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Audio-Tipp: Politiker:innen mit Behinderung berichten von ihrer Arbeit – im Podcast „IGEL – Inklusion Ganz Einfach Leben“

Eine der drei Politiker:innen in der Runde ist Annette Standop, die hauptberuflich als Coachin arbeitet und ehrenamtlich Vorsitzende der Grünen-Fraktion in Bonn ist – für sie ein herausforderndes, aber sehr lohnendes Ehrenamt.
Der zweite Gast Oswald Utz saß für die Grünen im Münchner Stadtrat und hat dort viel bewegt, wie er sagt. Nach einer Wahlperiode ist er aber nicht erneut angetreten und engagiert sich stattdessen seit vielen Jahren als Behindertenbeauftragter der Stadt München.
Katrin Gensecke ist SPD-Abgeordnete im Landtag von Sachsen-Anhalt und die einzige Berufspolitikerin in der Runde. Sie erzählt, welche Unterstützung sie für ihre Arbeit erhält, damit sie gegenüber Menschen ohne Behinderung keine Nachteile hat.
Die vierte Gesprächsparterin ist Ellen Kubica vom Verein „Bildungs- und Forschungsinstitut zum selbstbestimmten Leben Behinderter e. V. (bifos)“. Sie lebt selbst mit Rollstuhl und möchte anderen Menschen mit Behinderung mit der kostenpflichtigen Fortbildung „Empowerment zur Selbstvertretung“ das Handwerkszeug vermitteln, sich parteipolitisch oder in einer anderen Organisation zu engagieren. Ihrer Ansicht nach ist jede Form der Selbstvertretung politisch – und sehr wichtig.




Einheitliche Ansprechstellen für Arbeitgeber (EAA): Ein kostenloses Beratungsangebot für Unternehmen, die Menschen mit Behinderung beschäftigen möchten

Frau Zumbrock und Herr Münch, Sie beraten und unterstützen Arbeitgeber:innen in den neuen Einheitlichen Ansprechstellen. Was können Sie für Unternehmen in dieser Position tun?

Christian Münch: Wenn ein Betrieb einen Menschen mit Schwerbehinderung einstellen, ausbilden oder weiterbeschäftigen möchte, helfen wir bei allen Fragen dazu weiter. Wir haben zwar nicht selbst alle Antworten, aber wir kennen die richtigen Ansprechpersonen und vermitteln dann. Deshalb werden wir und unsere Kolleg:innen in den anderen EAA auch als Lotsinnen und Lotsen bezeichnet. Das Hilfesystem mit den vielen verschiedenen Trägern und Institutionen ist ja sehr komplex – wir lotsen Unternehmen daher zu der für sie passenden Lösung und Unterstützung.

Ursula Zumbrock: Wir gehen dabei sehr pragmatisch vor und bringen viel Verständnis für die Arbeitgeber:innen mit. Für ihre Fragen und Anliegen, vielleicht aber auch ihre Sorgen, weil sie sich einfach noch nicht so gut auskennen. Wir überlegen gemeinsam mit ihnen, was in ihrem Unternehmen möglich ist, für welche Aufgaben sie neue Arbeitskräfte brauchen und wie wir unterstützen können.

Können sich auch Unternehmen bei Ihnen melden, die noch gar nicht genau wissen, ob sie einen inklusiven Arbeitsplatz einrichten möchten?

Münch: Natürlich, solche Anfragen bekommen wir oft. Ich habe neulich ein Industrieunternehmen besucht, das wegen des Fachkräftemangels Schwierigkeiten hatte, Stellen zu besetzen. Die Geschäftsführung wollte deshalb den Betrieb anders organisieren und fragte mich um Rat. Bei einem Rundgang durch das Unternehmen fiel mir auf, dass im Lager eine ausgebildete Fachkraft damit beschäftigt war, Material umzupacken. Hier gäbe es die Möglichkeit, einen Mitarbeiter mit Behinderung einzusetzen, der möglicherweise keine Fachausbildung hat, was für diese Aufgabe aber auch nicht nötig ist. Die Fachkraft wiederum hätte dann mehr Zeit für andere Tätigkeiten.
Der Betrieb suchte außerdem eine:n Auszubildende:n für Lagerlogistik. Auch hier gäbe es die Möglichkeit, einen inklusiven Arbeitsplatz zu schaffen. Am Ende des Rundgangs hatten wir vier oder fünf Stellen im Betrieb gefunden, an denen wir ansetzen können.

