarbeiter:innen der Arbeitsbereiche Management, Beschaffung, Öffentlichkeitsarbeit und Entwicklung – aber auch alle anderen Interessierten können die Toolbox nutzen. Mit dem „Tool-Finder“ können Suchergebnisse gezielt nach konkretem Bedarf gefiltert werden. Daraufhin erscheinen etwa Informationen zu Assistenztechnologien, Einfacher oder Leichter Sprache, der Entwicklung von Apps, inklusivem Design oder zu rechtlichen Grundlagen.

Wie die Beiträge in der Toolbox aussehen und aufgebaut sind, stellen wir anhand von drei Beispielen vor.

Screenshot des Toolbox-Eintrags „Check-Artikel“
Übersichtsseite des Eintrags „Check-Artikel“. Screenshot: Toolbox Teilhabe 4.0 | Kompetenzzentrum Barrierefreiheit Volmarstein (KBV)

Mit dem digitalen Fragebogen werden schrittweise verschiedene Qualitätsanforderungen an einen Text abgeklopft – beispielsweise, ob im Artikel eine diskriminierungsfreie Sprache verwendet wurde. Direkt bei der Frage wird auf weiterführende Angebote wie die Website leidmedien.de verlinkt, die konkrete Tipps zur Erfüllung dieser Anforderung geben.

Screenshot einer Beispiel-Frage aus dem Fragebogen „Check-Artikel“
Beispiel-Frage aus dem Fragebogen „Check-Artikel“. Screenshot: Toolbox Teilhabe 4.0 | Kompetenzzentrum Barrierefreiheit Volmarstein (KBV)

Eine weitere Frage in der „Check-Artikel“-App ist, ob der Wechsel zu einer anderen Sprache, beispielweise zu Englisch, im Artikel korrekt gekennzeichnet wurde. Der Hintergrund: Screenreader können einen Sprachwechsel nicht ohne weiteres erkennen, wenn das Fremdwort ungewöhnlich oder selten ist und daher nicht im Duden vorkommt. Deshalb ist es notwendig, in solchen Fällen das Attribut „lang“ (für „language“) einzufügen und zu markieren, dass die Sprache in einem oder über mehrere Wörter hinweg zu Englisch wechselt. Auch Abkürzungen können durch ein eigenes Attribut gekennzeichnet und so für Screenreader lesbar aufgelöst werden – oder sie werden von vorn herein vermieden, was ebenfalls eine barrierefreie Lösung beim Schreiben von Texten ist.

Screenshot einer Beispiel-Frage aus dem Fragebogen „Check-Artikel“
Beispiel-Frage aus dem Fragebogen „Check-Artikel“. Screenshot: Toolbox Teilhabe 4.0 | Kompetenzzentrum Barrierefreiheit Volmarstein (KBV)

So geht es Schritt für Schritt weiter, bis idealerweise alle Anforderungen an den Text geprüft wurden und erfüllt sind. Am Ende gibt es einen Bericht, der zeigt, was schon erfüllt ist und welche Bereiche des Textes noch bearbeitet werden sollten. Das Tool „Check-Artikel“ hilft so dabei, an einem ganz konkreten Anwendungsfall und fast wie nebenbei eine Menge darüber lernen, worauf es beim barrierefreien Schreiben und Veröffentlichen von Texten ankommt – und die gefundenen Probleme direkt zu beheben.

Übrigens: Das Tool „Check-Text“ ist sehr ähnlich aufgebaut, bei diesem geht es aber darum, in Microsoft Word verfasste Texte auf Barrierefreiheit zu überprüfen. Dafür gelten nämlich etwas andere Anforderungen als für Web-Artikel.


Screenshots eines Abschnitts zu Alternativtexten aus dem Toolbox-Eintrag „Barrierefrei Texten fürs Web“.
Abschnitt zu Alternativtexten aus dem Toolbox-Eintrag „Barrierefrei Texten fürs Web“. Screenshot: Toolbox Teilhabe 4.0 | Kompetenzzentrum Barrierefreiheit Volmarstein (KBV)

In diesem Kapitel werden in mehreren Teilabschnitten die wichtigsten Infos zu den einzelnen Bereichen kompakt und anschaulich aufbereitet, die beachtet werden sollten. Außerdem gibt es immer wieder Beispiele und weiterführende Links. Interessierte können sich so sehr fundiert mit dem Thema beschäftigen und schrittweise die eigene Redaktionsarbeit an die Anforderungen anpassen.


Screenshot des Toolbox-Eintrags „Modularer Leitfaden für Entwickler:innen“

Wird dieser Leitfaden befolgt und entsprechend gefiltert, taucht in den Suchergebnissen beispielsweise ein Test-Tool auf, mit dem der Kontrast einer Anwendung überprüft werden kann, oder ein Dossier von Microsoft rund um inklusives Design – das allerdings auf Englisch ist.

