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Einheitliche Ansprechstellen für Arbeitgeber (EAA): Ein kostenloses Beratungsangebot für Unternehmen, die Menschen mit Behinderung beschäftigen möchten

Wenn ein Unternehmen Menschen mit Schwerbehinderung einstellen oder weiterbeschäftigen möchte, tauchen oft Fragen auf. Um diese zu klären, mussten sich die Arbeitgeber:innen in der Vergangenheit meist selbst die passenden Anlaufstellen suchen – und es war unübersichtlich, wer wann für was zuständig ist. Das ändert sich jetzt. Bundesweit gibt es nun sogenannte Einheitliche Ansprechstellen für Arbeitgeber (EAA), die alle wichtigen Fragen bündeln, beantworten und bei Bedarf an die richtigen Träger oder Ämter weitervermitteln. Für Unternehmen ist das kostenlos. Die EAA-Berater:innen Ursula Zumbrock und Christian Münch aus Nordrhein-Westfalen erklären im Interview, wie die neuen Stellen funktionieren.

Drei Männer sitzen um einen Tisch mit einem Laptop und reden, einer davon mit Rollstuhl.

Frau Zumbrock und Herr Münch, Sie beraten und unterstützen Arbeitgeber:innen in den neuen Einheitlichen Ansprechstellen. Was können Sie für Unternehmen in dieser Position tun?

Christian Münch: Wenn ein Betrieb einen Menschen mit Schwerbehinderung einstellen, ausbilden oder weiterbeschäftigen möchte, helfen wir bei allen Fragen dazu weiter. Wir haben zwar nicht selbst alle Antworten, aber wir kennen die richtigen Ansprechpersonen und vermitteln dann. Deshalb werden wir und unsere Kolleg:innen in den anderen EAA auch als Lotsinnen und Lotsen bezeichnet. Das Hilfesystem mit den vielen verschiedenen Trägern und Institutionen ist ja sehr komplex – wir lotsen Unternehmen daher zu der für sie passenden Lösung und Unterstützung.

Ursula Zumbrock: Wir gehen dabei sehr pragmatisch vor und bringen viel Verständnis für die Arbeitgeber:innen mit. Für ihre Fragen und Anliegen, vielleicht aber auch ihre Sorgen, weil sie sich einfach noch nicht so gut auskennen. Wir überlegen gemeinsam mit ihnen, was in ihrem Unternehmen möglich ist, für welche Aufgaben sie neue Arbeitskräfte brauchen und wie wir unterstützen können.

Können sich auch Unternehmen bei Ihnen melden, die noch gar nicht genau wissen, ob sie einen inklusiven Arbeitsplatz einrichten möchten?

Münch: Natürlich, solche Anfragen bekommen wir oft. Ich habe neulich ein Industrieunternehmen besucht, das wegen des Fachkräftemangels Schwierigkeiten hatte, Stellen zu besetzen. Die Geschäftsführung wollte deshalb den Betrieb anders organisieren und fragte mich um Rat. Bei einem Rundgang durch das Unternehmen fiel mir auf, dass im Lager eine ausgebildete Fachkraft damit beschäftigt war, Material umzupacken. Hier gäbe es die Möglichkeit, einen Mitarbeiter mit Behinderung einzusetzen, der möglicherweise keine Fachausbildung hat, was für diese Aufgabe aber auch nicht nötig ist. Die Fachkraft wiederum hätte dann mehr Zeit für andere Tätigkeiten.
Der Betrieb suchte außerdem eine:n Auszubildende:n für Lagerlogistik. Auch hier gäbe es die Möglichkeit, einen inklusiven Arbeitsplatz zu schaffen. Am Ende des Rundgangs hatten wir vier oder fünf Stellen im Betrieb gefunden, an denen wir ansetzen können.

Sie schauen sich also auch die Bedingungen vor Ort an?