Sie schauen sich also auch die Bedingungen vor Ort an?

Zumbrock: Ja, das machen wir sogar oft. Ein solcher Rundgang ist sehr sinnvoll, weil wir von außen in einen Betrieb hineinkommen und einen ganz frischen Blick auf alle Arbeitsplätze und Abläufe haben. Mir fallen dabei oft gleich mehrere Kontakte ein, die ich ansprechen könnte, damit diese für einen bestimmten Aufgabenbereich passende Bewerber:innen vermitteln.

Was brauchen Arbeitgeber:innen, um neue inklusive Arbeitsplätze zu schaffen?

Münch: Meiner Erfahrung nach ist es wichtig, dass wir nach der Beratung direkt die richtigen Kontakte herstellen können. Die Unternehmen wollen ja gern schnell anfangen, sobald wir ihnen die Möglichkeiten aufgezeigt haben. Bevor ich einen Vorschlag mache, frage ich mich deshalb immer: Habe ich Kontakte in meinem Netzwerk, die ich dem Betrieb gleich morgen nennen kann?

Wie geht es weiter, wenn Unternehmen und Bewerber:innen zusammengefunden haben?

Zumbrock: Oft unterstützen wir dann dabei, den neuen Arbeitsplatz behinderungsgerecht auszustatten oder andere Hilfen zu bekommen. Wir vermitteln an die zuständigen Träger weiter, helfen aber auf Wunsch auch, die nötigen Anträge auszufüllen. Wie lange und wie viel wir unterstützen, ist sehr unterschiedlich. Manchmal ist es sehr komplex, weil wir selbst erst einmal klären müssen, welche Träger wir überhaupt einbeziehen müssen. Manchmal reicht auch ein einziger Kontakt, damit es danach gut ohne uns weitergehen kann. Auf jeden Fall begleiten wir jedes Unternehmen so lange, wie es Unterstützung braucht.

Viele Unternehmen kennen Ihr Angebot wahrscheinlich noch gar nicht. Was tun sie, um die EAA bekannter zu machen?

Münch: Wir versuchen das auf ganz verschiedenen Wegen. Wir machen hier in der Region viel allgemeine Öffentlichkeitsarbeit, also zum Beispiel in den sozialen Medien und mit Flyern. Die Berufskammern, bei denen in Nordrhein-Westfalen auch EAA angesiedelt sind, informieren ihre Mitglieder über Newsletter und Magazine.

Gehen Sie auch direkt auf einzelne Unternehmen zu?

Zumbrock: Ja, wir sind auf vielen Veranstaltungen unterwegs, wo wir Arbeitgeber:innen aus verschiedenen Branchen treffen, zum Beispiel bei Unternehmerfrühstücken oder Fachtagungen. Meistens geht es bei diesen Veranstaltungen nicht vorwiegend um Inklusion, sondern um andere Themen. Wir stellen uns den Teilnehmer:innen dort dann trotzdem kurz vor. Oft ergibt sich es sich später, dass wir mit einzelnen Unternehmer:innen direkt ins Gespräch kommen. Neulich habe ich eine Ausbildungsmesse besucht und dort viele Betriebe angesprochen. Ein paar Tage später meldete sich ein Unternehmer bei mir: Er hatte für eine Stelle einen passenden Bewerber mit Behinderung, wusste aber nicht, wie er nun finanzielle Unterstützung für den behinderungsgerechten Arbeitsplatz bekommen konnte. Inzwischen konnten wir schon alles für seinen neuen Mitarbeiter klären.

Wie hat sich Ihre eigene Arbeit durch die EAA verändert?  

Zumbrock: Ich lerne gerade einen neuen Blickwinkel kennen. In den vergangenen 20 Jahren war ich beim Integrationsfachdienst in der Reha-Vermittlung tätig, meine Arbeit ging immer von Menschen mit Behinderung aus, die ich beraten habe. Jetzt geht es um die Perspektive der Arbeitgeber:innen. Für mich ist diese Aufgabe also durchaus neu, auch wenn ich das Hilfesystem schon sehr gut von der anderen Seite kenne und gut vernetzt bin. Und: Von meiner Arbeit profitiert jetzt im besten Fall nicht nur eine bestimmte Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter, sondern das ganze Team innerhalb eines Betriebs. Denn mit einem inklusiven Arbeitsplatz ändert sich ja oft auch die Unternehmenskultur.