Insgesamt enthält die Toolbox über 200 Einträge zu verschiedenen Arbeitsbereichen. Diese Tatsache und die drei vorgestellten Beispiele zeigen schon, was die besondere Qualität dieses Portals ist: Es sammelt und strukturiert fundiertes Wissen und nützliche Werkzeuge für ganz verschiedene Zielgruppen und Anwendungsfälle so, dass sie leicht zugänglich, schnell auffindbar und gut aufzunehmen sind. Mit eigenen Recherchen im Netz lässt sich das kaum oder gar nicht erreichen. Einziges Manko der Toolbox: Manche externen Inhalte gibt es nur auf Englisch, was für einige Nutzer:innen eine sprachliche Hürde sein könnte.

Unabhängig davon sind die Inhalte, die in den Beiträgen der Toolbox zusammengetragen werden, stets anschaulich und kompakt aufbereitet – und dennoch sind gerade die weiterführenden Inhalte tiefgreifend genug, dass auch eine fachliche Auseinandersetzung mit einem Thema möglich ist.




Wertschöpfung, wirtschaftlicher Erfolg und Vorbildfunktion: Die Ergebnisse einer Studie zeigen, wie Inklusionsunternehmen gesellschaftlich wirken

Frau Rustige, Sie und Ihr Team haben die MehrWirkung“- Studie beauftragt. Was war der Antrieb, so eine große Erhebung durchzuführen?

Wir, also die Bundesarbeitsgemeinschaft Inklusionsfirmen, interessieren uns schon länger dafür, den Zusammenhang zwischen der staatlichen Förderung von Inklusionsunternehmen und den gesellschaftlichen, sozialen und finanziellen Auswirkungen dieser Förderung genauer zu untersuchen. Wir möchten damit herausfinden, welche Rahmenbedingungen künftig nötig sind, um die Inklusion auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt weiter voranzutreiben. Für die Grundlagenforschung, die dafür durchgeführt werden müsste, fanden wir in der Politik aber leider keine Unterstützung. Deshalb haben wir uns kurzerhand dazu entschieden, die Studie selbst in Auftrag zu geben.

Warum war es so wichtig, zum von Ihnen genannten Zusammenhang zu forschen?

Weil Inklusionsunternehmen aus unserer Sicht etwas sehr Wichtiges leisten, wir diese Wirkung aber nicht nur behaupten, sondern sie belastbar messen und nachweisen wollen. Schon jetzt haben solche Analysen nämlich einen sehr hohen Stellenwert, in Zukunft werden sie für ganz verschiedene Gruppe aber wohl noch wichtiger werden: für politisch Handelnde, für Geldgeber:innen und Unterstützer:innen, für Verbraucher:innen, aber auch für Unternehmen. Auch für unsere Kommunikation nach innen und außen sind die Ergebnisse der Studie sehr wichtig – und für die Inklusionsunternehmen selbst, die die Ergebnisse gern für ihre eigene Öffentlichkeitsarbeit nutzen möchten. Dafür bauen wir gerade ein Portal zur eigenen Wirkungsmessung der Betriebe und ein „Gütesiegel“ auf. Dieses soll immer dann vergeben werden, wenn ein Unternehmen bei der Messung bestimmte Mindestkriterien erreicht.

Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Ergebnisse der Studie?

Zuallererst, dass Inklusionsbetriebe wirken, und zwar auf unterschiedlichen Ebenen und in unterschiedlichen Bereichen. Wir konnten beispielsweise zeigen, dass sich Beschäftigte mit Behinderung in Inklusionsunternehmen in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt fühlen, ein eigenständigeres und unabhängigerer Leben führen können und eine höhere Wertschätzung aus dem Umfeld erfahren. Außerdem wirkt sich die Beschäftigung in einem Inklusionsbetrieb positiv auf ihre seelische Gesundheit aus.
Die Studie zeigt außerdem, dass Inklusionsunternehmen eine Vorbildfunktion haben und so einen weiteren, wichtigen gesellschaftlichen Beitrag leisten: Sie machen die Leistungsfähigkeit von Menschen mit Behinderungen sichtbar und tragen damit zur Entstigmatisierung bei. Inklusionsbetriebe entlasten nicht zuletzt auch unsere Sozialsysteme. Das liegt daran, dass durch ihre Wertschöpfung und verschiedene weitere Mechanismen weit mehr Geld wieder in die Sozialversicherungssysteme zurückfließt, als vorher aus den Nachteilsausgleichen vom Staat in die Inklusionsunternehmen hineingegeben wurde.