Zumbrock: Ja, das machen wir sogar oft. Ein solcher Rundgang ist sehr sinnvoll, weil wir von außen in einen Betrieb hineinkommen und einen ganz frischen Blick auf alle Arbeitsplätze und Abläufe haben. Mir fallen dabei oft gleich mehrere Kontakte ein, die ich ansprechen könnte, damit diese für einen bestimmten Aufgabenbereich passende Bewerber:innen vermitteln.

Was brauchen Arbeitgeber:innen, um neue inklusive Arbeitsplätze zu schaffen?

Münch: Meiner Erfahrung nach ist es wichtig, dass wir nach der Beratung direkt die richtigen Kontakte herstellen können. Die Unternehmen wollen ja gern schnell anfangen, sobald wir ihnen die Möglichkeiten aufgezeigt haben. Bevor ich einen Vorschlag mache, frage ich mich deshalb immer: Habe ich Kontakte in meinem Netzwerk, die ich dem Betrieb gleich morgen nennen kann?

Wie geht es weiter, wenn Unternehmen und Bewerber:innen zusammengefunden haben?

Zumbrock: Oft unterstützen wir dann dabei, den neuen Arbeitsplatz behinderungsgerecht auszustatten oder andere Hilfen zu bekommen. Wir vermitteln an die zuständigen Träger weiter, helfen aber auf Wunsch auch, die nötigen Anträge auszufüllen. Wie lange und wie viel wir unterstützen, ist sehr unterschiedlich. Manchmal ist es sehr komplex, weil wir selbst erst einmal klären müssen, welche Träger wir überhaupt einbeziehen müssen. Manchmal reicht auch ein einziger Kontakt, damit es danach gut ohne uns weitergehen kann. Auf jeden Fall begleiten wir jedes Unternehmen so lange, wie es Unterstützung braucht.

Viele Unternehmen kennen Ihr Angebot wahrscheinlich noch gar nicht. Was tun sie, um die EAA bekannter zu machen?

Münch: Wir versuchen das auf ganz verschiedenen Wegen. Wir machen hier in der Region viel allgemeine Öffentlichkeitsarbeit, also zum Beispiel in den sozialen Medien und mit Flyern. Die Berufskammern, bei denen in Nordrhein-Westfalen auch EAA angesiedelt sind, informieren ihre Mitglieder über Newsletter und Magazine.

Gehen Sie auch direkt auf einzelne Unternehmen zu?

Zumbrock: Ja, wir sind auf vielen Veranstaltungen unterwegs, wo wir Arbeitgeber:innen aus verschiedenen Branchen treffen, zum Beispiel bei Unternehmerfrühstücken oder Fachtagungen. Meistens geht es bei diesen Veranstaltungen nicht vorwiegend um Inklusion, sondern um andere Themen. Wir stellen uns den Teilnehmer:innen dort dann trotzdem kurz vor. Oft ergibt sich es sich später, dass wir mit einzelnen Unternehmer:innen direkt ins Gespräch kommen. Neulich habe ich eine Ausbildungsmesse besucht und dort viele Betriebe angesprochen. Ein paar Tage später meldete sich ein Unternehmer bei mir: Er hatte für eine Stelle einen passenden Bewerber mit Behinderung, wusste aber nicht, wie er nun finanzielle Unterstützung für den behinderungsgerechten Arbeitsplatz bekommen konnte. Inzwischen konnten wir schon alles für seinen neuen Mitarbeiter klären.

Wie hat sich Ihre eigene Arbeit durch die EAA verändert?  

Zumbrock: Ich lerne gerade einen neuen Blickwinkel kennen. In den vergangenen 20 Jahren war ich beim Integrationsfachdienst in der Reha-Vermittlung tätig, meine Arbeit ging immer von Menschen mit Behinderung aus, die ich beraten habe. Jetzt geht es um die Perspektive der Arbeitgeber:innen. Für mich ist diese Aufgabe also durchaus neu, auch wenn ich das Hilfesystem schon sehr gut von der anderen Seite kenne und gut vernetzt bin. Und: Von meiner Arbeit profitiert jetzt im besten Fall nicht nur eine bestimmte Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter, sondern das ganze Team innerhalb eines Betriebs. Denn mit einem inklusiven Arbeitsplatz ändert sich ja oft auch die Unternehmenskultur.