Münch: Ich arbeite seit zehn Jahren als Inklusionsberater bei der Industrie- und Handelskammer, meine Aufgaben jetzt ähneln also denen auf meiner alten Position sehr. Für mich ist es aber ein großer Gewinn, dass wir uns unter den Kolleg:innen noch mehr austauschen. In einigen EAA hier in Westfalen sind auch ganz neue Berater:innen dabei. Dadurch bekomme ich neue Impulse für meine Arbeit.

Hat sich Ihrer Beobachtung nach bei den Unternehmen in den vergangenen zehn Jahren etwas verändert?

Münch: Eigentlich beantworte ich nach wie vor ähnliche Fragen wie in der Anfangszeit. Aber ich stelle fest und höre es auch von Kolleg:innen, dass viele Unternehmen offener werden. Das liegt sicher auch am Fachkräftemangel und dem demografischen Wandel. Viele Arbeitgeber:innen sehen, dass Menschen mit Behinderung Teil der Lösung für die Personalprobleme in ihren Betrieben sein könnten. Und manche fragen uns heute aktiv um Rat, weil sie gezielt Menschen mit Behinderung für offene Stellen suchen – das gab es vor zehn Jahren noch nicht. —


Über unsere Interviewpartner:innen




Europäischer Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen: ein Überblick

Video mit DGS
Video ohne DGS


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Mit dem digitalen Werkzeugkasten „Easy Reading“ Internetseiten leichter lesen und verstehen

Frau Heitplatz, Frau Lueg, was genau ist „Easy Reading“?

Vanessa Heitplatz: Easy Reading ist ein kostenloses Programm, das Internetseiten vereinfacht und mit weniger Barrieren darstellt. Es ist eine Art digitaler Werkzeugkasten mit verschiedenen Hilfsmitteln. Die Werkzeuge helfen zum Beispiel, wenn jemand die Schrift schlecht erkennen kann, Wörter nicht gut versteht oder sich auf einer unübersichtlichen Seite schlecht zurechtfindet.

Marie-Christin Lueg: Das Besondere ist, dass Easy Reading immer gleich aussieht, unabhängig davon, ob und auf welche Weise eine Internetseite schon barrierefrei gestaltet ist. Die Nutzer:innen müssen sich also nicht erst jede Seite und die dort vorhandenen Werkzeuge und Symbole erschließen, sondern können sich direkt mit den Inhalten beschäftigen. Wenn sie Easy Reading auf ihrem Computer installiert haben, finden sie das Programm-Menü auf jeder Internetseite ganz leicht über ein Chamäleon-Symbol. Klicken sie das an, klappt sich der Werkzeugkasten auf.

Können Sie die einzelnen Hilfsmittel genauer beschreiben?

Lueg: Es gibt zum Beispiel eine Vorlesefunktion für Menschen mit Leseschwäche oder Sehbehinderung. Eine andere Unterstützung ist das Leselineal, das jeweils eine Textzeile hervorhebt, während der Rest etwas abgedunkelt wird. So fällt es Menschen mit Lernschwierigkeiten oder mit einer Sehbehinderung leichter, sich den Text zu erschließen. Wer mit vielen Bildern oder Werbeanzeigen auf einer Internetseite überfordert ist, kann den Lesemodus anklicken. Der Text wird dann zentriert in einer vergrößerten Schrift und mit größerem Zeilenabstand dargestellt, während alle ablenkenden Elemente verschwinden. Und zu schwierigen Wörtern kann man sich eine Erklärung, ein Bild oder ein Symbol anzeigen lassen.

Das Video zeigt kurz die Funktion „Leselineal“ und ein Beispiel für Erklärtexte, die dann erscheinen, wenn mit der Maus über ein erklärungsbedürftiges Wort gefahren wird.

Easy Reading soll also hauptsächlich Menschen mit Lernschwierigkeiten helfen?