Welche Daten haben Sie in der Studie erhoben?

Zunächst einmal haben wir uns die „harten Zahlen“ angeschaut, also Daten etwa zu den Finanzen der Unternehmen gesammelt. Dazu zählen beispielsweise der Umsatz oder auch Nachteilsausgleiche, die ein Unternehmen vom Staat erhalten hat. Darüber hinaus haben wir geschaut, wie es mit den Arbeitsverhältnissen im Betrieb aussieht: Wie viele Krankheitstage hatten die Beschäftigten? Gibt es befristete Arbeitsverträge, und wenn ja, wie viele? Wie sieht es mit Ausbildungsplätzen aus? Gibt es eine arbeitsbegleitende Betreuung? Wie hoch ist das Durchschnittseinkommen der Belegschaft? Diese Daten haben wir, wo immer es möglich war, mit verfügbaren Kennzahlen von Nicht-Inklusionsbetrieben verglichen.

Sie haben im Rahmen der Studie auch Befragungen durchgeführt. Wen haben Sie zu welchen Themen interviewt?

Wir haben im Rahmen der Studie mit insgesamt 498 Mitarbeiter:innen aus Inklusionsunternehmen mit und ohne Behinderung gesprochen, und zwar zu Themen wie Zufriedenheit, seelischer Gesundheit, Selbstvertrauen, sozialer Einbindung durch die Arbeit, beruflicher Entwicklung, Weiterbildung, finanzieller Unabhängigkeit und selbstständiger Lebensführung. Wir haben außerdem Kund:innen und Auftraggeber:innen der Inklusionsunternehmen in die Studie einbezogen sowie die Inklusionsämter in allen 16 Bundesländern. Aus all dem ist ein einzigartiger Wirkungskompass entstanden.

Haben Sie bei Ihrer Untersuchung auch Bereiche entdeckt, in denen noch etwas verbessert werden müsste?

Ja, wir konnten auch Entwicklungs- und Verbesserungsmöglichkeiten mit unserem Messverfahren sehr gut erkennen. Wir haben zum Beispiel festgestellt, dass bei der Fort- und Weiterbildung sowie bei der Personalentwicklung durchaus noch Luft nach oben ist. Daraus ergibt sich übrigens ein weiterer Vorteil einer solchen Datenerhebung: Wenn wir die Studie in einigen Jahren erneut durchführen, können wir genau messen, ob die Inklusionsunternehmen in diesen Bereichen besser geworden sind.

Wollten Sie auch Nicht-Inklusionsunternehmen mit den Ergebnissen erreichen?

Die Studie war nicht darauf ausgelegt, Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarktes davon zu überzeugen, dass Inklusion sinnvoll ist oder dass die damit verbundenen Maßnahmen unkompliziert und kostengünstig sind. Nichtdestotrotz liefern manche Ergebnisse der Studie starke Argumente für betriebliche Inklusion. Zum Beispiel, dass Mitarbeiter:innen mit Behinderungen oft besonders loyale Arbeitnehmer:innen sind, die häufig sehr lange im Betrieb bleiben. Oder, dass sich durch im Betrieb gelebte Inklusion bestimmte Kund:innengruppen automatisch angesprochen fühlen, die ihre Kaufentscheidung von sozialen Aspekten abhängig machen. Aber auch – ganz wichtig –, dass die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen keinen negativen Einfluss auf die Qualität der Produkte und Dienstleistungen hat. 99 Prozent der Kund:innen und Auftraggeber:innen sind damit nämlich vollumfänglich zufrieden, das konnten wir in der Studie zeigen. Vielleicht können wir mit diesen Erkenntnissen also tatsächlich auch solche Unternehmen ein wenig überzeugen, die bisher noch einen großen Bogen um das Thema Inklusion gemacht haben.





Inklusion in der Politik: Die Spanierin Mar Galcerán ist Europas erste Abgeordnete mit Down-Syndrom

„Viele sehen uns Menschen mit Down-Syndrom als ewige Kinder“, sagt Mar Galcerán – und erklärt damit aus ihrer Sicht, warum bis heute kaum Menschen mit dieser Behinderung in der Politik zu finden sind. Sie selbst ist seit September 2023 Mitglied des spanischen Parlaments und damit die erste Frau mit Down-Syndrom in Europa, die Mitglied in solch einem politischen Gremium ist. Sie glaubt, dass der Weg hin zu einer diversen und inklusiveren Politik nur darüber führt, dass Menschen mit Behinderung mehr Raum gegeben wird – und zwar dafür, sowohl Verantwortung zu übernehmen als auch Fehler zu machen.

Den ganzen Tagesspiegel-Artikel über Mar Galcerán lest ihr hier.