Münch: Ich arbeite seit zehn Jahren als Inklusionsberater bei der Industrie- und Handelskammer, meine Aufgaben jetzt ähneln also denen auf meiner alten Position sehr. Für mich ist es aber ein großer Gewinn, dass wir uns unter den Kolleg:innen noch mehr austauschen. In einigen EAA hier in Westfalen sind auch ganz neue Berater:innen dabei. Dadurch bekomme ich neue Impulse für meine Arbeit.

Hat sich Ihrer Beobachtung nach bei den Unternehmen in den vergangenen zehn Jahren etwas verändert?

Münch: Eigentlich beantworte ich nach wie vor ähnliche Fragen wie in der Anfangszeit. Aber ich stelle fest und höre es auch von Kolleg:innen, dass viele Unternehmen offener werden. Das liegt sicher auch am Fachkräftemangel und dem demografischen Wandel. Viele Arbeitgeber:innen sehen, dass Menschen mit Behinderung Teil der Lösung für die Personalprobleme in ihren Betrieben sein könnten. Und manche fragen uns heute aktiv um Rat, weil sie gezielt Menschen mit Behinderung für offene Stellen suchen – das gab es vor zehn Jahren noch nicht. —

Tipp für Unternehmen: Die richtige EAA finden

Die richtige Ansprechperson für Ihren Betrieb finden Sie mit ein paar Klicks. Sie müssen nur auf der Internetseite der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH) Ihre Postleitzahl eingeben, dann werden die für Sie zuständige EAA und sämtliche Kontaktdaten angezeigt.

In Nordrhein-Westfalen gibt es eine Besonderheit: Hier wurden die EAA sowohl bei den Integrationsfachdiensten als auch bei den Industrie – und Handelskammern, den Handwerkskammern und der Landwirtschaftskammer eingerichtet. Die EAA bei den Kammern unterstützen ihre jeweiligen Mitgliedsbetriebe. Die EAA bei den Integrationsfachdiensten beraten alle anderen Unternehmen und Betriebe, zum Beispiel im Öffentlichen Dienst, im Gesundheits- Bildungs- und Sozialwesen, freie Berufe, sowie Berufe anderer Kammerzugehörigkeit.
Sie finden die Ansprechpersonen und Kontaktdaten ebenfalls über die Website der BIH oder auf den Seiten der EAA im Rheinland und in Westfalen-Lippe.

Die Einheitlichen Ansprechstellen in Westfalen-Lippe sind im Auftrag des LWL-Inklusionsamtes Arbeit tätig.


Über unsere Interviewpartner:innen

Ursula Zumbrock

Porträtfoto von Ursula Zumbrock
Foto: Larissa Kilian

Geburtsjahr: 1964
Wohnort: Burbach
Arbeitsort: Siegen
Beruf: Fachberaterin für Inklusion (EAA) beim Integrationsfachdienst Siegen/Olpe
(Persönlicher Bezug zum Thema) Behinderung: findet, dass eine Behinderung nur eine von sehr vielen Facetten eines Menschen ist. Ihre Familie war während der NS-Zeit von Rassegesetzen betroffen und manche Angehörige wurden wegen einer Behinderung verfolgt. Das hat ihren Blick auf die menschliche Vielfalt sehr geprägt.

Christian Münch

Porträtfoto von Christian Münch
Foto: SIHK

Geburtsjahr: 1968
Wohnort: Herdecke
Arbeitsort: Hagen
Beruf: Fachberater für Inklusion (EAA) bei der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer zu Hagen
(Persönlicher Bezug zum Thema) Behinderung: war viele Jahre in einer Einrichtung der Behindertenhilfe (WfbM) tätig. Durch den Kontakt zu einem Verband von Jungunternehmern wurde ihm schon 2010 deutlich, dass es für mehr Inklusion im Arbeitsleben eine arbeitgebernahe Ansprechstelle braucht

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