Heitplatz: Ja, und deshalb haben wir das Programm auch zusammen mit sogenannten Peer-Forschenden entwickelt, also mit Kolleg:innen aus der Zielgruppe. In der ersten Projektphase, die von 2018 bis 2020 gedauert hat und von der EU gefördert wurde, haben wir mit einem internationalen und inklusiven Forschungsteam daran gearbeitet. Am Anfang haben die Peer-Forschenden uns erklärt, auf welche Hürden sie im Internet stoßen, und wir haben gemeinsam überlegt, was ihnen helfen könnte. Später haben sie ausprobiert, ob die Werkzeuge gut funktionieren.
Einige Hilfsmittel unterstützen nicht nur Menschen mit Lernschwierigkeiten, sondern zum Beispiel auch Menschen mit Sehbehinderung. Oder Kinder, die gerade lesen lernen und mit einer vereinfachten Darstellung besser zurechtkommen.

Seit August 2022 arbeiten Sie in einem Anschlussprojekt an der Weiterentwicklung Ihres Programms. Was möchten Sie gern noch verbessern?

Heitplatz: Bei den schon bestehenden Werkzeugen untersuchen wir im Rahmen des Anschlussprojekts auch, ob sie für die zusätzlichen Zielgruppen gut funktionieren oder verbessert werden sollten. Wir möchten außerdem herausfinden, für welche weiteren Zielgruppen Easy Reading sinnvoll sein könnte, zum Beispiel für Senior:innen und Menschen mit Migrationshintergrund oder Fluchtgeschichte. Wir haben schon eine Übersetzungsfunktion für verschiedene Sprachen in unseren Werkzeugkasten aufgenommen. Gerade sind Russisch und Ukrainisch sehr wichtig.

Ein Blick in die Zukunft: Müssten Internetseiten demnächst dann überhaupt noch barrierefrei gestaltet sein, wenn alle Menschen Easy Reading nutzen könnten?

Heitplatz: Ja, auf jeden Fall! Unser Programm kann zwar den Zugang zu nicht barrierefreien Seiten erleichtern, es ist aber ausdrücklich kein Ersatz für eine barrierefreie Gestaltung. Die Betreiber:innen von Webseiten müssen zum Beispiel Alternativtexte für dort verwendete Bilder selbst auf der Seite hinterlegen. Das ist von außen nicht möglich. Auf manchen Seiten gibt es außerdem PDF-Dokumente, die nicht barrierefrei sind, aber wichtige Informationen enthalten. Die kann Easy Reading nicht entschlüsseln. Unser Programm kann auch nicht helfen, wenn das Navigationsmenü unübersichtlich aufgebaut ist. Bei all dem sind die Betreiber:innen also weiterhin selbst gefragt.

Lueg: Easy Reading kann aber auch auf bereits leichter zugänglichen Internetseiten eine gute Ergänzung sein. Es kann beispielsweise die Darstellung noch stärker vereinfachen. Den Nutzer:innen hilft außerdem, dass sie das Programm so konfigurieren können, dass sie die benötigte Unterstützung nicht jedes Mal erneut auswählen müssen. Sie können ihre Einstellungen nämlich abspeichern. Wenn sie dann eine neue Website öffnen, müssen sie nur auf das Chamäleon-Symbol klicken und bekommen sofort eine für sie gut zugängliche Ansicht und ihre bevorzugten Hilfsmittel. Das macht den Zugang noch leichter – und so wird noch mehr digitale Teilhabe möglich. —

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Tipps für Arbeitgeber:innen, Teil 3: Förderprogramme suchen und finden

Wer die Filterfunktion des Förderfinders nutzen möchte, muss angeben, in welchem Bundesland und für welches Beschäftigungsverhältnis gesucht wird – und, ob Regel- und Sonderförderungen angezeigt werden sollen. Das Tool zeigt anschließend eine Liste der passenden Programme an. In den Detailansichten wird unter anderem genauer erklärt, wer die Förderung beantragen muss oder wie hoch die Förderhöhe sein kann. Außerdem sind dort – meistens – Informationen und Kontaktdaten zu den einzelnen Förderprogrammen zu finden.
Manchmal fehlen diese Infos leider. Der kurze Überblick über die jeweilige Förderung hilft aber bereits sehr dabei, eine Vorstellung des Programms zu bekommen und sich damit anschließend gezielt weiter zu informieren.

…zum Schluss noch eine Empfehlung:

Selbst die aufwändigste Internet-Recherche führt manchmal nicht zur gesuchten Antwort. Unser Tipp: Sprecht direkt euren zuständigen Integrationsfachdienst an, denn diese Beratungsstellen können eure Fragen am schnellsten und besten beantworten. Die Fachdienste sind nämlich auf Inklusion im Arbeitsleben spezialisiert, beraten Arbeitgeber:innen und Unternehmen zu allen erdenklichen Fragen rund um dieses Thema und kennen sich sehr gut mit Förderprogrammen aus.




VIER FRAGEN AN… Bernhard Stüer, Inklusionsberater bei der Handwerkskammer Münster

#1: Herr Stüer, was brauchen Betriebe, damit Inklusion im Handwerk gelingt?

Meiner Erfahrung nach brauchen sie vor allem zwei Dinge: eine gute Beratung und finanzielle Unterstützung, etwa für neue Maschinen, die ein Mensch mit einer körperlichen Behinderung gut bedienen kann. Beides hängt damit zusammen, dass die meisten Handwerksbetriebe sehr klein sind. Im Schnitt haben sie zehn bis zwölf Mitarbeiter:innen. Investitionen sind für sie deshalb oft ein größerer Schritt als für Unternehmen mit höheren Umsätzen. Dazu kommt ein Zeitfaktor. In Handwerksfirmen gibt es in der Regel keine Personalabteilung, die Betriebsleitung muss diesen Bereich also „nebenbei“ mit übernehmen. Deshalb ist es wichtig, den Firmen mit einer guten Beratung so viel Aufwand wie möglich abzunehmen oder ganz zu ersparen.

#2: Wie und zu was genau beraten und unterstützen Sie Handwerksfirmen?

Meine Kollegin und ich beantworten alle Fragen zur Ausbildung, Einstellung und Weiterbeschäftigung von Menschen mit Behinderung. Wir informieren über die Rahmenbedingungen und unterstützen Betriebe dabei, Fördermittel zu beantragen. Es geht in den Beratungsgesprächen aber auch um weitere Anlaufstellen rund um das Thema Inklusion. Und wir vermitteln weiter, wenn etwa das Inklusionsamt, die Agentur für Arbeit oder der Integrationsfachdienst zuständig sind.

Die größte Hürde für uns selbst übrigens: Viele Betriebsleiter:innen wissen nach wie vor wenig über die Zusammenarbeit mit Menschen mit Behinderung. Deshalb haben sie Vorbehalte und scheuen sich davor, überhaupt Kontakt zu uns aufzunehmen. Viele beschäftigen sich erst dann mit dem Thema, wenn sie direkt damit in Berührung kommen – etwa weil jemand aus ihrer Belegschaft nach längerer Erkrankung oder einem Unfall eine Schwerbehinderung hat oder weil sich ein Mensch mit Schwerbehinderung bei ihnen bewirbt.

Wir arbeiten deshalb auch im Rahmen der Fachkräftesicherung daran, unsere Angebote bekannter zu machen. Unsere Kolleg:innen aus der Ausbildungs- und Betriebsberatung der Handwerkskammer machen Firmen auf unsere Unterstützungsmöglichkeiten aufmerksam. Das ist sehr wichtig, weil Unternehmen beispielswiese Fördergelder sehr frühzeitig beantragen müssen – nämlich noch bevor sie einen Menschen mit Behinderung neu einstellen. Deshalb sollten sie sich am besten sofort bei uns melden und beraten lassen, sobald das Thema aufkommt.

#3: Welche Fragen stellen Ihnen Betriebsinhaber:innen besonders häufig – und welche Antworten haben Sie gemeinsam mit den Unternehmen schon gefunden?

In mehr als zwei Dritteln unserer Beratungsgespräche geht es um Mitarbeiter:innen, die mit einer Schwerbehinderung in ihren Beruf zurückkehren möchten. Die Betriebsleitung muss prüfen, welche Möglichkeiten es dafür gibt: Welche Tätigkeiten kann die Person noch ausführen? Welche Hilfsmittel braucht sie dafür?
Verständlicherweise sind die Verantwortlichen in dieser Situation oft sehr unsicher. Wir schauen uns daher gemeinsam mit ihnen die Arbeitsabläufe an und überlegen, wo und wie sie eine Fachkraft weiter einsetzen könnten. Manchmal können moderne Maschinen helfen, damit jemand an seinen früheren Arbeitsplatz zurückkehren kann.
Manchmal braucht es aber auch ganz neue Lösungen. Im Idealfall können diese einen großen Mehrwert schaffen: Ein Betrieb, den wir beraten haben, setzt zum Beispiel einen erfahrenen Mitarbeiter mit Behinderung jetzt als zusätzlichen Ausbilder ein und bekommt dadurch viel besser geschulte Nachwuchskräfte. Ein anderes Unternehmen hat einen früheren LKW-Reifen-Monteur zur Servicekraft umgeschult. Er fährt nun zu den Kund:innen und prüft deren Fuhrparks, damit die Fahrer:innen für diesen Check nicht extra in die Werkstatt kommen müssen – eine tolle Dienstleistung, die die Kundenbindung stärkt.

#4: Was müsste sich ändern, damit mehr Betriebe Menschen mit Behinderung ausbilden oder einstellen?

Da gibt es verschiedene Ansatzpunkte. Ich glaube, für die Meister:innen müsste manches noch einfacher werden. Wenn ein Betrieb zum Beispiel einen gehörlosen Menschen beschäftigt, sind für manche Besprechungen oder Schulungen Gebärdensprachdolmetscher:innen nötig. Solche Angebote gibt es zwar, sie können aber oft nur mit einem langen zeitlichen Vorlauf gebucht werden, was im Betriebsalltag schwierig ist.

Angehenden Auszubildenden würde ich raten, ihre Schwerbehinderung schon vor der Einstellung offen anzusprechen. Mir ist klar, dass das eine sehr persönliche Entscheidung ist. Es kann jedoch ein Vorteil für beide Seiten sein, wenn das Thema direkt offen auf dem Tisch liegt. Die Betriebsleitung hat dann nämlich die Chance, sich rechtzeitig um eine passende Unterstützung zu bemühen. So lassen sich viele mögliche Schwierigkeiten im Alltag von vornherein verhindern – es wäre schließlich für beide Seiten schade, wenn ein Ausbildungsverhältnis wegen vermeidbarer Hürden abgebrochen werden muss.

Natürlich müssen sich auch die Betriebe bewegen. Viele suchen zum Beispiel ausschließlich nach Fachkräften, was manche Menschen mit Behinderung – je nach schulischer Vorgeschichte – von vornherein ausschließt. Dabei gibt es viele Tätigkeiten, die nach einer guten Einarbeitung auch Menschen ohne eine abgeschlossene Berufsausbildung übernehmen könnten. Es bräuchte dafür aber auch ein Umdenken bei der Arbeitsteilung. Hier müssen insbesondere die Verantwortlichen von wachsenden Betrieben dabei unterstützt werden, Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung zu ermitteln. Die Chancen für eine Einstellung sind wegen des Fachkräftemangels recht gut, wenn die Anforderungen den Fähigkeiten des Bewerbers entsprechen. Manche Betriebsinhaber:innen sind durch unsere Beratung und erste Erfahrungen dafür inzwischen auch aufgeschlossen. Aber wir brauchen hier noch viel mehr. —




Doppeltes Engagement für Inklusion: Der Sonderpreis „Vorbild Inklusion“ 2023 geht nach Westerkappeln und Plettenberg

Die 14 Mitarbeiter:innen der B.A.C. Bike Assembly Crew GmbH in Westerkappeln bauen individuelle Fahrräder für mehrere Hersteller aus Deutschland. Das Unternehmen sitzt im Norden von NRW und wurde 2018 von Sven Stoffers und Mathis Wortmeier gegründet. In der Firma sind ein hohes technisches Verständnis und genaues Arbeiten gefragt. Und obwohl das Unternehmen wegen seiner geringen Größe eigentlich keine Quoten erfüllen muss, beschäftigt es mittlerweile dennoch vier Menschen mit Behinderung. Hinzu kommen vier Kollegen und Kolleginnen, die auf Außenarbeitsplätzen der Ledder Werkstätten für B.A.C. arbeiten. Perspektivisch sollen noch weitere hinzukommen. Wegen dieses außerordentlichen Engagements belegt das Unternehmen in diesem Jahr den ersten Platz beim Sonderpreis „Vorbild Inklusion“.

Der zweite Platz geht an die Office Point GmbH aus Plettenberg im Sauerland. Cornelia Pallas gründete den Betrieb vor mehr als 20 Jahren. Sie selbst ist an einer fortschreitenden Hörschädigung erkrankt und mittlerweile vollständig taub. Davor arbeitete sie als Bilanzbuchhalterin in einer Führungsposition in einem größeren Industrieunternehmen – die Anforderungen waren aber irgendwann so hoch, dass sie sie nicht mehr erfüllen konnte. Stattdessen machte sie sich selbstständig, damit sie ihre Arbeit zu ihren Bedürfnissen passend organisieren konnte.
Mittlerweile beschäftigt sie sieben Mitarbeiterinnen in der Office Point GmbH. In Schleswig-Holstein betreibt sie außerdem zwei Akustik-Fachgeschäfte mit insgesamt fünf Mitarbeiter:innen. In Plettenberg sind es sieben, drei davon haben eine Behinderung. —




Inklusionsbarometer Arbeit 2022: Situation etwas schlechter als im Vorjahr

Das Gesamtergebnis des Inklusionsbarometers Arbeit (mehr dazu unten) ist etwas schlechter als im letzten Jahr: Der Wert liegt 2022 bei 113,2 im Vergleich zu 114,2 im Vorjahr. Ein Wert über 100 bedeutet aber grundsätzlich, dass sich die Lage verbessert, und das ist erfreulicherweise auch dieses Jahr wieder der Fall. Eine weitere gute Nachricht: Nach Jahren der Krise sinken die Arbeitslosenzahlen wieder. Gleichzeitig ist jedoch die Anzahl der langzeitarbeitslosen Menschen mit Behinderung weiter gestiegen, und zwar um über fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Inklusionsklima schlechter

Beim Inklusionsklima, dem eine repräsentative Umfrage zugrunde liegt, zeigt ein Barometerwert von über 50 grundsätzlich ein positives Klima an. Dieser Wert wurde zwar auch 2017 bei der letzten Erhebung nicht erreicht. Aber er ist dieses Jahr in allen Regionen Deutschlands sogar noch weiter gesunken. Nordrhein-Westfalen etwa war 2017 mit einem Wert von 43,5 noch Spitzenreiter, dieses Jahr lag der Wert nur noch bei 40. Schlusslicht ist und bleibt der Süden Deutschlands mit einem Wert von 38 (im Vergleich zu 40 im Vorjahr).

Weiterhin viel Aufklärungsarbeit nötig

Außerdem stellte sich heraus, dass 41 Prozent der kleinen Unternehmen, die mindestens einen Menschen mit Behinderung beschäftigen, die staatliche Förderung für solche Arbeitsplätze nicht kennen. Das sind zwar zwei Prozent mehr als im Vorjahr, doch zeigt diese eher kleine Veränderung, dass nach wie vor viel Aufklärungsarbeit bei diesem Thema nötig ist. Gerade für kleine Unternehmen spielen finanzielle Fragen aber vermutlich eine große Rolle bei der Überlegung, ob sie einen Arbeitsplatz für einen Menschen mit Behinderung einrichten können oder wollen – daher könnte es sich positiv auswirken, wenn die staatliche Förderung bekannter wäre.

Weitere Fakten im Überblick

  • Wenn einmal ein Arbeitsverhältnis besteht, bleibt es deutlich häufiger auch erhalten als früher. Im Jahr 2021 gab es mit 19.746 so wenig Anträge auf Kündigung von Menschen mit Behinderung wie noch nie seit Erscheinen des ersten Inklusionsbarometers im Jahr 2013. Diese Entwicklung hat sich 2022 weiter stabilisiert. Den größten Fortschritt hat Bayern gemacht. Hier wurden 24,1 Prozent weniger Anträge auf Kündigung gestellt als im Vorjahr.
  • Ganz anders sieht die Situation für Menschen mit Behinderung aus, die doch arbeitslos geworden sind. Im vergangenen Jahr gelang nur drei Prozent von ihnen die Rückkehr auf den Arbeitsmarkt. Bei Menschen ohne Behinderung waren es sieben Prozent. Das heißt: Arbeitslose ohne Behinderung haben eine mehr als doppelt so hohe Chance, eine Wiederanstellung zu finden, als Arbeitslose mit Behinderung.
  • Die Mehrheit der Unternehmen sieht in der Digitalisierung eine Chance für Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt. Zugleich haben aber nur drei Prozent in Folge der Digitalisierung auch Menschen mit Behinderung eingestellt.
  • Rund 173.000 Unternehmen in Deutschland sind gesetzlich dazu aufgefordert, mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze mit Menschen zu besetzen, die eine Behinderung haben. Dieser Pflicht kommen aber nur 40 Prozent der Unternehmen im vorgeschriebenen Umfang nach.25 Prozent beschäftigen überhaupt keine Arbeitnehmer:innen mit Behinderung, sondern zahlen stattdessen die sogenannte Ausgleichsabgabe in voller Höhe.
  • Im Kontrast dazu machen die Unternehmen, die Menschen mit Behinderung beschäftigen, vor allem positive Erfahrungen damit: 80 Prozent geben laut der Befragung im Rahmen des Inklusionsklimabarometers an, dass sie keine Leistungsunterschiede zwischen Kolleg:innen mit und ohne Behinderung wahrnehmen.
Grafik mit den wichtigsten Ergebnissen des Inklusionsbarometers Arbeit 2022
Grafik: Aktion Mensch




Patienten-Information.de: Gesundheitsinfos in Leichter Sprache

Was ist eine Essstörung und wie wird sie behandelt? Welche Medikamente helfen bei Asthma und wie werden sie angewendet? Und was sollten Patient:innen beachten, wenn sie ein Antibiotikum einnehmen müssen?
Solche und ähnliche Fragen beantwortet die Website Patienten-Information.de in Leichter Sprache. Medizinische Informationen einfach zu aufzubereiten, ist eine Herausforderung. Denn die Übersetzer:innen müssen gut auswählen, welche Aspekte sie überhaupt aufnehmen, und auch entscheiden, wie stark sie Zusammenhänge vereinfachen wollen und können, um sie in Leichte Sprache zu übersetzen.

Wie die Verantwortlichen damit umgehen und warum die Übersetzer:innen für die fertigen Texte in Leichter Sprache manchmal auch kritisiert werden, lest ihr in diesem Interview.




Wie offen gehe ich am Arbeitsplatz mit meiner Behinderung um? Ein Selbsttest hilft bei der Entscheidung

Laut Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB) verschweigen viele Menschen mit Schwerbehinderung diese am Arbeitsplatz lieber – aus Angst vor Nachteilen. Andersherum können Arbeitgeber:innen ihren Pflichten gegenüber Angestellten mit Behinderung nur dann nachkommen, wenn sie darüber Bescheid wissen. Eine Zwickmühle, die auch rechtlich nicht eindeutig geklärt ist.

Gerade wer keine sichtbare Behinderung hat, steht im Laufe der Karriere wahrscheinlich irgendwann vor der Entscheidung: Sag ich’s – oder nicht? Die Antwort auf diese Frage hängt von vielen verschiedenen Faktoren und der individuellen Lebenssituation ab.
Die Uni Köln hat im Rahmen eines Forschungsprojektes einen Selbsttest für Menschen mit chronischer Erkrankung oder Schwerbehinderung im Job entwickelt, um bei der Entscheidung zu helfen. Der Test steht kostenlos auf der Website „Sag ich’s? Chronisch krank im Job“ zur Verfügung und fragt detailliert ab, wie die persönliche und die berufliche Situation aussieht. Zum Beispiel: Wie ist das Verhältnis zu Vorgesetzten, Kolleg:innen, Arbeitgeber:innen? Was sind die persönlichen Bedürfnisse am Arbeitsplatz, was ist dort schon vorhanden? Wie gehe ich anderen gegenüber mit für mich sehr persönlichen Informationen um? Wie wichtig ist es mir, ich selbst sein zu können? Wenn ich anderen gegenüber offen war, welche Erfahrungen habe ich damit gemacht?

Die Testergebnisse werden am Schluss sofort anschaulich mit einer Auswertung aufbereitet und können auch als PDF heruntergeladen werden. Außerdem gibt es hilfreiche Tipps für weitere Beratung und Unterstützung.